
Das silbrige Licht glomm um mich herum, es pulsierte, atmete, schoss mich ein. Es war unglaublich schön.
Ich saß auf dem Thron des Großmeisters, allerdings nicht würdevoll und aufrecht, wie es an diesem Ort angemessen gewesen wär. Ich hatte die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen, quer zur Sitzfläche zwischen Rücken- und Armlehne und hatte den Kopf müde angelehnt. Wären die Sitzkissen etwas weicher gewesen und ich hätte eine Kuscheldecke gehabt, ich wäre vermutlich eingeschlummert.
Ich fühlte mich unfassbar müde und leer. Aber diesmal was die Leere angenehm. Es war eine große körperlich und geistige Erschöpfung, aber sie resultierte daraus, dass ich etwas unfassbar Anstrengendes getan und vollendet hatte. Vielleicht fühlte sich so ein Athlet, der mit dem letzten Rest seiner Kraft einen Wettkampf gewonnen hatte. Ich weiß es nicht. Ich hatte nie sportliche Ambitionen gehabt.
Es war mir gelungen. Nun würde alles sich zum Guten werden. Ganz bestimmt.
Meine lächerliche Harfe aus Silber, Holz und magischen Violinsaiten hielt ich immer noch in der Hand. Der Gedanke, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, damit über diese große Entfernung Kontakt zu Yalomiro aufzubauen, erschien mir immer noch unfassbar. Es war so absurd, dass ich es einerseits nicht wirklich glauben konnte, zugleich war ich überwältigt, noch nicht bereit zu erfassen,dass ich es vollbracht hatte.
Als ich mich in der Halle niedergelassen und mit viel Ernst und Sorgfalt den wackeligem Schutz gezaubert hatte, hatten mich im letzten Moment Zweifel gepackt. Während ich das Lichtgewebe an die dafür vorgesehenen Punkte lenkte, waren mir absurde Gedanken durch den Sinn gezuckt. Was tat ich hier?
Meinen ursprünglichen, meinen alten Namen, den hatte ich nie vergessen. Ich hatte einst ein langweiliges, missmutiges, deprimierendes Leben gelebt und mich auf eine monotone Tätigkeit in einem Bürojob eingestellt.
Jetzt saß ich hier mit der Verantwortung über das Heiligtum einer mystischen Wesenheit, während mein Kind von einem mysteriösen Ritter auf einem fliegenden Einhorn entführt war und ein anderer in einem magischen Koma draußen im Wald lag. Ich versuchte, mit einer Art Eierschneider einen mächtigen Magier zu kontaktieren, als sei es ein Telefon. Bei den Mächten, das war alles so surreal. So wirr und unglaubwürdig. Niemals würde mir jemand diese Geschichte abnehmen!
Merkwürdigerweise glückte mir das Zaubergewebe besser als je zuvor. Es war nicht perfekt, aber es brach auch nicht gleich zusammen. Als das erste Mondlicht durch die Kuppelöffnung fiel, hatte ich meine Harfe zur Hand und all meinen Willen zusammengenommen und begonnen, die Saiten zu zupfen. Groß nachgedacht hatte ich nicht, dazu kam ich gar nicht. Alles ging plötzlich wie von selbst. Zu viele Details hätten abgelenkt. Damit es funktionierte, musste es massiv sein. Und so fokussierte ich nur diesen einen Gedanken und rückte ihn in den Fluss dessen, was ich mir als Magie vorstellen wollte. Dýamirée …
Und die Saiten antworteten. Ganz plötzlich. Etwas anderes, etwas von außerhalb des Etaímalon nahm eine Verbindung auf. Und dann hörte ich ihn. Ich hörte ihn auf seiner magischen Geige spielen, so als stünde er neben mir. Die lächerliche Mogel-Harfe veränderte ihren Klang. Aus dem dissonanten Plinken und Schnarren wurden strukturierte Töne, eine Melodie, volle, warme, streichende Klänge.
Er war bei mir.
