Althopian hörte, wie die anderen unten im Turm redeten, herum räumten, in einer so beherrschten Unruhe zu seien schienen, dass er annahm, sie wollten einander nicht ängstigen. Möglicherweise war die kleine Tíjnje bei ihnen, die all das, was um sie herum vorging, sicher nicht zu deuten wusste. Der Ritter hielt inne. Der Regen strömte durch das Loch im Dach auf ihn nieder, dieses Loch, durch das er den Sohn seines besten Freundes hatte unbedacht entwischen lassen. Was immer der Junge sich dabei gedacht haben mochte, es zeugte von ebenso größer Tapferkeit wie Naivität. Nun waren beide Knaben hinter dieser grässlichen Tür, er konnte ihre Rufe hören, aber sie waren sonderbar weit weg. Sie wirkten so klein und verloren, so als seien die Kinder plötzlich winzig klein oder allein in einer weiten Leere. Und die teirandanja … nun, die war den beiden wohl unfreiwillig nachgefolgt.

Wie, bei den Mächten sollte er das den teiranday erklären? Was, wenn von Manjév von Wijdlant und Spagor in dieser Welt nicht mehr zurückbliebe als der feine Schuh und der aufwändig bestickte Stofffetzen, den er aus ihrem Rock gerissen hatte bevor das … ja, was eigentlich? … auch das kleine Mädchen mit sich gerissen hatte. Kurz nachdem er es die zerbrochene Treppe hinauf in vermeintliche Sicherheit gebracht hatte. Was immer es war, es war darauf aus, ihn zu verhöhnen.

Waýreth Althopian horchte nach unten und auf das zarte Wispern hinter der Tür, das sich ab und an in das unerbittliche Sandgeriesel zu mischen schien. Der Sand … wo kam all der Sand her? Füllte er auf irgendeine magische Weise die Kammer, um ungebetene Eindringlinge zu ersticken, die dort nichts zu suchen hatten? Althopian wischte sich die klebrige Schmiere aus Staub, Sand, Regen und Tränen aus dem Gesicht. Nein, das konnte nicht sein. Wäre es bereits so weit gekommen, dann hätte die Kammer schon zur Gänze gefüllt sein müssen und die Last des Sandes die Tür eingedrückt. Entstand der Sand erst in der Tür? Handelte es sich über eine geheime Schwelle, die seine Seite der Tür mit dem verband, was auch immer in der Turmkammer dieses verfluchten Rotgewandeten versiegelt hätte sein sollen?

Und was ging dort unten vor sich? Welcher Umstand hatte dazu geführt, dass sie alle, die yarlay, die teiranda und die drei verbliebenen Kinder, alle zugleich in diesem Turm festsaßen? Denn dass das der Fall war, stand außer Frage. Längst hätten sie ansonsten versucht, das Gebäude zu verlassen, anstatt dort unten nun auch noch ein Holzfeuer anzuzünden. Den Rauch konnte Althopian riechen, er zog den Turm hinauf. Er war staubiger, muffiger Rauch, der die Luft mit einem subtilen, kaum wahrnehmbaren und doch ziemlich ekligen Aroma schwängerte.

Der Ritter schüttelte das Unbehagen ab und wandte sich wieder seinem Tun zu. Ein Stück Holz hatte er vor sich, das aus dem Dach gebrochen war. Mit der stumpfen Seite des Meißels hämmerte er, so behutsam wie möglich, auf den goldenen Haarkamm ein, der noch zwischen den Resten der Pfannkuchen gelegen hatte. Das kostbare Schmuckstück verformte sich mehr und mehr zu einer unförmigen, dünnen Platte. War es ein Erbstück gewesen, dass die hýardora von Daap Grootplen ihrer Tochter vermacht hatte? Oder hatte es der Mutter von Jóndere Moréaval gehört? Zerstörte er hier gerade ein wertvolles Erinnerungsstück, um diese verfluchte Tür zu besiegen?

