
Das Schwert fuhr nieder. In derselben Bewegung hatte Yalomiro die Geige gepackt und hielt abwehrend hoch, wie einen Schild.
Gor Lucegaths Schwert glitt daran ab, ohne auch nur einen Kratzer auf dem Holz zu hinterlassen, und durch die Tischplatte hindurch, um Haaresbreite an Yalomiro vorbei. Die Klinge, aus was auch immer sie bestehen mochte, durchschnitt das massive Holz wie Wasser, nein: wie Luft!
Doch das hielt Gor Lucegath nicht auf. Während der Rotgewandete mühelos seine Waffe wieder aus der Tischplatte zog, schlüpfte der Schattensänger flink unter ihm hervor und stand ihm sogleich auf Armlänge gegenüber.
„Ich werde dich auslöschen”, knirschte die seltsam veränderte Stimme. „Du entkommst mir nicht!”
„Ich laufe gar nicht vor dir weg”, entgegnete Yalomiro. „Ich will es würdevoll beenden. So wie mein Meister es von mir erwartet hätte.”
„Ich werde dich beenden!”, kam es von Gor Lucegath, mühsam beherrscht. „Mit diesem Schwert werde ich Noktámas Spielfigur zertrümmern!”
„Was immer du bist: Ich werde zwar einst unabwendbar durch dieses Schwert sterben, aber nicht nötigerweise durch die Hand von Gor Lucegath!” Yalomiro bedeutete mir, Abstand zu halten. Ich wich zurück, bis ich hinter ihm vor dem Tisch stand. Langsam, viel zu langsam begriff ich das Ungeheuerliche, was sich hier vor meinen Augen zusammenfügte. War es etwa die ganze Zeit so gewesen, dass Gor Lucegath von irgendetwas besessen gewesen war?
Yalomiro schien von etwas in dieser Art auszugehen. „Lass ihn los!”, forderte er.
Der Rotgewandete lachte gellend. Aber das Lachen passte nicht zu seiner angespannten Körperhaltung. Wie gegen einen gewaltigen inneren Widerstand hob er das Schwert erneut. Yalomiro nahm den Bogen in die Hand, als wolle er damit einen Angriff parieren. Seine Augen leuchteten auf.
„Gor Lucegath! Seid Ihr bei Verstand? Könnt Ihr mich noch hören?”
Der Rotgewandte schlug nach dem Schattensänger, aber es war allein sein Arm, der sich bewegte. Der übrige Körper wand sich, so als versuchten unsichtbare Hände, ihn zu halten. Der Streich ging fehl und ging knapp an Yalomiros Schulter vorbei, neben seinem Fuß erneut in den Tisch.
„Yalomiro!”, hörte ich mich kreischen. „Geh weg von ihm!”
„Bleib zurück, Ujora!” Er tauchte unter einem weiteren Hieb weg. „Halt du nur das Artefakt fest! Es darf es auf gar keinen Fall haben!”
Ich presste das Säckchen an mich, spürte das Artefakt darin, klein und hart und harmlos. Eigentlich hätten all meine Überlebensinstinkte anspringen sollen. Die vernünftige Reaktion wäre es gewesen, Hals über Kopf wegzulaufen. Aber wohin? Hier gab es kein Ausweg, kein Ziel, nicht einmal eine Richtung. Also blieb mir für den Moment nicht übrige, als nutzlos herumzustehen und mit Grausen abzuwarten, wie die Situation sich weiter entwickeln würde. Dass etwas geschehen würde, stand außer Frage, denn was immer die Gewalt über den Rotgewandeten ergriffen hatte, stieß offenbar auf unerwarteten Widerstand.
Gor Lucegath bewegte sich nun ganz sonderbar, als stecke er in etwas Zähem, Klebrigen fest. Er war nahe genug bei mir, dass ich seine Mimik deutlich erkennen konnte. In den grauen Augen hinter der Maske stand ein Ausdruck, den ich von ihnen nicht kannte. Entsetzen. Gellendes Entsetzen!
„Womit hast du den Lichtwächter verführt?” Yalomiro näherte sich ihm wieder, vorsichtig und zugleich herausfordernd. „Was hast du mit ihm gemacht? Wie hast du es verstanden, den vortrefflichsten Meister aller drei Kreise in deine Fänge zu bekommen?”
„Hüte deine Zunge, Yalomiro Lagoscyre!”, ächzte der Rotgewandete.
