
Als wir wieder zu uns kommen, befinden wir uns in einem anderen Zimmer, aber offensichtlich immer noch in der Burg. Diese Räumlichkeit hat eher etwas von einem Hotelzimmer, nicht von einem Raum, der ständig bewohnt wird. Dafür gibt es zu wenig persönliche Gegenstände. Wir liegen mit ziemlichen Kopfschmerzen auf einem Bett. An einem Tisch nebenan sitzt eine junge Frau und ist damit beschäftigt, Holzstücke mit einem Pinsel und Leim zusammenzufügen. Auf einem Stuhl neben und hat sich eine größtenteils schwarze Glückskatze zusammengerollt und schläft.
Oh! Hallo! Schön, dass du wach bist!
Wo bin ich hier?
Yarl Altabete hat dich hergebracht. Offenbar glaubt man zwischenzeitlich, bewusstlose Personen sind hier am besten aufgehoben.
Wer bist du denn?
Es gibt eine Regel: Ich darf in dieser Welt meinen eigenen Namen nicht sagen. Vermutlich löse ich sonst irgendeinen Zauber aus.
Dann bist du nicht von hier? Woher stammst du?
Weißt du, welches Jahr wir haben und wie der Bundeskanzler heißt?
Natürlich, wir …
Wie schön! Dann stammen wir aus derselben Welt. Ich bin Ujora – zumindest nennt man mich in dieser Welt so. Ich stamme aus deiner Welt, wahrscheinlich sogar aus deinem Land und komme aus einer großen Universitätsstadt.
Wo und wie lebst du jetzt – und warum?
Im Augenblick bin ich so etwas ähnliches wie eine Geisel hier auf der Burg von Wijdlant. Ich warte hier darauf, dass jemand mit einer Art Lösegeld auftaucht.
Yalomiro Lagoscyre mit dem Artefakt?
Aha, du bist im Bilde. Was machst du hier?
Ich soll ein Interview mit den Hauptfiguren aus den Schattenherz-Chroniken … Moment mal. Wie kann denn… (in unserem Gehirn scheint sich ein Knoten, oder vielleicht eine Möbius-Schleife zuzuziehen).
Keine Sorge. Das ist bestimmt ein Nebeneffekt des Zaubers, den Gor Lucegath auf diese Burg gelegt hat. Man kann sich hier nie sicher sein, was echt und was Illusion ist. Ein Tipp: Versuch dir einzureden, dass du das alles hier träumst. Dann fällt es anfangs leichter.
Äh … soll ich dann dich jetzt interviewen?
Wenn dir das vorerst logisch vorkommt, gern.
Na gut. Welchem Geschlecht fühlst du dich zugehörig und welche sind deine Pronomen?
Ich bin eine Cis-Frau und mein Pronomen ist „sie“. Warum guckst du so überrascht?
Ich bin verblüfft, dass jemand in einer Fantasy-Welt mit dieser Formulierung etwas anfangen kann. Wie würdest du dich einer blinden Person beschreiben?
Gar nicht.
Wieso?
Weil es gewollt sein kann, das jemand anonym und „unsichtbar“ beziehungsweise unauffällig bleibt. Ich habe keinen Spiegel vor meinen eigenen Augen.
Du meinst ernsthaft, dass du eine Art „Blanko-Person“ bist?
Was mein Aussehen betrifft, ganz genau. Niemand muss wissen, wie ich aussehe, ob ich groß oder klein oder dick oder dünn bin, was für eine Frisur ich habe und ob ich mir die Lippen schminke. Ich bin ohnehin nicht direkt unsichtbar, aber unscheinbar, man übersieht mich oder beachtet mich kaum.
Das ist aber langweilig!
Ich bin schon lange nicht mehr so langweilig wie an dem Tag, an dem ich in diese Welt geraten bin.
Aha. Du … entwickelst dich und gewinnst Konturen?
(sie lächelt).
Hast du körperliche Beeinträchtigungen? Wenn ja, welche und wie bist du dazu gekommen?
