
„Kinder”, sagte Daap Grootplen, „ihr habt nun wirklich nichts hier zu suchen!”
In der Stimme des älteren Ritters schwang unüberhörbarer Ärger mit, als er die vier die Treppe erklimmen hörte. Rasch hatte er seine Werkzeuge niedergelegt und war ihnen entgegen geeilt. Nun standen sie einander etwa auf der halben Höhe des Turms entgegen, er mit seinem fülligen Körper den weiteren Aufstieg blockierend, die Kinder eng beieinander auf der schmalen Holzstiege. Jandrís hatte eine Laterne bei sich, denn durch die Fensterscharten drang tatsächlich kaum noch etwas von dem trüben Tageslicht ins Turminnere. Als Grootplen seine Enkelin an Láas Hand entdeckte, runzelte er missbilligend die Stirn. „Was bringst du Tíjnje hierher, Sohn? Habt ihr draußen nichts zu spielen?”
„Ich wollte mitkommen, Großvater”, sagte Tíjnje zutraulich. „Endlich lassen die Jungs mich einmal dabei sein.”
„Aber ihr habt hier nichts verloren!”
„Nein, Herr Daap”, sagte der Junge vom alten Emberbey, der den kleinen Trupp anzuführen schien und sich unsicher mit beiden Händen an dem schmalen Handlauf an der Mauerseite festklammerte. „Im Gegenteil. Wir wollen etwas bringen.”
„Hat dein Vater dich hereingelassen? Ist er noch auf seinem Posten?”
Der Junge nickte. Grootplen warf seinem Sohn einen fragenden Blick zu. Láas zuckte verlegen die Achseln.
„Herr Daap”, mischte sich der vorlaute Jandrís ein, „wir haben viel auf uns genommen, um diesen Turm zu erstürmen. Herr Alsgör ist ein mächtiger Wächter!”
Grootplen erlaubte sich ein Schmunzeln. Andríers Sohn hatte einen herzerfrischenden Charme, selbst in dieser sonderbaren Situation.
„Nun”, seufzte der gutmütige Ritter ergeben, „was bringt ihr uns. Etwas zu unserer Stärkung, Tíjnje?”
„Die sind kalt, Großvater”, sagte das Mädchen ernsthaft. „Und es hat draufgeregnet. Ich glaube, die schmecken nicht mehr.”
„Wir wissen vielleicht, wie man die Tür öffnen kann”, ergriff der junge Emberbey wieder das Wort.
„Was wisst ihr über die Tür?”
„Mehr als notwendig”, murmelte Láas. Jándris knuffte ihn vor die Schulter.
„Wir wissen, dass Merrit Althopian dahinter gefangen ist und dass sie sich weder von innen noch von außen öffnen lässt.”
Grootplen hob die Brauen. „Ihr wisst nicht zufällig auch, wie der arme Kerl da hineingeraten ist?”
Nun bekam er nur ein betretenes Schweigen zur Antwort, aber die Gesichter der Kinder lasen sich wie ein offenes Schriftstück. Láas und Jandrís wirkten schuldbewusst, Tíjnje ahnungslos. Nur der Miene von Emberbey Sohn ließ sich nichts entnehmen. Er schaute ebenso unbewegt und ernst wie sein Vater. Grootplen schauderte gegen seinen Willen über diesen Ausdruck, der nicht zu einem Kindergesicht passte.
„Wir bringen Werkzeuge, die Herrn Waýreth möglicherweise nützlicher sind als Äxte und Hämmer.”
„Ich sehe nur einen Pfannkuchenteller.”
Ein größerer Putzbrocken polterte durch die Falltür und stürzte an ihnen vorbei in die Tiefe. Láas zog Tíjnje schützend ein Stück näher zur Wand.
„He! Gebt acht da ob-“, rief Grootplen und stockte mitten im Wort. Der Aufprall des Mörtels am Fuß des Turms war laut. Zu laut. Nun, das mochte der Schall in den gewölbten Mauern sein.
