
Alsgör Emberbey hatte gehört, das die Männer versucht hatten, die Tür zu öffnen. Der alte Ritter legte schweigend den Kopf in seine Hände. Er konnte sich denken, warum es ihnen nicht gelang.
Der Schattensänger hatte sich ungefragt neben ihm niedergelassen. Schweigend saßen die beiden Männer an der Mauer, an der kleinen Böschung, die von hier in den Graben absank. Eine Entenfamilie zog geschäftig vorbei, und an seichteren Stellen blühten zartblaue und weiße Seerosen. Am jenseitigen Ufer des Grabens wuchsen hohe Binsen. Libellen schwirrten in halsbrecherischer Manier über dem Wasser hin und her.
Nachdem die anderen Ritter sich entschieden hatten, von der Tür abzulassen, war das Plätschern und Vogelgezwitscher lauter als die Burggeräusche hinter der Mauer. Es war so friedlich.
Der Magier schwieg und schaute den alten yarl auch nicht an. Seine Aufmerksamkeit schien ganz und gar den flauschigen Küken zu gelten, die nun versuchten, gegenüber die Böschung zu erklimmen.
„Es gibt nichts, was ich Euch zu sagen hätte”, sagte Emberbey schließlich. „Ihr verschwendet Eure Zeit, indem Ihr hier neben mir hockt.”
„Möglich. Aber mir war nicht wohl dabei, Euch allein mit Euren schweren Gedanken zu wissen, Herr Alsgör.”
„Und wenn ich allein sein möchte?”
„Dann hättet Ihr mich schon fortgejagt, in dem Moment als ich mich zu Euch setzte.”
„Und doch bringt es gar nicht, mir nicht und Euch schon gar nicht. Ich will nur meinen Frieden.”
Nun schaute der Schattensänger doch zu ihm hinüber. Hier, bei Tageslicht, war der Silberglanz in seinen Augen kaum wahrnehmbar.
„Erzählt mir von Eurer hýardora“, verlangte er. Er bat nicht darum, er schlug es nicht vor – er forderte es ein, so sanft und doch bestimmt, dass Alsgör Emberbey nicht anders konnte, als ihm zu antworten.
„Sie ist … sie war die dritte Tochter einer yarlara aus dem teirandon Ovéstola, für die es vor Ort keinen passenden hýardor gab. Ihrer Mutter war es ein Anliegen, sie gut versorgt zu wissen. Ich warb um eine Dame, die meine Familie stärken würde. Mehr gibt es nicht zu sagen.”
„Wie traurig.” Yalomiro Lagoscyre lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer. „Ich weiß, dass Euer Freund, yarl Althopian sich die Mutter seines Sohnes in glühender Liebe erwählt und erstritten hat.”
„Hat es ihm mehr genutzt als mir?”, fragte Emberbey bitter. „Herr Waýreth hatte schon immer einen Hang zu verquerer Romantik. Und er ist ein gutes Stück jünger als ich. Denkt Ihr, mir wäre entgangen, wie die Damen und die fanjulaé unter den Schutzbefohlenen ihn angeschwärmt haben, in welches yarlmálon ihn seine Wege auch geführt haben?”
„Herr Alsgör, wir können die Sache abkürzen. Ihr könnt mich nicht täuschen und braucht nicht abzulenken. Ihr habt die Dame, möge sie hinter den Träumen ohne Leid seid, von Herzen lieb gewonnen, sobald Ihr sie bei Euch hattet. Wäre dem nicht so, es wäre mir die Mühe nicht wert, mit Euch zu reden, denn dann spräche ich mit einem Felsbrocken.”
„Es war keine Liebe”, behauptete der Ritter. „Das muss ich mir nicht einreden. Sie hätte meine Tochter sein können. Sie hat ihrer Familie zuliebe einen alten Mann akzeptiert.”
„Gefallt Ihr Euch eigentlich, indem Ihr Euch in Strenge und Härte wappnet wie in Euer Eisenzeug?”, fragte der Magier. „Vor was habt Ihr Angst, dass es eines solchen Schutzes bedarf?”
„Schwäche zu zeigen”, konterte der Ritter, „ist eines yarl von Emberbey nicht wert.”
„Wieso habt Ihr Euch so spät eine Gefährtin erwählt? Ich weiß von dem verhängnisvollen Schwur, den Ihr den Eltern von Asgaý von Spagor leisten musstet. Aber haben die Mächte Euch in all dieser Zeit niemals den Weg einer hýardora kreuzen lassen?”