Einen Moment dachte er an all den kostbaren Schmuck, der daheim in seiner Burg verschlossen und versiegelt in einer großen Schatulle lag. Die Familie seiner toten hýardora in Ivaál war reich. Eines Tages würde all das funkelnde Glitzerzeug, das die Dame von dort mitgebracht hatte, dem Mädchen zustehen, das sein Herz an Merrit verlieren würde.

Vorausgesetzt, er bekäme diese schreckliche magische Kerkertür irgendwie geöffnet.

Althopian schlug verbissen den schönen kunstvollen Kamm zu einer hauchdünnen Schicht. Einen anderen Weg hatte er hier oben nicht, um ohne Feuer Metall zu bearbeiten. Und das Gold brauchte er. Alsgörs Sohn hatte recht. Das Dach war eine Falle, denn es verschlang Kinder. Von Anfang an hätte er versuchen sollen, die Axt zu vergolden. Vielleicht wäre das viel einfacher gewesen und hätte schneller die Sache beendet, als all der Aufwand und die Kraft, die er mit dem Dach vergeudet hatte.

Unter der Tür, dort, wohin die Haarnadel verschwunden war, schwappte Sand hindurch. Ja, das war das richtige Wort. Als habe jemand auf der anderen Seite einen Eimer Wasser ausgeschüttet, quoll eine neue Ladung Sand hervor, breitete sich aus, wie es festen Körnern gar nicht hätte möglich sein sollen, ergoss sich über den Treppenabsatz und stürzte dann, wie ein Wasserfall, die Treppe hinab, wobei es sich, zu Althopians Erstaunen, wieder in rieselndes Material verwandelte. Wie eine Welle, die ans Gestade brandete und sich dann wieder zurückzog, um von neuem Kraft zu holen.

Althopian griff nach der Axt. Er hatte keine Zeit mehr. Das, was er aus dem Kamm hatte herausprügeln können, war lächerlich, viel zu wenig, um die Schneide der Schlagwaffe zu ummanteln. Aber wenn er es richtig machte, wenn es vielleicht, anders als gedacht, nicht um die Zerstörung der Tür ging, sondern um etwas Symbolisches, etwas, was seinem nüchternen Verstand so absurd erschien, dass er es nicht für bedenkenswert erachtet hatte.

Wenn es wirklich nur darum ging, mit einer gezielten Aktion etwas Pataghíu Geweihtes einzusetzen, um etwas von Noktáma Gemachtes zu zerstören …

Eine weitere Sandwelle schwappte unter der Tür hervor. Unten, viel zu weit unten im Turm hörte er die anderen murmeln, hektisch, gedämpft. Metall klapperte. Er war versucht, nachzuschauen, bezähmte sich aber, denn wahrscheinlich hätte er ohnehin kaum etwas erkennen können. Schon hier oben reichte seine Laterne gerade eben, um einen warmen, schönen Schimmer auf den deformierten Kamm zu werfen. Der Regensturm draußen hatte so dicke düstere Wolken vor Pataghíus ohnehin schon dem Abend entgegen sinkenden Glanz geschoben, dass kaum noch etwas zu ihm und schon gar nicht durch das Dach drang. Den anderen unten mochte es kaum besser ergehen, doch wenn er sich recht entsann, hatten sie dort Zugriff zu Fackeln und Lampen.

Althopian wischte sich den zähen Staub ab und begann vorsichtig, sehr, sehr vorsichtig und mit einer Behutsamkeit, für die seine kräftigen Hände nicht gemacht waren, das laienhaft geschlagene Blattgold auf die Axtschneide zu bringen. Ihm war klar, selbst wenn dies fest genug hielte, wäre es doch sicher, dass er den Überzug mit dem ersten Hieb spalten und unbrauchbar machen würde. Er würde nur eine Chance haben, nur einen einzigen Schlag, einen Wimpernschlag, zu dem das Gold den Zauber zerschmettern musste. Er durfte es nicht riskieren, die richtige Stelle zu verfehlen. Aber wo sollte er ansetzen?

Er versuchte, sich zu konzentrieren. Die Schließe, die war es wahrscheinlich, die den Zauber bändigte. Die Tür hatte kein Schloss und kein Schlüsselloch, wohl aber eine Klinke, mit der sie sich zu unschuldigeren Zeiten hatte öffnen und schließen lassen. Es musste einen Riegel geben, irgendwo innerhalb der Tür.

