In der Herberge am Rand der Straße nach Althopian ging es geschäftig zu. Vor dem zweigeschossigen Gebäude standen zwei Händlerkarren und eine vornehme Kutsche. Neben dem Haus für die Menschen war ein Stall, groß genug für ein Dutzend Pferde. Davor gab es mehrere mit Planen überdachte Pferche, in denen weitere Reit- und Zugtiere Platz fanden. Den Lärm und das Lachen aus der Gaststube konnte man bis übers Feld hören. In der anbrechenden Dunkelheit sah Raýneta mehrere Knechte geschäftig um den Stall herum laufen und die Tiere versorgen. Einer brachte mit einem Leiterwagen Heu von einem nahe gelegenen Schober herbei. Im Gasthaus war Licht, aus dem Kamin ringelte Rauch kerzengrade in den kühlen Herbsthimmel herauf. Raýneta bildete sich ein, einen unbestimmten, aber köstlichen Duft in der kalten Luft wahrzunehmen. Das alles war so einladend. Das Kind war nie zuvor in einer Herberge gewesen. Doch allein die Idee eines Hauses mit einem Dach war verführerisch.

Das Pferd schnaubte. Sicher witterte es Ähnliches aus dem Stall.

Der báchorkor beobachtete das Gebäude schweigend aus dem Schutz des Obstgartens zwischen dem brachliegenden Ackerstreifen und dem Wald im Westen. Dahinter, so hatte er dem Mädchen erklärt, als sie sich auf einem unnötig komplizierten Umweg abseits der Straße dem Gasthaus näherten, begänne bald das Land von Waýreth Althopian. Morgen Abend wären sie sicher in einem der Dörfer, über die er wachte.

Der Garten war an den Seiten von einer an Spalieren hochgezogenen Beerenhecke begrenzt, abgeerntet, aber noch tauglich als Sichtschutz. Schutz vor Blicken, die um diese Jahreszeit niemanden zwischen den Bäumen vermuten würden und verdunkelt durch die hereinbrechende Nacht.

Das Gasthaus lag an einem Kreuzweg. Hier schnitten sich die Straßen von Emberbey in Richtung Wijdlant und eine, die schräg landeinwärts von Virhavét nach Rodekliv führte. Die meisten Reisenden, die aus der Hafenstadt kamen, würden nach Süden abbiegen. Nach Rodekliv reiste nur, wer es nicht vermeiden konnte.

„Wir müssen weiter, ehe der Hahn kräht und die vielen Leute dort aufbrechen. Ich mag nicht in einen Reisetross geraten.“

„Warum denn nicht? In einem Reisezug wären wir doch viel sicherer.“

„Ich will nicht, dass jemand auf dich aufmerksam wird, kleines Mädchen.“

„Aber warum denn nicht? Ich bin doch deine Nichte aus Virhavét, oder? Und mein Vater, der Navigator, der …“

„Vögelchen, diese Geschichte hat ist längst von der Wirklichkeit überholt. Das war, bevor sie bei dir daheim die Brieftauben losgeschickt haben.“ Er wandte sich ihr zu und lächelte. „Ich hätte gedacht, dass dein hitzköpfiger Weitvetter das zu verhindern gewusst hätte.“

Raýneta seufzte. Sie hielt das brave Pferd beim Zügel, es zupfte an dem drögen Wintergras. Mehr gab es hier im Garten nicht mehr. Was immer an den Bäumen an Obst gewachsen war, längst war es abgeerntet und von den Gastwirtsleuten für den Winter haltbar gemacht worden. Raýneta dachte an gedörrte Äpfel und Birnen und süßes Mus mit Haferbrei. Ihr Magen knurrte hörbar. Sie errötete.