„Nein. Ich … nein. Frauen waren niemals … es hatte einfach keinen Belang. Nicht, solange wir den teirandanjor hüten und uns mit seinem mangelnden Pflichtbewusstsein abmühen mussten.” Er lachte kurz und freudlos auf. „Bis mir klar wurde, dass es mit mir enden würde. Bei ihm selber ist es ja gerade noch gelungen, den Mächten sei es gedankt.”
„Wäre es anders gewesen, wäre Eure Schwester damals nicht mit diesem Mann aus Rodekliv davongelaufen?”‘
„Wenn sie noch mit ihm davongelaufen wäre! Wenn er wenigstens die Ehre gehabt hatte, meinen Vater, meine Mutter um ihre Gunst zu bitten. Es ist Unheil über mein Haus gekommen, damals, aus Rodekliv.”
„Und doch wollt Ihr ausgerechnet den Jungen von dort auf den Platz Eures Sohnes setzen?”
„Das versteht Ihr nicht. Es … „
„Es wäre eine Spur Eurer Schwester, die auf Umwegen so wieder zu Euch zurückkehrte. Meint Ihr das?”
Was sollte er darauf antworten? Der Schwarzgewandete las in ihm wie in einem offenen Buch. Einem mit sehr großer Schrift. Und Illustrationen. Er fühlte sich wehrlos und auf sonderbare Weise doch nicht beschämt. Es tat gut, zu reden, ohne sich anstrengen zu müssen, sich zu verbergen.
„Vielleicht kann ich den Jungen auf den richtigen Weg zurückführen.”
„Das ist die eine Sache”, sagte der Magier sanft. „Eine, die Euch hoch zu Ehren ist. Die andere ist aber Euer leiblicher Sohn. Den, den die Dame aus Ovéstola euch geschenkt hat. Wie denkt ihr, würde er darüber denken, wenn er davon wüsste?”
„Das ist unerheblich. Der Junge hasst mich ohnedies. Es wird nichts ändern zwischen ihm und mir.”
Nun schaute der Magier regelrecht bestürzt. Er wandte sich dem Ritter zu und neigte sich vor.
„Bei den Mächten, Herr Alsgör! Wie kommt Ihr dazu Euch einzureden, dass der Junge Euch hasst?”
„Weil ich es ihm nicht verdenken kann. Und weil ich es an seiner Stelle wohl täte. Ich bin kein liebenswürdiger, empfindsamer Mann wie Althopian es ist. Und ich musste es nie sein, nicht ihm gegenüber. Das hat seine Mutter getan. Sie …”
Nun stockte der alte Ritter in seiner Erzählung. Ganz, ganz nahe dran war er an einer Träne. Der Magier wartete geduldig.
„Sie hat ihn für uns beide geliebt, Meister. Und als sich herausstellte, dass er diese schadhaften Augen hat, da hat sie ihn umsorgt und bewacht wie eine Glucke, damit ihm nur nichts zustieß, wenn er Treppen stieg oder über den Hof lief. Und nun … nun bin ich allein mit ihm und weiß nicht, wie ich sie ersetzen soll.”
„Ihr könnt nichts ersetzen, woran es Euch selbst mangelt. Denkt Ihr, mir entginge die Leere in Eurem Herzen, dort wo Eure hýardora war? Wo sie Dinge in Euch angerührt und erweckt habt, so gut ihr es versteckt?”
Er hob verwirrt den Blick. Der Schattensänger schaute nun sehr ernst. „Ihr könnt die Tränen, die Ihr um sie geweint habt, vielleicht vor Eurem Sohn und Eurem Gesinde verbergen, aber nicht vor mir. Zwischen Euch und ihr, das war weit mehr als kalte Notwendigkeit, und in Euch ist es nicht erloschen. Warum gebt ihr ihm mehr nicht davon ab?”
Alsgör Emberbey seufzte. „Ich weiß nicht, wie das geht, Meister. Ich weiß nicht, was ich tun soll!”
„Ihr seid ein ehrenhafter und kluger Mann, Herr Alsgör. Ich werde Euch in die Dinge, die Euren Großneffen betreffen, nicht hineinreden, die gehören in diesem Moment nicht hierher. Aber ich will von Euch ein Versprechen, was Euren Sohn betrifft.”
„Was ginge Euch das an?”, fragte Emberbey hart. „Muss ich nicht allein damit zurechtkommen?”
„Wenn es Eurem verstockten Wesen entgegenkommt, dann lasst es mich anders formulieren. Euer Sohn, Alsgör Emberbey, steht unter dem wohlwollenden Schutz der Dunkelheit. Ich mische mich nicht in Eure Angelegenheiten ein. Aber ich kann es nicht gutheißen, wenn Ihr in Eurer Verbitterung dem Jungen das zerstört, was die Mächte ihm meiner Ansicht nach bestimmt haben.”