Waýreth Althopian prüfte den Sitz des Bleches. Er hatte es so gebogen, dass es auf der Oberkante der Schneide festsaß, damit es wenigstens bei diesem einen, entscheidenden Hieb nicht fortsprang, und mit ein paar Tropfen Kerzenwachs notdürftig fixiert. Er musste versuchen, die Axt so zu führen, dass dies der Teil war, der das Holz zuerst traf.

Der Ritter erhob sich, flehte still um den Beistand der Mächte – um Pataghíus Kraft und Noktámas Einsicht, dass es sich bei diesem Frevel um eine Notlage handelte – hob die Axt und atmete tief ein. Das Lampenlicht flackerte auf der winzigen goldenen Fläche auf dem großen Axtblatt. Der heftige Windzug, der peitschende Regen, sie schienen die Flamme seiner Lampe zu erreichen. Waýreth Althopian holte aus. Aber noch bevor er zuschlagen konnte, erbebte der Turm, und Sand wehte aus jeder Fuge der Tür hinaus und schwappte durch das Loch im Dach hinein auf den Treppenabsatz, wie aus einem übervollen Eimer. Althopian wurde von der unerwarteten Woge umgeworfen, und der Sand stürzte in die Tiefe und versetzte die anderen unten im Turm in Aufregung.

***

„Ich habe eine camatay’ra gefunden”, sagte der orange Regenbogenritter, als er mich in einen Raum führte, der so unwirklich und märchenhaft gestaltet und eingerichtet war, dass ich kaum wagte, hineinzugehen. Die Wände des hoch oben im zentralen Turm gelegenen Saales waren fast durchscheinend, funkelten kühl und fröhlich und schwerelos wie … ja, wie Morgentau auf einer Wiese und hatten eine seltsame Form, wie Facetten eines geschliffenen Edelsteins. Der Tür gegenüber standen thronartige Sessel, die aus Perlmutt und Marmor gemacht schienen. Das hier, das war kein gewöhnlicher Saal, auch kein aus buntem Glas gefertigter. Das hier war das Innere eines wunderschönen Diamanten. Mit Fenstern zu fast allen Seiten.

An einem davon stand die fajía, die ich zuvor auf dem Hof gesehen hatte. Sie hatte offenbar irgendetwas beobachtet, was draußen vor sich ging, wandte sich dem arcaval’ay nun aber zu.

„Danke”, sagte sie. „Lass mich mit ihr allein. Seht zu, dass ihr die anderen auch schnell findet.”

„Meisterin, das …”

„Überlass es mir. Ich werde mich zu wehren wissen, falls sie hier, in Pataghíus Halle, das Wort ihres Meisters zu brechen versucht.”

Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu, hatte aber wohl nicht das Recht, etwas dagegen zu halten. Er verneigte sich und ließ mich einfach stehen.

Pataghíus Halle? Dann war das hier das Gegenstück zum Etaímalon. Wie verhielt man sich in einem fremden Heiligtum? Ich hielt es für eine gute Idee, fürs erste niederzuknien. Sicherheitshalber fügte ich die Friedensgeste hinzu, wobei ich so nervös war, dass mir die Hände zitterten. Die Ausstrahlung der fajía war atemberaubend. Ihre maghiscal strahlte stark und eindrucksvoll, passte gar nicht zu ihrer fragilen Erscheinung.

Sie kam näher und musterte mich ernst, aber mit kaum verborgener Neugier.

„Meisterin?”, fragte sie dann freundlich.

„Der Form nach”, antwortete ich verunsichert, denn ich fühlte mich gerade so klein und absurd.

„Steht bitte auf. Ich will nicht, dass unseresgleichen voreinander demütig ist. Und nehmt den Schleier ab. Wenn Ihr den Fluch tragen solltet, dann kann er mir und meinesgleichen nicht schaden.”

Ich schaute verwundert auf. Sie ging hinüber zu den Meisterthronen, ließ sich aber auf den Stufen davor nieder.