Und dann veränderte sich mit dem Klang auch das Schutzgewebe. Was vorher noch kraftlos und nachlässig ausgesehen hatte, wie ein durchhängendes Netz, straffte sich, wurde stabil, geometrisch, eine Gitterstruktur um mich und den Thron herum. Wo sich Magie kreuzte, pulsierte sie im Rhythmus, anfangs hektisch und schnell. Aber je länger ich hinschaute, desto ruhiger und gleichmäßiger wurde das Blinken, wurde von offensichtlichen Entladungen von Magie zu einem milden, organischen Schimmern.
Ich berührte die Saiten. Sie waren nun trocken und kalt. Aber ganz offensichtlich war von ihnen Magie auf den Schutz übergesprungen. Yalomiro war bei mir. Bald würde er tatsächlich vor mir stehen.
Ich schloss die Augen und schmiegte mich an die Lehne. Wie lange würde er brauchen, bis er hier war? Er würde sich nicht herbeizaubern können, das stand fest. Vor langer, langer Zeit, als diese ganze Welt noch so neu und fremd für mich gewesen war, hatte ich ihn einmal gefragt, ob Magier nicht teleportieren, sich also von einem Ort zum anderen zaubern können. Ob das nicht ein bisschen zu einfach wäre, hatte er gefragt und allein die Vorstellung recht amüsant gefunden.
Schade.
Wahrscheinlich würde er durch die Schatten gehen. In Noktámas Domäne konnten Schattensänger sich ungehindert an der Wirklichkeit vorbeibewegen und auf diese Weise lange Wege erheblich abkürzen. Die Dunkelheit hob räumliche Entfernungen jedoch nicht gänzlich auf, und so würde ich eine Weile auf ihn warten müssen.
Zehn Tage? Fünf? Drei?
Als wir damals von Wijdlant aus durch die Schatten direkt zum Boscargén gelaufen waren, hatte ich keine Zeit empfunden. Zeit verging in Noktámas Domäne auf eine andere Weise als in der Wirklichkeit. Möglicherweise waren Tage verstrichen und meinem inneren Zeitempfinden wie wenige Stunden vorgekommen. Das alles war sehr verwirrend.
Aber wie lange ich auch auf ihn warten musste – er würde kommen. So schnell wie möglich würde er wieder hier in der Halle stehen. Dann würde ich ihm beichten müssen, was geschehen war. Dass ich es zugelassen hatte, dass Dýamirée entführt worden war. Würde er mir deswegen Vorwürfe machen?
Und wenn schon. Geschah mir das etwas nicht recht? Hätte ich nicht noch besser auf Dýamirée aufpassen, meine Pflichten noch ernster nehmen müssen? Hätte ich sie nicht verteidigen können?
Ich drehte die Saitenharfe in den Händen. Ich musste mir nichts vormachen. Mit meinen Gewissensbissen lag ich richtig. Sicher, ich würde es kaum ertragen können, wenn er wütend auf mich war. Yalomiro war niemals verärgert oder ungehalten, nicht mir gegenüber. In all den Jahren, die wir nun miteinander verbracht hatten, hatten wir nicht ein einziges Mal ernsthaft miteinander gestritten. Wir waren natürlich nicht immer einer Meinung, aber dennoch war es mir immer so vorgekommen, als herrsche zwischen uns eine emotionale Einheit, über jede Verunsicherung, über jede Eintrübung erhaben. Ich hatte bislang nie Angst gehabt, dass Yalomiro zornig auf mich sein könnte. Das war etwas, was ich niemals hätte ertragen könnte.
Aber selbst, wenn er seine berechtige Wut für den Moment beherrschte – was sollte dann werden? Der Regenbogenritter hatte gesagt, er würde Dýamirée nach Aurópéa bringen, dort, wo sie ihr Heiligtum hatten. Wie wollte Yalomiro sie von dort zurückholen? Aurópéa war am anderen Ende der Welt! Vermutlich war der Cielástel ebenso gut geschützt gegen Eindringlinge, wie der Etaímalon. Es war nicht zu erwarten, dass dort im Süden ebenfalls jemand Unfähiges wie ich herumpfuschte.
Und: Die arcaval’ay waren in der Überzahl. Yalomiro müsste allein einer Übermacht von Magiern gegenübertreten, über deren Kräfte und Fähigkeiten ich praktisch nichts wusste und somit nicht einschätzen konnte. Welche Möglichkeiten hatte er, gegen sie zu kämpfen?