„Ihr maßt Euch an, den Willen der Mächte zu kennen?”
„Ich maße mir an, die Zeichen zu deuten, die ich überdeutlich sehe. Lasst uns über Brot reden. Über ein winzigkleines Bröckchen Brot. Dunkles Roggenmehl war es, denke ich. Noch fast warm vom Ofen.”
„Müsst Ihr denn nun auch noch mit dieser unglückseligen Sache anfangen?”
„Ich habe nicht damit angefangen. Euer Sohn hat seinen Platz im Weltenspiel gewählt, und den Sohn von Althopian hat er gleich mitgenommen dabei. Es ist nicht recht, wenn mitten im Spiel die Figuren getauscht waren, nur weiß Euch eine eiserne besser gefällt als eine aus Holz.”
„Was redet Ihr da?”
„Die größte Torheit, die Ihr begehen könnt, Alsgör Emberbey, wäre es, Asgaý von Spagor zu nötigen, diesen anderen Jungen, dessen Seele und Sinn noch niemand kennt, unbewährt auf den Platz des Euren zu setzen, nur weil er mit einem Stück scharfem Eisen umgehen kann. Ich rede von dem, was für Unkundige einen so sonderbar hohen Stellenwert hat.”
„Ein yarl muss …”
„Habt Ihr meine Rede verstanden? Ich kann und werde Euch an nichts hindern, und es wäre mir gelegen, wenn Ihr Eure Standesgenossen ebenfalls befragt. Mir ist klar, dass niemand, dem es in den Sinn käme, Euer yarlmálon oder eines der teirandon anzugreifen, sich von Eurem Sohn stoppen ließe.”
„Da seht Ihr es! Meister, all unser Leben, unsere Gesetze, das ganze Gefüge ankert an den Kämpfern, die es beschützen und stabilisieren! Ist nur ein Stein in der Mauer zu mürbe, alles bräche zusammen! Vielleicht ist Euch in Eurer wunderlichen Welt das nicht klar, aber ..”
„Wenn der Junge aus Rodekliv des Schwert bekommt”, unterbrach Yalomiro Lagoscyre, „dann gebt Eurem Jungen eine Waffe, die ihm besser in der Hand liegt.”
„Und das wäre?”
Yalomiro Lagoscyre lächelte. „Lasst uns über den Verstand reden und womit er sich schärfen lässt.”
***
Als Láas und Jándris, nach einer Katzenwäsche am Brunnen, aber immerhin mit frischen Gewändern im Schulzimmer ankamen, saßen Manjév und Tíjnje sittsam am Tisch und lernten. Die opayra saß auf einem Sessel in der Ecke des Zimmers und hatte ein Stickzeug in der Hand, aber sie führte die Nadel, ohne hinzuschauen. Sie hatte die Mädchen so fest im Blick, als befürchte sie, die beiden könnten entwischen, sobald sie sich abwandte.
Der mestar stand an seinem Pult und fixierte die Kinder von dort mit ganz ähnlicher Miene.
„Wo kommt Ihr her?”, fragte der Gelehrte, als die beiden Jungen eintraten, aus alter Gewohnheit, ohne angeklopft zu haben. „Ihr wart doch von euren Vätern beurlaubt?”
„Wir waren schneller fertig als gedacht”, erklärte Jándris und verneigte sich flüchtig. „Wir wollten keinen Moment versäumen.”
Manjév blickte verblüfft auf. Sie war dabei, mit Feder und Tinte in Schönschrift auf einem alten Stück Papier Zeile um Zeile niederzuschreiben. Natürlich war die teirandanja schon längst des Lesens und Schreibens mächtig, aber wie alle Kinder hatte sie bisher mit einem Griffel auf Wachs gekritzelt. Eine Feder zu führen, ohne dabei mit Tinte um sich zu spritzen, war eine Herausforderung, die sie meistern musste, wenn sie einmal wichtige Dokumente zeichnen sollte.
„Wer hat denn gewonnen?”, fragte Tíjnje geistesabwesend. Sie hatte einen Stapel kleiner Klötzchen in verschiedenen Farben und Formen vor sich und ordnete sie gerade nach der Größe.
„Ich”, behauptete Láas. Er hatte keine Lust, lange zu erzählen, wie anstrengend und frustrierend das Training gewesen war.
Seine kleine Nichte musterte ihn kurz. „Du flunkerst”, sagte sie ihm dann auf den Kopf zu. „Man darf doch nicht schwindeln, oder?”, fragte sie zur opayra hinüber.