„Bitte, gesellt Euch zu mir. Ich würde Euch einen bequemeren Platz anbieten, aber ich denke, Noktáma würde es nicht gutheißen, wenn Ihr den Sessel hier nähmet.”

Hatte sie gerade einen Scherz gemacht? Ich war mir nicht sicher, denn ihre fremdartig goldenen Augen waren sonderbar geistesabwesend. Aber sie lächelte.

Ich stand auf, legte mir den Schleier wieder als Tuch über die Schultern und ging zögernd zu ihr hinüber. Sie schaute mich mit diesem intensiven Blick an und ich ahnte, dass sie sich auf ihre eigene Art ihr Bild davon machte, mit wem sie es zu tun hat.

„Mein Sohn”, sagte sie dann unvermittelt, „ist auch verschwunden.”

Ich war so verblüfft, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Sie forderte mich nochmals zum Sitzen auf, und diesmal gehorchte ich ihr.

„Das … tut mir leid”, sagte ich dann vorsichtig.

„Euer hýardor und meiner sind unterwegs, um die beiden aufzuspüren. Was denkt ihr, Meisterin …”

„Salghiára”, besann ich mich auf Förmlichkeiten. „Salghiára Lagoscyre.”

„Meisterin Salghiára. Werden die beiden miteinander auskommen?”

War das eine ernstgemeinte Frage? Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass Yalomiro sich offenbar hatte retten können! „Das kommt wohl darauf an, ob mein hýardor sich gezwungen sieht, sich verteidigen zu müssen. Er … er neigt nicht zu … Aggressionen.”

„Den Mächten sei Dank, neigt der meine nicht zu Hitzköpfigkeiten. Seid unbesorgt. Ich denke, die beiden werden besonnen handeln und unsere Kinder wieder herbringen, bevor …”

Sie unterbrach sich, was alle Alarmglocken bei mir schrillen ließ. Aber ich wollte sie nicht bedrängen, nicht, bevor ich sagen konnte, was ich von ihr halten hatte. Andererseits … sie fühlte sich …. freundlich an, sah man einmal davon ab, dass etwas zwischen uns lag, was sich sonderbar anfühlte. Eine Spannung, die sich zwischen unseren maghiscals auftürmte. Vermutlich, das wusste ich instinktiv, wäre es keine gute Idee, sie zu berühren.

„Eure Tochter ist ein ganz entzückendes Kind”, sagte sie freundlich. „Ich habe sie nur ein paar Augenblicke gesehen, aber die Kleine hat mich sehr beeindruckt. Ich habe nicht gewusst, dass sie verschwunden war.”

„Danke”, sagte ich. „Wenn die Mächte es wollen, hat sie sich selbst befreien wollen und euren Sohn angestiftet, mitzukommen.”

„Unser Sohn”, versicherte sie, „ist ein sanfter und wohlerzogener Junge. Wenn beide beisammen sind, wird er gut auf sie achtgeben. Ich denke mir, dass unsere Welt ihr übermäßig fremd ist. Seid unbesorgt.”

Ich nickte ihr dankbar zu. Es fühlte sich gut an, dass sie mit mir sprach wie … eine Frau. Nicht wie die mächtige Magierin, die in ihrem eigenen Haus überlegen war. Sie hatte sie selben Sorgen wie ich.

„Wie kann es sein, dass das Kind geboren wurde?”, fragte sie das Unvermeidliche. „Es hieß, dies sei unmöglich.”

„Noktáma hat es … erlaubt. So kann man wohl sagen. Yalom- … mein hýardor hat es nicht für möglich gehalten.”

„Hat es ihn geängstigt?”

„Nein. Ich habe ihn nie so glücklich gesehen.”

Ich hatte Angst”, sagte sie nachdenklich.

„Warum? Wolltet Ihr kein Kind?”

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich bin … kein Mensch. Niemand konnte vorhersagen, ob es gutgehen würde. Aber Advon … nun, er ist weitaus mehr Mensch als meinesgleichen. Ich frage mich oft, weshalb Pataghíu uns dieses Geschenk gemacht hat.”

„Kann Advon Magie wirken?”, fragte ich, aus einer Eingebung heraus.

