
Die Hitze war atemberaubend und das Knistern und Knacken der Flammen klang fast schmerzhaft in Advons Ohren. Aber dieses nächtliche Abenteuer war so aufregend!
Kaum hatte der Rote, der heute Nacht an der Reihe gewesen war, die Nachtwache zu halten, den Brand auf dem entfernten Hügel bemerkt, hatte Advon diese verlockende Chance genutzt. Er war noch wach gewesen, Elosál hatte ihm schöne Geschichten von den Farbenklängen des Frühlings und den Liedern der Sonne erzählt, als der aufmerksame Magier Alarm schlug. Advon hatte seine Mutter flehentlich gebeten, mit den Rittern ausfliegen zu dürfen. Es sei doch etwas ganz anderes, die Kunst der arcaval’ay in einem echten Ernstfall anzuschauen, nicht an Kerzenflammen oder Küchenfeuern.
Sie hatte es ihm erlaubt, konnte seinem Flehen um ein aufregendes Erlebnis nicht widerstehen. Er hatte ihr bei Pataghiú und dem Hellen Tag versprechen müssen, sich gebührlich zu betragen und den Rittern nicht im Weg herumzulaufen. Und nun war er hier, stand inmitten des wilden Feuers, es loderte links und rechts und hatte eine solche Gewalt, dass Advon von Ehrfurcht ergriffen war. Angst hatte er nicht.
Ob die Ritter es noch ähnlich empfanden? Oder war in der undenkbar langen Zeit das Feuer zu ihrem Alltag geworden?
Immer, wenn in Sichtweite des Cielástel ein unkontrollierter Brand ausbrach, zogen die Regenbogenritter aus, um ihn zu löschen. Wenn einer von ihnen es tat, brachten sich keine Menschen in Gefahr, und es ging viel schneller als wenn die Unkundigen erst mühsam wertvolles Wasser in ausreichender Menge herbeischaffen mussten. Die Regenbogenritter reagierten immer schnell und besonnen, denn in der heißen, trockenen Gegend breiteten sich Brände schnell aus. Nicht auszudenken, wenn einer auf Aurópéa übersprang oder in der Stadt selbst außer Kontrolle geriet.
Advon folgte dem orangenfarbenen Regenbogenritter, der suchend zwischen den Flammen einherschritt. Die vier gingen in mehreren Mannslängen Abstand zueinander und betrachteten prüfend das Feuer ringsum.
„Hier”, sagte der Grüne und trat auf etwas zu von dem nur noch ein verworrenes Netz schwarzer Äste und Zweige übrig war, die glommen wie Kerzendochte. „Hier ist es ausgebrochen.”
Er pflückte die Herzflamme und zerdrückte sie in der Faust. Augenblicklich verlosch der Busch, nicht aber das übrige Feuer.
„Das war nur ein Ableger”, erklärte der der Violette auf Advons fragenden Blick. „Das ursprüngliche Feuer, die Quelle, muss woanders sein. Suchen wir weiter.”
Sie teilten sich auf. Advon blieb bei dem Orangenen und dem Grünen, der Violette und der Blaue taten sich zusammen. Sie schritten in entgegengesetzter Richtung los und umrundeten den Hügel, immer etwas höher hinauf.
„Was ist ein Ableger?”, fragte Advon.
„Wenn ein Feuer entzündet wird, hat es ein Herz. Nimmst du etwas davon weg und trägst es an einen anderen Ort weiter, bildet sich ein weiteres Herz. Wir müssen das ursprüngliche Feuer finden, um alle Herzen zu löschen, die es am Leben hält.”
Advon stapfte ihnen nach. „Da hat aber jemand das Feuer ziemlich weit getragen.”
„Dann hat der sinor wohl Recht. Das sieht nach willentlicher Brandstiftung aus.”
„Warum sollte jemand so etwas tun?”
„Vielleicht, um sich zu rächen. In der Stadt haben die Leute Angst vor ihm. Vielleicht war er schlecht zu jemandem.” Advon fand diesen Gedanken vollkommen naheliegend.