Doch auch der junge Emberbey schien irritiert.
„Lasst uns bitte nur kurz zu yarl Althopian reden”, bat Jándris. „Vielleicht kann er sich die Plackerei mit dem Werkzeug sparen.”
„Wo wollt ihr alle hin? Es ist schon kaum genug Platz für Herrn Andriér und Herrn Waýreth selbst dort oben.”
„Dann lass wenigstens Osse gehen, Vater”, bat Láas. „Der ist so dürr, dass er wohl noch irgendwie dazwischen passt.”
An höflicher Rede musste Láas wohl noch feilen. Aber der Junge fühlte sich wohl nicht gekränkt, mochte solche Bemerkungen gewöhnt sein. Er ließ sich den Teller geben und schaute Grootplen mit verstörend aufforderndem Blick durch seine Brillengläser an.
„Du bist wohl ein guter Freund vom jungen Althopian, was?”, fragte der Ritter und machte dem Knaben Platz, soweit es auf der Stiege möglich war.
Nun zuckte der Junge unbestimmt die Achseln, und die Strenge auf seinem Gesicht wich kurzer Nachdenklichkeit. „Ich danke Euch”, sagte er anstelle einer Antwort und drückte sich an Grootplens Leibesfülle vorbei. „Wartet hier auf mich”, sagte er den anderen dabei und kletterte hinauf zur Luke.
Die Kinder setzten sich auf die Holzstufen. Jándris stellte seine Laterne zwischen ihnen und dem Ritter ein paar Stufen über ihnen ab.
Daap Grootplen schaute ihm verdutzt nach. Eigentlich hatte er vorgehabt, die übrigen Kinder wieder nach draußen zu schicken. Aber das wagte er nun nicht mehr. Es hätte bedeutet, auszutesten, ob Láas und Tíjnje seine familiäre Autorität eher Folge leisten würden als der Weisung des Jungen. Irgendetwas sagte dem Ritter, dass es sich nicht lohnte, es darauf ankommen zu lassen. Nun, solange sie hier in der Mitte des Turmes auf der Treppe saßen, konnte ihnen nicht viel geschehen. Es würde ihnen wohl früh genug langweilig werden.
Und was immer es mit diesen Pfannkuchen auf sich hatte – es war entweder eine Albernheit, oder es entsprach der Weisung der teiranday, den Kindern freie Bahn zu lassen.
Grootplen ließ sich seinerseits nieder. Es konnte sicher nicht schaden, sie im Auge zu behalten. Ein weiteres Stück Putz prasselte nieder, noch bevor Osse Emberbey selbst die Falltür erreichte. Diesmal war es kleiner und bröseliger, regnete nach unten und schallte zu ihnen hinauf wie Hagel auf Metall. Grootplen hatte einmal auf einem Turnier gekämpft, als ein kurzer Schauer aus Eiskörnern unerwartet niedergegangen war. So ähnlich hatte sich das damals auf seinem Helm angehört.
Der Junge oben auf der Treppe zögerte. Dann stieg er, so schnell es mit dem Teller in der Hand ging, weiter.
„Geht ganz schön tief runter, Vater”, sagte Láas, als der Schall verklungen war.
Grootplen nickte nachdenklich. Ja. Ganz schön tief.
Zu tief.
***
In dem Moment, als Osse durch die Falltür auf den Treppenabsatz gelangte, war es Althopian gelungen, seinen Streithammer durch Putz, Bretter und Mörtel zu treiben. Die Spitze der zweckentfremdeten Waffen gelangte ins Freie und biss sich im Dach fest.
Althopian trat die Trittleiter beiseite, die Altabete angeschleppt hatte, hing nun mit seinem ganzen Gewicht und vor Anstrengung verzerrtem Gesicht am Stiel und versuchte strampelnd, mehr vom Putz herunterzureißen. Andriér Altabete kam seinem Freund zur Hilfe, packte Althopian bei seiner Mitte und zog an ihm, bis beider niederfielen. Ein Regen aus altem Putz, noch älterem Stroh und Flachswerg und dünnem Holz regnete den beiden Männern entgegen, und aus ein bisschen Ton. Dort, wo der Putz an die Wand mit der Tür grenzte, war er sauber herausgebrochen wie mit einem Lineal gezogen.