„Nein.” Sie wirkte nachdenklich. „Ich glaube, die Mächte haben etwas anderes mit ihm vor.”

„Ist Meister Cýelú denn ein Mensch?”

„Ja.”

Das erklärte, warum er gegenüber diesen unwirklichen, zeitlosen, hochgewachsenen Regenbogenrittern so irritierend normal aussah. Es lag mir auf der Zunge, sie zu fragen, ob sie und die arcaval’ay von gleicher Art waren, aber es kam mir taktlos vor. Ich hatte nie zuvor mit einem nichtmenschlichen Wesen geredet.

„Wie kann es sein, dass Ihr … nun ja … wenn Meister Cýelú ein Mensch ist … Wie konnte er Euer Herz gewinnen?”

„Warum denn nicht?”, erkundigte sie sich, fast etwas amüsiert. „Ihr habt es doch auch geschafft, die Liebe eines Schattensängers zu entfachen. Das ist fast ein noch größeres Wunder.”

„Ich habe nicht viel dazu getan. Ich gelangte im rechten Moment an den vorbestimmten Ort.”

„Seht Ihr?” Sie lächelte und wechselte das Thema. „Gern würde ich später kostbare Zeit dafür hergeben, mich mit Euch ausführlich zu unterhalten. Aber es sind andere Dinge von Vorrang. Ich erwarte den Besuch eines wichtigen Herrn aus Aurópéa. Leider sind die Dinge so misslich gegangen, dass der Zeitpunkt nun ganz und gar ungünstig ist. Wir sollten alle auf der Suche nach den Kindern sein. Allerdings erscheint es mir aus einer Eingebung heraus fast günstiger, wenn ich und die meinen ihn vorerst allein empfangen. Ohne die Anwesenheit meines hýardor, den ich gut dem Euren anvertraut weiß.”

Ich verstand kein Wort von dieser umständlichen Rede. Yalomiro konnte ähnlich verschnörkelt reden und tat es meistens dann, wenn er erwartete, dass man ihm mit besonderer Aufmerksamkeit zuhören sollte.

„Meister Yalomiro”, sagte sie, „hat also den Stab hergebracht?”

„Ja”, gab ich zu. „Er nahm an, dass Meister Cýelú sich dafür interessierte und Dýamirée dafür freigeben würde.”

„Wo ist er?”

Oh. War das eine Fangfrage? Wie konnte ich ihr ausweichen?

„Ihr habt ihn nicht bei Euch. Also habt Ihr ihn irgendwo im Cielástel verborgen.” Sie lächelte. „Ich weiß, dass ihr keine weiteren Helfer habt.”

„Aber … Ihr habt den orangenen Ritter weggeschickt, um zu suchen!”

„Ja. Solange die Sieben beschäftigt sind, haben wir beide die Zeit für uns. Ist der Stab sicher?”

„Ich denke schon.”

„Und warum habt Ihr ihn versteckt?”

„Es war mir nicht geheuer, ihn der alten Frau zu überlassen.”

Sie richtete sich kerzengerade auf und warf mir einen fassungslosen Blick zu.

„Seid Ihr ihr begegnet?”

„Ja. Ich hatte versucht, ihr auszuweichen, aber das Erscheinen des Ritters hat sie wohl verscheucht.”

„Und sie hat nicht versucht, Euch aufzuhalten?”

„Nein. Sie interessierte sich nur für den Stab.”

„Woher wusste sie, das …”

„Der Mann, der die Einhörner pflegt, hatte mich kurz zuvor damit gesehen.”

Sie erhob sich. Ihre Miene war nun finster, so als habe ich sie gerade über einen ungeheuerlichen Missstand informiert.

„Siledaús Sammelleidenschaft”, zürnte sie, aber ihr Groll galt nicht mir, „geht eindeutig zu weit.”

„Sammelleidenschaft?”

„Wo ist Siledaú hingegangen?”

„Ich weiß nicht. Der Ritter hatte sie weggeschickt.”

Elosál Irísolor dachte kurz nach. Dann schaute sie mir prüfend ins Gesicht.

