
Du hast deine Sache ausgezeichnet gemacht, sagte das Traumphantom.
Galéon hörte es kaum, zu fasziniert war er von dem, was er sah. Das, was von den minderen Chaosgeistern geblieben war, Materie, die das Chaos aufgeweicht, verzerrt und unbrauchbar gemacht hatte, verschwamm und verflog im Rauschen dessen, was gerade hier mit Raum und Zeit vor sich ging. Das Traumphantom aber war umgeben von einem Schwarm wunderbarer, kostbarer und reiner Etwasse, für die Galéon das richtige Wort fehlte. Er hatte noch so viel zu lernen.
Wir haben dies die Seelenfunken genannt, gab das Traumphantom ihm Auskunft. Respektlos und grob. Aber wir brauchten einen Namen, den unsere Zungen aussprechen konnten.
„Sind es … alle?”, fragte Galéon. Er hatte davon gewusst, natürlich, die Kenntnis hatte schon lange in seinem Geist gelegen und war mit seinen Träumen und den Lehren des rotgewandeten Phantoms immer stärker und greifbarer geworden. Aber es nun, hier, am schrecklichsten aller Orte zu sehen und zu begreifen, das war etwas, das ihn mit einem stillen, friedlichen Glück erfüllte. Einem Glück, das nur flüchtig sein würde, vielleicht nicht mehr als eine kleine Belohnung, eine Süßigkeit, die ein zufriedener mestar seinem fleißigsten Schüler zuteilte. Dies hier, das war noch nicht für ihn. Noch nicht. Zeit und Ort waren so verkehrt, wie sie nur sein konnten.
Das Traumphantom fing mit der hohlen Hand sacht eines der strahlenden Lichtlein aus dem Schwarm und zeigte es ihm. Das Licht war anders, es flimmerte und schien etwas dunkler, kraftloser zu sein als die anderen. Aber es leuchtete. Ja, sagte das Traumphantom. Sie sind vollzählig. Du hast keinen von ihnen zurückgelassen. Sie haben alle deiner Geschichte zugehört. Nun bin ich an der Reihe. Ich begleite sie nun an den Rand der Träume.
„Und dort?”
Das Phantom lächelte und ließ den kraftlosen Funken frei. Das, mein Schüler, ist nun nicht deine Sache. Um das zu ergründen, musst du zurück ins Weltenspiel. Deine Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.
„Und wie komme ich zurück von hier? Ohne dass das Widerwesen mich aufhält?”
Das ist wiederum nicht meine Sache. Lass dir etwas einfallen. Weißt du, wohin dein Weg führt?
„Ja. der Schattensänger hat es mir erklärt. Ich werde dort sein. Wenn ich hier heraus finde.”
Hüte dich vor diesem Schattensänger, mein gelehriger Schüler. Mag sein, dass es ihm in den Sinn kommt, dich eines Tages zu überlisten. Vielleicht … nein, ganz sicher wird er versuchen, mit dir zu handeln. Wenn auch nicht so, wie du es dir denkst.
„Ich werde mir anhören, was er einst zu sagen haben wird.”
Gut. Und nun geh. Wir haben beide hier nichts mehr zu tun.
Galéon zögerte. Ihm brannten Fragen auf der Zunge, er verlangte nach Erklärungen. Nicht, was die Geschichten und die Seelenfunken und den Weg hinter die Träume anging. Das alles war Wissen, das bereits in seinem Herzen geborgen lag und das es nun herauszuschälen galt, so wie ein Bildhauer ein Standbild aus rohem Stein hervorbrachte.
Ob der Schattensänger die teirandanja und ihr Gefolge hatte retten können? Das kleine Mädchen, das … das …
Das Traumphantom zögerte einen Moment. Dann trat es einen Schritt auf ihn zu und legte seine Stirn an die seine. Galéon spürte die geisterhafte Berührung wie einen kalten Hauch, so als striche jemand mit einem Eiszapfen darüber hinweg. Und zugleich stürzte so viel auf ihn ein, so viele fremde Gedanken, Ideen und Erfahrungen, dass es ihn schier überwältigte und anrührte. So mächtig war das, was sein Meister ihm da schenkte, dass Galéon haltlos aufschluchzte.