„Vermutlich war es Schmerz, nicht wahr? Du hast eine Sehnsucht, eine Unschuld, irgendetwas Verletzliches an ihm gefunden und dich darauf gestürzt, um es ihm zu nehmen, nicht wahr?”
„Sei still!”
„Was hast du ihm versprochen? Und wie lange hat er dir vertraut, bevor er bemerkt hat, was tatsächlich mit ihm geschehen ist?”
„Du sollst schweigen!”
„Gor Lucegath! Wenn noch Bewusstsein Eurer selbst in Euch ist, kämpft! Befreit Euch von dem, durch das Ihr so gelitten habt!”
Mir dämmerte, dass hier etwas sehr Verwirrendes vor sich ging, er mein Verstand weigerte sich, die Ahnung zuzulassen. Ich wollte es erklärt haben.
„Yalomiro, was ist das? Was geschieht hier?”
„Schau, Ujora!” Er deutete mit dem Bogen auf den Rotgewandeten, dessen Arm sinnlos mit dem Schwert um sich fuchtelte, während sein übriger Körper offenbar gegen etwas ankämpfte, das ihn gepackt zu halten schien. „Schau! Kannst du es sehen? Bei den Mächten, halt das Artefakt gut fest! Es darf es auf gar keinen Fall in die Hände bekommen!”
Der Rotgewandete stöhnte qualvoll. Dann löste sich eine andere Stimme aus der seinen heraus und überlagerte das entkräftete Ächzen. Und diese zweite Stimme, die war grässlich. Sie klang wie ein Nagel, der langsam über Metall schrammt. So ähnlich hätte ich mir die Stimme eines Dämons vorgestellt. Die Stimme kreischte und quietschte in meinen Ohren. Es tat weh!
„Du wirst dich verfluchen, Schattensänger. Dein Ende wird grauenhafter sein, als du dir ausmalen kannst.”
„Gor Lucegath! Ich beschwöre Euch im Namen Noktámas und der Spielenden Mächte! Besinnt Euch! Besinnt Euch, wer Ihr seid! Wer Ihr einst sein wolltet! Jagt es fort aus Eurem Leib! Ihr allein habt die Gewalt dazu!”
Der Lichtwächter stapfte steif auf ihn zu. Yalomiro trat so weit zurück, bis er mit den Fersen an der Tischplatte stand. Der Rotgewandendete hieb zu, mit einer solchen Wucht, dass die Klinge eine tiefe Kerbe ins Holz hieb, von der Stirnseite fast eine Armlänge weit den Tisch hinein. Er verfehlte sein Ziel, denn erneut schlüpfte der Schattensänger darunter hindurch. Diesmal jedoch bewirkte der mit offenbar übermenschlicher Kraft geführte, aber durch die widerstreitenden Bewegungen unkoordinierte Streich so nahe am Tischrand, dass Gor Lucegath das Gleichgewicht verlor. Der Magier glitt aus und stürzte herunter. Das Schwert jedoch stak fest.
Ich lief in entgegengesetzter Richtung um den Tisch herum und warf dabei einen Blick auf die Ritter, Isan und die Majestäten. Zu meiner Überraschung schienen sie alle bei klarem Bewusstsein, aber bewegungsunfähig zu sein, entweder in einer Schreckstarre, in verzerrter Zeit eingeschlossen oder tatsächlich gebannt. Das machte die Situation nicht übersichtlicher und auch nicht besser. Wenn in diesem Moment wenigstens einer oder zwei der Ritter eingegriffen hätte, lange genug, um Gor Lucegath abzulenken … Ich verharrte und schaute mich gehetzt in der Leere um. Ergab es Sinn zu den Menschen zu laufen, zu schauen, was mit ihnen los war, oder war es besser, in Yalomiros Nähe zu bleiben?
„Was willst du, Widerwesen?”, wiederholte Yalomiro. Er schaute nun aus seiner erhöhten Position auf den Rotgewandeten hinab, als stünde er auf einem Podium. „Wieso klammerst du dich so an diesen Menschenleib? Bist du nicht mächtig genug, dich allein zu zeigen? Hast du womöglich Angst vor mir?”