„Wenn ich das gewusst hätte”, hustete Altabete, während der Staub sich setzte, „hätte ich unsere Helme mitgebracht.”
Althopian war schon wieder auf den Beinen und begann, das Dämmmaterial und die Verschalung zwischen den nun freilegenden hölzernen Tragbalken herauszuziehen. Der Mörtelstaub klebte auf seinem verschwitzen Körper und in seinem Haar, sodass er fast aussah wie ein Gespenst. Das intensive Blau seiner Tunika schimmerte kaum durch. Er war so verbissen vertieft in sein Treiben, dass er gar nicht reagierte, als Osse durch die Luke kletterte und sich räusperte.
„Was machst du hier, Junge?”, raunzte Altabete ihn an. „Hier ist es gefährlich!”
Osse schaute betroffen auf Althopian und fragte sich einen ganz kleinen Moment, ob sein eigener Vater sich wohl auch so für ihn verausgaben würde. Wahrscheinlich nicht.
„Herr Andríer”, sagte er, „vielleicht muss Herr Waýreth das Dach nicht einreißen. Wir haben etwas herausgefunden.”
„Wir haben keine Zeit für Kindereien, Junge! Wieso hat dein Vater dich eingelassen?”
„Bitte. Herr Waýreth! Bitte hört wenigstens Ihr mich an!”
Althopian seufzte. Dann ließ er den Batzen uraltes Füllwerk fallen und wandte sich dem Kind zu. „Was gibt es, Osse? Auf welche Ideen seid ihr gekommen?”
„Herr … wir haben herausgefunden, dass diese Tür durch Magie geschlossen gehalten wird, die Meister Yalomiro gewirkt hat.”
„Das ist richtig.”
„Mögen die Mächte an ihm ihre Gerechtigkeit walten lassen”, sagte Altabete düster.
„Also haben wir versucht herauszufinden, ob es ein Mittel gegen Magie gibt.”
Nun horchten beide Männer auf. „Und?”
„Offenbar lassen sich Schattensänger durch Gold abwehren.”
„Das ist richtig. Aber auch kein großes Rätsel”, sagte Althopian zu Osses Überraschung.
„Ja, in der Tat”, fügte Altabete hinzu. „Mit Gold kann man Schwarzmäntel vom Zaubern abhalten. Zumindest ist das aus den magischen Kriegen und den Chaoskriegen so überliefert. Wer es sich leisten konnte, ließ sich einst sein Rüstzeug vergolden.”
„Wir …” Osse seufzte. Dann lüftete er den obersten Pfannkuchen und präsentierte den Rittern den Schmuck. „Wir dachten, das hier … statt der Axt.”
„Das ist gehört Jónderes hýardora“, sagte Altabete misstrauisch. „Ich erkenne es. Woher …”
„Láas oder Tíjnje haben es herbeigeschafft, nicht wahr?”, fragte Althopian. „Wahrscheinlich Tíjnje, denn ein Bursche in Láas Alter hätte wohl kaum an Geschmeide gedacht.”
„Darüber darf ich nicht reden, Herr”, sagte Osse förmlich.
Althopian schaute ihn einen Augenblick an. Dann ließ er sich vor Osse auf ein Knie nieder und griff nach seinen Schultern.
„Ich danke dir, Osse Emberbey. Ich danke euch allen, dass ihr euch um meinen Sohn bemüht. Aber hier gilt es keinen Schattensänger am Zaubern zu hindern. Dieser Zauber hier besteht bereits seit langer Zeit.”
„Vielleicht lässt er sich brechen?”, fragte Osse leise.