„Sie werden es wohl herausfinden. Vielleicht erzählt der alte Unkundige es der Meisterin morgen.”
Advon zögerte. Im Vorbeigehen hatte er aus den Augenwinkeln im Dunkeln hinter den tänzelnden Flammen am Hang etwas entdeckt. Der Junge verlangsamte seine Schritte, ließ sich hinter den Rittern zurückfallen und lief ein paar Schritte beiseite. Hinter einem qualmendem Baumgerippe, das dem Feuer keine Nahrung mehr bot, war eine Öffnung im schroff aufragenden Fels.
„Advon?”
„Ich komme gleich! Hier ist was!”
Der Grüne sagte etwas zu seinem Gefährten, das der Junge offenbar nicht hören sollte und war kurz darauf wieder bei ihm.
„Du darfst nicht zu weit von uns weggehen. Das Feuer kann dich verletzen! Du bist nicht gegen Flammen gefeit, so wie wir es sind.”
„Ja, ich weiß. Aber schau mal, hier! Da ist ein Loch im Felsen.”
„Eine Höhle. Davon gibt es in den Hügeln mehr als eine. Komm jetzt weiter.”
„Darf ich mal reingucken?”
„Advon! Dafür haben wir keine Zeit!”
„Ganz kurz nur.”
Der Grüne schaute sich um. Der Orangene war langsam weitergegangen.
„Ganz kurz”, sagte er gutmütig, beschwor ein Licht und leuchtete den Höhleneingang aus. Advon grinste und krabbelte vorsichtig mit dem Oberkörper hinein.
„Oh!”, rief er dann aus. „Das geht aber steil runter!”
„Runter?”
Advon staunte. Das goldene Licht schwebte über einem steilen Felsabsturz. Der glatte Stein war … getupft. An allen möglichen Stellen war versprengtes Gold im Stein sichtbar. Es sah lustig aus, wie das Fell einer wilden Sandkatze.
„Sowas habe ich noch nie gesehen”, staunte er. „Oh! Da unten ist Wasser. Der Hügel ist innen ganz hohl, und …”
Er fühlte sich beiseite geschoben. Der Grüne streckte sich neben ihm in die Höhle. Er schaute sich um, und in seine goldenen Augen trat ein beunruhigter Ausdruck.
„Magie”, flüsterte er, mehr zu sich selbst.
Advon setzte sich überrascht auf. „Magie?”
Der Ritter ließ seine Blicke über den Grund unter ihnen und die fleckige Felswand gleiten. Dann zog er sich wieder aus der Höhle zurück. „Komm, Advon. Das Feuer ist jetzt wichtiger. Die Höhle läuft nicht weg.”
„Aber …”
Der Junge fühlte sich nachdrücklich an der Schulter gepackt und aus dem Felsspalt herausgezogen. Seufzend rappelte er sich hoch und folgte seinem Begleiter.
„Ist die Magie in der Höhle gefährlich?”, fragte er und bemühte sich, Schritt zu halten. Der Grüne hatte es plötzlich sehr eilig.
„Nein, sie ist kaum wahrnehmbar. Aber es war niemand von uns.”
Advons blieb verwirrt stehen. „Aber … wer denn dann?”
„Ich weiß es nicht.” Der Grüne lächelte, als sei die Entdeckung nebensächlich.. „Wir müssen es in Ruhe prüfen.”
„Aber wenn es niemand von euch war, wer …”
„Advon, die Magie in der Höhle ist … alt. Wirklich alt. Alt und … abgestanden. Wir werden uns die Sache anschauen, wenn es hell ist und das Feuer hier gelöscht. Wer oder was auch immer es war, es ist lange Zeit vergangen.”
„Wie aufregend!”
„Hier!”, klang es da von der anderen Seite der Hügelkuppe. „Hier ist das Herzfeuer!”
Sie rannten los. Der Orangene hatte die Quelle des Brandes gefunden und versammelte die anderen um sich.
