
Galéon erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ihm das Gesicht wärmten. Aber er hatte noch keine Lust, aufzustehen. Noch ein paar Augenblicke wollte er den Komfort genießen, den ihm seine Flucht vor dem Widerwesen auf so unverhoffte Weise gebracht hatte. Wie lange hatte er nicht mehr in einem richtigen Bett geschlafen? Die Matratze, wahrscheinlich mit Schafswolle gepolstert, war zwar etwas klamm und muffig, aber dennoch das Luxuriöseste, das Galéon je als Liegestatt verwendet hatte. Ganz zu schwiegen von der warmen Decke.
Und doch, er durfte sich hier nicht zu lange aufhalten. Dieser Ort war nicht gut für ihn. Noch nicht. Die Fragmente des roten Kristalls hatten sich entschieden, ihn herzubringen, ihm ein eigenes kleines Portal heraus aus dem Chaos geschaffen, zusammen mit einem Zauber, der ihm von einer unbekannten Macht – oder Erinnerung – intuitiv eingegeben worden war. Vielleicht vom Traumphantom, das ihm eine kleine Belohnung für seine Mühen hatte gönnen wollen.
Galéon seufzte bedauernd, öffnete die Augen und blinzelte hinauf zum morgenblauen Himmel über dem Loch im Dach. Ob es den Unkundigen eingefallen war, die Decke einzureißen, oder ob irgendetwas mit Wucht von oben herabgefallen war, das würde er so schnell nicht erfahren. Ein Katapultgeschoss oder dergleichen hatte er nicht gefunden, wohl aber, am Boden verstreut um einen unheimlichen schwarzen Tisch, zwölf bunt bemalte Fragmente von Deckenputz. Mit denen hatte er etwas zu tun.
Er nahm bedauernd Abschied von der Matratze, ging hinüber zum Tisch und nahm sich den Rest von den Pfannkuchen, die auf einem kleinen Teller hinter der zertrümmerten Tür gestanden hatten. Sie waren altbacken, kalt und voller Mörtelstaub und Holzsplitter, sodass der báchorkor sich nicht vorstellen konnte, dass ein Unkundiger sie noch essen mochte. Aber es wäre eine Schande gewesen, sie zu verschwenden. Natürlich war Galéon klug genug gewesen, nicht alles zugleich notdürftig zu säubern und zu verschlingen. Das hätte ihm nur Leibschmerzen gemacht und den Genuss verdorben.
Nachdenklich spielte und probierte er einen Moment geistesabwesend an den Scherben herum und erkannte dann, dass sie sich zu einem Bild zusammenfügen ließen. Er tat es und betrachtete dann nachdenklich das Abbild der gütigen goala’ayra im Kreise der todwunden Ritter.
Du trödelst, mahnte das Traumphantom. Galéon blickte auf.
„Ist das die Rote Dame?”
Es ist eine Rote Dame. Nicht die, der der Stein gehörte. Aber das bleibt sich gleich.
„Ich verstehe nicht?”
Das Bild da, das ist die Phantasie der Unkundigen, ihre Verehrung, ihr Trost. Nicht das, was schließlich aus uns wurde. Und nun beeile dich. Hier im Turm bist du in der Falle. Du musst gehen, bevor die teiranday und ihre Leute auf die Idee kommen, sich hier näher umzuschauen und den Schaden zu betrachten.
Das klang einsichtig. Galéon schickte sich an, das Bild wieder zu zerstreuen, aber das Traumphantom hinderte ihn daran. Nein. Lass sie rätseln und sich wundern. Solange niemand von dir weiß, ist es gut. Sie werden es nicht wagen, das Bild zu entfernen und diesen Raum zu versiegeln. Vielleicht brauchen wir all das noch einmal.
„Was soll ich sonst tun?”
Schau dich um und pack zusammen, was du glaubst, brauchen zu können. Viel wird es nicht sein. Mit meinen Kräutern und Elixieren wirst du nichts anfangen können, und das meiste davon hat ohnehin über all die Winter seine Kraft verloren. Die Phiole aus rotem Glas da links auf dem Bord, die könnte noch taugen.
