Kárar Ferocrivé war siegessicher. Arglos war der namenlose blonde Ritter ihm einige Schritte weit in den Wald gefolgt, bis zu der Lichtung, auf der Rolk die geheime Verschwörung der yarlaranda von Emberbey beobachtet haben wollte und er die bunte Feder gefunden hatte. Mit dieser Sache war er noch nicht am Ende. Aber bevor er sich im Laufe des Tages erneut zur Burg begab, um weiter im Stroh zu stochern, bis die Maus hervorkam, musste er diesen lächerlichen Simpel loswerden. Dass das Pferd verschwunden war, hatte man im Dorf sicher längst bemerkt. Verschwunden bleiben konnte das Tier nur, wenn der närrische junge Mann nicht damit unter aller Augen herum ritt. Neugierige würden Fragen stellen, und das wäre nicht gut. Gar nicht gut.

Sie legten ihr Zeug unter einem hohen Baum ab, von dem ab und zu bunte Herbstblätter zu Boden segelten. Der junge Mann hatte Helm, Schild und Schwert dabei, dazu eine Axt und einen Streitflegel. Das Zeug war veraltet, aber in erstaunlich gutem Zustand. Vielleicht ließ sich davon später noch etwas gebrauchen.

„Lasst uns die Axt nehmen“, schlug Kárar vor und griff nach seiner eigenen. „Damit fehlt es mir noch ein wenig an Übung.“

„Wie Ihr meint“, sagte der junge Mann und bewaffnete sich. „Glaubt Ihr, damit wird auf dem vasposár viel zu tun sein?“

„Möglich. Und wenn dem nicht so ist, können wir den teiranday immer noch anbieten, etwas Holz für die Abendfeuer zu schlagen.“ Kárar lachte bemüht, und der junge Mann stimmte ein, mit mehr Verwirrung als Belustigung.

„Mir ist klar, dass Ihr Euren Namen noch nicht offenbaren wollt“, fuhr er fort. „Aber ein wenig Neugier packt mich doch. Was treibt Euch zu diesem Turnier? Die Aussicht auf schöne junge fánjulaé? Sucht Ihr nach einer hýardora?“

„Nein. Das ist es nicht. Mein Herz ist bereits vergeben.“

„Das ist bedauerlich. So ein schmucker Recke wie Ihr wird sicherlich die Augen vieler Mädchen auf sich ziehen.“

„Das ist schade, aber nicht mein Begehr.“

„Was begehrt ihr dann? Schickt Euch Eure Familie, um Euch vor den yarlay zu präsentieren?“

„Ja. Das könnte man so ausdrücken. Und Ihr? Hofft Ihr, den Blick der teirandanja zu gewinnen?“

Kárar Ferocrivé grinste. Nun, die teirandanja war eine liebreizende fánjula. Dagegen hätte er nichts einzuwenden. Aber das war nicht seine Priorität.

„Ich komme, um meine Familie zu vertreten. Mein Vater schickt mich.“

„Ohne Namen und mit blankem Schild?“

„Es soll eine Überraschung werden. Und ich will es mir nicht gleich mit jedem Konkurrenten verderben. Beginnen wir!“

Er hob die Axt und holte mit Schwung, aber wohldosiert aus. Den Hieb zu parieren, bereitete dem Blonden keine große Mühe. Die Art, wie er seinen Schild einsetzte, schien Kárar Ferocrivé etwas ungewöhnlich. Aber er kam nicht dazu, denn schon erfolgte eine Gegenattacke, mit geringem Schwung, aber exzellenter Eleganz. Allerdings so langsam, dass es Kárar keine Mühe machte, die Klinge abzufangen und mit dem eigenen Schild abzuleiten.

„Ausgezeichnet“, lobte er. „Wo habt Ihr das gelernt?“

„Daheim. Im … Süden.“

„Könnt Ihr mich lehren, wie Ihr das gemacht habt?“

„Natürlich. Schaut nur.“

Der Blonde wich einen Schritt zurück und wirbelte seine Axt über Kopf und Schulter, kraftvoll, aber doch so langsam, als schwenke er eine Fahne. Kárar bemühte sich, es ihm gleichzutun. Das war schwieriger, als es aussah. Zwei, dreimal versuchte er sein Glück und entschied dann, dass es Zeitverschwendung war.