„Ein Lagerfeuer”, sagte der Blaue und pflückte die Flamme. Schlagartig wurde es dunkel auf dem Hügel. Die Feuersbrunst verschwand und hinterließ nichts als nachqualmende Rauchfäden.
Der Violette beschwor ein Licht und beugte sich hinab. „Das ist schlampig angelegt, aber die Flammen sind von hier nicht weggesprungen.”
„Also unzweifelhaft Brandstiftung. Keine Signatur?”
„Das wäre ein Witz, nicht wahr?” Der Orangene lachte, aber sicherheitshalber schauten sie doch, ob einer der Randsteine mit einem Hinweis auf den Besitzer versehen war, wie es eigentlich Pflicht war. Natürlich hatte sich jemand nicht daran gehalten.
„Ich denke nicht, dass es eine Brandstiftung war”, ließ der Violette sich hören. „Wozu dafür ein befestigtes Feuer? Etwas viel Mühe, scheint mir.”
„Und was dann?”
„Keine Ahnung. Ein Missgeschick, eine Verkettung dummer Umstände. Wenn der Gefangene, den sie gemacht haben, etwas darüber weiß, werden sie es wohl aus ihm herausbekommen.”
„Und wenn er gar nichts damit zu tun hat?”, fragte Advon.
Der Grüne zuckte die Achseln.
„Das ist Sache der Unkundigen, Advon. Wir haben uns nicht einzumischen.”
„Erzählen wir dem sinor von dem Lagerfeuer?”
„Natürlich. Soll er daraus machen, was er will. Unsere Sache hier ist getan.”
„Nein.” Der Grüne schüttelte den Kopf. „Wir müssen am Tag nochmals her. Aber zuvor reden wir mit der Meisterin.”
„Wozu?”
Der Grüne schaute über Advon hinweg seine Gefährten. Advon seufzte und ging einen Schritt beiseite. Wenn die Ritter in Gedanken miteinander redeten, war es etwas, was er nicht hören sollte.
Das lautlose Gespräch dauerte an. Advon versuchte eine Weile erfolglos, aus ihren Gesichtern zu lesen, aber wie immer waren ihre Mienen unbewegt, ausdrucklsos. Nach einer Weile wurde es ihm langweilig. Er vertrat sich die Füße, kickte gelangweilt einen heißen Stein beiseite und traf damit etwas massives. Der Junge schaute nach, was es war, denn es handelte sich offenbar nicht um die Überreste einer Pflanze. Dann wusste er, wem das ursprüngliche Feuer gehört hatte. Vorsichtig hob er den verkohlten Weidenkorb auf. Es roch nach verbranntem Zucker.
***
„Hat er uns gerade ‚Schergenpack’ genannt?”, fragte Jándris.
„Ich glaube, das habe ich auch gehört.”
Die Jungen saßen vor dem Stall und schauten hinüber zur Halle. Das Abendessen dort war in vollem Gange, aber die beiden waren übereingekommen, ohne es miteinander ausgemacht zu haben, es zu schwänzen. Dann würden sie zwar den Vätern irgendeine Ausflucht vortragen müssen, wo sie gewesen waren, aber das wäre weniger schlimm, als in ihrem aufgewühlten Zustand womöglich einen Fehler zu machen.
Wenn die Tafel aufgehoben wurde, boten sich reichlich Gelegenheiten, Manjév abzufangen, und sei es, heimlich in der Nacht zu ihrem Gemach zu schleichen. Vorher würden sie in der Küche noch von den Tischresten nehmen können.
„Hast du ernsthaft gedroht, das Eulengesicht zu belangen?”, fragte Láas.
„Was hättest du denn an meiner Stelle getan?”
Láas vergrub das Gesicht in den Händen. „Bei den Mächten.”
„Aber das war doch nur so dahin geredet!”
„Ja, aber wenn das nicht wie Schurkenpack klingt, weiß ich auch nicht.”
„Was hättest du denn getan?” Jándris war wütend. Láas hing ebenso in der Geschichte drinnen wie er, da musste er nun nicht den Unschuldigen mimen.
