Farbenspiel flog so steil empor, als erklömme er eine Leiter. Advon krallte sich an den Riemen um den Hals des Einhorns fest, hatte mit einer Hand den linken Arm des Schattensängers gepackt und gegen seinen Bauch gedrückt. Es würde nicht reichen, einfach nur zu wollen, dass niemand bei der wilden Jagd auf das Portal zu in die Tiefe fiel. Vielleicht würde Pataghíu die Dringlichkeit dieses Wunsches noch besser verstehen, wenn er den bewusstlosen Magier auch festhielt, seine kindlich-ungeformte und doch so lebhafte Magie zu so etwas wie einem Netz machte.

„Advon”, wimmerte Dýamirée. „Mir wird so schlecht …”

„Wir sind gleich hindurch! Halt dich nur gut fest!”

„Ich will zu meiner Mama! Und auf den festen Boden!”

„Gleich! Nur noch ganz kurz!”

„Mir kommt was in den Hals hoch …”

„Spuck es aus!”

Sie gab einen kläglichen Laut von sich. Er wagte einen kurzen Blick über die Schulter und sah sie mit jämmerlichem Gesicht niedergebeugt, ihren Vater unter sich festgeklemmt. Sie hielt sich tapfer an Farbenspiels Flügelwurzeln fest und war ganz bleich im Gesicht. Den Stab hatte sie irgendwie unter den Arm geklemmt, das verfluchte Ding!

„Halt durch!”, beschwor er sie. „Denk an das große weite Meer!”

„Warum?”

„Weil wir da zusammen hin reiten werden. Ich will das große Wasser sehen und riechen! Willst du das nicht mehr?”

„Doch … aber …” Sie blickte auf und lächelte jammervoll. „Erst mal will ich zurück auf den Boden!”

Farbenspiel streckte sich. Sein Flügelschlag veränderte sich. Advon hörte den laut pumpenden, dröhnenden Atem, spürte, wie Mähne und Fell vom Schweiß des Einhorns immer glatter und rutschiger wurden, Schweiß tropfte weg und wurde vom Zugwind weggetragen. Aber das klatschende Geräusch seiner Schwingen wurde leiser. Die Luft wurde dünner.

Das Portal pulste, erweiterte sich rhythmisch und zog sich zusammen, mit jedem Moment ein bisschen mehr. Noch war es etwa so groß und weit wie ein Scheunentor, aber bis sie es erreicht hätten – und das war, ohne Bezugspunkte in der Höhe, kaum abzuschätzen – würde es vielleicht zu klein sein, um hindurch zu schlüpfen.

Bitte, flehte Advon, bitte, Pataghíu, lass uns da noch durch.

„Noktáma passt auf uns auf”, behauptete Dýamirée. Ihre Stimme klang seltsam gedämpft. Advon wusste nicht, ob das nun am Schall lag, der sich veränderte, oder an der Schläfrigkeit, die ihn urplötzlich überkam. „Noktáma hält das Loch auf, damit Farbenspiel hindurch kann!”

„Farbenspiel”, murmelte der Junge. „Farbenspiel … danke …”

Der Hengst schnaubte. Dann legte er die Flügel an und hörte auf, zu galoppieren. Er knickte die Vorderbeine unter seiner Brust, als wolle er sich niederlegen, und er streckte die Hinterläufe weit zurück. Dann schoss er schwerelos in die Höhe, wie ein Fels von einem Katapult, angezogen von dem Portal, das nur noch so groß war wie ein Torbogen. Advon wunderte sich über diesen umgekehrten Sturzflug. Die Flügel des Einhorns klappten leicht gelüpft über Dýamirée und ihrem Vater zusammen. Das Portal, der Wolkenring, nur noch eine kleine Lücke in einem gewitternden, zuckenden Nebellicht und funkelndem Eis …

Advon lächelte. Das war ein schöner Traum, er und sein Einhorn, im Rausch der Geschwindigkeit, ungebunden vom Boden und frei wie der Wind … ein Traum … ein Traum …

Und dann wurde es um, ihn herum plötzlich ganz still und hell und friedlich. Advon schloss benommen die Augen. Nun war es also vorbei … so viel Frieden …

Ein lauter Knall ließ ihn aufschrecken. Advon fuhr in die Höhe und schaute sich panisch um. Noch ein Krachen, gleißendes Leuchten und ein Schaben und Splittern, als rieben zwei Berge aneinander.