So stand er einige Augenblicke und weinte die Tränen des anderen, des Toten, der ihn führen und lehren würde, bis sein eigenes Schicksal erfüllt war. So lange stand er stille, bis ein Hilfeschrei, ein lautlose, sich durch das grausige Gelächter des Widerwesens kämpfte und ihn zurück in die Wirklichkeit riss.
Die Seelenfunken aber hatte das Traumphantom sicher mit sich genommen. Mochten sie hinter den Träumen ihren Frieden finden. Sie alle.
***
Noch während sie hinunter stürmte, zuckte es durch Manjévs Gedanken, dass die Treppe eingebrochen war. Außerdem war es finster. Wann war denn die Nacht hinein gebrochen? Wie viel Zeit hatten sie im Turm verbracht?
„Manjév!”, rief der Vater von unten über das Lachen und Weinen der anderen hinweg. „Manjév, bist du da?”
„Ich komme, Papa!”, rief sie hinab. „Ich komme zu euch hinunter!”
„Manjév!” Das war die Mutter. „Manjév, warte! Wir kommen! Wir kommen dir entgegen!”
Sie wollte weiter, hörte dann vorsichtige Schritte auf der Holztreppe knarren und Licht flackern. Osse Emberbey hatte eine Kerze bei sich. Wie umsichtig, eine aus dem unheimlichen Turmzimmer mitzubringen.
„Achtet auf Eure Schritte, Majestät”, sagte er. „Soll ich vorangehen?”
„Vorangehen?”
„Vielleicht sind Stufen beschädigt. Wenn ich stürze, ist es nicht schlimm.”
„Hör auf, so zu reden, Osse Emberbey”, schalt sie ihn. „Hör auf zu denken, du seist nichts wert!”
„Wie Ihr wünscht, Majestät.”
Sie nahm ihm die Kerze aus der Hand. „Bleib hinter mir. Deine Brille ist kaputt. Wenn du stolperst, fange ich dich auf.”
„Manjév!” Licht näherte sich von unten. Eine Fackel hatte Asgaý von Spagor bei sich und leuchtete die Treppe aus. Die teiranda folgte ihm auf dem Fuße. Etwa auf halber Höhe des Turmes trafen sie sich. Dort, wo die Treppe gebrochen gewesen war, saßen die Stufen unversehrt an ihrem Platz.
Manjév ließ sich erleichtert in die Arme ihrer Mutter fallen. Wie herrlich, wie gut und befreiend war es, geborgen und umarmt zu werden. Manjév schloss erlöst die Augen und begann, dasselbe sinnlose, zärtliche Zeug zu flüstern wie die teiranda. Sie hörte, wie Osse leise an ihnen vorbei schlüpfte und auch, wie ihr Vater verdattert mit dem Fuß auf die Stufen stampfte.
„Haben wir all das nur geträumt?”, fragte er verwirrt.
„Nein”, antwortete die teiranda. „Das war kein Traum.”
„Aber der Sand, die Treppe, die Türen, all das …”
„Das hat Meister Yalomiro gemacht”, wisperte Manjév. „Ich weiß es ganz bestimmt. Ich habe doch recht, Mama? Das ist doch Meister Yalomiros gute Zauberei, nicht wahr? Er hat uns doch gerettet?”
„Ja, mein Kind. Ja, das hat er.” Die Mutter schmiegte ihre Wange in Manjévs Haar. „Er hat uns sicher ins Weltenspiel zurückgebracht. Wie auch immer es er bewirkt und was es ihn gekostet haben mag.”
„Aber wie?” Der Vater fand einen Fackelhalter nahebei, steckte das Licht weg und ließ sich dann verwirrt auf den Stufen nieder. Manjév wandte sich ihm zu und ließ sich umarmen und herzen. „Hat er das alles wieder heil gezaubert?”