„Ich? Wir hätten das Wiegenkind hier in aller Öffentlichkeit verbläuen sollen und gut damit! Für alles andere ist sein Vater zuständig!
Jándris seufzte. Der Junge war immer für eine seinem Stand angemessene Lausbüberei zu haben, aber das hier fühlte sich so falsch an. Er schaute hinauf zum Turm. „Hoffentlich hat er so viel Ehre, dass er uns wenigstens die Zeit lässt, ihn da rauszuholen.”
„Bestimmt.” Láas streckte die Beine von sich. „Ich glaube, der würde sich eher die Schwerthand abschneiden, als dass jemand mitbekommt, dass er sich von uns hat reinlegen lassen.”
„Hattest du ins Zimmer reingeguckt, bevor du die Tür zugezogen hast?”
„Klar. Aber nur kurz. Sah aus wie eine Amtsstube.”
„Oben im Turm? Warum?”
„Was weiß ich denn?”
„Ich hab doch nicht … still. Da kommt yarl Althopian!”
„Ausgerechnet!”
Sie verspürten beide den Impuls, schnell aufzustehen und fortzugehen, waren sich aber im Klaren darüber, wie verdächtig das erscheinen mochte. Also blieben sie sitzen und schauten dem Ritter entgegen. Offenbar hatte er die Tafel vorzeitig verlassen. Ein kleines Leuchtglas hielt er in der Hand.
Als Waýreth Althopian die Jungen bemerkte, die neben der Stalltür herumlungerten, lächelte er freudlos. „Was macht ihr hier? Wo wart ihr beim Essen?”
„Wir hatten getrödelt”, antwortete Jándris, der redegewandtere der beiden. „Und da es diese Kohlspeise gab, hatten wir es auch nicht weiter eilig.”
„Wir holen und gleich noch Reste vom Bro … was eben übrig bleibt.”
„Hat es Euch denn gemundet?”, lenkte Jándris ab.
Der yarl zuckte die Achseln. „Nun ja. Es war Kohl. Allerdings wirklich trefflich zubereitet. Die teiranda ist geschickter mit der Wahl ihres Küchengesindes als mein Herr daheim.”
Er nickte den Jungen zu und ging dann in den Stall hinein.
Láas und Jándris wechselten einen verwirrten Blick miteinander. Dann erhoben sie sich und folgten dem Ritter in das Gebäude.
Althopian stand am Ende der Stallgasse, nicht bei seinem eigenen Ross, sondern auf der anderen Seite, wo ein kleinerer Brauner stand und döste. Weiter gab es da nichts zu sehen.
„Ich hatte gehofft, er sei bei seinem Pferd”, sagte er schlicht, ohne sich umzudrehen. „Er ist sonst so schwer fortzubekommen aus dem Stall.”
„Ich … wir sind sicher, er taucht bald wieder auf.”
„Ja”, schloss sich Láas eilig an. „Er kann nicht weg sein.”
„Ich würde mich zu gerne an seiner Stelle bei euch beiden für gestern Nacht entschuldigen.”
„Lasst es gut sein, Herr Waýreth. In seinem Alter waren wir ähnlich ungestüm”, behauptete Jándris, der bei einem Knappenturnier in Valvivant mit zehn Sommern einst einen passablen Sieg eingestrichen hatte. Den kleinen Zinnpokal, den er damals erstritten hatte, hütete er sorgsam wie einen Schatz.
„Denkt ihr, ihr bekommt es untereinander so ausgemacht, dass ihr gemeinsam für eine Sache streiten könnt?”
Sie zögerten, einen kleinen Moment zu lang. Der Ritter wandte sich den beiden zu.
„Wir suchen gar keinen Streit mit Eurem Sohn, Herr Wayreth.”
„Auch keine Rache?”, fragte er mit leiser Belustigung. „In Eurem Alter hätte ich so eine Schmach nicht auf mir sitzen lassen.”
„Das ginge wohl nicht gut für uns aus”, scherzte Láas lahm.
„Ihr seid gute Jungs. Ich sehe, dass Eure Väter Euch im Herzen angeleitet haben, wie es den Mächten gefällig und euren Schutzbefohlene zum Wohle ist.”