„Es gibt hier kein Schloss, an dem du eine Haarnadel aus Gold ausprobieren könntest, Junge.” Andríer Altabete neigte sich vor. „Bringt der yarlara ihre Sachen zurück, bevor sie es bemerkt. Wir werden darüber still schweigen.”
„Ich dachte …”
„Überlasst es uns. Wir sind fast durch das Dach hindurch. Siehst du?” Er trat unter das Loch in der Dachverschalung, wo Wasser zu tropfen begonnen hatte. Regen fand den Weg durch das kleine Loch in der Schindel. Dann stellte er Althopians wackelige Leiter wieder auf. „Geht jetzt besser wieder und kümmert euch um die teirandanja.”
Althopian griff nach einer der Haarnadeln. Osse wartete, und auch Andriér Altabete wandte sich ihm wieder zu.
„Meine hýardora“, sagte er leise, wie verträumt. „Sie hat Unmengen von solchen gehabt.”
Altabete seufzte und warf Osse einen ungeduldigen Blick zu. „Das denke ich mir”, sagte er zu dem geistesabwesenden Ritter. „Die meine hat stets tagelang von ihren kunstvollen Frisuren geredet und darüber gestaunt, wenn die beiden einander begegnet waren.”
Althopian erhob sich, die Nadel in der Hand. „Wenn die hier beschädigt wird”, sagte er zu Altabete, „soll Jónderes hýardora alle bekommen, die die meine hinterließ.”
Er legte die Hand aus die Tür, horchte daran und rief dann leise: „Merrit?”
Alle drei horchten gespannt. Aber zunächst war nichts anderes zu hören als der Regen, der sich am Loch im Dach zu größeren Tropfen vereinte und auf den Schemel niederging. Und ein leises Rieseln.
„Vater?”, ertönte dann Merrits Stimme hinter der Tür. „Vater? Bist du da?”
„Hör zu, Merrit”, sagte Althopian. „Lag deine Hand unten an die Tür. Ich schiebe dir etwas darunter hindurch.”
„Was soll ich damit anfangen, Vater?”
„Nimm es einfach entgegen und zieh sie zu dir hinein.” Er wandte sich Osse und yarl Altabete zu. „So sehen wir, ob Gold die Tür vielleicht doch überwindet.”
„Und dann?”
„Dann seht ihr zu, dass ihr den Schmied auftreibt und ihn dazu bringt, ein Axtblatt zu vergolden.”
„Waýreth! Das ist doch Unfug! Du kannst mit Gold kein Holz zerschlagen.”
„Nein, zerschlagen muss ich nur den Zauber. Den Rest macht der Stahl.”
Altabete schüttelte den Kopf. Althopian wischte Putzstaub und Sand vor der Tür beiseite und legte die Haarnadel flach auf den Boden. Der Zwischenraum zwischen Steinfliesen und Holz war gerade groß genug, dass es passte.
Kaum hatte der Ritter die Spitze der Nadel ein Stück vorangerückt, gab es einen Ruck und die gesamte, fast kinderhandlange Nadel schnellte in den Raum hinein, so als habe man sie von einer Bogensehne geschossen. Die Männer zuckten erschrocken zurück. Im Zimmer blieb es still.
Osse blickte zu Boden. Ein dünner Sandfilm quoll bereits wieder unter der Tür hervor.
„Hast du es?”, fragte Althopian dann zaghaft.
„Ja, Vater”, antwortete die Kinderstimme vergnügt. „Aber was ist das?”
Althopian schaute verwirrt. Osse fasste rasch nach ihm, bevor er etwas antworten konnte und legte den Finger an die Lippen.
„Selbst im Finsteren”, hauchte Altabete, „muss er es erkennen. Seiner Mutter halber.”
„Das ist nicht Merrit”, wisperte Osse.
Althopian nickte langsam. Er war nun bleicher als die Decke, die er eingehauen hatte.
„Andríer”, sagte er leise. „In meiner Stube liegt meine Börse. Es sind mindestens fünf Goldmünzen darin. Kümmere du dich um die Axt. Beeil dich! Und sag meinem teirand, was sich hier zuträgt.”