Kämpfen? Wer sagte, dass er kämpfen musste? Ich rief mir den Anblick des arcaval’ay wieder ins Gedächtnis. Dachte man sich das furchterregend gefährlich-schöne Einhorn weg, blieb ein Mann in einer Goldrüstung, der sicherlich mit seinem Schwert gut umgehen konnte. Ein Krieger.
Schattensänger kämpften unbewaffnet. Ich war mir ziemlich sicher, dass Yalomiro gar nicht gewusst hatte, wie man halbwegs professionell mit einem Schwert kämpfte. Wozu auch? Das war im Weltenspiel die Aufgabe anderer Leute.
Hatte er eine Chance gegen die arcaval’ay, wenn sie es darauf anlegten, ihn herauszufordern? Die Verachtung, die Feindseligkeit in den Worten des Regenbogenritters war offensichtlich gewesen.
Einmal hatte ich mitansehen müssen, wie ein Magier von einer Überzahl an Kämpfern niedergemetzelt wurde. Einer Übermacht unkundiger Menschen, wohlgemerkt. Noch heute wünschte ich mir, niemals Zeugin des blutigen Endes von Gor Lucegath gewesen zu sein.
Wie ich es auch drehte und überdachte: Yalomiro wäre chancenlos, wenn er einfach am Cielástel auftauchte und die Herausgabe seiner Tochter verlangte. Andererseits … offensichtlich war der Regenbogenritter bereit, zu verhandeln und Dýamirée gegen irgendetwas auszulösen. Was konnte das sein? Was gab es im Etaímalon, das diesen merkwürdigen Cýelú Irísolor ursprünglich hierher geführt hatte? Und warum jetzt erst? Angenommen, die arcaval’ay hätten damals bemerkt, dass die camat’ay verschwunden waren. Sicher wäre ihnen das gelegen gekommen. Aber sie konnten nicht übersehen haben, dass der Boscargén wieder zum Leben erwacht, dass mindestens ein camat’ay zurückgekehrt war. Wieso hatten sie sich so lange Zeit gelassen, um ihn, aus welchem Beweggrund auch immer, herauszufordern?
Und wieso geschah es, so kurz nachdem jenseits des Montazíel die teiranda wähnte, eine Regung des Widerwesens gespürt zu haben? Gab es eine Verbindung zwischen alledem, oder sah ich Gespenster?
Ich streichelte die Saiten, die nun verstummt waren. Die Magie war aus ihnen herausgesprungen und saß nun im Gespinst um mich herum. Es pulste und glomm, etwa als sähe ich einen Herzschlag und beobachtete einen Kreislauf um mich herum, nicht wie Blut, sondern wie Magie, die in Adern floss. Yalomiros maghiscal war nun so nahe bei mir, wie es unter den gegebenen Umständen nur ging. Ich kauerte mich zusammen und umschlang die Harfe fest mit beiden Armen.
Es war fast, als hielte er mich im Arm.
**
Die hoch lodernden Flammen erhellten die zwischenzeitlich tiefdunkle Nacht, das trockene Holz knisterte und prasselte beeindruckend laut. Die panischen Rufe der Tiere, die in dem verlassenen Obsthain gelebt hatten, waren einer gespenstischen Stille gewichen. Hauptsächlich waren es Vögel gewesen, die in Panik aufgeflattert waren und sich rasch in Sicherheit gebracht hatten. Ein einzelner Prachtvogel war noch einige Zeit über dem Feuer am Nachthimmel gekreist und hatte seine dröhnenden Fanfarenrufe triumphierend in die Dunkelheit getrötet.
Úldaise war nicht mehr allein. Natürlich hatten das Feuer, das zwischenzeitlich den ganzen Hügel ergriffen hatte, die Obstbauern und andere Menschen angelockt, die in der Nähe in ihren kleinen Häusern am Rande der Gärten lebten, etwa zwei Dutzend Männer, Frauen und eine Handvoll Kinder. Tuschelnd standen sie in Grüppchen zusammen und beobachteten argwöhnisch die Zerstörung, die sich da vor ihren Augen abspielte. Den Mächten sei Dank, so drang es ab und zu aus ihren Worten heraus, kam in dieser Nacht wenig Wind aus der Wüste, sodass kein weiter Funkenflug zu erwarten war. Abgesehen davon würde es bald vorbei sein und sie würden wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Die Kinder waren fasziniert von dem lodernden Feuer.