Zum Glück reichte das Licht seines Laternchens nicht allzu weit, sonst hätte er gesehen, wie sie beschämt erröteten. Stattdessen redete er nachdenklich weiter, indem er wieder zur Tür hinüber ging.
„Ich wünsche mir, euch einst als Kumpanei zu sehen, die in allen teirandon geachtet und geehrt wird. Nicht allein aufgrund eurer Kampfstärke, sondern ob eurer Tugend und Gerechtigkeit. Denkt ihr, ihr könnt mir versprechen, das zumindest zu versuchen?”
„Herr … müssen wir das eigens versprechen?”
„Ja! Ist das nicht selbstverständlich?”
„Nein”, sagte er und schritt ins Freie. „Nicht mehr. – Tut mir bitte einen Gefallen. Wenn ihr ihn seht, oder …”, der Ritter zögerte, „wenn ihr vielleicht doch wisst, wo er ist, schickt ihn zu mir. Sagt ihm, seine Mutter würde es wünschen.” Er zögerte und schloss mit rauer Stimme: „Jungs, dankt den Mächten, dass ihr die euren noch habt.”
Der Ritter senkte knapp den Blick zum Gruß und ging dann so eilig hinüber zum Eingang des Wohnflügels, als wolle er schnell Abstand gewinnen.
Jándris stieß erleichtert Atem aus. „Das war seltsam.”
„Irgendwie tut das Wiegenkind mir jetzt leid”, sagte Láas. Dann horchte er hinüber zu Halle. „Ach nein! Hör, sie sind im Aufbruch!”
„Schnell rüber!”
Sie rannten über den Hof und drückten sich an Menschen vorbei, die aus dem Gebäude ins Freie strebten. In der Halle hatte das Hausgesinde, das damit an der Reihe war, begonnen, das Geschirr zusammenzutragen. Zwei Knechte räumten schon die ersten Tische beiseite. Manjév stand neben ihrer Mutter an der Stirnseite der Halle, nahe der Stiege zur Galerie und unterhielt sich mit dem bebrillten yarlandor von Emberbey. Láas und Jándris stutzen und glaubten ihren Augen nicht zu trauen. Die teirandanja lächelte, als sei sie reinsten Gewissens, und richtete freundliche Worte an ihn. Der alte yarl stand einige Schritte daneben. Asgaý von Spagor redete leise mit ihm, aber die argwöhnischen Blicke des betagten Ritters galten nur seinem Jungen.
Die yarlara von Moréaval verabschiedete sich gerade von der Gruppe, Tíjnje an der Hand. Der junge Emberbey verneigte sich artig vor ihnen. Tíjnje strahlte über ihr niedliches Kleinmädchengesicht und winkte ihm zum Abschied zu.
„Also”, sagte Jándris trocken, „mit den Damen scheint er es zu verstehen.”
„Jándris!” Yarl Altabete hatte seinen Sohn bemerkt. Mit unheilverkündendem Blick kam er an die beiden Freunde heran. „Wo seid ihr gewesen?”
„Wir …wir waren beschäftigt, Vater. Mit … wichtigen Aufgaben.”
„Und da könnt ihr nicht wenigstens Bescheid geben? Ihr blamiert uns vor unseren Gästen. Die teirandanja hat den ganzen Abend nach euch gesucht.”
„Wirklich? Dann können wir ja …”
„Nichts da. Jándris – du hilfst den fánjulaé beim Abdecken. Und du, Láas …”
„Soll ich Tíjnje zu Bett bringen?”, wandte Láas sich geistesgegenwärtig an seine Schwester, die gerade an ihnen vorbeigehen wollte.
„Ich will doch noch gar nicht ins Bett”, protestierte Tíjnje.
„Sei brav und geh mit deinem Onkel”, bat die junge Frau, ganz offensichtlich freudig überrascht über das Angebot. „Láas, es käme mir tatsächlich zupass. Ich möchte gern noch einige Worte mit Herrn Alsgör wechseln.”
