Ovidáol war unbehelligt. Die Kreaturen hatten von ihm abgelassen, und auch das Widerwesen schien sich – für den Moment – nicht mehr mit ihm befassen zu wollen. Es hatte ein neues, lohnenderes Opfer gefunden, sich offenbar tief in den Geist des leichtsinnigen Schattensängers verbissen, und war offenbar nicht gewillt, diese Beute loszulassen. Vielleicht rechnete es damit, auch die Unkundigen zu verlieren, wenn der Magier ihm entkam. Wo die Menschen herkommen mochten und was sie hier taten – das war ganz ohne Belang. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, hatten sie nichts mit dem Chaos zu tun, das über Aurópéa und den Cielástel hereingebrochen war.

Der Verfluchte warf einen konfusen Blick auf die Menschengruppe ungeklärter Herkunft, die sich da um das Brett scharte, und den reglosen schwarzgewandeten Mann, den halbgaren Zauber, der sie alle zusammenhielt. Er sah das Kind, den Jungen, den er so sehr verachtet hatte, das kleine Mädchen mit dem in Stein konservierter Magie, das vor den nahenden Chaosgeistern scheuende, tänzelnde Einhorn, das sich doch nicht zur Flucht entschließen konnte.

Und er sah den Stab, seinen Zauberstab, sein Werkzeug, seine Schöpfung, in den Händen eines unkundigen Kindes, eines widerlichen Bengels, einem, aus dem die Mächte möglicherweise für eine spätere Partie eine starke Figur formen wollten. Die Missgeburt, hervorgebracht aus der Unzucht der fajía mit einem Menschenmann, hantierte an dem Stab herum. Er setzte etwas, das auch ihm, Ovidáol einst gehört hatte, in die Scherben an der Spitze, während sie alle nur einen Atemzug davon entfernt waren, von wildgewordenen Chaosgeistern überrannt und zertreten zu werden. Die arcaval’ay waren also siegreich gewesen. Für den Moment. Vielleicht würde es viele Winter dauern, bis sich erneut Chaosgeister ins Weltenspiel verirrten. Vielleicht würden sie gleich kehrtmachen und in die Wirklichkeit zurückströmen, sobald sie die Menschen zerquetscht und festgestellt hatten, dass die Regenbogenritter ihnen nicht bis hierher folgen konnten.

Ovidáol Etaímalar wunderte sich darüber, dass ihn all das kaum noch interessierte. Es war einerlei, hatte gar keine Bedeutung mehr für ihn selbst. Das Unheil, das sich näherte, war allein das Problem der Sterblichen.

Er wandte sich ab und lauschte auf die Stimme des báchorkor. Was mochte der Narr den minderen Chaosgeistern erzählen? Worte waren nicht zu verstehen. Mit was für einer Macht hatte das Licht ihn ausgestattet, um die Wesen zu bändigen, und zu sich zu rufen?

Und was mochte mit dem ungeweihten Rotgewandeten geschehen, wenn auch seine Geschichte in Misserfolg und Hoffnungslosigkeit endete? Immerhin war es wohl kaum denkbar, frech in die Domäne des Weltenspiels zu spazieren und einfach dessen Beute zu stehlen. Was dachte der báchorkor, wo er sich befand? Wahrscheinlich hatte er zuweilen hanebüchene Geschichten erzählt, in denen ein mutiger Held Unschuldige aus einem Verlies befreite. Aber so etwas konnte hier nicht gelingen. Dies war keine Geschichte! Was also würde das Widerwesen mit diesem Narren machen? Konnte er ihm von Nutzen sein? Ovidáol war fast ein wenig fasziniert. Es lenkte ihn von seiner eigenen Verzweiflung und Pein ab.

Wovon redete der báchorkor nur? Es war zu weit weg. Es hatte Ovidáol den letzten Rest an Kraft und Willen gekostet, nach dem Schattensänger und den Kindern zu schauen. Weiter und zurück würde es ihm nicht rechtzeitig gelingen, um das Ende mitzubekommen, nicht das der Geschichte und nicht das des báchorkor, der das Chaos nicht lebendig verlassen konnte.

Wovon mochte er reden? Was für Geheimnisse gab er seinen monströsen Zuhörern preis? Was bezweckte das Licht, was hatten die Mächte im Sinn, eine Geschichte und Magie ins Chaos zu bringen? Hofften sie, damit die Spielregeln des Widerwesens zu verkomplizieren, einen Vorteil für sich selbst zu gewinnen? Lächerlich!