„Du wirst gleich am eigenen Leib spüren, welches Vergnügen ich an einem Menschenkörper finden kann!” Der Lichtwächter erhob sich, zog sich am Tisch hoch und griff nach dem Schwert. Es kostete ihn absurd viel Mühe, es aus der Tischplatte zu lösen. Als es ihm schließlich gelang, taumelte er ein, zwei Schritte zurück und torkelte dabei in meine Richtung.
„Gor Lucegath! Was immer dazu nötig ist – tut es jetzt! Ich bin bei Euch! Ich will es beenden!“
Der Rotgewandete zitterte wie unter Krämpfen. Dann ließ er plötzlich sein Schwert los. Ohne Laut fiel die schreckliche Klinge auf den substanzlosen Grund und schimmerte dort milde vor sich hin.
Er war unbewaffnet. Dieser Gedanke durchzuckte mich ganz unvermittelt.
Der goala’ay schrie. Es war eine entsetzliche Mischung aus Wut, Entsetzen und Agonie. Was immer die Kontrolle über ihn hatte, es wollte ihn daran hindern, seine Hände zu heben. Es sah fast so aus wie damals, als Yalomiro in der Schlucht vergebens versucht hatte, den Goldreifen um seinen Hals zu packen. Ob dieses Ding, das Besitz von ihm ergriffen hatte, etwas ähnliches mit ihm trieb?
Natürlich! Es war die Maske! Das verstand ich mit einem Mal und ohne, dass es mir jemand hätte erklären müssen. Ich hatte den Rotgewandeten niemals ohne dieses von Anfang an so bizarre, sinnfreie Ding gesehen. Vielleicht war dieser Gegenstand etwas Ähnliches wie das Gold, mit dem er Yalomiros Magie hatte ausschalten können. Etwas, was Gor Lucegath gefügig hielt.
Ich dachte nicht nach, abgesehen von dem flüchtigen, unausgegorenen Gedanken, dass niemand damit rechnen würde, dass ich es tat.
Fest schloss ich die Faust um das Artefakt. Dann gab ich mir einen Ruck, hastete auf ihn zu. Als er mich bemerkte, fuhr der Magier überrascht zu mir herum.
Ich dachte nicht nach. Ich streckte den Arm aus, grabschte planlos nach seinem Gesicht und riss dem Rotgewandeten die Maske von den Augen.
Ehe ich begriff, was geschah, hatte ich die Larve in der Hand. Sie war kälter als Eis, aber bevor meine Finger erstarren und möglicherweise abfallen konnten, warf ich das scheußliche Ding von mir. Das kupferrote Metall schlug auf dem Tisch auf, prallte ab und sprang dann ebenfalls zu Boden, wo sie gleich neben dem Schwert zu liegen kam. Ich kümmerte mich nicht darum, stolperte weiter und drehte mich erst um, als ich außerhalb der Griffweite des Rotgewandeten war.
Zum allerersten Mal sah ich Gor Lucegath unmaskiert. Er schaute mir in die Augen. Aber sein Gesicht war zu verzerrt vor Panik und Verwirrung, um seine Züge zu erkennen. Das war entsetzlicher anzusehen als die verwischten Gesichter der Bewohner von Wijdlant.
Yalomiro tat einen Schritt zurück. „Bei den Mächten”, wisperte er verstört.
Gor Lucegaths Iris verblasste, als flösse die Farbe heraus. Seine Augen veränderten sich, und wurden so unerträglich leer, so verwischt und grauenhaft, als seien sie verschwunden und die Augenhöhlen stattdessen angefüllt von der Nichtmaterie, aus der Pianmurít geschaffen war. Dann wich alle Spannung aus seinen Gliedern, aber er kollabierte nicht. Etwas hielt ihn auf den Füßen, wie eine Marionette an durchhängenden Fäden, wie eine Stoffpuppe in einer groben Faust. Es war ein unerträglicher, würdeloser Anblick. Dann kehrte wieder ein ganz winziger Rest von Leben zurück in seine Züge. Er wollte etwas sagen, kämpfte sichtlich um die Herrschaft über seine eigene Zunge. Aber er brachte nichts heraus.
Der Schattensänger drehte abwartend den Geigenbogen zwischen den Fingern. Es herrschte für viel zu lange Zeit eine unerträgliche Stille.
„Offenbare dich”, forderte Yalomiro nachdrücklich. „Ich bin bereit. Ich beschwöre dich im Namen Noktámas, Pataghíus und des Lichtes. Lass diesen Körper los und offenbare dich … Widerwesen!”