„Was ist da drin?”
Flüssige Gnade. Pack es ein. Ich lehre dich später das Rezept.
Galéon schaute sich um, fand eine lederne Umhängetasche und tat, wie ihm geheißen.
In der Truhe ist Kleidung. Mit den Fetzen, die du am Leib hast, fällst du hierzulande zu sehr auf. Es ist kalt hier, viel kälter als in Aurópéa. Nimm mit, was dir passt. Beeil dich.
Es war bessere Kleidung aus feinerem Stoff, als Galéon jemals am Leib gehabt hatte, allerdings war ihr Vorbesitzer wesentlich größer und kräftiger gewesen als er. Vielleicht wäre später eine Näherin bereit, ihm die Gewänder etwas anzupassen. In der Truhe fanden sich auch – Galéon konnte sein Glück kaum fassen – ein warmer Wintermantel und feste Stiefel. Und ein Hut aus feinem roten Filz. Galéon schnürte seine neuen Schätze zu einem Bündel zusammen und raffte etwas Kleinkram zusammen, ein Schreibzeug, Federn, ein paar schöner Kristallbecher. Auch die zwölf Splitter des roten Kristalls wickelte er sorgsam in ein vornehmes Taschentuch.
Und nun geh. Verschwinde hier, so schnell du kannst und ohne dich noch einmal umzudrehen. Geh an den Ort, an den der Schattensänger dich geschickt hat. Und nimm eine Schaufel mit.
***
Yalomiro kam zu sich. Der pochende Schmerz in seiner Hand ließ sich nicht länger ignorieren. Er öffnete mit Mühe die Augen und schaute nach. Zwar war sein Blick immer noch trübe und unscharf, aber es war zwischenzeitlich nicht mehr dunkle Nacht. Die Sonne schien sich bereits über den Horizont erhoben zu haben, aber vom Morgenlicht kam hier vorerst nur grauer Schatten an. Über ihm raschelten Baumwipfel, und hier und da rieselte Sand zu Boden, der sich auf den Blättern gesammelt haben mochte.
Der Schattensänger hob den Arm und stellte fest, dass ein Pflanzentrieb dabei war, in seiner Hand zu bewurzeln. Yalomiro biss die Zähne zusammen, zupfte ihn behutsam aus der Wunde heraus und sah, noch im Halbschlaf, benommen zu, wie die durchstoßene Hand sich langsam schloss. Dazu reichte die Kraft, die die Ranke ihm gegeben hatte. Verdorrt und abgestorben war sie nun, aber der kleine Ableger war grün, kräftig genug von seinem Blut und trug nun ein ganz klein wenig Magie in sich. Yalomiro scharrte mit der unverletzten Hand ein kleines Loch, setzte die Wurzeln hinein und versank wieder in einen tiefen, diesmal schmerzfreien Schlaf.
Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, waren sein Blick und seine Gedanken klarer. Er setzte sich auf und blickte sich um. Wie er in diesen hübschen kleinen, wenn auch vom Sand eingestaubten Hain geraten war, wie er überhaupt aus dem Chaos heraus gefunden hatte … er wusste es nicht. Alles, was geschehen war, nachdem er die unkundigen Kinder, die drei Zukunftsträger der Unkundigen mit seinem Blut und der Nadel zurück in ihr Schicksal geschickt hatte – das war ausgelöscht.
Dunkel erinnerte er sich, dass Advon Irísolor zu ihm gesprochen hatte. Und der Gedanke, ihm eine Pflanze als Lebensspender anzuheften – wenn auch ausgesprochen dilettantisch – das konnte nur Dýamirée gewesen sein. Die Kinder … gemeinsam waren die Kinder dem Widerwesen entwischt. Gemeinsam hatten sie ihn gerettet.
Vielleicht hatte auch der junge goala’ay ein klein wenig dazu getan. Yalomiro schaute zu den Palmenwipfeln auf. Dazwischen zeigte sich morgenrosa Himmel, getupft mit ein paar harmlosen Schönwetterwölkchen.