Farbenspiel flatterte hektisch. Der Boden raste ihnen entgegen, so schnell waren sie, so nahe die Wüste und die Hügel. Nun war es ein echter Sturzflug, mit rasender Geschwindigkeit aus einer Höhe, für die die Tiefe nicht reichte, soweit sich das unter dem Mondlicht beurteilen ließ. Advon verschlug es die Stimme. Dafür kreischte Dýamirée spitz und schrill auf. Sie stürzten ab, und ihr Fall war viel zu niedrig.

Farbenspiel glitt ungebremst auf eine Gruppe Pflaumpalmen zu, die gefiederten Blattschirme spannten sich von ihnen auf wie niedriger Farn in einem Dickicht. Einen Lidschlag später hatten die messerscharfen Klauen des Einhorns eine Schneise mitten durch einen Wipfel gehauen. Zwei Prachtvögel, die darin gewesen waren, stoben entsetzt beiseite und verfolgten das Einhorn mit empörtem Trompeten.

Farbenspiel ignorierte sie. Es gelang ihm, sich abzufangen und in neuerlichem Galopp genug an Höhe zu gewinnen, dass er eine Kurve fliegen und eine angemessene Flughöhe erreichen konnte. Dabei wurde er langsamer. Prustend und schweißtriefend trabte er voran und flatterte aufgeregt.

„Sind wir unten?”, fragte Dýamirée verstört. Advon drehte sich um. Sie klammerte sich an ihrem Vater fest, nur noch eine Hand am Flügel, und hatte beide Augen fest zugekniffen. Den Zauberstab hatte sie unglücklicherweise nicht verloren.

„Wir sind weiter unten”, sagte er vorsichtig, überrascht darüber, dass sie offenbar dem Chaos entkommen und wieder im Weltenspiel waren, dort wo es Bäume und Prachtvögel gab. „Nicht absteigen! Wir sind noch in der Luft.”

Sie wagte, zu blinzeln. Einen Moment starrte sie ihn bestürzt an. Dann begann sie, zu grinsen. „Wir sind dem schlimmen Wesen entkommen?”

„Sieht so aus.”

Dýamirée setzte sich auf. Ihre grünen Augen strahlten, Noktámas Juwel am wolkenlosen Himmel spiegelte sich darin wider. „Farbenspiel hat uns gerettet! Farbenspiel ist ein Held!” Sie ließ mit einer Hand los und suchte eine Stelle, wo sie das Tier begeistert tätscheln und kosen konnte.

„Ja.” Advon klopfte dem Hengst den Hals. „Bei den Mächten, was für ein Ritt! Farbenspiel, Perlenglanz hätte es nicht besser gekonnt! Das hast du so gut gemacht!”

„Farbenspiel ist das mutigste und schnellste Einhorn im ganzen großen Weltenspiel!”

„Ich hab auch ein bisschen gezaubert”, merkte Advon an. Nicht, dass sie das in all der Aufregung verpasst hatte. Aber sie hörte gar nicht hin.

„Wir müssen schnell einen großen süßen Früchtekuchen für ihn besorgen!”

Advon seufzte. Dann grinste auch er. Das Einhorn schnaubte, vielleicht hatte es bemerkt, dass es um eine Leckerei ging. Dann schaute es sich nach seinem Reiter um, als erwarte es eine Anweisung.

„In unser Wäldchen, Farbenspiel. Weißt du, da wo du auf mich gewartet hast.”

Farbenspiel bog ab und flog an dem Palmenhain vorbei, wo die Prachtvögel immer noch empört kreisten.

„Das Wolkentor ist weg”, sagte Dýamirée verblüfft.