Willst du ihm nicht zuhören?, fragte das Traumphantom. Seit wann und warum es bei ihm war, bei ihm und nicht an dem tölpischen Schüler, den es sich gesucht hatte, wusste Ovidáol nicht zu sagen. Vielleicht war es ebenfalls gekommen, um sich am Untergang des Schattensängers und seiner unkundigen Freunde zu weiden. Der geisterhafte, marmorgraue Blick war überrascht und fast etwas amüsiert und auf den augenscheinlich Bewusstlosen fixiert.

Er könnte mir nichts erzählen, was ich nicht selbst schon herausgefunden hätte, antwortete der Verfluchte brüsk.

Das, versetzte das Traumphantom und wandte sich nun ihm zu, würde mich ernsthaft erstaunen.

Seine Geschichten sind nicht für mich, murmelte Ovidáol. So widerlich, beschwörend und rein, so verlockend, so sanft und gütig raunte die Stimme des jungen Mannes, gerade so weit außerhalb seiner Wahrnehmung, dass er keine Worte verstand.

Wie kannst du das wissen, ohne zuzuhören?

Es wäre nicht richtig.

Was du für richtig hältst oder nicht, das hat keine Bedeutung mehr. Das Traumphantom legte ihm seine schwerelose Hand auf die nicht mehr vorhandene Schulter. Ich bringe dich zu ihm, wenn du willst.

Aber …

Die Chaosgeister werden dir nichts antun. Er hat sie gänzlich eingewoben in seine Geschichte. Komm.

Aber …

Das Traumphantom neigte sich zu ihm vor und musterte seine kläglichen Reste eindringlich. Das Licht, raunte es, lässt niemanden zurück. Deshalb sind wir hier, ich und mein Schüler. Meinesgleichen kommt auch für solche wie dich. Es ist vorbei, Ovidáol Etaímalar. Lass deine Last fallen. Ad’ree.

Ovidáol seufzte auf. Ihr wollt mich beschämen. Ich verdiene euer Mitleid nicht. Ich hasse euch.

Es gibt nichts zu verdienen. Nichts zu bedauern, nichts zu bereuen. Es gilt allen gleich.

Der Verfluchte zögerte. Dann nickte er, ganz zaghaft, mit dem, was noch von seinem Kopf zurückgeblieben war.

Komm, sagte das Traumphantom und führte ihn sacht auf die trostvolle, gnädige Stimme zu, die mit jedem Schritt klarer und mächtiger klang. Ovidáol seufzte tief auf.

Dann war endlich alles gut.

***

„Was ist das?”, fragte Merrit Althopian nervös. Die Kreaturen wogten heran, wie eine hohe Welle, wie die Flut, die sich blitzschnell über den Strand ergießen würde. Dass der andere Junge ausgerechnet jetzt an seiner Waffe, nein, seinem Hütestab hantieren musste, passte ihm gar nicht. Dafür war einfach keine Zeit. Er brauchte keinen albernen Zierrat, um damit seine Entschlossenheit zu dekorieren.

„Das gehört zusammen!”, widersprach der Junge mit den bunt schillernden Gewändern, der wohl zu den Regenbogenrittern gehören musste. Immerhin besaß er ein Einhorn, so ein herrliches Tier! Aber diese lächerlich langen Haare! Im Kampf konnten die doch nur hinderlich sein! Wie leicht konnte man damit an Sattel- oder Rüstzeug hängen bleiben – und nicht unbedingt am eigenen. Hatten seine Leute ihm das nicht erklärt?

Merrit rief sich verwirrt zur Ordnung. Was ging es ihn an, wie der Junge frisiert war? Es ging um das Leben seines Vaters, das von Osse, das der teirandanja … der Menschen, die ihm etwas bedeuteten, die er lieb hatte. Die er beschützen musste. Das war seine Bestimmung, allein dafür hatten die Mächte ihn ins Weltenspiel gesetzt und diese entsetzliche Trauer und Wut in sein Herz gegeben. Er war Merrit Althopian. Sein einziger Daseinszweck war es, zu bekämpfen, was auch immer anderen wehtun wollte. Merrit wurde ungeduldig.

„Was ist es?”