„Nein, Papa”, flüsterte Manjév und schmiegte sich an ihn. „Ich glaube, das alles … wird gar nicht geschehen sein .”
***
Am Fuß der Treppe angekommen, fand Osse seinen Vater nicht sofort. Er war nicht unter den Menschen, die sich in erleichtertem Freudentaumel zusammengefunden hatten. Die kleine yarlaranda hing einem jüngeren Ritter mit dunklen Locken und in grüngelbem Gewand um den Hals und drückte ihm fast die Luft ab mit ihrer stürmischen Umarmung. Kein Zweifel, das musste der yarl Jóndere Moréaval sein, den Osse noch nicht von Angesicht kannte. Dessen yarlara hätte wohl gern ebenso ihre kleine Tochter an sich genommen, aber der yarl Grootplen, ihr Vater, hatte sie seinerseits umhalst und war überglücklich, sie vor sich zu haben. Láas Grootplen stand etwas verlegen dabei und wechselte verstohlene Blicke mit Jándris. Yarl Altabete stand im Türrahmen und betastete ungläubig das, was von der Tür übrig war. Dann kniete er nieder und murmelte still vor sich hin. Osse drückte sich leise an ihm vorbei und fand Alsgör Emberbey draußen auf dem Treppenabsatz des Hocheingangs. Verwirrt schaute der alte Mann zu dem Wolkenring auf, der über dem Turm kreiselte wie ein Reif bei einem Wurfspiel. Drumherum blinkten Sterne und Mondlicht schimmerte milde. Der Burghof lag friedlich da, nur Menschen waren nicht zu sehen.
„Es ist noch nicht ausgestanden”, sagte er. Osse war nicht sicher, ob er bemerkt hatte, wer da zu ihm ins Freie getreten war.
„Die Magierkinder sind an diesem sonderbaren Ort zurückgeblieben”, bestätigte der Junge. „Bald ist es vorbei. Die Mächte haben fast gewonnen.”
Herr Alsgör schaute ihn schweigend an.
„Wie beim Steinespiel”, stammelte Osse leise. „Wenn weniger als zehn Ungerade liegen, und …”
„Ich frage mich, was die Mächte mit dir vorhaben, Osse”, sagte der alte Ritter.
„War ich unfügsam, Vater? Habe ich dich beschämt?”
„Du hast meinen Anordnungen nicht gehorcht, das zuerst. Du hast dich durch Leichtsinn in Gefahr gebracht. Du warst vorwitzig und unbotmäßig.”
Osse senkte betreten den Kopf. Widersprechen konnte er seinem Vater darin nicht.
„Du hast dein Leben für deinen Freund riskiert”, fügte Herr Alsgör hinzu. „Du hast, deiner Schwächlichkeit zum Trotz, höchste Tapferkeit beweisen. Und offenbar hast du mit deinem Verstand die Achtung der teirandanja gewonnen. Und gleich im ersten Kampf hast du Schaden genommen.”
Osse tastete nach seiner Schulter. Der Schmerz war schon lange einer drückenden Taubheit gewichen. Unter seiner Hand war das Fleisch prall und geschwollen. Vielleicht würde es nie wieder ganz heil werden, selbst, wenn bald ein doayror darauf schaute.
„Was erwartest du zum Dank, Osse? Was soll ich mit dir machen?”
„Wir sprachen über Ivaál und Virhavét”, erinnerte Osse ihn mutlos.
„Du gibst es also nicht auf. Was willst du damit, Osse?”
„Ich will dich stolz machen, Vater. Genauso stolz, wie dich vielleicht der Junge aus Rodekliv machen wird.”
„Dein Weitvetter. Es ist kein dahergelaufener Fremder, Osse. Es ist Familie, die zurückkehrt. Ein Blutsverwandter.”