„Fein. Aber wenn Ihr auf einen der Herren aus Valvivant oder auch nur yarl Ycelia trefft, dann verplempert Ihr mit so etwas Eure Zeit. Gegen die Recken ist Kraft und Geschwindigkeit gefragt.“ Er schnellte unversehens auf den jungen Ritter zu und traktierte ihn mit raschen Hieben.

„He!“, rief der junge Mann aus und blockte die Attacke hastig mit dem Schild. „So seid doch vorsichtig! Wir tragen beide keinen Helm!“

„Dann strengt Euch an und weicht mir aus. Oder denkt Ihr, Herr Mádyc wartet, bis Ihr Euren Helm wieder auf dem Kopf habt, wenn er Euch herunterfällt?“

Der junge Mann schlug seinerseits zu, diesmal nicht so zierlich, sondern mit halbherziger Wucht. Die Klinge schwang heran und rutschte am Schildbuckel ab. Doch das störte nicht. Bevor der junge Narr neu ausholen konnte, versuchte Kárar einen Schlag von unten. Aber der Ritter entzog sich seiner Reichweite und stellte sich abwartend auf.

„Hochedler Herr“, mahnte er, „haltet Euch zurück.“

„Was? Schreckt Euch so ein wenig Geplänkel schon ab?“

„Nicht das Geplänkel. Euer Eifer macht mir Sorgen.“

„Wenn das Eure Einstellung ist, dann wird man Euch auslachen beim vasposár.“

Der junge Mann runzelte die Stirn. Kárar grinste. Dann stürmte er auf dem Dummkopf ein, die Axt mit voller Kraft im Schwung.

Krachend traf die Klinge den Schild, aber diesmal tauchte der junge Mann darunter hinweg und war plötzlich hinter ihm. Kárar hatte noch genug Schwung und rannte zwei Schritte ins Leere, bevor er bremsen und herumwirbeln konnte. Der junge Ritter stand da und hatte die Axt gesenkt.

Wenn er so flink war, wie es jetzt den Anschein hatte, er hätte Kárar die Axt in den Rücken hauen können. Aber das war wohl nicht sein Stil. So ein Dummkopf!

„Hervorragend! Das sieht schon viel besser aus.“

„Danke.“ Der junge Mann nickte höflich. „Ihr seid auch nicht schlecht.“

„Dennoch, es scheint Euch ein wenig an, sagen wir: Biss zu fehlen. Wenn Ihr auf dem Turnierplatz steht, dann geht es nicht nur um ein bisschen Hin- und Hergetanze. Dann habt Ihr bei aller Technik keine große Chance.“ Er grinste. „Spätestens, wenn Ihr Merrit Althopian gegenübersteht, würdet Ihr den Kürzeren ziehen.“

„Was wisst Ihr von Merrit Althopian?“, fragte der junge Mann interessiert.

„Dasselbe wie Ihr hoffentlich ebenso. Es scheint, dass der hochedle Herr seiner Jugend zum Trotz ein Turnier nach dem anderen für sich entscheidet. Den jungen Damen zum Entzücken, den Herren zum Respekt.“

„Nun, mir ist zu Ohren gekommen, dass der junge Herr ein Vorbild an Mut und Kraft ebenso ist wie an Redlichkeit und Milde.“

„Ich weiß. So gerne würden ihn die Leute hier in Wijdlant als neuen teirand feiern. Aber es ist nicht gesagt, dass er beim vasposár nicht an Gegner gerät, die ihm über sind. Vielleicht nicht an Tugend.“

„Woran sonst?“

Kárar lachte. Dann stürmte er los.

Eisen krachte auf Eisen. Der Arm des jungen Ritters war das neue Ziel. Gelänge es nur, wenn auch nicht ihn abzuhacken, doch zumindest den Knochen zu brechen, dann wäre es fast geschafft. Aber der junge Mann parierte und wehrte sich wacker. Das Eisenzeug an seinem Arm musste insgeheim von ganz ausgezeichneter Qualität sein. Obwohl Kárars Klinge mehrfach daran abglitt, blieb doch kein Kratzer darauf zurück.