„Es muss hier herein!” Der Junge, der Einhornreiter, setzte das Ding, ein silbernes Amulett wohl, in den zersprungenen Kristall ein. Es fügte sich damit zusammen wie eingepasst. Ein leichtes Beben fuhr den Stab entlang, etwa so, als habe Merrit damit gegen einen Baum oder Pfahl geschlagen. Das kleine Licht im Kristall verlosch. Die Macht des Stabes schien das nicht nennenswert zu erweitern.

„Advon! Komm zurück!”, rief das schwarzhaarige Mädchen. Irgendetwas geschah mit dem Stein, den sie in Händen hielt. Ein Wirbel von feurig sprühenden, bunten Funken kam daraus hervor und vermischte sich mit den glimmenden Perlenschnüren. Das Chaos um die Erwachsenen, die teirandanja, Osse und die anderen leuchtete in buntem, kalten Feuer und verstörte sie. Wie die kleine Freundin der teirandanja wimmerte!

„Was tut es?”

„Keine Ahnung. Vielleicht beschützt es dich!”

„Advon!”

„Danke. Geh zu ihr. Deine Freundin braucht deine Hilfe … Advon?”

„Ja, das bin ich.”

Merrit nickte ihm zu. „Ich bin Merrit Althopian.”

„Althopian?” Der sonderbare Junge stutzte, als ob der Name ihm bekannt vorkam.

„Es wäre schön gewesen, dich kennenzulernen… Advon.”

„Später. Ganz bestimmt später.”

„Junge!”, rief nun auch die teiranda, eingesponnen in Diamantenfunkeln, das sich durch den Nebel bohrte wie eine Salve abgeschossener Pfeile. Sie alle, alle Menschen waren in blanker Panik, aber wie an das Brett gefesselt und am Boden festgeklebt, starr vor unfassbarem Entsetzen. Die Monster waren fast heran. Keiner der Erwachsenen konnte seine Waffe greifen. Eine Hand fasste das Brett, die andere das jeweils zugehörige Kind. Merrits Vater allein hatte niemanden, den er noch umarmen konnte. Der teirand hielt Tíjnje an ihrer kleinen Hand. Osse berührte scheu den Arm seines Vaters. Und die teirandanja … sie schaute zu ihm hin. Sie schaute ihm direkt in die Augen. Merrits Herz klopfte ihm bis zum Hals. Und das nicht wegen der Chaosgeister, dem Brüllen und Grunzen und Keuchen und dem vibrierenden Chaos.

„Geh. Ich halte sie ab, solange ich kann.”

„Hast du gar keine Angst?”, fragte Advon beeindruckt. „Wie kannst du so mutig sein? Du bist doch auch nur ein Kind!”

„Ich muss es fertig machen. Ganz fertig und diesmal in echt.” Er konnte nicht erwarten, dass der andere diese Antwort verstehen würde. Aber das war auch nicht nötig, ging ihn nichts an.

„Advon!”

Der langhaarige Junge nickte ihm zu und stürzte dann hastig zu den anderen zurück, warf sich hinein in den Regen von bunten Lichtblitzen und fasste nach der Haarnadel in der Hand des Magiers.

„Mama”, wisperte Merrit zu sich selbst und stemmte sich dem Beben des Untergrundes und dem heißen Hauch entgegen, den die Chaosgeister verströmten. „Schau, Mama! Ich besiege die Chaosgeister … für dich!”

***

Du bist nicht stark genug, sie alle zu retten, Yalomiro Lagoscyre!

Dann rette ich eben so viele, wie ich kann!, ächzte der Schattensänger trotzig.

Du kannst mich nicht aufhalten! Diesmal kämpfen wir auf meinem Grund. Diesmal entkommst du mir nicht!

Ich habe gar keine Zeit, um mit dir zu kämpfen!

Ein mächtiger Magier, und unsterblich noch dazu! Eine Figur, die mir niemand abspenstig machen kann!

Das hast du von Gor Lucegath auch gedacht!

Aber dir wird niemand zur Hilfe kommen, mit billigen Tricks und ehrenhaften Opfern! Ich behalte dich hier, in meiner Domäne. So kommst du mir nicht in die Quere!

Wobei? Wobei komme ich dir nicht in die Quere?

Das Widerwesen antwortete nicht. War es abgelenkt?