Ich habe keine körperlichen Handicaps. Dafür sieht meine Psyche nicht besonders gesund aus. Wahrscheinlich hätte ich dringenden Therapiebedarf, aber ich wüsste auch nicht, was ein Psychologe konkret für mich tun könnte. Aber seit ich hier bin, habe ich das Gefühl, dass es mir langsam besser geht. Verrückt, nicht wahr?
Bist du ein Mensch?
Ja, natürlich.
Wie ist dein Verhältnis zu deiner Familie?
Marginal. Ich habe den Kontakt weitestgehend abgebrochen. Ich habe keine Geschwister und nur wenige nahe Verwandte. Meine Eltern haben sich irgendwann getrennt, und meine Mutter war froh, als ich endlich aus dem Haus war.
Hast du viel Ärger gemacht?
Nein, ich war im Weg. Ich habe von klein auf versucht, mich möglichst unsichtbar zu machen, aber ich war nun mal da und habe die Möglichkeiten meiner Eltern und später meiner Mutter eingeschränkt. Solange ich brav war und nie Widerworte gegeben habe, war das in Ordnung.
Das klingt nach verkorkster Kindheit. Wo hast du als Kind denn gern gespielt?
Bei meiner Oma. Meine Oma war eine tolle Frau, die Mutter von meiner Mutter. Die beiden hatten ein schwieriges Verhältnis miteinander und haben kaum miteinander geredet. Aber zum Babysitten war Oma gut genug. Ich habe meine Kindheit bis ins Grundschulalter größtenteils bei ihr verbracht. Sie war zwar auch überfordert, was den Umgang mit einem Kind anging – vielleicht war das auch der Knackpunkt im Verhältnis zu meiner Mutter – aber sie hat mit Aufmerksamkeit und Geborgenheit geschenkt. Ich war nämlich auch nicht im Kindergarten. Meine Mutter wollte das nicht.
Wann hat deine Kindheit geendet?
Am Tag als meine Oma starb. Da war ich acht oder so. Herzinfarkt. Ab da gab es nur noch Schule und allein zu Hause, bis meine Mutter von der Arbeit kam.
Deine Kindheit endete mit acht Jahren?
Ja. Danach war nur noch still sein. Unsichtbar sein. Funktionieren.
Hattest du denn keine Schulfreunde?
Ich hatte Schulbekannte und später Studienbekannte. Ich war immer zu ängstlich und schüchtern, um auf Leute zuzugehen.
Welche Tradition magst du gern und ist dir wichtig?
(lächelt) Das klingt jetzt vielleicht etwas albern, aber ich mochte schon immer die Laternenumzüge zu Sankt Martin. Als ich ganz klein war, bin ich mit Oma auch zwei- oder dreimal mitgelaufen. Im Dunkeln mit den schönen bunten Lichtern und der gute Mann mit dem Pferd – das fand ich toll.
Welche ist deine glücklichste Erinnerung?
Ich habe immer eine Szene vor Augen, wie ich bei Oma in der sonnendurchfluteten Küche sitze. Das war gar kein besonderer Tag oder spezielles Erlebnis. Vielleicht hat es genau so auch nie stattgefunden und ich setze mir das alles nur aus dem Unterbewusstsein zusammen. Aber es ist so real, ich kann die Sonne fühlen und die Küchengerüche riechen.
Und welche ist deine schmerzhafteste Erinnerung?
Sorry … das ist so viel. Das triggert mich zu sehr. Es … es sind diverse Momente mit Leuten, von denen ich gedacht habe, dass ich ihnen vertrauen kann. Ein oder zweimal habe ich sogar etwas mehr gehofft. Und meist hab ich dann durch Zufall herausgefunden, dass man sich hinter meinem Rücken über mich lustig gemacht hat oder mich blankweg wegen irgendwas ausgenutzt hat. Ich bin viel zu naiv und unselbständig, um damit klar zu kommen. Manche würden eine große Welle machen oder ihrerseits zurückschlagen, um sich zu behaupten. Das kann ich nicht. Da ziehe ich mich lieber zurück und lasse das nächste Mal niemanden so nahe an mich heran.