Trotzdem beschlich ihn das Gefühl, dass der junge Mann nicht sein volles Können preisgab.

Und langsam wurde es lästig. Das Krachen der Äxte schallte durch das Wäldchen, als seien Holzfäller am Werk. Wenn er sich hier zu lange aufhielt, dann würde das früher oder später Schaulustige auf den Plan rufen.

Mit einem Glückstreffer gelang es Kárar endlich, auf die obere Schildkante zu schlagen. Das Axtblatt hakte sich daran fest. Mit einem Ruck versuchte er, den Schild hinabzudrücken, aber der junge Mann war stark. Zu stark.

„Wollt Ihr nicht aufgeben?“

„Habt Ihr denn schon genug?“

„Vielleicht“, schlug Kárar vor, „ist es an der Zeit, die Waffen zu wechseln. Ich wüsste zu gern, ob Ihr mit dem Schwert ebenso geschickt seid wie mit der Axt. Warum zeigt Ihr mir nicht, wie man in Eurer Heimat fechtet?“

Der blonde Ritter zögerte kurz. Dann ließ der Widerstand nach. Kárar löste seine Waffe vom Schild.

„Gut“, sagte der junge Mann. „Lassen wir dies hier unentschieden enden und weitermachen.“

Kárar verneigte sich. Der andere Ritter erwiderte sein Lächeln und wandte sich ab, um sein Schwert zu holen.

Wie eine Schlange schnellte Kárar Ferocrivé vor. Einen gezielten Tritt versetzte er dem anderen in die Kniekehle.

Der junge Mann hatte damit offensichtlich nicht gerechnet. Von hinten attackiert zu werden, das war wohl außerhalb der Vorstellungskraft dieser albernen, edelmütigen jungen Krieger. Wie verweichlicht sie einige Generationen des Friedens gemacht hatten!

Der Blonde verlor das Gleichgewicht, versuchte noch, sich abzufangen. Ohne Zeit zu verlieren, schmetterte Kárar ihm die Breitseite seines Schildes vor den Kopf.

Das war einfach gewesen. Zu einfach. Kárar spürte zu seiner eigenen Überraschung, wie schnell sein Herz klopfte. Und wie still es plötzlich im Wald zu sein schien, obwohl die Vögel so viel Lärm machten.

Der junge Ritter war lautlos zu Boden gegangen. Nun lag er benommen im Herbstlaub, aber er regte sich noch. Das war nicht gut. Noch einmal ließ Kárar seinen Schild auf das Haupt des jungen Kerls krachen.

„Tut mir leid“, murmelte Kárar und hob seine Axt. Das leuchtend goldblonde Haar des jungen Mannes war ein verlockendes Ziel, das auf diese Entfernung nicht zu verfehlen war. „Aber mit dir ist weiter nichts anzufangen.“

Der Blonde stöhnte, versuchte, sich aufzurappeln, aber sackte sofort wieder zusammen. Kárar Ferocrivé einmal aus.

„Haltet ein!“, rief es da.

Er erstarrte. Nun hörte er Klirren von Metall und Hufe, die durch Herbstlaub schlufften. Es näherten sich Reiter, wohl angelockt vom vorangegangenen Lärm, die nun vom Weg aus hinunter in den lichten Wald trabten. Kárar wandte sich um. Drei waren es, ein Ritter in Begleitung von zwei Waffenknechten. Dunkelgrün war der Wappenrock des yarl. Als er näher heran war, erkannte Kárar sein Wappen, einen Widder, der gegen eine Tanne anrannte. Eine Narbe zog sich über die Wange des grünen yarl, bis fast zu seinem forschenden dunklen Auge. Sein Haar war schütter und mehr grau als dunkel.