Etwas jagte einen Ruck durch den rotgewandeten Körper, der ihm sämtliche Glieder hätte ausrenken müssen. Gor Lucegath kippte leblos vornüber, kam über seinem Schwert zu liegen und regte sich nicht mehr. Zugleich löste sich etwas von seinem Leib, substanzlos, flüchtig wie ein Qualm, stieg empor und wurde zu etwas Riesigem, Unwirklichem und so Unerträglichem, das ich beim besten Willen nicht in Worte fassen kann. Es erfüllte die Endlosigkeit von Pianmurít, soweit das Auge blicken konnte.
Was immer es gab, alles, was man sich an Farbe, Form oder Masse vorstellen kann – all das war es eben nicht. Es war etwas, das sich ständig veränderte, pulsierte und verschwamm, nein – verschwand und dabei sogar die Leere, den Dunst mit sich zog und verwirbelte. Es tat weh, es anzuschauen. Es bereitete mir körperliche Schmerzen, und jeder Versuch, es zu begreifen war, als klafften Lücken im Verstand auf. Es war – ja, es war der absolute Widerspruch von Jeglichem. Es war zu entsetzlich für einen Menschenverstand, um es zu begreifen.
Yalomiro keuchte entsetzt auf und duckte sich davor. Das … Nicht-Ding stürzte sich auf ihn wie ein Bienenschwarm, umschwirrte ihn und griff ihn an, obwohl es weder aus Materie noch aus Energie bestand.
Was soll ich mich mit einem lächerlichen Lichtwächter aufhalten? Das ay’cha’ree und Noktámas Auserwählter, der letzte und mächtigste Schattensänger! Noktámas Lieblingspüppchen auf dem Weltenspielbrett! Was für Trophäen! Was soll mich nun noch aufhalten?
Die körperlose Stimme klirrte nun wie unzählige kleine Münzen, die auf Blech prasselten. Sie kam von überall her, klang zugleich in meinem Kopf und in meinem Gehör und war entsetzlich laut und durchdringend. Sie zu hören tat entsetzlich weh. Ich hielt mir die Ohren zu, aber das änderte überhaupt nichts. Die Stimme war allgegenwärtig.
Yalomiro stand erstarrt und hatte die Augen geschlossen. Die Magie, mit der er sich abschirmte, flimmerte und pulste sichtbar, so stark war sie. Das Nicht-Ding drang auf ihn ein, kam aber nicht an ihn heran. Wo es auf seine maghiscal traf, schimmerten graue Lichtschlieren.
Wir haben alle Zeit der Welt, Yalomiro Lagoscyre. Ich werde dich packen, wie ich den Rotgewandeten ergriffen habe, und vor ihm die Verstoßenen deines Kreises, aller Kreise, selbst der Regenbogenritter. Es ist sinnlos, sich dagegen zu wehren. Ergib dich mir und lass es zu. Du wirst es nicht bereuen.
Der Schattensänger stand unter Spannung. Er zitterte.
„Du bist also tatsächlich das Widerwesen!”
Die Metallstimme kicherte. Es klang unangemessen … infantil. Ja, das ist das treffende Wort. Obwohl es von einer substanzlosen Ungeheuerlichkeit kam, die mich so sehr entsetzte, dass die Angst selbst sich davor duckte, klang es … albern. Und damit umso grauenvoller.
„Wie konntest du aus dem Chaos ausbrechen?”, fragte Yalomiro. In jeder Silbe klang Entsetzen mit.
Es ist langweilig dort. Ich will … mitspielen.
„Und wozu brauchst du Magier?”
Wozu? Nun … Menschen gehen einfach viel zu schnell kaputt.
Ich konnte den Anblick dieses Nicht-Wesens nicht mehr ertragen. Ich verdeckte meine Augen mit dem Arm.
Ich werde dich durchdringen, Yalomiro Lagoscyre, so wie ich vor dir Ovidáol Etaímalar und den, den deinesgleichen den Schwarzen Meister nennt ergriffen habe. Ich werde deinen Willen brechen und deinen Körper und deine Magie nehmen, um das zu vollenden, was Gor Lucegath begonnen hat!
„Du wirst mich nicht so leicht bekommen.”
Du hast mir nichts entgegenzusetzen. Der mächtige Spielstein des Lichtes hat ausgedient. Ich spiele einfach mit dem der Dunkelheit weiter. Das wird kurzweilig!