„Ja. Es gab einen hellen Blitz, und dann war es verschwunden. Einfach so!” Advon schaute in Richtung des Cielástel. Der Schattenriss des Gebäudes war unter dem sterngeschmückten Nachthimmel zu erkennen. Aber das war gar nicht gut. Die Burg hätte leuchten und schimmern müssen wie lumineszierende Pilze in der Nacht.

„Was ist das für ein Leuchten, dort unten vor der Burg?”

„Sieht aus, als wären da Leute unterwegs.”

„Nachts?”

„Vielleicht haben sie es eilig und der Sandregensturm hatte sie aufgehalten. Die Kaufleute in Aurópéa tun sich oft zusammen, um gemeinsam zu reisen. Vielleicht suchen sie Zuflucht bei uns. – Wie geht es deinem Vater?”

„Er schläft ganz tief und fest. Schade, dass er den Ritt nicht miterlebt hat.”

„Vielleicht ist er später dankbar darum.”

„Nein. Ich glaube, er hätte das gern gesehen und gespürt. Weißt du, manchmal verwandelt er sich an stürmischen Tagen in einen Raben und tanzt in der Luft im Wind. Wenn ich mich einmal selbst verwandeln kann, tanzen wir zusammen, das hat er mir versprochen. Aber Mama soll das nicht wissen. Wir wollen beide nicht, dass Mama sich Sorgen macht.”

Advon dachte kurz darüber nach. „Deine Eltern sind sonderbar …”

„Deine etwa nicht?”

„Doch. Aber … ja. Ja. Sind sie.”

„Und was ist das da hinten? Das sieht aus, als ob da etwas fehlt.” Sie reckte den Hals. „War dort irgendwo nicht da, wo die gemeinen Männer mich in das tiefe Loch werfen wollten?”

Advon folgte ihrem Fingerzeig. Tatsächlich.

Dort, wo Úldaise Tiáramalés verbrannter Garten auf dem Hügel gewesen war, klaffte nun eine Lücke im Gelände. Ganz so, als sei dort etwas eingestürzt und weggeschmolzen.

***

Saháalír war überzeugt, dass es Vorsehung der Mächte gewesen was, dass er einen Maultierführer engagiert hatt, der von kräftiger Statur und es gewohnt war, den Tag über die eine oder andere schwere Last zu tragen. Nun, das Alter hatte ihm einen so großen Teil seines Gewichtes genommen, dass der brave Mann – wenn auch unter kaum verhohlenem Murren – ihn auf seinem Rücken auf die Mauer oberhalb des Burgtores getragen und dort zwischen den Zinnen abgesetzt hatte. Von dort oben konnte er auf die unerwarteten Ankömmlinge hinabsehen. Nicht, dass er Details erkannt hatte, denn vor seinen schwachen Augen verschwammen die Leute unten jenseits des Grabens zwischen Tor und Straße zu einer einförmigen Masse mit flackernden Lampen.

Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, dass die Zugbrücke hochgezogen war. Es drang in Fetzen zu ihm empor, dass aufgeregt auf jemanden eingeredet wurde, der sich das verschlossene Tor wohl selbst nicht erklären konnte.

„Na, wenn das nicht mein Bruder ist”, rief der Maultierführer erstaunt aus, der noch einen schärferen Blick hatte. „Der sollte doch auf den Mietstall aufpassen!”

„Was wollen die?”, fragte die sinora, die der maedlor auf ihren ausdrücklichen Wunsch die Trappe hinaufgeführt hatte.

„Mein Bruder will wohl hier rein. Der wohnt bei den Buntkerlen. Er pflegt deren Zossen.”

Der sinor war sich einen Moment lang nicht ganz sicher, ob das nun eine Respektlosigkeit oder gewöhnliche Sprache der einfachen Leute war. Doch da kam Bewegung in die Menschenmenge. Offenbar versuchte jemand, in den Graben hinabzuklettern. Andere feuerten ihn an und riefen ihm kluge Ratschläge zu. Dann schloss sich wohl noch ein Zweiter an.

„Lasst das!”, protestierte jemand dagegen. „Hat keinen Sinn!”

Die wohnen wohl nicht hier”, sagte der maedlor beunruhigt.