Worauf achtest du als erstes bei einer anderen Person?
Ich glaube, auf die Augen. Ich bilde mir ein, dass man an den Augen erkennen kann, ob jemand freundlich ist oder nicht. Ich weiß, dass das Unsinn ist, aber es funktioniert erstaunlich oft.
Welche Rolle nimmst du in einer Gruppendiskussion oder einer Gruppenarbeit ein?
Ich schreibe das Protokoll. Das kann ich gut: Zuhören, mir Details merken, mitschreiben. Vor allen Dingen zuhören.
Bist du Feigling, Draufgängerin oder Mitläuferin – und was muss passieren, damit sich das ändert?
Ich glaube, ich bin die feige Mitläuferin. Ich habe nie gelernt, mich durchzusetzen oder für mich selbst einzustehen. Aber … ich glaube, das ändert sich gerade. Seit ich hier bin und … Leute kennenlerne. (Die Katze auf dem Stuhl öffnet die Augen. Sie sind intensiv grün. Sie scheint zuzuhören. Wir strecken die Hand aus, um sie zu streicheln und haben einen Sekundenbruchteil darauf eine blutige Schramme auf dem Arm.) Vorsicht! Sie mag es nicht, angefasst zu werden.
Was kannst du besonders gut?
Was kann ich gut … ich habe eine gewisse Sprachbegabung. Deshalb studiere ich Linguistik. Ich habe viel Geduld und mag Puzzlespiele. Und wenn ich so darüber nachdenke … ich bin sehr anpassungsfähig und finde mich schnell in neue Aufgaben und Situationen ein. Oh je, das klingt wie ein Satz aus einem Bewerbungsschreiben. Aber es stimmt. Ich glaube, es ist von Vorteil, wenn man gelernt hat, nichts zu hinterfragen und sich anzupassen, wenn man plötzlich vom 21. Jahrhundert in eine mittelalterliche Welt mitsamt Zauberern gerät.
Was kannst du überhaupt nicht?
Handarbeiten. Und ich glaube, ich werde mich nie daran gewöhnen, auf einem Pferd zu sitzen.
Was würdest du gerne können?
Es ist nicht direkt eine konkrete Fertigkeit. Ich hätte gerne mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Ich möchte gern … wie soll ich sagen … sichtbarer werden.
Welcher ist dein innigster Wunsch?
(sie überlegt eine Weile und schaut dabei mit seltsamer Unruhe die Katze an, Die dreht sich mit dem Gesicht zur Wand, aber ihre Ohren zucken.) Ich will hier bleiben. Hier in dieser Welt. Ich will, dass alles gut wird und ich nicht wieder zurück in mein Weltenspiel muss.
Wäre das buchstäblich Eskapismus?
Sicher. Aber es gibt hier zwischenzeitlich Dinge, die mir wichtiger sind als die Rückkehr in eine Welt, in der ich nur am Rande herumstehe und den Rest meiner Tage nur funktionieren muss.
Es ist Yalomiro Lagoscyre, nicht wahr?
(wieder ein flüchtiger Blick in Richtung der Katze. Es scheint, als ob Ujora nicht frei sprechen kann, wenn das Tier zuhört. Sie nickt.)
Woran glaubst du aus tiefster Überzeugung?
Ich glaube, das gilt für alle Welten. Wenn die Menschen nur zwei ganz simple Regeln befolgen würden, wäre das das Ende aller Probleme und Nöte: „Seid freundlich zueinander und macht nichts kaputt.“ Das würde sogar ganz unabhängig von Religionen funktionieren. Es wäre so einfach.
Wovor hast du am meisten Angst?