„Wenn ich fort bin“, sagte der báchorkor, „wartest du, bis es dunkel ist. Dann lässt du das Pferd hier stehen und sorgst dafür, dass es etwas zu fressen bekommt.“ Er förderte aus seiner wohl bemerkenswert geräumigen Tasche einen sauber zusammengefalteten Beutel hervor. „Hier. Du wirst mehrfach laufen müssen.“

„In den Stall?“

„Das Heulager werden sie zuschließen. Heu und Hafer sind zu wertvoll.“

„Es gibt Leute, die Heu stehlen?“

„Mehr als du denkst. Wenn du willst, erzähle ich dir morgen von einer ganz erstaunlichen Begebenheit. Von zwei dummen Dieben. Die wollten in der dunklen Nacht einen reichen vendyr bestehlen, der mit Gewürzen sein Geld machte. Auf Säcke von Scharfährenkraut und Glutbeeren aus Pianárdent waren sie aus.“

„Tatsächlich?“

„Ja. Sie überlisteten den Wachhund, brachen eine Tür auf und jeder von ihnen schulterte einen großen prallen Sack. Damit schlichen sie durch die halbe Stadt, durch die dunkelsten Gassen und an den Nachtwächtern vorbei, über Dächer und durch Keller. Mehr als einmal wären sie fast ertappt worden. Aber als sie endlich mit ihrer Beute in Sicherheit waren und Pataghiús Glanz sich erhob und das Weltenspiel erhellte, da schauten sie in die Säcke und fanden darin nichts als Heu und minderen Schrot, wie man ihn Maultieren gibt. Sie hatten sich in der Tür geirrt. Nicht ins Warenlager, sondern in die Futterkammer waren sie eingestiegen.“

Raýneta überlegte einen Moment ernsthaft, was sie davon halten sollte. „Die waren wirklich sehr dumm“, sagte sie dann. „Ich weiß, wie Scharfährenkraut riecht. Ganz anders als Heu. Es brennt einem in der Nase. Sie hätten es doch merken müssen.“

„Mögen die Mächte geben, dass meine hochwerten Zuhörer dort in der Schenke nicht deinen Scharfsinn haben, Vögelchen.“

„Und was tue ich mit dem Sack?“

„Du wartest, bis niemand mehr draußen ist. Dann läufst du zu den Pferden und dem Vieh und sammelst in den Sack, was du an Heu und Hafer aufklauben kannst.“

„Aufklauben?“

„Wir werden nicht stehlen, kleines Mädchen. Wir nehmen nur Verschwendetes. Du sammelst für deines Vaters Ross, was die Tiere im Stall aus ihren Raufen fallen lassen. Zusammen mit dem, was es hier an Gras zupft, mag das hoffentlich reichen, bis wir auf Herrn Waýreths Grund sind.“

„Und wenn ich die Hunde nicht überlisten kann?“

„Ich verrate dir etwas. Hunde bei Wirtshäusern sind nicht so gefährlich wie solche, die Schätze bewachen. Stell dir nur vor, was für ein schlafraubendes Gekläffe das wäre. Wenn es hier Hunde gibt, dann sind die es gewohnt, dass lauter fremde Menschen einherlaufen. Das ist eine Herberge. Die Hunde verbellen räuberische Tiere, die auf die Hühner aus sind.“

„Und wenn Leute kommen?“

Er lächelte nicht so unbekümmert, wie sie es gern gesehen hätte. „Es kommen keine Leute. Nicht, solange sie mir zuhören. Magst du mein Geheimnis hören?“

„Ja, gern.“

„Aber du darfst es niemandem weitersagen.“

„Ganz bestimmt nicht.“

Er neigte sich vor, schaute sich argwöhnisch um und raunte ihr zu: „Ich kann Leute mit Geschichten fesseln. Andere Leute brauchen dazu Stricke. Mir reichen Worte.“

Das fand sie ulkig. Aber es hielt nicht lange vor.

„Wie lange bleibst du fort?“

„Nicht länger als nötig. Sobald alle schlafen, komme ich sofort hierher zurück. Das Pferd muss sich bis dahin satt gefressen haben. Das ist wichtiger als unser Hunger. Das verstehst du doch, nicht wahr, Vögelchen?“

„Ja, ich weiß. Wenn einem Pferd der Magen zu lange leer ist, dann geht das schlimm aus.“

Der báchorkor nickte und klopfte dem Ross auf die Schulter. Der Hengst ließ sich nicht stören, graste gierig weiter. Raýnetas Magen knurrte nochmals. Und es dufte so flüchtig und gut aus der Ferne.