„Auf jeden Fall versuchen sie, reinzukommen,”

„Zwecklos.” Der junge Mann schüttelte missbilligend den Kopf. „Hier hochzuklettern, ganz ohne Leiter oder Seil, das geht nicht. Der Fuß der Burg ist spiegelglatt! Das ist Glas!”

„Soll’n wir die Zugbrücke runterlassen?”

„Nicht, ohne zu wissen, was sie wollen. — He!”, rief Saháalír die Mauern hinab. Die Wucht seiner Stimme hatte das Alter noch nicht gebeugt. „Was wollt ihr hier, so weit fort von der Stadt?”

Das Stimmengewirr verstummte. Die Leute spähten hinauf, aber offenbar war von unten nicht zu erkennen, wer da sprach.

„Macht das Tor auf!”, forderte jemand. „Lasst uns rein!”

„Wollt ihr zu den arcaval’ay und der fajía? Die sind nicht da!”

Ein kurzes Schweigen. Dann, eine empörte Frauenstimme: „Hab’s gesagt! Verlassen und verloren sind wir!”

„Die Stadt haben sie absaufen lassen!”

Saháalír wechselte einen verwirrten Blick mit den anderen. Die sinora mischte sich ein. „Was heißt das? Was ist geschehen in Aurópéa?”

„Wer ist denn da oben?”

„Ihr redet mit dem sinor Saháalír”, hielt der maedlor es pflichtbewusst für eine gute Idee, Auskunft zu geben. „Und mit der ehrenwerten sinora …”

Weiter kam er nicht. Ganz plötzlich und ohne ersichtlichen Grund brüllte die Menge auf, empört, wütend, aufgebracht.

„Was macht Ihr da drin, wenn die Stadt untergeht!”, schrie jemand. „Schande über Euch!”

„In Sicherheit gebracht haben sie sich, die feinen Alten!”

„Die haben gewusst, was passiert!”

„Die waren eingeweiht!”

Saháalír verschaffte sich mühsam Gehör: „Es war blanker Zufall! Was immer geschehen ist, wir …”

„Überschwemmt ist alles! Häuser und Türme sind gestürzt!”

„Oben beim Palast des konnsej hat es angefangen! Das Wasser kam von oben”

„Feige weggelaufen sind sie, die sinoray! Der konsej! Und wir? Was ist mit uns? Mit uns kann man es ja machen!”

Ein Tumult brach aus. Saháalír wandte sich seinen Begleitern zu. „Ich denke, es wäre dumm, nun das Tor zu öffnen.”

Der Maultiermann schüttelte den Kopf, wie fassungslos. „Überschwemmt? Das kann doch nicht sein! Meine Tiere! Meine kostbaren Tiere! Meine Familie …”

„Wo sind die Regenbogenritter?”, rief jemand.

„Ausgezogen sind sie”, antwortete die sinora. „Im Kampf sind sie fort! Es war die Rede von Chaosgeistern in der Wüste!”

Ein Moment der Stille, gefolgt von schallendem Gelächter. Offenbar glaubte man unten in der Menge kein Wort.

„Seht ihr denn das schreckliche Ding da am Himmel nicht?”, polterte Saháalír aufgebracht. „Es gehen Dinge vor!”

„Was für Dinge?”

„Ja! Und wer sagt uns, dass das Gefunkel da oben nicht ein Trugbild der Buntkerle ist?”

„Ich verstehe nicht”, gab der sinor verwirrt zurück. „Warum sollte es?”

„Lasst uns rein! Lasst uns selbst sehen, ob sie weg sind!”

„Wartet, bis sie selbst wieder da sind und Euch einlassen!”

„Zugbrücke runter!”

„Wir können nicht …”

Es war in der Dunkelheit nicht gut zu sehen gewesen, aber jemand unten vor dem Tor schien viel Übung damit zu haben. Auf jeden Fall flog ein beachtlich großer Stein bis fast hinauf über die Zinnen des Torhäuschens und prallte an der Mauer ab. Die gab ein wunderliches Klingen von sich.