Es war vorbei. Die Gefahren waren abgewendet. Ovidáols Wahnsinn, losgelassen auf das Weltenspiel, hatten die arcaval’ay gebändigt. Und Salghiára … sicherlich hatte Salghiára ihren guten Teil dazu beigetragen. Allein, das stand fest, wäre es den Regenbogenrittern und der fajía nicht geglückt. Und das Widerwesen …
Nein. Es war doch noch nicht vorbei. Sie waren gerade rechtzeitig gekommen, um sein Spiel zu stören. Aber aufgehalten hatten sie es diesmal allenfalls für den Moment. Sie hatten die Aufstellung seiner Figuren durcheinandergewirbelt und die mächtigen Spielsteine wieder beiseite gestellt, auf die Positionen, die ihnen zustanden.
Yalomiro hatte keine Möglichkeit, es zu überprüfen. Aber er war sich sehr sicher, dass seine Mogelei gewirkt hatte. Meister Askýn hatte ihn seinerzeit mehr als einmal gewarnt, dass es keinem Magier zustand, mit der Zeit zu zaubern, und Yalomiro hatte dieses Gebot immer gut und vernünftig und den Mächten gefällig gefunden. Wenn auch … verlockend. Sicher hätte Meister Askýn seinen Ungehorsam kopfschüttelnd durchgehen lassen, angesichts des Notfalls und des Umstandes, dass im Chaos die Zeit ohnehin beschädigt war. Er hätte es nicht gutgeheißen, aber verstanden. Und, nur der Form halber, eine Buße über ihn verhängt, wie es Pflicht eines gewissenhaften Meisters war.
Nun, jetzt war er der Meister. Yalomiro fand, er konnte gegen sich selber etwas milder sein.
Er schaute sich um. Der Zauberstab, den hatten die Kinder mitgenommen. Nachlässig lehnte er an einem Baumstamm, zusammengefügt, aber was Magie betraf, so leer wie ein trockener Wasserschlauch. Yalomiro langte danach und widmete dem Artefakt einen prüfenden Blick. Vielleicht wäre es nicht schlecht, für den Weg zum Cielástel einen Wanderstab zu haben. Danach mochte Elosál entscheiden, wo und wie das Artefakt aufbewahrt werden sollte.
Er saß eine Weile erschöpft da und spürte danach, wo dieses Abenteuer Wunden geschlagen hatte, wo es an Energie fehlte und wie lange es dauern würde, sich zu regenerieren. Mit nur einer Nacht wäre es nicht getan. Aber die nächsten Nächte, die wollte er keinesfalls hier, so nahe an Pataghíus Heiligtum verbringen. Er sehnte sich zurück in den Wald, der die helle Sonne in gnädiges grünes Schimmern wandelte, und in die Kühle und Schönheit von Noktámas Halle. Mit dem Weltenschlüssel, und falls Salghiára sich nicht in ähnlich desolatem Zustand befand wie er, sollte das kein Problem sein. Die Regenbogenritter mussten ihnen lediglich erlauben, eine Tür zu benutzen. Und dazu würde sich Cýelú Irísolor, dieser unwirsche Kerl, doch wohl durchringen können.
Und Dýamirée, die …
Er schaute nachdenklich ins Leere. Dýamirée … die würde sich wohl nicht gern von Advon Irísolor trennen. Die beiden Kinder hatten die Mächte zusammengefügt, wie zwei Seiten einer Münze. Zusammen waren sie mächtig genug, um dem Widerwesen zu begegnen, was immer es als Nächstes für ein Spiel beginnen würde. Aber noch konnte es nicht so weit sein. Noch war Dýamirée ein liebes, kleines Mädchen. Noch war sie Salghiáras und seine Tochter. Das Kind, das sie beide beschützen mussten.
Der Schattensänger dachte nach. Möglicherweise trieben Elosál Irísolor und ihren unwirschen hýardor gerade ganz ähnliche Gedanken um. Im Leben nicht würde Cýelú Irísolor seinen Sohn laufen lassen, noch bevor dem ein Bart wuchs! Sicher nicht einmal dann.