Die ältere Edeldame errötete. Sie konnte schlecht dem Kind zustimmen und damit den yarlandor von Grootplen zurechtweisen. In die Erziehung der Jungen hatte sie sich nicht einzumischen. Das war Sache des mestar.
„Es ist eine ritterliche Tugend, bei der Wahrheit zu bleiben”, kam der ihr zur Hilfe.
„Natürlich”, sagte Láas mit großem Ernst. „Aber sie lässt sich ohnehin nicht täuschen. Scharfsinn und Unbestechlichkeit zeichnen eine Dame aus, mehr als jegliches Geschmeide, schreibt der große Mystiker aus Ivaál. Auch wenn sie erst fünf Sommer alt ist.”
Manjév gab ein kurzes Schnauben von sich und tunkte ihre Feder wieder in das Tintenfass. Das Schreibwerkzeug sah bereits ein wenig ramponiert aus.
Tíjnje freute sich über die Bemerkung, aber der mestar hob skeptisch die Brauen. Dieses Zitat des großen Gelehrten kannte er nicht. Jándris wäre bereit gewesen zu wetten, dass er bei nächster Gelegenheit nachschlagen würde. Vorerst nahm der mestar eine der prächtig illustrierten Karten aus einem der Körbe in der Ecke, legte sie auf den zweiten Tisch nahe dem Fenster und breitete sie aus. Die Jungen kamen näher.
„Das,” sagte der mestar, „ist eine Übersicht der Grenzen aller yarlmálon und teirandon südlich des Montazíel bis zur Wüste, aus der Zeit vor den großen Bündnissen. Schaut sie euch gut an. Ich möchte später von Euch wissen, wo die Grenzen jetzt verlaufen und welche Gebiete heute vereint sind.”
Láas stöhnte lautlos auf, aber dem mestar entging das nicht. „Gibt es ein Problem, junger Herr?”
„Nein, natürlich nicht. Es ist nur … das sind so viele. Und es ist so lange her …”
„Und es sind jetzt viel weniger”, ergänzte Jándris mit einem Blick über Láas Schulter,
„Die Dinge ändern sich”, sagte der mestar. „Umso einfacher ist es für Euch.”
Die Jungen fügten sich und gingen an die Arbeit. Láas griff zu einem Wachsstift und einem Blatt Papier, um sich Notizen zu machen, während Jándris mit dem Finger die Grenzen nachfuhr und die Namen der yarlmálon murmelte, von denen er noch nie gehört hatte.
Der Grund, weshalb ein yarlmálon verschwand, das wussten die Jungen bereits, war entweder erfreulicher Art – wenn Nachkommen benachbarter yarlmálon als hýardoray zusammenfanden – oder beunruhigend. Wenn ein Nachbar einen yarl im Kampf hinter die Träume stieß, unerheblich, ob als Angreifer oder in Wehr.
Tíjnje sortierte ihre Klötzchen. Der mestar hatte sie aufgefordert, nun Farbe zu Farbe zu legen und danach Form zu Form und dann beides voneinander zu scheiden. Tíjnje gehorchte, einerseits, weil sie lieb und artig war, andererseits, weil sie damit um langweiligere Dinge herum kam. Für die Klötzchen war sie längst zu alt. Láas wusste, dass sie sich heimlich ein wenig das rechnen beigebracht hatte, indem sie bei Manjévs Lektionen mithörte, ohne abgefragt zu werden.
Manjév beobachtete die beiden eine Weile und kaute dabei geistesabwesend an der Feder herum, bis die opayra sie ermahnte, dass das unfein sei. Dann griff die teirandanja nach einem neuen Papierrest und begann, zu schreiben.
Eine lange Zeit war es still im Schulzimmer, abgesehen von dem Klackern der Klötzchen und Schaben der Feder. Láas und Jándris verständigten sich ohne Worte. Die Aufgabe, die der mestar ihnen gestellt hatte, erwies sich als äußerst kniffelig. So waren die Jungen ganz in die vergangenen Grenzen versunken und schreckten auf, als unvermittelt ein zusammengeknülltes Stück Papier zwischen ihnen auf der Karte einschlug.
„Herrin!”, empörte sich die opayra. „Was ist das für ein Betragen?”
„Ich mag nicht mehr!”, behauptete Manjév. „Meine Finger tun weh. Ich mache nur noch Flecken!”
„Ist Euch nach einer Pause, Majestät?”
„Ich will zu meiner Mutter. Bring mich hin”, forderte sie energisch von der opayra. „Sofort.”