„Ich hab auch Hunger“, vermeldete sie kleinlaut. „Kannst du nicht etwas mitbringen?“

„Das kommt darauf an.“

„Worauf?“

„Darauf, was sie heute gekocht haben und mir für die Geschichten geben. Eine Schale Brei oder Suppe kann ich schlecht einstecken. Aber ich werde versuchen, an Brot zu kommen. Und wenn nicht – wir haben immer noch die Nüsse von heute früh.“

„Schade, dass ich nicht auch Gras essen kann“, seufzte Raýneta.

„Oh, davon würdest du nur ein grünes Gesicht bekommen.“

„Das flunkerst du.“

„Willst du es darauf ankommen lassen? Ich halte dich nicht von dem Genuss ab, Vögelchen. Denk daran, gut zu kauen.“

Sie lächelte flüchtig. Er verneigte sich förmlich und schickte sich an, das Versteck im Garten zu verlassen.

„Galéon?“

„Was gibt es noch?“

Raýneta zögerte. Dass der báchorkor sie nun allein lassen würde, behagte ihr nicht. Es wurde dunkel. Noch nie hatte sie allein eine Nacht im Freien verbracht. Was würden Osse und Truda nur sagen, wenn sie davon wüssten? Außer sich vor Sorge wären die beiden! Es war nicht richtig und den Mächten sicher nicht gefällig, dass sie, die yarlaranda von Emberbey, mit dem Pferd in einem fremden Obstgarten stand, mit einem Sack in der Hand, um verschüttetes Heu zu stehlen.

Was, wenn der báchorkor, der Magier, sie hier im Stich ließ?

„Du kommst wirklich zurück, ja? Es ist gefährlich, nicht wahr?“

„Ich denke, die Gefahr ist überschaubar. Schau, Vögelchen“, er neigte sich zu ihr, „sie suchen nach einem báchorkor, einem wertvollen Streitross und einer gewissen liebreizenden kleinen yarlaranda. Solange wir nicht zu dritt vor der Tür stehen, gibt es keinen Grund, sich zu beunruhigen. Ich bin nur ein harmloser, einsamer báchorkor, wie sie zu Dutzenden dieser Tage nach Wijdlant unterwegs sind.“ Er zuckte die Achseln. „Was ärgerlich wäre, wäre, wenn bereits einer von meiner Sorte in der Herberge ist und mir Konkurrenz macht. Ein Gaukler oder Musikant womöglich.“

„In Emberbey war mal ein báchorkor“, erzählte sie, „der hat mit Bällen und Fackeln jongliert. Das war lustig.“

„Dafür wäre ich zu ungeschickt. Und nun lass uns nicht zögern, Vögelchen. Dich dürfen sie nicht sehen, schon gar nicht zusammen mit dem Pferd. Man könnte dich erkennen. Meinesgleichen erkennen sie nicht. Sie erinnern sich nicht einmal. Denke nur an das Heu. Dann wird alles gut.“

Erneut wandte er sich ab.

„Galéon?“

„Kleine yarlaranda, die Zeit …“

„Bitte, einen Moment nur noch. Ich …“ Sie wusste nicht weiter. Aber er schaute sie so sanft an, als könne er ihre Gedanken hören.

„Mein Vater“, wisperte sie. „Ich hab Angst, Galéon. Mein Vater hat immer gesagt, dass ich keine Angst haben muss, solange er da ist. Und nun …“

Nun wäre er nie wieder da. Alsgör Emberbey war hinter den Träumen. Venghiár jagte sie, und der schreckliche Schattenmann. Die Angst war berechtigt, real und anwesend. Raýneta schämte sich, versuchte, tapfer zu sein. Aber die Tränen waren stärker. Ihre Lippen begannen, zu zittern. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht.

Und dann spürte sie seine Arme, die sich sacht um sie legten. Sanft zog er sie an sich.