Im Moment habe ich Angst, dass es Yalomiro entweder nicht gelingt, dieses verfluchte Artefakt zu bergen – oder dass es ihm gelingt und dabei etwas geschieht, was er nicht kontrollieren kann. Ich weiß, dass es mindestens einmal in der Geschichte dieser Welt einen Schattensänger gab, der ein sehr starkes Artefakt in die Hände bekam. Ich kenne die genauen Umstände nicht, aber möglicherweise hat dieses Übermaß an Macht diesen Zauberer wahnsinnig oder … böse gemacht. Ich will nicht, dass das Artefakt Yalomiro so etwas zufügt.
Was machst du, um dich von solchen Gedanken abzulenken? Was schenkt dir innere Ruhe?
Das hier. (sie tippt mit dem Pinsel gegen den Leimtopf) Arámaú sagt, es tut mir gut, mich darauf zu fokussieren. Ich will die Geige wieder zusammenfügen.
(Wir sind uns sicher, den Namen Arámaú schon einmal gehört zu haben, aber das Interview muss weitergehen). Worüber freust du dich?
Im Augenblick gibt es hier nicht viel, worüber ich mich freuen könnte. Du siehst ja … diese Burg ist eine steingewordene Depression. Für gewöhnlich freue ich mich aber über ganz kleine Dinge. Wenn ich einen Vogel singen höre, zum Beispiel, oder schöne Musik. Oder ein niedliches Tier sehe. Kleinigkeiten. Ich brauche nichts Materielles um zufrieden zu sein.
Wofür bist du dankbar?
(Sie schaut wieder zur Katze. Die sitzt mittlerweile aufrecht auf dem Stuhl und wirkt alarmiert). Zum Beispiel dafür, dass die Katze dort bei mir ist. (Die Augen der Katze weiten sich. Sie sieht verdutzt aus). Wirklich! Ich bin froh, dass sie immer wieder zu mir kommt und mir Gesellschaft leistet. Ich hatte anfangs ein wenig Bedenken, aber ich glaube, wenn sie ein Mensch wäre, wäre sie die erste richtige ehrliche Freundin, die ich jemals hatte. Und ich bin dankbar, dass ich Yalomiro begegnet bin. Ich glaube, dafür muss ich Noktáma danken.
Was findest du unheimlich?
So ziemlich alles, was Gor Lucegath an Zaubereien aufgebaut hat. Pianmurít, ein Ort, wo nur Leere ist, ist ganz schlimm. Ich glaube, wenn man sich dort zu lange aufhält, wird man wahnsinnig. Die Burg hier … ich weiß nicht, wie deine Augen es sehen, aber alles, was außerhalb dieses Raumes ist, ist eine Mischung aus Nebel und einem M. C. Escher-Gemälde. Das ist fast noch schwieriger zu verstehen. Aber am Schlimmsten ist das, was er mit den Menschen hier gemacht hat. Ich weiß, dass es nur für mich so aussieht, aber es ist creepy. Die Leute haben alle kein Gesicht eher eine Art „Bildstörung“, und ihre Stimmen sind wie unscharfe Radiosender. Das ist so schlimm. Ich weiß, dass es freundliche, gute Leute sind und dass sie scheinbar verstehen können, was ich sage. Aber sie stehen vor mir und sind doch wie ausgelöscht. Alle außer der teiranda. Aber mit der stimmt etwas anderes nicht. Sie ist wunderschön, aber sie wirkt wie eine Schaufensterpuppe. Und manchmal ist sie so zerstreut, dass ich mich frage, ob ihr Geist in diesen Momenten noch in ihr ist.
Ich frage besser mal etwas Positiveres. Was findest du erotisch?