„Ja. Der wird sicher gut mit einem Schwert kämpfen. Ich will auch etwas gut machen. Etwas, was kein Emberbey zuvor ausprobiert hat. Nicht einmal Herr Thorgar Emberbey, der Held der Chaoskriege.”
Alsgör Emberbey schwieg einen Moment. Der Jubel im Turm wurde lauter. Offenbar waren die teiranday mit der teirandanja und Herr Waýreth mit Merrit zu den anderen gestoßen. Lange würden sie hier nicht mehr allein sein.
Der alte yarl musterte Osse prüfend. Dem Jungen war bewusst, was für ein jämmerliches Bild er abgeben mochte. Aber er hielt dem gestrengen Blick stand.
„Mach mich stolz”, sagte der Vater. „Kämpfe du mit scharfem Verstand, wie die Emberbeys vor dir mit scharfer Klinge kämpften.”
***
Ich hatte darauf bestanden, obwohl Elosál gemeint hatte, dass es den Blick nicht mehr wert sei. Es gebe nicht viel zu sehen, und den Rittern sei es vielleicht unangenehm. Aber am Ende schien es ihr doch ganz recht zu sein, umzukehren und nachzuschauen, wie die Regenbogenritter ihr Siegel gesetzt hatten; ob es stark und stabil genug war. Und so trabte Sonnenstrahl in einem weiten Bogen zurück in Richtung der ehemaligen Senke.
Elosál schaute sich nach dem Wolkenportal über dem Cielástel um. Dort flimmerte es immer stärker. Mehr noch … ich hatte den Eindruck, als sei es in den letzten Momenten immer kleiner und enger geworden. Schloss es sich etwa? Hatten die Kinder und Yalomiro es ebenfalls geschafft und sich in Sicherheit gebracht? Waren sie es, die das Portal schlossen wie mit einem Zugband?
Sie schien etwas ganz ähnliches zu denken, denn der Anblick machte sie offensichtlich nervös. „Ich will nachschauen”, sagte sie. „Ich muss sehen, ob Advon wohlauf ist.”
„Ihr wollt hinauf fliegen?”
„Mit meinen Rittern, ja. Das Geflimmer beunruhigt mich. Sieht aus, als verlöre es an Halt.”
„Ihr meint, die Kinder sind in Gefahr?”
„Ich hoffe, dass Euer hýardor sie längst dort hinaus geholt hat. Das ist Eure Domäne.”
„Kann ich mitkommen?”
„Nein. Ihr … ihr müsst hier bleiben. Für alle Fälle.”
„Was für Fälle?”
„Schaut!”, lenkte sie mich ab und deutete in die Tiefe. „Das wird sie halten, die Ungeheuer.”
Der Krater war nicht mehr. Dort, wo zuvor hohe und kleinere Sanddünen gewesen waren, die gen Süden in platte Wüstenebene übergingen, erstreckte sich nun etwas spiegelglattes, was ich im ersten Anblick verwundert für eine Wasserfläche, einen See mitten im Sand gehalten hatte. Auf den zweiten Blick begriff ich, dass es eine riesige Glasplatte war, die anstelle der ursprünglichen Senke lag. Darüber waberte große Hitze, aber die Luft war so trocken, dass ich davon husten musste. Das Feuer, das die Regenbogenritter hier gewirkt hatten, musste den letzten Rest von Grundwasser verdampft haben. Wenn ich mir vorstellte, was geschehen wäre, wenn sich all das näher an Aurópéa zugetragen hätte, wurde mir eiskalt. Dann wäre die Stadt ausgelöscht worden.
Ob der Cielástel seinerzeit von den arcaval’ay auf eine ähnliche Weise errichtet worden war? Das würde das viele bunte Glas und die organischen Formen erklären, woraus die Mauern der Burg gefertigt waren. Aber nun war nicht der richtige Zeitpunkt, um danach zu fragen,
Am Rand der verglasten Sandfläche rasteten die arcaval’ay, alle sieben, wie ich beruhigt feststellte. Sie waren von ihren Einhörnern abgestiegen; einige der Tiere lagen erschöpft im Sand, bei dem grünen richtete sein Herr gerade einige verknitterte Federn. Die anderen sechs saßen und lagen im Sand, zerzaust, teils offenbar sogar etwas angesengt und sichtlich entkräftet. Elosál landete, und Cýelú Irísolor eilte heran. Ich beeilte mich, von Sonnenstrahls unbequemem Rücken zu rutschen und bereute es sofort. Der Sand war so heiß, dass ich es durch meine Schuhe hindurch spürte.