Úldaise hatte noch überlegt, ob er an Ort und Stelle oder besser im Verborgenen warten sollte. Er hatte sich zum Bleiben entschieden. Es wäre besser, im Auge zu behalten, was nun geschah.
Wie hatte er nur auf den Gedanken kommen können, die beiden Idioten würden ein einziges Mal etwas schnell, diskret und richtig machen? Gut, im Prinzip hatten sie Erfolg gehabt und den báchorkor mit dem Feuer aus seinem Versteck gescheucht. Nun aber blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gewährleisten, dass hier alles seine Ordnung hatte.
Die Obstbauern hatten Úldaise erkannt, wunderten sich sichtlich über seine Anwesenheit zu dieser Zeit, aber niemand wagte es, ihn darauf anzusprechen, Dagegen schmeichelten sie sich an, bekundeten in großen Worten ihr Erschrecken und Bedauern über das große Unglück. Es war kein Geheimnis, dass ihm der Hügel gehörte und er ihn hatte verwahrlosen lassen. Aber nie hatte einer von ihnen laut ein kritisches Wort dazu gesagt.
Úldaise bemühte sich, angemessen zu antworten. Was kümmerten ihn die paar Bäume und Büsche, die da ein Raub der Flammen wurden? Das war ein kleiner Preis angesichts dessen, dass der báchorkor nicht nur wieder in seiner Gewalt war, sondern auch alles bestätigt hatte, was Úldaise dem Geist des jungen Mannes nicht hatte entreißen können. Ganz einfach deswegen, weil sein Opfer keine Vorstellung davon hatte, was er tatsächlich war. Nun … vielleicht war er dem Rätsel zwischenzeitlich etwas näher gekommen.
Ja, ein großes Unglück sei es, bestätigte er den kriecherischen Obstpächtern. Gerade am Vorabend habe er mit seinen Knechten seinen Garten besichtigt. Große Pläne hatte er gehabt, wollte den Garten aufräumen und endlich wieder angemessen pflegen und bepflanzen, vielleicht mit süßen Samtäpfeln; er habe von einer neuen Sorte gehört, die Gärtner in Ivaál gezüchtet hatten und die resistenter gegen die Trockenheit waren.
Das zu behaupten hatte die Leute schnell auf andere Gedanken gebracht. Samtäpfel waren in Aurópéa sehr teuer und begehrt, da sie hier kaum gediehen und sich praktisch nicht importieren ließen, da sie schnell verdarben, sobald sie gepflückt wurden. Úldaise konnte das edle Obst nicht ausstehen. Die blassgrüne, leicht pelzige Schale, die köstlichstes, saftiges Fruchtfleisch schützte, sah stets aus wie verschimmelt.
Die ersten Obstbauern jedenfalls interessierten sich bald schon nicht mehr für das Feuer, sondern zogen in Erwägung, ebenfalls ins Samtapfelgeschäft einzusteigen.
Ein einziger wunderte sich, warum der Greis ganz allein war. Seinen Knechte, fachte Úldaise die Phantasie der Leute an, war es gelungen, eine zwielichtige Gestalt zu überwältigen, die sich im Garten umhergeschlichen und sicher etwas mit dem Feuer zu tun hatte. Sie brachten den Mann gerade nach Aurópéa, wo man ihn verhören und sicher Einzelheiten über den Vorfall herausfinden würde. Und dann, setzte der Alte bedeutungsvoll hinzu, mochten die Mächte dem Kerl gnädig sein, denn er selber wäre es nicht.
Es war besser, sehr dicht bei der Wahrheit zu blieben. Das, was er den Bauern erzählte, durfte dem, was morgen in Aurópéa geschehen würde, nicht allzu sehr widersprechen. Niemand von ihnen würde die ganze Wahrheit und alle Details erfahren, aber am Ende musste sich das, was die Uneingeweihten zusammenreimten, zu einer großen, schlüssigen Geschichte vermengen.