Yalomiro zog die Tasche hinter seinem Rücken hervor, warf einen Blick hinein und fand die Geige ordentlich an ihrem Platz. Zaghaft probierte er, ob die geschundene Hand wieder in der Lage war, ordentlich die Saiten zu greifen. Seine Finger waren steif und schmerzten noch, aber es war möglich. Dann warf er einen prüfenden Blick auf die Ranke, die zwischenzeitlich ein gutes Stück gewachsen war. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, schmückte ihn aus und brachte ihn in Form. Dann rappelte er sich auf, packte die Geige wieder ein und griff nach dem unmagischen Stab, einer trefflichen Stütze für einen fußlahmen Wanderer.
Nun, dachte er, vielleicht konnte es doch nicht schaden, ein paar Tage hierzubleiben. Die Nächte mit Salghiára in der Wüste zu verbringen, bis wieder genug Kraft da war. Den Kindern zuliebe.
***
Offenbar schien es niemand allzu eilig zu haben, den Turm zu betreten. Tatsächlich schien die ganze Burg menschenleer zu sein. Woran das lag, erkannte Galéon, als er einen letzten Blick aus dem Fenster warf. Von Norden näherte sich eine Horde von Menschen, teils zu Fuß, teils zu Pferd und in Begleitung von ein wenig Vieh. Waren das die Bewohner dieser Burg? Wieso, bei allen Mächten, hatten sie geschlossen das Gebäude verlassen?
Der báchorkor lief eilig den Turm herab, wunderte sich über die Außentür, die ebenfalls in Splitter und Kleinholz gehauen war und hoffte, dass er gerade nun niemandem in die Arme laufen würde. Bepackt mit seinen neuen Besitztümern und in seinen zerfetzen Gewändern, würde man ihn auf den ersten Blick für einen Plünderer halten. Das Bedürfnis, herauszufinden, wie die Leute hier mit vermeintlichen Dieben verfuhren, hatte Galéon nicht.
Um dem Aufmarsch auszuweichen, der sich dem Haupttor näherte, entschloss er sich, den Umweg durch den Burggarten zu machen und dort nach einem Durchschlupf zu suchen. Es musste einen geben, denn die Gärtner würden sicher nicht Dung und Grünschnitt aufwändig über den gepflegten großen Haupthof karren. Außerdem wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass er im Garten eine Schaufel borgen konnte.
Tatsächlich hatte Galéon Glück und fand einen Spaten mit wackligem Blatt, den jemand an die Wand gelehnt hatte, vielleicht, um ihn später zu reparieren oder wegzuwerfen. Der báchorkor eilte zwischen Erbsenstangen und Kohlbeeten hindurch, ließ den duftenden Garten mit Blumen, einer schönen Rosenlaube und Kräutern hinter sich. Tatsächlich erahnte er am anderen Ende der Ummauerung eine kleine Pforte, die von innen verriegelt war. Aber bevor er sie erreichte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Dort, neben den Spalieren mit Süßbeeren, hockte ein kleines Mädchen und schaute ihn überrascht an. Dann erhob es sich und klopfte sich die schmutzigen Hände an ihrer adretten feinen Schürze ab, die sie sich ziemlich schief und vermutlich ganz allein umgebunden hatte. Sie trug ein bunt besticktes Nachthemdchen. Darauf, Schuhe anzuziehen, hatte sie ganz verzichtet,
Galéon blieb stehen. Er erkannte das kleine Mädchen aus dem Chaos, wahrscheinlich eine Spielgefährtin der teirandanja, wahrscheinlich die Tochter eines yarl oder ein Geschwister einer Edeldame. Es hatte große dunkle Augen und braungelocktes Haar.
„Wer bist du?”, fragte die Kleine, nicht feindselig, nicht misstrauisch. Sie war neugierig. „Dich kenn ich nicht.”
„Ich … bin ein báchorkor“, sagte er vorsichtig.