Der andere Ritter nickte.
„Und schaff die Kinder hier heraus.”
„Ist gut. Los, Emberbey! Steig runter! Ich …”
„Nein.”
Altabete stutzte. Osse erhob sich und senkte den Blick vor ihm. Ein offenes Widerwort stand ihm nicht an. Aber wenn der yarl ihn hier entfernen wollte, würde er ihn wohl davontragen müssen.
„Hast du etwa nicht gehört, Emberbey? Du …”
„Nein, Herr Andriér. Ich bleibe bei Herrn Waýreth. Falls er ein zweites Paar Hände benötigt, während Ihr fort seid.”
Altabete stöhnte verärgert. „Mächte!”, rief er aus, aber auf eine Diskussion wollte er sich wohl nicht einlassen. Er schob den Jungen aus dem Weg und kletterte die Stiege hinab. „Daap!”, hörten sie ihn rufen. „Komm mit! Wir haben … was macht ihr alle hier? Jándris! Ich sehe wohl nicht recht! Los, raus! Alle raus! Macht euch draußen nützlich. Wir haben was zu tun!”
Osse hörte nicht weiter auf den befehlsgewohnten Ritter, der die anderen Kinder die Treppe hinab scheuchte. Niemand schien zu protestieren. Das erleichterte ihn. Hier im Turm war irgendetwas ganz und gar nicht mehr in Ordnung. Das hatte er schon geahnt, als die ersten Mörtelbrocken eine Spur zu lange dafür benötigt hatten, von der Turmspitze zu Boden zu fallen.
Waýreth Althopian machte keine Anstalten, ihn zu vertreiben. Der Ritter kletterte wieder auf den Schemel auf dem Stuhl, griff nach dem Streithammer und zog sich dann an den freigelegten Balken hinauf. Ohne Osse weiter zu beachten, begann er, auf die Tonschindeln einzuhacken. Nun puderte bald roter Staub das blaue Hausgewand.
„Ihr wollt also doch aufs Dach klettern?”, fragte Osse.
„Ich kann nicht warten. “
„Ihr bringt Euch in Gefahr.”
„Mein Sohn ist in Gefahr. Es ist … etwas bei ihm da drinnen.”
Osse wartete einen Augenblick. Dann fragte er: „Und wenn das Dach auch versiegelt ist?”
„Dann habe ich immer noch Zeit, darüber nachzudenken.” Er hielt inne und schaute zu dem Jungen hinab. „Osse … ich weiß es hoch zu schätzen, welche Mühen ihr Kinder unternommen habt. Wenn die Mächte mir meinen Sohn wohlbehalten wieder zurückgeben, dann werde ich euch alle großzügig belohnen.”
„Was soll ich denn mit einer Belohnung?”, fragte Osse, verärgert das Althopian solch profane Einfälle hatte. „Ich will doch nur, dass ihm nichts Übles zustößt, da drinnen.”
Althopian lächelte müde. Dann holte er weit aus mit seinem Hammer, und das Dach über ihm zersprang in einen Scherbenregen.
***
Manjèv und ihre Eltern erreichten die Tür des Turmes gerade in dem Moment, in dem, Altabete, Grootplen und die Kinder hinaus wollten. Alsgör Emberbey fand sich umringt von all den Personen im Regen.
„Wo ist mein Sohn?”, fragte er.
„Euer Sohn, Emberbey, ist schon genau so ein Dickschädel, wie Ihr es seid”, antwortete Altabete. „Er bestand darauf, Althopian zur Hand zu gehen.”
„Wir haben eine Idee, wie die Tür aufgehen könnte”, erzählte Manjév aufgeregt.
„Mit Gold?”, fragte Tíjnje.
„Woher weißt du das?”
„Wissen wir schon lange”, winkte Láas gelangweilt ab und erntete dafür einen rügenden Knuff seines Vaters in den Rücken. In einem solchen Ton zur teirandanja zu reden, schickte sich nicht.