Yalomiro hatte all seine Sinne abgeschottet. Als er damals dem Weltenspielverderber erstmals entgegengetreten war, da hatte er ihn willentlich in seinen Geist hinein gelassen, um Gor Lucegath zu erlösen. Diesmal war es genau anders herum. Er befand sich im Reich des Widerwesens und konnte nicht viel mehr tun, als sich wie ein eingerollter, wehrhafter Igel auf sich selbst zu konzentrieren. Aber ging sein Plan auf? Hatte sein selbstverletzender Zauber die Unkundigen zurück dorthin gebracht, wo sie hergekommen waren, und zum richtigen Zeitpunkt? Hätte er davon nicht längst selbst etwas bemerken müssen? Es war ihm nicht möglich, das zu überprüfen. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen und alles losgelassen, woran das Widerwesen ihn hätte packen können. Er war reine Essenz seiner selbst in einer Schale aus Schutzmagie, die nicht zerbrechen durfte. Er war wie eine Schmetterlingspuppe, irgendwo zwischen Raupe und Falter, fragil, zerbrechlich und weder bei Bewusstsein noch im Traum.

Was, wenn seine Kraft einfach nicht ausreichte, um zwölf Personen auf einem magischen Schleichweg aus der Anziehungskraft des Chaos und in der Zeit zu bewegen? Sechs Erwachsene, sechs Kinder, und all das nach den Strapazen, den Kraftakten, den mächtigen Zaubern, die er seit dem Mittag gewirkt hatte.

Ich werde alt, dachte Yalomiro benommen. Ich werde einfach zu alt für so etwas.

Das Widerwesen war tatsächlich immer noch abgelenkt. Was war das, weshalb es für einen Moment von ihm abließ? Was konnte wichtiger sein, als ein neues Opfer so zu brechen, dass es Besitz davon ergreifen konnte?

Papa? Papa! Was soll ich tun?

War es Dýamirée? Wie kam sie hierher, wie konnte sie ihn erreichen in seiner wundersamen Selbstauflösung? Wie hatte sie ihn gefunden, in seinem Kokon aus Schutzmagie? Yalomiro hoffte, dass es keine Täuschung war, der er aufsaß, denn die Gedankenstimme, die seinen Geist erreichte und daran rüttelte, war nicht die eines kleinen Mädchens. Eine junge Frau sprach zu ihm, eine zärtliche und betörende Stimme, eine, die zu Dýamirée passen würde, wenn sie einmal die Reife erreichte, um selbst eine Meisterin zu sein. Ihre Stimme ähnelte der von Salghiára, seiner geliebten hýardora, so freundlich, so sanft und liebevoll. Wenn auch ein wenig kesser.

Kleiner Stern, dachte er, hilf mir! Hilf mir, den Zauber zu vollenden.

Was kann ich tun?

Die Magie ist stabil, aber ich bin zu schwach. Wir müssen gemeinsam zaubern.

Aber meine Magie ist im Stein gefangen.

Lass sie heraus. Lenke sie vom Stein ins Holz.

Und dann? Was muss geschehen?

Er horchte. Was war es, dass das Widerwesen so unachtsam machte? Etwas Großes, etwas Wichtiges musste sich abspielen. Und dann riss etwas von seinem Zauber ab. Er zuckte zusammen.

Der Junge, erfuhr er durch Dýamirées Geist, der Junge, der seinen Freund, seinen Vater und das Mädchen so sehr lieb hat … er stellt sich den Chaosgeistern entgegen!

Chaosgeister? Was für Chaosgeister? Hat nicht der bárchorkor …

Die Großen! Einer von denen wollte mich auffressen!

Bei Noktáma! Dann war es wohl den Regenbogenrittern gelungen, die Bestien zurückzutreiben. Hätten sie damit nicht einen Moment warten können? Hatte dieser leichtsinnige Meister Cýelú denn überhaupt kein Gespür für den rechten Moment?

Und, was noch schlimmer war: Merrit Althopian, der, der einst ein grandioser Held sein sollte, war aus seinem Zauber ausgebrochen? Entwischt wie ein vorwitziges Zicklein? Etwa, damit der Wildwolf es sich holte, damit die Herde fliehen konnte?

Wie viele Spiele spielte das Widerwesen zugleich? Warf es mit Kegeln, würfelte es oder betrog es beim Kartenspiel? Oder fanden hier mehrere komplizierte Strategiespielpartien zeitversetzt statt und wechelten zwischendurch die Bretter?

Dýamirée, drängte Yalomiro. Du brauchst Advon. Du …

Er hielt inne. Das war wohl das, was Noktáma bei alledem im Sinn hatte. So wenig es ihm schmecken mochte. So demütigend es all die Zeit für camat’ay gewesen war, den arcaval’ay gegenüber zu stehen.