(Die Katze springt auf die Fensterbank und tigert auf dem Außensims davon. Ujora atmet sichtbar auf). Na ja … erotisch. Du willst jetzt bestimmt hören, dass ich auf einen bestimmten Typ Mann stehe. Ich glaube, das Aussehen ist gar nicht so ausschlaggebend. Bei mir war an einem Mann, der als Partner infrage gekommen wäre, immer wichtig, dass er gepflegt aussieht und angenehme Umgangsformen hat. Was mir gar nicht gefällt, sind extreme Muskelpakete, ich persönlich finde das unnatürlich. Was mir an einem Mann gefällt ist zum einen, wenn er freundliche Augen hat. Die Augen habe ich schon einmal erwähnt. Dann die Stimme. Yalomiro zum Beispiel hat eine Stimme, der ich endlos zuhören kann. Es ist eine schwer zu beschreibende Wärme und Kraft darin. Dass Yalomiro darüber hinaus sehr attraktiv aussieht, ist mit klar. Aber ich glaube, verliebt hab ich mich in seinen Blick, seine Stimme und natürlich das, was ich in seiner maghiscal von ihm gespürt habe. Und natürlich in seinen Duft.
Duft?
Er riecht gut. Vielleicht sind es irgendwelche sonderbaren magischen Pheromone. Er riecht wie … weißt du, wie die Blätter von Blauraute riechen? So ähnlich.
(Wir wechseln geschickt das Thema) Kannst du gut stillsitzen oder brauchst du immer etwas zu tun?
Gar nichts zu tun macht mich nervös. Es ist gut, dass ich hier Beschäftigung habe, solange ich die Geige repariere,
Wann warst du das letzte Mal so richtig wütend – und warum?
Nun, da die Katze weg ist … Als Gor Lucegath Yalomiro aus Pianmurít wieder freigegeben hat, war er schwer verletzt. Arámaú hätte technisch gesehen die Möglichkeit gehabt, ihn zu heilen, aber sie hat sich nicht getraut, es zu tun, weil sie befürchtete, der Rotgewandete könne es bemerken. Mir wollte nicht in den Kopf, wieso sie in Kauf genommen hat, das Yalomiro womöglich stirbt. Ich habe erst später begriffen, dass ich an ihrer Stelle wohl ähnliche Angst gehabt hätte – aber vielleicht hätte ich das Risiko auf mich genommen.
Wann hast du das letzte Mal geweint – und warum?
Vor vier Tagen, glaube ich. Es ist hier alles etwas seltsam mit dem Zeitempfinden. Ich habe geweint, weil Yalomiro das hier, seine Geige kaputtgeschlagen hat. Abgesehen davon, dass es sein wichtigstes magisches Werkzeug ist, hat die Geige für mich einen ungeheuren symbolischen Wert. Ich will sie unbedingt reparieren.
Worüber hast du dich das letzte Mal so richtig gefreut?
Als ich das letzte Mal so richtig glücklich und sorglos war … Ich habe mit Yalomiro getanzt. Ich glaube, er hatte eigentlich etwas ganz anderes vor, aber am Ende hat er eben auf dieser Geige hier gespielt und wir haben getanzt. Dabei ist … etwas mit uns passiert. Ich weiß bis heute nicht, was es war. Aber es war wunderschön.
Wann musstest du das letzte Mal richtig lachen – und warum?
Am Tag darauf hat Yalomiro mir gezeigt, wie man den Schatten betritt. Nicht einfach nur einen Schattenwurf, sondern durch einen Schatten hindurch mitten in die Dunkelheit. Er war arglos, weil er dachte dass Gor Lucegath uns nicht dorthin verfolgen konnte. Aber für eine Weile waren wir übermütig und hatten Spaß.
Erzähle etwas über die Person, der du am meisten vertraust!