Yalomiro stöhnte. Das … Ding … umfloss ihn nun wie eine ölige Flüssigkeit und vermengte sich mit der silbernen maghiscal, beschmutzte und verdarb sie.
„Yalomiro!” Ich sah es mit Grauen, erkannte das Unheil und begriff, dass ich keine Möglichkeit hatte, irgendetwas zu tun. Yalomiro war nicht stark genug, um der Wesenheit zu widerstehen. Kein Mensch, das wurde mir klar, ohne irgendetwas über das substanzlose Ding mit der metallenen Stimme zu wissen, hätte ihr irgendetwas entgegenzusetzen. Keine Schachfigur konnte sich dem Spieler wiedersetzen, der sie übers Brett rückte.
„Ujora …”, flüsterte Yalomiro.
Dann zerbrach seine maghiscal wie eine Eierschale und das Widerwesen ergoss sich in seinen Körper, ließ sich in ihn hinein saugen wie Wasser in einen Schwamm. Zugleich brandete etwas unfassbar Grässliches von ihm weg und erfasste jedes Wesen in seiner Reichweite mit Ekel, Grauen und der Angst davor, weiterhin zu leben.
An mir glitt es vorbei, denn eine schwachmondsilbige, fremde maghiscal legte sich um mich, fragil und flüchtig wie Nebel im Herbst.
Arámaú hatte ihre Hand um meinen Knöchel gelegt. Aufstehen konnte sie nicht mehr. Es musste sie gewaltige Kraft gekostet haben, in all der Verwirrung durch die verzerrte, verschobene Leere zu mir zu kriechen. Zu sprechen war ihr nicht mehr möglich.
Ich kniete neben ihr nieder und griff nach ihr, zog sie an mich. Sie war also noch nicht tot. Aber sie starb. Das war mir mit einer erschreckenden Nüchternheit völlig klar und drang zugleich kaum zu mir vor. Ich griff ihre Hand und versuchte, sie aufzurichten.
Die Schattensängerin roch auf eine sonderbare Weise, so … frisch und sauber. Ich erkannte den Duft. Es war Schnee. Arámaú duftete nach unter Mondlicht glitzerndem Schnee, kalt und klar und rein. Der Duft war wunderschön, so tröstend inmitten des Wahnsinns.
„Arámaú!”
Hilf ihm.
„Wie?”
Liebst du ihn?
Ich nickte.
Ist Liebe … mächtig? Ist Liebe … heilig?
„Arámaú …”.
Nimm!
„Was …”
Meine Magie! Du wirst sie brauchen! Nimm und mach mehr daraus als ich!
„Aber wie … nein! Arámaú! „
Nimm es an, Ujora. Ich will, dass meine Magie in dir weiter besteht. Ich muss sie loslassen.
„Arámaú! Nein! Du … du darfst nicht sterben!”
Sie lächelte, mit einer ganz leisen Spur von freundlichem Spott auf den Lippen. Dann legte sie ihre Finger auf meinen Hals, tastete mit kalten Fingern über meine Brust.
Ujora … mach da weiter, wo ich begonnen habe! Mach das richtig, wozu ich zu schwach und verzagt war. Wenn es Noktámas Wille ist, dann ist es mein letzter Zug, damit das Spiel weitergeht.
„Arámaú… nein! Das darfst du nicht! Deine Lebenskraft …”
Bewahre meine Magie, Ujora. Sie ist so geschwächt, dass ich sie ohne Gefahr direkt in dich hinein singen kann. Erhalte sie, lass sie in dir wieder wachsen. Du sollst sie haben. Berge sie. Benutze sie. Und … mach etwas Mächtiges daraus. Für mich.
Energie tröpfelte in meine Adern. Mit jedem meiner Herzschläge, so als wäre mein Puls eine Pumpe, ging etwas sehr, sehr zartes von Arámaú auf mich über. Sie sang. Oder nein … sie summte. Sie wisperte.
Sie starb.
Mit jedem Herzschlag verdunkelte sich der erblindende Silberschimmer in ihren dunklen Jadeaugen. Schließlich löste sich ihre Hand und sank zu Boden.
Ich zitterte am ganzen Körper, als ich begriff, dass es nun vorbei war. Aber ich kam nicht dazu, es sacken zu lassen, mich der Trauer zu öffnen. Denn die Dinge gingen Schlag auf Schlag weiter.
Hinterlasse einen Kommentar