„Mit Herrn Alsgör?”
„Nichts, was dich etwas anginge”, sagte sie, wandte sich dennoch erklärend an Altabete und sagte: „Wegen des anderen kleinen Mädchens.”
Láas nahm Tíjnje bei der Hand, zwinkerte Jándris zu und machte sich mit ihr auf den Weg. Jándris verstand und nickte. Getrennt voneinander war die Chance größer, dass einer von ihnen die teirandanja abpassen konnte; Jándris in der Halle, falls die Familie mit den Gästen noch dort blieb, Láas oben in den Quartieren. Solange die teiranday in Hörweite waren, hatte es keinen Zweck, Manjév anzusprechen.
„Hab ich was versäumt?”, fragte Láas, während Tíjnje mit unwilliger Schnute neben ihm her tappte.
„Das Abendessen”, antwortete sie ernsthaft. “Es gab den Kohl, der so schöne rosa Flecken auf Stoff macht.”
„Manjév scheint ja ganz gut auf das Eulengesicht zu sprechen zu sein.”
„Er heißt Osse, aber dafür kann er nichts. Und dass ihr gemeine Namen sagt, das verrate ich Mama.”
„Petze.”
Tíjnje streckte ihm die Zunge heraus. Láas wuschelte ihr über das Haar. „Mal im Ernst. Hat er was Interessantes zu erzählen gehabt?”
„Ja, hat er.”
„Und was?”
„Geheimnisse.”
„Tíjnje!”
„Wir haben jetzt nämlich auch unsere Geheimnisse. Davon dürft ihn nichts wissen. Das ist nur für uns Mädchen.”
„Das Eulengesicht ist kein Mädchen.”
Das schien sie nicht gelten zu lassen. „Jedenfalls ist er auch dem guten Magier begegnet. Genau wie Manjév und ich.”
Láas schnaufte enttäuscht. Offenbar waren er und Jándris von dieser Exklusivität ausgeschlossen. Zu gerne hätte er ebenfalls diesen merkwürdigen Mann und seine Zauberkräfte gesehen. Von Schattensängern wusste er nur aus alten, unheimlichen Geschichten.
„Und? Wie ist eure Abendtüre ausgegangen?”
Der Junge zuckte zusammen. „Was?”
„Du hast doch mit Jándris irgendwas angestellt, oder etwa nicht?”
„Aber nein. Wir waren draußen am Stall. Herr Waýreth ist unser Zeuge.”
„Der sucht immer noch seinen Sohn.”
„Ja, ich weiß.” Láas seufzte tief. „Hoffentlich nicht mehr lange.”
***
Das Feuer war erloschen. Danach, das bemerkte Úldaise wohl, benötigten die arcaval’ay erstaunlich lange, um wieder zu ihm zurückzukehren.
Natürlich. Sicher nutzte das arrogante Volk die Gelegenheit, herumzuschnüffeln. Wenn sie dabei nur nichts fanden, was er besser verborgen hätte.
Er war unruhig und es reizte ihn, selbst nach dem Rechten zu schauen, aber das durfte er im Augenblick noch nicht wagen. Sie würden misstrauisch werden, ihn fragen, warum er im Dunklen kam, um den Schaden zu begutachten. Solange die Asche noch heiß und der Himmel dunkel war, konnte er ohnehin nichts ausrichten.
Zudem musste er abwarten, bis sein Knecht mit dem Pferd wieder zurückgekehrt war. Mochten die Mächte geben, dass den Kerlen nicht wieder ein Missgeschick widerfuhr.
So viel zu tun, so knappe Zeit. Dass er überhaupt rechtzeitig hier gewesen war, hatte er nur dem Umstand zu verdanken, dass Saháalír ein miserabler Steinespieler war. Der Alte war berühmt für seine Erfolge im großen edlen Strategiespiel, aber das schlichte Kinderspiel schien ihn zu überfordern. Der sinor hatte überraschend dumme Fehler gemacht. Vielleicht lenkte ihn die Sorge über den unerwarteten Gesprächsbedarf der fajía zu sehr ab. Jedenfalls war die Partie zu dritt entsprechend schnell beendet gewesen.