Ich erzähle doch schon die ganze Zeit von ihm. Ich muss zugeben, mit dem Vertrauen war es anfangs so eine Sache … ich habe von Anfang an geahnt, dass er freundlich ist. Aber er ist nun einmal ein Magier und hatte keine Ahnung, wie er mit jemandem umgehen soll, der noch dazu aus einer magiefreien Welt und unvorbereitet in die seine gerät. Anfangs hat er mich in seiner Not sogar mehrfach ausgetrickst, inklusive einer Art magischer K.O.-Tropfen. Später haben Gor Lucegath und ein paar andere Leute mir Fakten über Schattensänger erzählt die so beängstigend mit Dingen zusammenpassten, die ich vorher mit Yalomiro erlebt hatte. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn Yalomiro mich nicht in seine Seele hätte schauen lassen. Ich weiß heute, dass das ein ungeheurer Vertrauensbeweis war. Diese kurzen Augenblicke, in denen er mir so sein ganzes Wesen offenbart hat, die haben Jahre des Kennenlernens aufgeholt. Ich habe mich in ihn verliebt. Ich habe in dieser Welt gehört, dass die „Partnersuche“ auf einer etwas befremdlichen Denkweise beruht. Es scheint so, dass die Menschen hier es buchstäblich spüren, wenn sie auf einen ideal zu ihnen passenden Partner treffen. Ich stelle mir das, ein bisschen albern vielleicht, vor wie Figuren auf einem Spielbrett mit Magneten. Sobald zwei zusammenpassende aneinander vorbeizeihen – klack! – findet sich ein glückliches Paar. Ich glaube, Yalomiro hat mich angezogen wie ein Supermagnet. Es ist, als verkörpere er genau das, was ich in meiner Welt vergebens gesucht habe.
Und das wäre?
Vor allem Geborgenheit. Und das Gefühl, dass jemand mich mag, ohne dass ich funktioniere oder in irgendeiner Form einen Vorteil verschaffe. Ich hoffe, dass ich ihm meinerseits etwas bieten kann, wonach er sich sehnt, was für ihn wichtig ist.
Von wem oder aus welchem Ereignis hast du etwas Wichtiges gelernt – und was war das?
Ich bin noch dabei, es zu lernen und zu hinterfragen. Es heißt, es gibt kein absolutes Kriterium für Gut und Böse. Gut und Böse sind nur da, solange jemand darüber urteilt, und jedes Urteil unterliegt sich verschiebenden Perspektiven. Ich kann das so nicht unterschreiben, aber vielleicht habe ich einfach noch nicht richtig verstanden, wie das alles gemeint ist.
Wenn du zwei Dinge in deinem Leben revidieren könntest, welche wären das – und warum?
Wenn ich zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht an einem gewissen Ort gewesen wäre, wären einige Dinge nicht geschehen und ich wäre Leuten nicht begegnet, die mir später viel Kummer bereitet haben.
Und ich hätte in der Nacht, als wir vom Montazíel geflohen sind, bevor Yalomiro sich in einen Drachen verwandelt hat, ihm sagen müssen, dass er nicht nach Valvivant fliegen soll. Das hätte uns allen viel Ärger erspart.
Woran denkst du, wenn du zu den Sternen emporsiehst?
(Sie lächelt). Sind das dieselben Sterne, die ich von meiner Welt aus sehen kann?
Welcher ist der idyllischste Ort, den du kennst?
Einer, den ich nur aus einer Erinnerung kenne. Ein bodenloser, spiegelglatter See in einem Wald aus Olivenbäumen. Ich habe nie etwas schöneres gesehen.
Wie sieht dein Alltag aus?
Seit ich hier bin: Herumsitzen. Warten. Sachen zusammenkleben. Im Prinzip ganz ähnlich wie das, was ich daheim getan habe: Uni. Studieren. Nach Hause. Fernsehen. Ich bin Langeweile gewohnt. Aber Langeweile in Kombination mit Angst ist nervenaufreibend.
Konsumierst du Rauschmittel – und wenn ja, warum und in welchem Maß?
Ich habe keine Erfahrungen mit Drogen – ich hätte gar nicht gewusst, wie ich an welche herankommen sollte. Es gab Gelegenheiten, da hatte ich ein wenig zu viel Wein. Zählen Antidepressiva als Rauschmittel? Die habe ich eine Weile einnehmen müssen. Das war zu der Zeit, als … nein. Das hat kürzlich tatsächlich jemand hier getan.
Liebst du dich selbst?
Noch nicht. Aber vielleicht lerne ich es noch.
Bist du glücklich?
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich eines Tages glücklich sein werde. Wenn die Mächte es wollen, wird sich das in den nächsten Tagen klären.
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