„Elosál! Was machst du hier? Im Cielástel bist du sicher!”
Sie schüttelte den Kopf, machte sich nicht einmal die Mühe, abzusteigen. „Ich brauche die Ritter. Ein letztes Mal noch. Das Portal am Himmel …”
„Advon ist in Gefahr, nicht wahr?”
„Es könnte sein. Ich hoffe es nicht. Aber …”
„Ich komme! Perlenglanz! Ich will ..”
„Nein. Du nicht. Du diesmal nicht, Cýelú, hýardor, mein Geliebter. Diesmal nur ich und die Sieben.”
„Wenn unser Sohn in Gefahr ist, dann …”
„… dann kannst du diesmal nichts daran ändern, Cýelú. Ich will, und mein Wille ist mächtiger als deiner, dass du und Meisterin Salghiára hier wartet. Meisterin … wenn er versucht, mir zu folgen, seid so gut und haltet ihn zurück.”
Cýelú Irísolor warf mir einen verblüfften, fast empörten Blick zu. Ich zuckte entschuldigend die Achseln. Was hätte ich anderes tun können?
Die arcaval’ay rafften sich müde und stöhnend auf. Diese Nacht hatte ihre Kräfte fast gänzlich aufgezehrt. Ich bezweifelte, dass sie einen weiteren Kampf noch überstehen würden. Aber sie stellten keine Fragen. Ohne zu murren scheuchten sie ihre Einhörner wieder auf die Füße und stiegen auf. Der Goldene blieb stehen und schaute Elosál mit einem flehentlichen Blick an. „Bitte, Elosál …”
„Komm zurück, sobald der Cielástel wieder erstrahlt”, sagte sie sanft. „Wir werden wohl nicht mehr gegen Chaosgeister kämpfen müssen. Vielleicht ist alles schon in Ordnung, wenn wir dort ankommen. Bitte. Mach mir keine Sorgen, Cýelú. Ich will euch nicht beide in Gefahr wissen, dich und Advon. Das wäre zu viel Schmerz.”
Sie nickte ihm zu und lächelte zärtlich, etwas länger, als es nötig erschien. Vielleicht, dachte ich unbehaglich, wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn umarmt und noch mehr mit ihm geredet, wenn ich nicht dabei gestanden hätte. Das war eine unangenehmer Vorstellung. Dann wendete sie Sonnenstrahl und galoppierte los. Ihre sieben Ritter folgten ihr, wortlos und ohne sichtbare Regung. Möglicherweise waren sie so entkräftet, weil auch Elosál langsam an ihre Grenzen stieß. Perlenglanz stand neben seinem Herrn und wirkte verwirrt darüber, dass er zurückbleiben sollte. Diese Einhörner hatten tatsächlich eine erstaunlich beredte Mimik, ungeachtet ihrer starrenden Schlangenaugen.
Cýelú schaute dem schwachen kleinen Regenbogen nach, der dezent am dunklen Nachthimmel verschwand. Dann wandte er sich mir zu und seufzte.
„So begegnen wir uns also das erste Mal unter vier Augen, Meisterin Salghiára.”
„Ja”, sagte ich. Mehr fiel mir nicht ein. Das Schweigen war unangenehm. Dann setzte er an, etwas zu sagen, mehrfach, aber es kam ihm nicht über die Lippen.
„Sprecht”, sagte ich. „Ich höre Euch zu. Nun, da der Verfluchte fort ist, sollten wir alle Missverständnisse ausräumen, meint Ihr nicht auch?”