Sie strahlte übers ganze Gesicht und klatschte in die Hände. „Oh, fein! Bist du gekommen, um uns am Abend schöne Geschichten zu erzählen?”
„Eigentlich bin ich nur gekommen, um einen Spaten zu leihen.”
„Willst du auch hübsche Blumen pflanzen?”
Sie ließ sich offenbar leicht ablenken. Galéon hob verwirrt die Brauen. „Blumen?”
„Komm mal mit!” Sie winkte ihn mit verschwörerischer Geste näher. Galéon überlegte einen Moment. War das Kind etwa allein? Würde es sich laut beschweren, wenn er sie nicht beachtete und einfach weiter lief? Oder würde sie sich bei jemandem beschweren, dass ein unhöflicher báchorkor mit verdächtigem Gepäck aus dem Hintereingang gerannt war?
Er seufzte und folgte ihr zwischen die Spaliere. Dort hatte sie ein Halbdutzend irdener Blumentöpfe aufgereiht. Offenbar war sie gerade damit beschäftigt gewesen, Erde aus den locker gehackten Beeten zu klauben und hinein zu füllen. Das hatte er nicht erwartet.
„Papa und Mama schlafen noch”, plapperte sie vertraulich. „Alle schlafen. Wir waren so müde und alle haben noch so lange geredet und geredet … Aber ich konnte es einfach nicht abwarten. Papa hat mir nämlich Blumensamen mitgebracht. Die hat mir ein Mädchen mit grünen Augen geschenkt, sagt Papa. Ganz lange schwarze Haare hat das Mädchen. Vielleicht kommt sie mit ihrem Papa einmal her und besucht Manjév.”
„Tatsächlich?”, fragte Galéon ratlos.
„Komm, hilf mir. Du hast größere Hände als ich. Ich muss die Töpfe vollmachen, bevor Mama und Papa aufwachen. Und bevor der Gärtner kommt. Wir sollen nämlich nicht im Garten spielen. Weil sonst so viele Beeren verschwinden. Aber das sind Láas und Jándris. Nicht wir Mädchen. Wir sind artig. Meistens.”
Galéon grinste. Sie war niedlich, so quirlig und aufgedreht, wahrscheinlich vollkommen übermüdet. Dafür, dass sie vor kurzem noch im Chaos gewesen und von Monstern attackiert worden war, hatte sie sich bemerkenswert gut erholt. Er füllte ihre Töpfchen mit Gartenerde. Sie strich sie glatt, bohrte mit dem Fingerchen jeweils ein Loch hinein und ließ dann sorgsam einen einzelnen Blumensamen hinein, den sie sehr vorsichtig einem Döschen entnahm.
„Ich hab böse geträumt, heute Nacht”, gestand sie dann unvermittelt.
„Oh. Hattest du viel Angst?”
„Ja. Sehr. Aber nicht ganz so arg. Die anderen waren ja bei mir.”
„Die anderen Kinder?”
Sie nickte. „Láas und Jándris und Osse. Und Manjév natürlich. Und Merrit. Merrit hat gekämpft und die Monster mit seiner Dornenkugel verhauen!”
„Wer ist Merrit?”
„Der Sohn von yarl Althopian. Er hat uns alle beschützt. Obwohl Láas sagt, er sei ein Wiegenkind. Láas und Jándris sagen manchmal gemeine Sachen. Aber das meinen sie gar nicht so. Nur manchmal sind sie blöd. Ich finde, er hat seltsame Augen, so hell und blau.”
Merrit Althopian also. Galéon schauderte. Nun hatte sein Schicksal, sein unfreiwilliger Rivale also einen Namen, und noch war er ein Kind.
„Das waren böse Träume, kleines Mädchen. Vor Träumen musst du dich nicht fürchten. Am nächsten Morgen sind sie fort. Und soll ich dir ein Geheimnis verraten?”
„Oh ja, bitte! Geheimnisse sind toll. Wenn ich groß bin, werde ich Geheimkurierin!”