„Du musst dich nicht fürchten, Vögelchen. Keine schlimmen Hunde. Keine bösen Schergen deines Weitvetters. Nur ein bisschen Magenknurren. Das hältst du aus. Und du willst doch, dass das brave Pferd uns sicher und satt nach Althopian bringt?“

Sie schluchzte. Dann schlang sie ihm ihrerseits die Arme um den Hals. Seine wilden kupferroten Locken wischten einen Teil Ihrer Tränen beiseite. Einen Augenblick stand sie da. Und dann wurde ihr leichter ums Herz, leicht und taub. Seine Umarmung hatte die ärgste Angst von ihr genommen, als habe er ihr aus einem schweren Mantel geholfen. Das konnte nur seine sonderbare Magie bewirken.

„Ich muss jetzt gehen, Raýneta, yarlaranda von Emberbey. Du hast deine Aufgabe, ich habe meine. Um diese Zeit geht niemand mehr in einen abgeernteten Garten. Am Morgen werden wir einander loben und stolz auf deinen Mut sein.“

Sie hob den Beutel auf. „Galéon, sag … hast du … irgendwo … Kinder?“

„Ich? Nein. Nein, ganz bestimmt … nicht.“

„Und eine hýardora?“

Nun zögerte er. Raýneta wartete erstaunt.

„Ja“, sagte er dann leise. „Bald.“

Und noch bevor sie ihn dazu bringen konnte, diese rätselhafte Bemerkung zu erklären, packte er seine Taschen und stapfte energisch hinter der Beerenhecke hervor, auf das erleuchtete Haus zu.

Raýneta sah, wie er ungehindert von Mensch und Tier das Gasthaus erreichte. Der báchorkor  ging auf jemanden bei den Pferchen zu, der zum Haus gehören mochte. Er wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann gingen beide Männer in das Haus hinein.

Raýneta setzte sich auf die steinerne Umrandung eines abgeräumten Kräuterbeetes und schaute dem Pferd beim Gras zupfen zu.  Als die letzten Strahlen von Pataghíus Glanz verloschen und Noktámas Juwelen, allen voran der perlenbleiche, volle Mond aufstrahlten, fasste das Mädchen sich ein Herz. Es ermahnte das Pferd, sich nicht loszureißen und aus dem Garten davonzulaufen. Dann packte Raýneta den Sack und huschte hinüber, auf das Gebäude zu.

Der Streifen Stoppelfeld, der sie von der Herberge trennte, war uneben. Harte Reste der Halme stachen durch die dünnen Sohlen ihrer feinen Schuhe, die nicht für langes Gehen auf unbefestigtem Grund gemacht waren. Raýneta schimpfte so züchtig, wie es sich für ein hochedles Kind geziemte und hielt auf die Pechkörbe zu, die links und rechts neben dem Tor loderten und die Herberge auch für nächtliche Reisende sichtbar machten.

Tatsächlich war niemand mehr im Freien unterwegs. Das kleine Mädchen schnupperte und horchte. Es duftete so appetitlich nach Brot! Das war ein gutes Zeichen. Und das andere – war das nicht der gute weiße Kohl, wie ihn die Köchin in Emberbey auf den Tisch brachte, sauer und mit diesen mürben, tannennadelartigen Samen gewürzt?

Aus der Gaststube klang Stimmengewirr, Gelächter. Offenbar hatte Galéon seine Geschichten noch nicht begonnen. Vielleicht stärkte er sich gerade bereits am Kohl und Brot. Ob er oft Hunger hatte? Für einen Mann war er so zart und schmächtig, ganz anders als die kräftigen Knechte auf der Burg, die regelmäßig zu essen bekamen.

In der Nähe schnaufte ein Tier, einer der Zugochsen von einem der Karren wohl. Raýneta duckte sich und huschte hinüber. Kein Hund war zu sehen. Ob die auch alle drinnen waren und warteten, dass man ihnen etwas zusteckte?

Die Ochsen hatten unordentlich gefressen. Raýneta raffte das weiche, duftende Heu auf, das für sie unerreichbar auf der anderen Seite des Gatters gelandet war. Einen guten Armvoll brachte sie zusammen, stopfte es in den Sack und lief zum nächsten Pferch. Dort standen zwei Maultiere, die manierlicher gewesen waren. Am Gatter waren Futtersäcke mit Schrot eingehängt. Einer hatte seitlich wohl einen kleinen Riss, ein Häufchen Körner lag, unzugänglich für die Maultierschnauzen, auf dem Boden. Raýneta schöpfte es in die Hände und packte es ein. Weiter, nur weiter!