„Wir wollten es Euch erzählen”, fügte Jándris hinzu und wich vorausschauend der Hand seines Vaters aus. „Aber ihr seid ja dauernd vor uns weggelaufen.”
„Und nun?”, fragte Asgay von Spagor. Der teirand schien selbst etwas enttäuscht darüber, dass er seinen Schutzbefohlenen nichts Neues erzählen konnte.
„Vielleicht”, merkte Emberbey ruhig an, „möchtet Ihr Euch zunächst einmal hinein begeben? Der Regen wird immer stärker.”
Die teiranday und Manjév folgten seinem guten Rat. Nun standen sie zu neunt im Eingangsgeschoss, von wo die eine Treppe hinab in das Verlies und die Vorratsräume, die andere in die Höhe führte.
„Althopian ist nur noch ein paar Hammerschläge vom Dach entfernt”, erklärte Altabete. „Er hat mich losgeschickt, eine Axt mit Gold verstärken zu lassen.”
„Hat das Erfolgsaussichten?”
„Nicht weniger als alles andere, was wir versucht haben.”
„Und wenn er das Dach überwindet, was dann?”
„Dann dasselbe von oben ins Zimmer hinein. Mit oder ohne Goldaxt.”
Manjév schaute in die Höhe. Das Regenprasseln erschien ihr unbotmäßig laut, in Anbetracht dessen, wie hoch das Dach über ihnen war.
„Ich gehe zu ihnen”, entschied Manjév.
„Das kann ich nicht erlauben, Kind”, sagte Kíaná von Wijdlant.
„Ja, es ist viel zu gefährlich”, stimmt Tíjnje zu. „Und es ist gar kein Platz für so viele Leute dort oben, nicht wahr, Großvater?”
„Ich will nur kurz mit Osse reden”, behauptete die teirandanja. „Es ist wichtig!”
„Kind! Du ..”
„Bin gleich wieder da”, rief Manjév, schlüpfte an Grootplen vorbei und war im nächsten Moment auf der Steintreppe aufwärts.
„Ich hole sie zurück!” Asgaý von Spagor setzte seiner Tochter nach.
„Seid vorsichtig!”, rief die teiranda ihnen noch nach.
Im selben Moment durchschlug Althopian oben das Dach. Eine Windböe fuhr hinein und raste im Inneren des Turms hinab. Manjév spürte, wie der Wind an ihrem Haaren riss, aber sie dachte nur daran, ihrem Vater zu entwischen, bevor der sie aufhalten kommte. Feinster Sand schlug ihr ins Gesicht wie an windigen Tagen am Strand.
Der Wind erreichte den Fuß des Turmes, fuhr durch hinaus und schlug die schwere Holztür so fest zu, dass das Mauerwerk erbebte. Der Schall erfasste den Turm und brachte das alte Mauerwerk so heftig zum Vibrieren, dass ein Teil der alten Holzstiege aus der Verankerung gerissen wurde und in die Tiefe polterte, um Haaresbreite an den Kindern und ihren Eltern unten im Turm vorbei. Das Getöse war ohrenbetäubend und schien aus einem Abgrund hervor zu schallen.
Manjèvs Herz klopfte, als wolle es zerspringen. Mit beiden Händen klammerte das Mädchen sich an dem hölzernen Handlauf fest und wimmerte leise. Ihr rechter Fuß stand fest auf der Stufe, der linke schwebte über der düsteren Tiefe. Sie zitterte am ganzen Leib.
„Manjév?”, rief Asgaý von Spagor entsetzt aus. Der teirand hatte noch auf dem steinernen Teil der Treppe gestanden, war dort gestürzt und hatte sich schmerzhaft die Knie gestoßen.
„Manjév!”, rief nun auch die teiranda, ihre Stimme schrillte über das Stimmengewirr der Männer und der Kinder hinweg. Tíjnje hatte vor Angst laut gekreischt.