„Aber Majestät! Eure Mutter ist mit Amtsgeschäften beschäftigt! Wenn ich noch wartet, bis ..”
„Sofort! Ich habe meiner Mutter etwas Wichtiges zu sagen!”
Die opayra schaute hilfesuchend zum mestar hinüber, aber der zuckte die Achseln. „Wenn die teirandanja den Wunsch hat, die teiranda zu sehen, solltet Ihr schauen, ob sich das einrichten lässt”, sagte er. Es war ihm anzusehen, dass ihm das Betragen der teirandanja ebenfalls missfiel, aber was hätte er gegen einen hoheitlichen Wunsch ausrichten sollen? Hätte Manjév gefordert, den Unterricht zu beenden und zum Spiel zu gehen, das wäre etwas gewesen, das abzulehnen er und die opayra befugt waren. Aber den Wunsch nach der Mutter durften sie nicht verweigern.
Jándris schaute Láas aus den Augenwinkeln an. Der ältere Junge nickte. Dann ließ er das zerknüllte Papier unauffällig zunächst unter seiner Hand und dann im Ärmel verschwinden.
„Darf ich mitkommen?”, fragte Tíjnje.
Manjév erhob sich. „Nein. Das ist eine Sache zwischen meiner Mutter und mir. Mach du weiter mit deinem Zeug.”
„In Ordnung”, sagte Tíjnje gleichmütig und begann, aus den Klötzchen ein Türmchen zu bauen.
„Ach”, seufzte die opayra, legte ihr Stickzeug beiseite und erhob sich. „Majestät, warum nehmt ihr Euch nicht ein Beispiel an der yarlaranda. Mein Leben würde so viel einfacher dadurch.”
Manjév sagte nichts dazu, aber als sie mit hoheitlich erhobenem Haupt der Edeldame voraus am Tisch der Jungen vorbei ging, nickte Jándris ihr kaum merklich zu. Manjév lächelte zufrieden. Dann war sie fort. Und der Rest des Unterrichts zog sich quälend lang dahin.
***
„Wo habt ihr eigentlich den Kuchen her?”, fragte Úldaise ungehalten. Seine Knechte trödelten hinter seinem Pferd her und knabberten so unauffällig, wie sie es verstanden – also gar nicht – an der Nascherei, die sie in ihrem Korb mit sich trugen. Sie taten so ausgehungert, als würde er sie Hunger leiden lassen. Der sinor ärgerte sich darüber, dass sie nicht wenigstens warten konnten, bis sie am Ziel waren.
„Von dem kleinen Jungen aus Foretérn”, nuschelte der eine.
„Von wem?”
„ Dem, der mit seinem mestar schon wieder weitergereist ist.”
„Der kleine Blonde, der vorhin bei euch stand?”
Der andere Knecht nickte mit vollen Backen. Sprechen konnte er nicht.
„Was wollte der Knabe von Euch?”
„Keine Ahnung.”
Úldaise runzelte die Stirn. Seine Männer belogen ihn nicht, dafür waren sie zu dumm. Aber irgendetwas führte der Junge im Schilde. Das beunruhigte ihn.
„Wollt Ihr auch ein Stück?” Der eine hielt ihm eine saftige Scheibe Backwerk hin. Der sinor schnaubte abfällig, woraufhin sein Knecht die Achseln zuckte und selbst hineinbiss.
„Wohin führt Ihr uns?”, fragte der andere, dem wohl doch einfiel, dass sie wohl kaum zu einer Lustbarkeit unterwegs waren.
„In die Hügel im Süden. Spätestens heute Nacht wird dort etwas hervorkommen, das wir aufhalten müssen. Ihr werdet dort auf mich warten.”
„Bleibt Ihr nicht bei uns?”
„Ich bringe euch an den Ort und muss dann noch einmal dringlich zurück in die Stadt. Ich werde zur rechten Stunde wieder bei euch sein. Aber für den Fall, dass es schneller geschieht als erwartet … ihr wisst, was ihr zu tun habt.”
„Nein.”
Úldaise verdrehte die Augen. Wie oft hatte er daran gedacht, sich etwas gewitztere Knechte zuzulegen, war aber stets im letzten Moment zurückgescheut. Ein klügerer Diener würde früher oder später anfangen, nachzudenken. Fragen zu stellen. Lästig zu werden.
„Wir sind auf der Jagd. Wenn es dunkel wird, kommt unsere Beute hervor. Ich will sie lebend, merkt euch das.”
„Und was jagen wir?”
Der sinor lächelte finster.
„Einen roten Fuchs, der den Bau verlässt.”
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