Die arcaval’ay wurden zu misstrauisch. Wenn Elosál ihn danach fragte, musste er etwas erzählen, was zu dem passte, was in der Stadt daraus gemacht wurde.
Úldaise seufzte. Lästigerweise war da auch noch Saháalír. Dem musste er den báchorkor vorführen, um die Sache zu einem sauberen Ende zu bringen. Wenn der Älteste des konsej auf Umwegen erfuhr, was geschehen war, würde es nur lästige Nachfragen, Vorwürfe, vielleicht auch Misstrauen geben, das die Sache nur unnötig verkomplizieren würde.
Dass der báchorkor den beiden Trotteln aus den Fesseln entkam, war diesmal ausgeschlossen. Unter den Augen der Stadtwache, in der Zelle mitten auf dem Marktplatz, konnte der junge Mann nicht entkommen. Der Stachelknebel, den er ihm gestern Vormittag eigenhändig angelegt hatte, ursprünglich in einem puren Anflug von boshaftem Humor, hatte den Kerl auf Tage hinaus wirkungsvoll zum Schweigen gebracht. Ganz offensichtlich waren die Mächte mit ihm, dachte Úldaise grimmig. Um dem Geschichtenerzähler vorsorglich offiziell die Zunge ausbrennen zu lassen, hätte er eine sehr gute Begründung gebraucht.
Úldaise schaute gedankenlos auf seinen brennenden Obstgarten. Das trockene Holz loderte heiß und ausdauernd, kein Wunder, denn auch wenn sie kaum noch fruchteten, enthielten die, die Ölobst getragen hatten, in ihrem Holz Substanzen, die es lange und gehaltvoll lodern ließen. Der alte Mann betrachtete gedankenverloren einen Olivenbaum, klein, knorrig und lächerlich gegenüber denen dort, wo einst sei Zuhause gewesen war. Das Gewächs stand nahe am Rand des Gartens. Sein Stamm verkohlte im Feuer langsam, während die Krone knisternd zusammenschrumpfte. Úldaise lächelte und hing einen Augenblick seinen Gedanken nach.
Keiner der Anwesenden versuchte, zu löschen, die Flammen zu ersticken, irgendetwas zu tun, um Teile des Gartens noch zu retten. Das war nicht nötig. Sie mussten nur einen Moment warten, dann würden andere das Problem lösen. So eine Feuersbrunst ereignete sich schließlich nicht zum ersten Mal.
Und tatsächlich dauerte es nicht lange und von Westen rauschten schwere Flügelschläge heran. Die Menschen schauten hin, zeigten auf die dunklen Flecken am Nachthimmel. Je näher sie dem Feuerschein kamen, blitzte ab und zu ein goldener Lichtreflex auf, der ein Metallteil des Rüstzeugs traf. Dann landeten die Regenbogenritter ihre gehörnten Rösser in angemessener Entfernung von den versammelten Menschen und saßen ab. Vier waren gekommen, der Blaue, der Grüne, der Violette und der Orangenfarbene.
Warum bei den Mächten hatten sie das Kind dabei?
Advon Irísolor war im Sattel des Orangenen mitgeritten und so nachlässig gekleidet, als habe er sich nur rasch eine Hose angezogen und sein Nachthemd unter der Saum gestopft. Die Augen der Knaben spiegelten eine wunderliche Mischung aus Erregung über die Naturgewalt der Flammen und entsetztem Bedauern angesichts der Zerstörung.
Der violette arcaval’ay schien in dieser Nacht der Anführer zu sein, denn während die drei anderen ohne weiteres Zögern in den brennenden Garten hinein gingen, wandte der Ritter sich mit fragendem Blick an die nun schweigende Menge. Da viele Úldaise zugewandt waren, beschloss der arcaval’ay, der Alte sei wohl der am meisten Betroffene des Unglücks und ging zielstrebig auf ihn zu. Der Junge schloss sich ihm an, obwohl ihm anzusehen war, wie dringend ihn das Feuer interessierte.