„Es mag Euch seltsam erscheinen, wenn ich Euch so etwas frage”, sagte sie. „Aber ich möchte, dass Ihr mir hier, vor Pataghíu, eine ehrliche Antwort gebt. Seid Ihr … sind die camat’ay auf derselben Seite wie meinesgleichen?”

„Auf derselben Seite? Was meint Ihr?”

„Das Weltenspiel. Die Ordnung der Dinge. Der Plan der Mächte für das Bestehen des Weltenspiels in Frieden und Liebe.”

„Selbstverständlich”, sagte ich verwundert. „Warum sollte ich dagegen sein?”

Elosál ging hinüber zu der Tür gegenüber der Throne und ich spürte einen kleinen, dezenten Magiepuls von ihrer maghiscal ausgehen. Sie rief und brauchte ihre Stimme nicht dazu.

„Meisterin Salghiára”, sagte sie. „Bereitet mir die Freude, unseren mächtigen unkundigen Gast aus der Stadt in Eurer Anwesenheit zu empfangen. Ihr seid unser lieber Gast, und sobald die Dinge wieder unter Kontrolle sind, möchte ich mit den meinen und Eurem hýardor über einen neuen Bund verhandeln. Mir scheint, die Dinge haben sich ungut entwickelt und müssen dringend zurück in ihre Bahn. Es erhebt sich etwas gegen uns.”

„Das klingt, als wolltet Ihr über einen Frieden verhandeln”, sagte ich verwirrt und hatte das Gefühl, dass mir hier einige wichtige Hintergrundinformationen fehlten. „Sind die arcaval’ay denn im Streit mit den camat’ay? Yalomiro sagt, es habe nach den Chaoskriegen keine Zwietracht gegeben.”

„Das ist richtig”, sagte sie. „Aber wir haben auch viel zu lange nicht mehr miteinander geredet.”

Schritte näherten sich. Offenbar hatte sie ihre Ritter zusammengerufen. Nacheinander erschienen die Sieben, betraten den Saal und musterten mich neugierig, skeptisch. Im Halbkreis und in der richtigen Reihenfolge stellten sie sich um Elosál herum auf. Ich fragte mich unwillkürlich, wie sie so schnell aus allen Winkeln dieser riesigen Burg hatten zusammenkommen können. Konnten Sie möglicherweise durch Tageslicht tauchen, so wie Yalomiro durch Schatten?

„Ihr beiden”, sagte sie zu dem Violetten und Indigofarbenen. „Begleitet Meisterin Salghiára. Die Schattensänger haben die Überreste der … Waffe hergebracht, aus Gründen, die wir alle noch nicht recht entschlüsseln. Holt das Ding und bringt es her.”

Die bloße Erwähnung des Stabes malte blankes Entsetzen auf die Gesichter der Hellen Magier. Die Ritter schwankten zwischen Abscheu und Zorn. Das erschreckte mich.

„Wir sorgen dafür, dass sie mit dem Ding kein Unheil tut”, sagte der Violette hart.

„Dazu besteht kein Anlass. Ich will, dass ihr dafür sorgt, dass niemand versucht, es ihr wegzunehmen, wenn sie es an diesen Ort bringt. Meisterin Salghiára ist unsere Verbündete. Glaubt mir das, bis ich es euch in Ruhe erklären kann. Keine Feindseligkeit, keine Dünkel gegen Noktámas ehrenwerte Dienerin, die uns beistehen wird.”

Nun sahen die Sieben wohl ebenso verwirrt aus wie ich. Aber es schien keinen Grund für sie zu geben, die Anordnungen der fajía zu widersprechen.

„Aber wer sollte es denn wegnehmen sollen, das … Ding?”, fragte der Gelbe. Elosál schaute auf den glitzernden Boden nieder und schwieg einen Moment, so als müsse sie ihre Worte sammeln.

„Ihr vier”, sagte sie dann fest, „macht euch auf die Suche nach Siledaú. Und wenn ihr sie findet … bringt sie augenblicklich hier zu mir, in diese Halle. Wenn nötig, in Ketten, und wenn ihr sie tragen müsst.”