„Darum geht es nicht”, sagte er leise. „Damit hat der Verfluchte gar nichts zu tun. Es … ein kleines Mädchen, ja? Und eine hýardora, die hatte er dann auch?”
„Wer?”, fragte ich verwirrt.
„Eure Tochter hat mir erzählt … der unkundige Ritter. Der, der sie mir entreißen wollte, als ich wie ein Verbrecher kam, um sie zu entführen …”
„Herr Jóndere? Ja, der hat eine kleine Tochter, die er sehr liebt. Und eine nette hýardora. Seine Mutter lebt auch noch, nördlich von …”
„So viel Leid!”, brach es erschreckend intensiv aus Cýelú Irísolor heraus. „Bei den Mächten, ich habe das nicht gewollt! Ich habe mich mitreißen lassen, nicht bedacht, dass er ein Mensch war und …”
Zu meiner Bestürzung fiel er auf die Knie, schlug er sich die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Er klagte und schluchzte voller Qual, so es sich ihm lange, lange Zeit aufgestaut. Dabei war es erst vier Tage her, dass er mit Jóndere Moréaval gefochten hatte. Und dann begriff ich, was los war. Du meine Güte! Der Ärmste! Hatte er tatsächlich, seit er mit Dýamirée davongeritten war, geglaubt, er habe jemanden umgebracht?
„Meister Cýelú”, rief ich ihm zu. „Meister … jener Menschenritter ist nicht tot.”
Er schluchzte auf und schaute mich mit großen, geröteten Augen fassungslos an.
„Meister”, ich ging auf ihn zu, so weit ich das Gold seiner Rüstung ertrug, „ihr habt den Mann nicht getötet. Ihr habt ihn sehr unglücklich mit Eurem Schwert getroffen und schwer verletzt, das schon. Aber Ihr habt ihn nicht auf eurem Gewissen. Seine Wunden sind bereits geheilt und er ist unterwegs zu seinen Lieben nördlich des Montazíel.”
„Geheilt”, sagte Cýelú Irísolor tonlos.
„Nun ja. Er hatte Glück, dass der Kampf im Boscargén stattgefunden hat. Dort, wo heilkräftige Pflanzen wachsen.”
„Sprecht Ihr die Wahrheit?”, fragte er rau. „Ihr treibt keinen grausamen Scherz mit mir?”
„Natürlich. Camat’ay können doch nicht lügen. Warum sollte ich Euch verspotten?”
Er ließ die Hände sinken und starrte eine Weile in den Nachthimmel, in Richtung des Cielástel. Dann erhob er sich schwer. Sand rieselte von seiner Rüstung herab.
„Entschuldigt mich”, murmelte er. „Ich brauche einen Moment für mich, und um Zwiesprache mit Pataghíu zu halten.”
„Kein Problem”, antwortete ich und fügte, halb im Scherz hinzu: „Aber lasst Perlenglanz hier. Nicht, dass Ihr heimlich eurer hýardora nacheilt.” Er schaute mich stirnrunzelnd an, und um die Situation zu retten, plapperte ich weiter: „Mein hýardor würde das fertigbringen. Heimlich, dass ich es nicht merke.”
„Regenbogenritter”, entgegnete er kühl, „brechen niemals ihr Wort.”
Bevor es noch peinlicher werden konnte, nickte ich ihm nur stumm zu. Er verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. Dann drückte er mir Perlenglanzes Zügel in die Hand und stapfte fort, auf die andere Seite der Glasplatte. Dort setzte er sich hin und starrte zu Cielástel hinüber.
Das Portal pulsierte und zog sich zusammen und weitete sich wieder. Es sah aus, als versuche es, sich zu schließen. Ich beobachtete das und streichelte geistesabwesend die samtige Einhornschnauze. Ob Dýamirée und Yalomiro – und Advon – irgendwo da drinnen waren? Und ob die arcaval’ay unter Elosáls Führung etwas ausrichten konnten?
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