„Ist das Euer Garten?”, fragte der Violette und nickte Úldaise grüßend zu.
„Ja, ich bin der Besitzer”, entgegnete Úldaise und versuchte, den überraschten Blick des Knabes, am besten das ganze Kind zu ignorieren. Offenbar erinnerte das Balg sich an die Begegnung vom Nachmittag.
„Was ist passiert?”
„Ich weiß es noch nicht. Es wurde eine verdächtige Person ergriffen, die möglicherweise den Brand gelegt hat.”
„Gut.” Der Violette legte Advon die Hand auf die Schulter. „Wir werden uns um das Übrige kümmern.” Und zu den Umstehenden: „Geht zurück in eure Häuser. Es gibt nichts, wobei ihr uns helfen könntet.”
Die Menge zerstreute sich. Mehr Ermahnung war nicht nötig. Mit den Regenbogenrittern zu reden oder allzu nahe bei ihnen zu sein war nichts, worauf die Leute Wert legten. Außerdem würde es hier bald nichts Aufregendes mehr zu sehen geben. Sie trollten sich unter Gemurmel, in dem sich Erleichterung und Missfallen die Waage hielten.
„Ihr bleibt hier?”, fragte der Ritter.
„Ich warte auf meine Diener. Sie bringen den Verdächtigen nach Aurópéa und kommen danach mit meiner Sänfte oder einem Pferd zurück.” Auf den fragenden Blick des arcaval’ay fügte er hinzu: „Ich bin sinor Úldaise Tiáramalé, Jüngster des konsej.”
„Ich verstehe”, sagte er arcaval’ay reserviert. „Nun, sinor Úldaise, wenn Ihr einige Augenblicke Geduld habt, werden wir Euch verraten können, was diese Feuersbrunst entfacht hat. Das mag Euren Verdächtigen entlasten oder sein Zutun beweisen.”
„Ich denke, die Sachlage ist klar.”
„Wartet trotzdem, was wir finden.”
„Natürlich.”
Dem Jungen brannte eine Frage auf der Zunge, und er zwar nicht aus oberflächlicher Neugier.
„Wenn der Mann das Feuer gelegt hat”, fragte er mit unüberhörbarer Harmlosigkeit, „was passiert dann mit ihm?”
„Nun, mein Kleiner”, antwortete Úldaise freundlich, „dann bringen wir ihn ganz weit fort, an einen Ort, von dem aus er redlichen und rechtschaffenen Menschen nicht mehr schaden kann.”
„In die Wüste?”
„Advon!”, mahnte der Ritter ruhig.
„In die Wüste”, bestätigte der sinor zuckersüß. „Für den Rest seines Lebens.”
„Nun, vielleicht klärte sich die Sache auf und der Mann ist nur am falschen Ort zur falschen Zeit gewesen. Wir werden nicht lange brauchen. Komm mit, Advon, aber bleib nahe bei mir, solange es noch brennt. Feuer ist heiß.”
„Natürlich”, sagte der Junge ungeduldig. „Schnell, bevor es vorbei ist!”
„Warum bringt ihr ein Kind mit?”, fragte Úldaise, als der Ritter sich abwenden wollte.
„Warum nicht? Es gibt Dinge, die er zumindest in der Theorie kennengelernt haben sollte.”
„So”, sagte Úldaise spöttisch. „Theorie.”
„Komm schon”, quengelte Advon. „Sonst ist das Feuer aus!”
Der Regenbogenritter lächelte entschuldigend, wieder dieses unerträgliche, arrogante Lächeln auf einem viel zu ebenmäßigen Gesicht ohne Alter und Geschlecht, das in Úldaise dieses Unbehagen weckte. Die arcaval’ay waren keine Menschen, genauso wenig wie die fajíae es gewesen waren. Was nur hatte Pataghíu sich dabei gedacht, solche Wesen zu seinen Geweihten zu machen?
Der Ritter folgte Advon, der ungeduldig in den brennenden Garten voranlief. Allzu viel Eile hatte er dabei nicht. Der sinor runzelte missbilligend die Stirn. Gern wäre er den Magiern in gebührendem Abstand nachgegangen, nur zur Sicherheit.
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