„Ich … es ist alles gut”, rief Manjév und wagte einen vorsichtigen Blick in die Tiefe. Dort unten standen sie und blickten bang zu ihr nach oben, sie erahnte ihre Gesichter in der schlechten Beleuchtung nur. Dann zog sie vorsichtig den Fuß auf die Holztreppe. „Es ist alles gut.”
„Was bei den Mächten war das?”, rief Láas aus.
„Manjév!” Kíaná von Wijdlant versuchte, in die Höhe zu spähen, wo ihre Tochter sich an der Treppe festklammerte. Zwischen dem Kind und dessen Vater klafften mehrere Mannslängen Nichts.
Oben im Turm polterte es. In schwindelnder Höhe erschien eine fahle Gestalt, was Tíjnje erneut aufquietschen ließ.
„Althopian! Vorsicht!” Asgaý von Spagor rappelte sich hoch. „Die Stiege! Es ist ein Stück herausgebrochen!”
„Was war das für ein Windstoß?”
„Ein Windstoß? Das Weltenspiel ist erbet, das trifft es!”
„Mama”, wisperte Manjév. „Papa …”
„Keine Angst, Manjév!” Der teirand versuchte, fröhlich zu klingen und verschluckte sich dabei. „Es kann dir gar nichts passieren!”
„Alles wackelt!”
„Manjév, Liebes! Kannst du weiter hinauf steigen?”
„Nein”, wimmerte das Kind.
„Versucht es, Majestät!” Das war Emberbeys gestrenge Stimme. „Geht hinauf zu Herrn Waýreth!”
„Ich kann nicht …”
„Mach das, Manjév!” Jándris verrenkte sich ebenfalls, um in die Höhe zu blicken. „Der Teil der Treppe, wo du stehst, hängt nicht mehr richtig an der Wand fest.”
„Idiot!”, schnauzte Láas gedämpft und schubste seinen Freund.
„Versucht es, Majestät!”, schloss sich Altabete an. „Oben seid Ihr auf sicherem Boden.”
„Wir lassen uns etwas einfallen, um die Treppe zu sichern”, versprach Grootplen. „Geht Ihr nur rasch auf festen Grund!”
„Ich hab Angst!”, brachte Manjév wimmernd hervor.
„Bleibt ruhig, Majestät”, rief die fahle Gestalt von oben und betrat die Treppe, die leise unter seinem Schritt knackte. „Ich komme zu Euch hinab und werde Euch tragen.”
„Nein!” Manjév schüttelte vehement den Kopf. „Bleibt oben! Ihr seid zu schwer!”
„Ich? Zu schwer?” Althopian Stimme klang wesentlich besonnener als die des Vaters. „Ich habe nicht einmal mein Eisenzeug am Leib, Herrin. Vertraut mir! Eine Stufe, die mich trägt, bewältigt Ihr auch. Habt Ihr die Geduld, auf mich zu warten?”
Sie nickte verängstigt. Althopian neigte sich über das Geländer und suchte den Blick seines Herrn. Asgaý von Spagor hob beschwörend die Hand. Der Ritter setzte sich achtsam in Bewegung.
„Ich hole Hilfe”, verkündete Láas in die Runde. „Und bei der Gelegenheit bringe ich Tíjnje rauf zur opayra.”
„Geh nur, Sohn,” stimmte Grootplen zu, ohne hinzuschauen. Zu gefesselt war er davon, wie Althopian bedacht Stufe um Stufe zu der angsterstarrten teirandanja hinab stieg.
„Komm!” Er zog das still verängstigte kleine Mädchen hinüber zur Tür und zog an der Klinke.
Und zog noch einmal. Ließ Tíjnje los und rüttelte mit beiden Händen daran. Dann wandte er sich um und yarl Altabete zu, der ebenfalls in die Höhe starrte.
„Herr Andríer”, wisperte er und zupfte den Ritter am Gewand.
„Was?”
Láas fasste sich ein Herz und sprach er aus, wohl wissend, wie bizarr es klingen würde.
„Ich fürchte, wir brauchen Eure Axt.”
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