Er lachte. Dann raunte er ihr zu: „Wenn dich ein böser Traum ängstigt, dann stell dir vor, alles hässliche und traurige darin sei wie eine Kerzenflamme. Du kannst es auspusten. Dann ist es weg.”
„Das glaub ich nicht!”
„Das kannst du mir glauben. Hast du nie von der fánjula gehört, die Alpträume auslöschen konnte?”
„Nein.”
„Wie dumm von mir. Natürlich hast du nichts davon gehört. Du bist das ja selber. Siehst du, so ein dummer, tölpischer báchorkor wie ich bringt das alles durcheinander. In meinem Kopf ist ein einziges Gewirr. Wie im Gemach der opayra. Ihr habt doch eine opayra?”
Darüber lachte sie laut auf und schmunzelte dann verschmitzt. Sicher malte sie sich genüsslich aus, welche Unordnung die vielleicht gestrenge Edeldame vor den Kindern verbarg.
Das kleine Mädchen hatte ein kleines tönernes Gießkännchen mitgebracht, mehr Spielzeug als Gartengerät. Sie wässerte die Töpfchen und schaute dann erwartungsvoll darauf nieder.
Galéon erhob sich. „Ich muss gehen.”
„Willst du nicht sehen, wie die Blumen wachsen?”
„Aber das dauert doch viele Tage! Und noch mehr, bis der Sämling zur Blüte kommt.”
Sie blinzelte verdutzt. „Aber es sind doch Zauberblumen, sagt Papa!”
„Auch Magie”, entgegnete er belustigt, „braucht seine Zeit. Und du, kleines Mädchen, brauchst Geduld.”
Sie machte ein enttäuschtes Gesicht. „Ich bin aber doch so neugierig!”
Er zögerte. Sie waren allein und unbeobachtet. Sie tat das Chaos als Traum ab. Er würde bald weit fort sein. Was konnte es schaden?
Der goala’ay legte vorsichtig eine Fingerspitze auf die Erde im kleinsten der Töpfe.
Einen Moment geschah nichts. Dann kämpfte sich ein kleiner, kräftiger Keim aus der Erde, warf üppige Blätter und einen schlanken Trieb mit einer schmalen Blüte an der Spitze. Die entfaltete sich schwungvoll und stolz wie der Federschweif eines weißen Prachtvogels. Unten aus dem Abzugsloch des Töpfchens tastete sich eine Wurzel heraus, fand keinen tieferen Grund, und das Wachstum kam zum Stillstand. Ein honigsüßer und zugleich kühler Duft verbreitete sich.
„Bei den anderen Blumen”, mahnte er, „braucht es aber Geduld. Bring die Töpfe an einen Ort, wo sie Licht haben und niemand sie umstößt. Und gib ihnen gut zu trinken. Sie werden dann noch viel schöner.”
„Wie hast du das gemacht?”, flüsterte das Kind.
„Bleibt das unser Geheimnis?” Sie nickte eifrig, und er flüsterte: „Ich weiß, was es mit solchen Zauberblumen auf sich hat.”
„Bist du ein Magier? Wie Meister Yalomiro?”
Galéon erhob sich. „Nein. Nein, kleine fánjula. Ich bin nur ein bescheidener báchorkor.”
Sie musterte ihn skeptisch. Dann hielt sie ihm den kleinen Blumentopf entgegen. „Da. Die ist für dich. Papa sagt, Meister Yalomiro sagt, die Blumen beschützen uns. Dich sollen sie auch beschützen. Damit du wieder herkommst und mir das Märchen von der Alptraumauspusterin erzählst.”
Er nahm das Blümchen entgegen. Die Blüte hatte die Farbe des strahlenden Mondes. Und er, er hatte nun wirklich keine Zeit mehr. Das Burgvolk kehrte zurück und würde die erschöpft schlafenden Unkundigen wecken.
„Für dich, kleine yarlaranda“, versprach er, angerührt von dem fröhlich schillernden Seelenfunken, den er leise erahnte, „bringe ich das nächste Mal eine besonders schöne Geschichte mit.”
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