Kann er zaubern? Beherrscht er seinen Willen, so wie sein Vater es tut?

Natürlich, erklärte sie begeistert. Advon ist mächtiger als sein Papa und die schöne Dame, seine Mama, zusammen. Er ist mindestens so mächtig wie du!

Yalomiro seufzte tief. Nun, was machte es für einen Unterschied.

Lass es ihn wollen, gebot er ihr ergeben. Vereint eure Magie. Stärkt meinen Zauber. Und beendet diesen Alptraum. Füreinander und für uns alle!

***

Cýelú fühlte sich frei und voller Energie, euphorisch und stark wie schon seit langer Zeit nicht mehr.

Die Kreaturen rannten! Sie hetzten vor ihnen her wie ein Rudel Windninchen, die absurd riesenhaften, die großen und die ganz kleinen. Sie schrien und winselten und waren, ließ man sich von ihrer monströsen Erscheinung nicht beeindrucken, ein überraschend jämmerlicher Anblick. Einige hatte der heiße Dampf so sehr verbrüht, dass ihre Haut aufgeplatzt war, oder prall und gerötet kurz davor stand.

Was für eine grandiose Idee von Elosál, ein Portal ins Chaos aufzusprengen! Aber wie, bei den Mächten, hatte sie es fertig gebracht, Wasser zu beschwören?

Oh. Natürlich. Die Schattensängerin, die Gefährliche, die Mächtige. Die camata’ayra. Die, die ihn mit ihrem Zauber beinahe vom Himmel gerissen und zerfetzt hätte. Die sanftmütige, schüchterne Frau, die ganz offensichtlich keine Vorstellung von der Kraft hatte, die in ihr steckte. Die musste das mit dem Wasser gewirkt haben. Gemeinsam mit Elosál. Feuer und Wasser und Wut und Mut der Frauen. Das konnte Gewaltiges entfesseln. Fast schämte Cýelú sich. Wo er und der Schattensänger sich stur beäugt und misstrauisch taxiert hatten wie die Hirschböcke, hatten die Frauen spontan ihre Macht vereint, um diesen Kraftakt zu vollbringen.

Die Sieben preschten johlend, kampfschreiend, mit eingelegten Lanzen zu seinen Seiten, trieben die Monster in das seltsame Nebelglimmen hinein, das sich unter ihnen auftat. Die Einhörner waren im freien Fall, im Sturzflug, hinab, hinab in die Erde, so tief, wie das Wolkenportal hoch am Himmel stand. Perlenglanz röhrte vor Kampfeslust. Aber sie mussten nicht kämpfen. Mehr noch – sie durften nicht übers Ziel hinaus schießen. Sie mussten rechtzeitig kehrtmachen, bevor das Chaos sie ebenfalls verschlang.

„Wie weit?”, rief der Orangene. „Wie schnell?”

„Gleich ist es vollbracht!”, antwortete Cýelú Irísolor. „Lasst sie nur genug Schwung haben, dass sie nicht mehr bremsen können!”

Die Sieben überholten ihn, formierten sich zu einem rückwärts weisenden Bogen, mit ihm, dem Goldenen als Letztem. Die Chaosgeister wurden immer schneller, immer hektischer. Schon schienen einiger den Halt zu verlieren und immer weiter in die Tiefe zu gleiten. Zugleich begann das Nebelleuchten zu flimmern, wie hinter einem schnellen Blinzeln. Das Portal begann, zu verblassen und der Dunkelheit zu weichen.

Perlenglanz galoppierte voran. Die Geschwindigkeit verschlug Cýelú den Atem. Es war, als gerieten sie alle in einen Sog, der sie immer weiter in die Tiefe riss. Der Goldene konzentrierte sich, fokussierte sich auf das, was vor ihm geschah. Er hob die Hand und wartete. Drei Herzschläge, zwei, einen …

„Sofort Abbruch! Mission stoppen! Kurs 180! Keilformation bilden!”

Acht Einhörner stoppten abrupt, wendeten auf der Hinterhand. Nun war Cýelú an der Spitze. Ohne nachzudenken, trieb er Perlenglanz voran. Das Einhorn streckte sich und stieß sich mit kraftvollen Schwingenschlägen voran.

„Durchstarten! Zurück zur Basis!”, kommandierte Cýelú Irísolor, wie im Fieber oder im Traum. Wie im flüchtigen Gedanken.

Und hinter ihnen begann der Tunnel ins Chaos zu kollabieren.