Egal. Der báchorkor war vorerst das geringste Problem. Die beiden Dummköpfe würden es nicht zulassen, dass er entkam. Auch die Stadtwachen würden ihn nicht entwischen lassen. Zauberwerk, das auf irgendeine Weise ins Spiel kam, konnte die Einhornzügel nicht brechen. Sie waren getränkt mit Magie, die sie unzerreißbar und unmanipulierbar machte. Gewöhnliches Lederzeug hätte ein Einhorn kurzerhand entzwei gerissen.
Sobald er sein Pferd wieder hatte, musste er schnurstracks zu Saháalír, der sicherlich überrascht sein würde, den báchorkor so schnell zu Gesicht zu bekommen. Bis der Greis aufbruchsbereit für den Weg in die Unterstadt war, würde es eine Weile dauern. Zeit genug für einige kleine Besorgungen und bis die fajía nach ihm verlangte.
Zwischendurch würde er den báchorkor der Wüste vorwerfen. Das hätte er sofort tun sollen, aber es war nun einmal anders geschehen.
Úldaise lächelte. Er hatte es schon lange Zeit nicht mehr selbst mitangesehen. In all den Wintern hatte sich die Wüste als zuverlässig und gründlich erwiesen. Er musste es nicht mehr kontrollieren. Es war viel anspruchsvoller, wenn auch weniger befriedigend, die Menschen zu beaufsichtigen. Doch morgen … morgen würde er so lange wie möglich dabei bleiben und sich daran ergötzen. Was würde wohl mit einem passieren, der aller Offensicht nach unsterblich war, wenn er in die Fänge der Wüste geriet?
Die arcaval’ay rissen ihn aus seinen Gedanken. Die vier Magier und das Balg traten zwischen den verkohlten Bäumen hervor. Kein Ascheflöckchen beschmutzte ihre bunten Gewänder unter den goldenen Rüstsachen. Der Junge dagegen sah aus, als sei er durch einen Kamin gekrochen.
„Und?”, fragte Úldiase.
„Ein versprengtes Lagerfeuer.”
Der sinor seufzte lautlos. Diese Idioten!
„Das hier haben wir gefunden, edler sinor“, sagte das Kind artig und präsentierte ihm einen verkohlten Korb. „Ein Beweisstück.”
„Danke”, sagte Úldaise und nach das Behältnis mit spitzen Fingern entgegen. „Vielleicht erkennt unser Delinquent es wieder.”
„Edler sinor“, sagte der Orangene, „war der Mann, den Ihr aufgegriffen habt, in irgendeiner Weise wunderlich gekleidet?”
„Wie bitte? Nein, nein, nicht das ich wüsste. Ein Fahrender in Lumpen, nichts, was man nicht in der Unterstadt an jeder Ecke sähe.”
„An Eurer Stelle”, sagte der Grüne und überreichte Úldaise ein Stück geschwärzten Stoff, „würden wir nach einem Mann suchen, der ohne Hosen umherläuft.”
Der sinor schaute verdutzt und angeekelt auf das versengte Kleidungsstück in seiner Hand.
„Das fällt bestimmt auf”, kicherte das Balg.
„Und es könnte tugendhafte fanjulaé verstören”, fügte der Violette ernsthaft hinzu. „Sicherlich wird unsere Meisterin morgen mit Spannung Eurem Bericht lauschen.”
„Ich werde am späten Nachmittag im Cielástel eintreffen.”
Die Ritter verneigten sich und kehrten zu ihren Reittieren zurück. Der Junge warf ihm noch einen seltsamen, viel zu neugierigen Blick zu. Dann jagten die arcaval’ay wieder unter rauschendem Schwingenschlag zurück zu ihrem Heiligtum.
Úldaise, jüngster sinor von Aurópéa wartete, bis sie außer Hörweite waren. Dann schmetterte er Korb und Hose zu Boden und richtete eine zornige Geste auf beides.
Aber nichts geschah.
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