Der Sack füllte sich. Die kleine yarlaranda entschied, dass es für das erste Mal genug sei, presste den Sack an sich und stolperte in die Nacht hinein, über das Feld und zum Garten. Zum Glück waren die Bäume unter dem Mondlicht deutlich zu sehen. Sogar das graue Fell des Pferdes schimmerte ihr als Ziel.

Raýneta schüttete das Heu und die Körner vor seinen Hufen aus, und es stürzte sich darauf. Sie schaute ihm kurz zu und lief dann erneut los.

Zweimal noch füllte sie den Beutel und brachte ihn zum Pferd. Immer noch waren weder Hunde noch Menschen im Freien, bis auf einmal, als sie fast einer Frau in den Weg gestolpert wäre. Aber es ging gut, denn die Frau hatte etwas Dringendes zu tun.

In der Gaststube war es stiller, als das Mädchen zum dritten Mal an der Tür zum Schankraum vorbei schlich. So still, dass es ihr seltsam vorkam. Schon wollte sie das Ohr an die Tür liegen, als urplötzlich lautes Gelächter aufschallte. Raýneta erschrak so sehr, dass ihr das Herz stolperte.

Sacht pirschte sie sich zum nächsten Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte durch das Butzenglas hinein. An Tischen und auf Bänken saßen Leute in der Schankstube, alle mit dem Blick in dieselbe Richtung. Mäuschenstill waren sie. Raýneta legte das Ohr an die kalte Glasscheibe. Tatsächlich, da war eine gedämpfte Stimme. Das musste Galéon sein! Sicher saß er irgendwo außerhalb ihres Blickfeldes und hatte begonnen, die Leute mit seinen Geschichten einzuweben. Raýneta vermutete, dass er den Erwachsenen keine albernen Geschichten von Heudieben erzählte. Vielleicht etwas von diesen geheimnisvollen Flüstergeschichten aus Ivaál und Aurópéa, von denen die Wächter in Emberbey nichts wissen wollten.

Sie machte sich wieder ans Werk. Draußen hatte sie alles aufgesammelt, was die Tiere aus den Futtersäcken und Raufen geworfen hatten. Nun wollte sie schauen, was es im Stall zu holen gab. Das Tor war nicht verriegelt.

Entlang der Gasse leuchteten zwischen den Verschlägen mehrere schwache Laternen, kleine Flämmchen in Metallgehäusen, so gut gesichert, dass kein Feuer ausbrechen konnte. Sicher war es wichtig, dass sich späte oder frühe Gäste hier schnell orientieren konnten, um das richtige Pferd von seinem Platz zu holen. Das war äußerst praktisch. Raýneta fand eine kleine Schaufel und bediente sich am verschütteten Hafer. Viel übrig gelassen hatten die Pferde nicht. Einige Tiere wirkten verwundert und beäugten das Kind mit wachsamen Blicken. Aber keines machte Lärm. Raýneta wagte sich nahe an die Tröge heran und sammelte ein, was da war. Zwei große Ritterpferde waren dabei. Sicher wollten deren Herren auch zum vasposár. Einige gewöhnliche Gebrauchspferde sah das Kind, und einen wunderschönen Zelter, in dessen Mähne Glasperlen geflochten waren. Eine edle Dame war also auch in der Herberge. Wieder musste Raýneta an ihr Schimmelchen denken. Nein, nicht jetzt. Schnell schob sie den Schmerz beiseite. Das Pferdchen war hinter den Träumen und musste keine Angst mehr vor Venghiár haben.

Ganz hinten im letzten Verschlag schnaubte und prustete es. Das Pferd, das dort untergebracht war, das war unruhig. Raýneta schulterte das Säckchen. Dieses Pferd war ihr zu wild. Aber was hatte es?

Sie musste nachsehen und trat näher. Ein schönes, ein ausgesprochen feines Pferd war es. Ein schlankes, feingliedriges Kurierpferd mit schwarzem Fell und seidiger Mähne. Ein Pferd, das Raýneta schon einmal gesehen hatte. In der vergangenen Nacht.