„Ihr solltet wieder hinunter, Herr”, empfahl der maedlor besorgt. „Der Pöbel wird handgreiflich.”

„Hier drinnen sind wir sicher, und sie werden nicht hinein kommen. Ohne die Zugbrücke ist der Graben nicht zu überwinden.”

„Trotzdem macht Ihr Euch hier oben zur Zielscheibe.”

Saháalír nickte. „Vielleicht hast du Recht. Ach, es ist so unglücklich, dass man mich tragen muss. Guter Mann, würdest du …”

Aber der Maultiermann war nicht mehr bei ihnen auf dem Turm. Offenbar hatte er sich davon geschlichen.

Und zugleich geschahen zwei Dinge: Der bedrohliche, flackernde Wolkenring über der Burg verlosch mit einem gleißenden Blitz und einem ohrenbetäubenden Donnerschlag.

Und es landete ein weiterer wohlgezielter Stein, der die Ecke einer Zinne streifte und, begleitet von einem Scherbenregen, ein Stück aus der gläsernen Burg herausschlug.

***

Elosál und die Sieben sahen dies, als sie noch viel zu weit vom Cielástel entfernt waren. Die Einhörner scheuten so heftig, dass die Ritter Mühe hatten, sie daran zu hindern, in alle Himmelsrichtungen zu stieben. Dass die Einhörner so nervös und reizbar wurden, war kein gutes Zeichen. Die Hetzjagd auf die Chaosgeister hatte sie viel, viel Kraft gekostet, und es wurde auch nicht besser, dass die Sieben sie mit den letzten Resten ihrer Magie unter Kontrolle zwingen mussten. Die Tiere mussten schnellstmöglich in die Sicherheit ihres Stalls zurück und dort mindestens einen Tag ruhen und gut mit Futter und Pflege versorgt werden. Und sobald es wieder hell wurde, sollten sie hinaus auf die Weide. Auch die Sieben würde Elosál für lange Zeit in einen Ruheschlaf versetzen. Sie konnte körperlich spüren, wie jeder von ihnen nicht mehr weit von einem Zusammenbruch war.

Und wenn das getan war, dann musste sie mit dem Schattensänger reden. Mochten die Mächte geben, dass dazu noch die Gelegenheit bestand. Viel zu viel war viel zu schnell geschehen, und wenn es übel gelaufen war, dann waren er und seine kleine Tochter vielleicht nicht unbeschadet davon gekommen.

Der junge báchorkor kam ihr in den Sinn. In wessen Interesse und auf wessen Weisung hatte der sich in die Geschäfte von Magiern eingemischt? War er möglicherweise das, was logisch betrachtet, die einzige denkbare Möglichkeit war?

Die fajía schauderte. Wo in all diesem Durcheinander würde sie Advon wiederfinden? Cýelú schien davon auszugehen, dass der báchorkor auf den Jungen aufpasste. Aber diese Vorstellung brachte sie nur zu einem müden Lächeln. Als ob Advon, einmal befreit von all dem Druck und der strengen Hand, die Siledaú über ihn gehabt hatte, nicht sofort die Gelegenheit ergriffen hätte, ein Abenteuer zu bestehen. Wahrscheinlich war er mit dem kleinen Mädchen auf seinem Einhorn losgeprescht, vielleicht, um heimlich aus der Ferne die Jagd nach den Monstern zu beobachten. Zu nahe gekommen war er ihnen jedenfalls nicht. Elosál hätte anders entschieden und gehandelt, hätte sie die Nähe des Kindes gespürt.

Wenn das kleine Mädchen hatte beobachten können, was ihre Mutter in dieser viel zu langen Nacht geleistet hatte, dann würde sie sehr stolz sein.

Sie flogen dem Cielástel entgegen und überquerten die Gärten in den Hügeln. Dort waren überraschend viele Menschen zugange. Einige mühten sich ungeachtet der Dunkelheit darum, Schäden zu beseitigen, die der Sandregen an zarteren Pflanzen und Beeten angerichtet hatte, aber andere blickten zum Himmel auf und wurden ihrer gewahr. Aufgeregt schrien und riefen sie, winkten zu ihnen empor. Das machte die fajía neugierig.