„Was geht hier vor?“, fragte der Ritter streng. „Legt die Axt weg! Was ist mit Euch und dem da?“

Kein Zweifel. Ein Gefolgsmann der teiranday. Kárar warf seine Axt zu Boden und verneigte sich. „Es ist nicht das, wonach es aussieht“, sagte er rasch.

„Wonach sieht es denn aus?“, erkundigte der yarl sich. „Habt Ihr es übertrieben mit Eurem Waffenspiel? Was war das, ein Duell? Wer seid ihr, und wer ist er?“

„Mein Name“, sagte Kárar Ferocrivé, „ist verdeckt bis zum Ende des vasposár, Herr …“

„Ich bin yarl Andriér Altabete.“ Der Ritter klopfte sich grüßend auf sein Herz. Sein Eisenhandschuh schepperte auf seiner Brustplatte. „Und nun verlange ich eine Erklärung. Wer ist das da?“

„Nun, also …“

„Nun redet schon. Er ist ja offenbar gerade nicht in der Lage.“

„Herr, ich weiß es nicht. Er tritt ebenso verdeckt an wie ich. Da müsstet Ihr schon den maedlor fragen.“

Einer der Begleiter des yarl war abgesessen und kniete nun neben dem jungen Mann, untersuchte ihn. „Er atmet“, informierte er dann seinen Herrn. „Aber er hat übel eines vor den Kopf bekommen.“

„Ein Leichtsinn“, tadelte yarl Altabete. „Ohne Helm! Was habt Ihr Euch gedacht? Hat man Euch nicht die Gastregeln erklärt? Die teiranday wünschen keinen Kampf im Geheimen. Also? Was war das hier?“

„Ich …“ Kárars Gedanken rasten hin und her. Dass yarl Grootplen regelmäßig nach dem Rechten sah, das war allgemein bekannt, immerhin war er der Beauftragte dafür, dass das Turnier nach der Ordnung vorbereitet wurde. Dass nun yarl Altabete hier war, und dann auch noch begleitet von Bewaffneten, das musste einen Grund haben.

„Herr“, mahnte der Knecht, „ich denke, die doayra sollte sich das hier anschauen. Der junge Mann ist wohl zwischen den Träumen.“

„Ist er verletzt?“

„Schwer zu sagen. Kein Blut zu sehen, aber ich bekomme ihn nicht wachgerüttelt.“

Yarl Altabete seufzte. Offenbar passte ihm dieser Zwischenfall nicht in den Kram.

„Reite du hinüber ins Turnierlager“, wies er den anderen an, der noch im Sattel war. „Wir brauchen eine Bahre. Nein, besser einen kleinen Lastkarren. Wer immer das ist, er muss umgehend zur Burg, zur doyara. Beeil dich!“

Der zweite Waffenknecht nickte knapp und galoppierte los. Kárar hob verlegen seine Axt auf. Aber Altabete ließ nicht locker.

„Nun? Ich weiß nicht, was sich hier zugetragen hat, aber der Lärm am frühen Morgen machte mich neugierig. Es sah fast so aus, als wolltet Ihr Euren wehrlosen Gegner erschlagen.“

„Da irrt Ihr Euch, Herr Andriér. Das mag so ausgesehen haben, aber es ist ganz anders gewesen.“

„Interessant. Klärt mich auf. Was hat dieser wappenlose Jungspund Euch angetan, dass Ihr Vergeltung wolltet?“

„Ich .. nun …“ Kárar schaute unruhig auf den jungen Ritter hinab. Der erste Waffenknecht war besorgt über ihn gebeugt. Aber der Blonde rührte sich nicht.

„Herr … ich wollte nichts Böses. Dass ich ihn niederschlug, das war ein unglückliches Versehen. Aber in Wirklichkeit …“

„Nun stammelt nicht! Meine Zeit ist begrenzt. Wir sind auf der Suche nach einem Pferdedieb.“

„Einem …“ Kárar Ferocrivé blinzelte ungläubig. Dann fiel ihm ein Stein vom Herzen. Ja, wahrlich, die Mächte meinten es gut mit ihm.

„Nun, Herr Andriér … wie es das Schicksal will – ich war gerade eben dabei, einen Pferdedieb zu stellen.“