„Wartet”, bat sie die Sieben, und während diese in größerer Hohe begannen, Runden zu ziehen wie große Raubvögel, ließ Elosál Sonnenstrahl niedersetzen.

Augenblicklich rannte eine Gruppe Obstbauern auf sie zu. Als die Menschen erkannten. dass die fajía sich ihnen zugewandt hatte, wich ihre Aufregung großer Ehrfurcht. Selten zeigte Elosál sich außerhalb des Cielástel, und ihre Anmut und überwirkliche Schönheit ließ die Unkundigen ehrfürchtig verstummen.

Schließlich fand nur ihr Anführer den Mut, die schweigende Dame anzusprechen. Man habe grässliche Geräusche in den Hügeln gehört, erklärte er ihr. Ein Krachen, Malmen und Schmatzen, und sei besorgt darüber. Ob eine Gefahr drohe und ob die ehrenwerten arcaval’ay den Unkundigen beistehen würden.

Und … wann es denn endlich Tag würde. Wann die schreckliche Dunkelheit weichen würde.

Man werde es sich sogleich anschauen. Es gebe keinen Grund zur Sorge, versprach die fajía und stieg wieder auf zu den Sieben. Wie sehr sie die Unruhe der Menschen beunruhigte, ließ sie sich nicht anmerken. Sie hatten den Blitz gesehen und sicher auch aus der Ferne die Jagd beobachtet, mit etwas Glück, ohne die Chaosgeister zu bemerken. Aber was, wenn ihnen durch irgendeine Fügung eine einzelne Kreatur entwischt war, groß und wild genug, um mit ihren Lauten die Unkundigen zu verstören?

„Kommt mit”, wies Elosál die Sieben an. „Wir müssen dies noch prüfen vor unserer Rückkehr.”

Der arcaval’ay stöhnten verstohlen, aber natürlich gehorchten sie. Und so dauerte es nicht lange, bis sie fanden, was die Quelle der unheimlichen Geräusche gewesen war. Der Hügelgarten von Úldaise Tiáramalé war nicht mehr. In Trümmern lag der Hügel, oder besser: der hohle Fels, der darunter gewesen war. Das, was an Erdkrume darauf abgelagert gewesen war, das lag als durchweichte Matschschicht darauf, aus der hier und dort noch ein verkohltes Baumgerippe hervorragte. Die benachbarten Hügel erhoben sich darüber.

Der Orangene wagte es, zu landen, stieg aber gar nicht erst ab, sondern flog gleich wieder auf.

„Aufgeweichter Boden”, erklärte er. „Man sinkt tief ein. Ein Morast.”

„Woher kommt all das Wasser?”

„Von dem Bach wahrscheinlich, der dort unten war. Etwas hat ihn gestaut und die Verbindung nach Norden gekappt.”

„Wahrscheinlich hat der Berg, der darunter war, den Wassermassen nicht standgehalten, die aus dem Chaos heran geflutet sind und bis wer-weiß-wohin vorgedrungen sind.”

„Und nun?”, fragte Elosál. „Was können wir tun?”

„Nicht viel. Wir können nur warten. Sobald Pataghíus Glanz wieder erstrahlt, wird er den Schlamm trocknen. Die Samen, die von den Gärten her wehen, werden dafür sorgen, dass das hier in ein paar Sommern wieder grünes Land ist, wo die Unkundigen neue Gärten anlegen können.”

„Was könnte denn hier wachsen?”, fragte der Gelbe. „So tief zwischen den anderen Hügeln?”

„Samtäpfel”, antwortete der Blaue. „Die brauchen etwas Schatten und Kühle. Auf den anderen Hügeln ist es zu warm.”

„Ich will nach Hause”, bat Elosál erschöpft. „Bitte, lasst uns jetzt nicht mehr zögern. Ich möchte zurück zu Advon. Heim, in Pataghíus Halle. Ich möchte still darum bitten, dass sein Glanz erstrahlt und uns alle hiervon erlöst.”