„Ujora!”

Yalomiro regte sich. Er kletterte mit hölzernen Bewegungen vom Tisch herab und streckte mir die Hand entgegen. Sie zitterte. Er hatte kaum Gewalt über seinen Körper. Das Widerwesen hatte seinen Widerstand gebrochen.

Ich brachte instinktiv Abstand zwischen ihn und mich. Das ay’cha’ree glühte konstant und unauffällig zwischen meinen Fingern.

„Gib mir das”, sagte Yalomiro. Aber es war jetzt nicht mehr seine vertraute Stimme, nicht mehr die sanfte, warme Schattenstimme. Ein dissonanter Widerhall kreischte und schrillte darin. Das Widerwesen verschaffte sich Gehör.

Ich umschloss das Artefakt mit meinen Händen.

Er stapfte mit ungelenken Schritten auf mich zu. Ich wich vor ihm zurück und flüchtete hinüber zu den Menschen, verlor Vorsprung, als ich um Gor Lucegaths Leichnam einen Bogen machen musste und stürzte auf die Ritter zu. Da standen sie, orientierungslos, über und über besudelt, Blut nicht nur auf ihren bunten Waffenröcken, sondern auch an ihren Händen, Gesichtern, in Haar und Bärten. Als hätte jemand einen Eimer roter Farbe vor ihnen ausgeschüttet. Ja, rote Farbe, haschte ich nach einem schützenden Gedanken. Die Herren waren in Malerarbeiten herein geraten und …

„Komm her, fánjula!” Andriér Altabete packte meine Hand und zog mich zu sich hinüber und hinter seinen Rücken. Ich fand mich bei Isan und der teiranda wieder. Die Ritter rückten um uns zusammen.

Den Schattensänger kümmerte das nicht. Selbstbewusst und mit jedem Schritt geschmeidiger bahnte er sich seinen Weg, stieg über den fürchterlich zugerichteten Körper seines Gegenspielers hinweg. In derselben Bewegung griff er beiläufig nach dem Schwert, zog es aus dem Leichnam und nahm es an sich. Spielerisch richtete er es auf die yarlay.

„An Eurer Stelle würde ich mir aus dem Weg gehen”, sagte er. „Bemüht Euch nicht. Eure Schwerter könnt ihr einstecken. Dieser Körper ist unsterblich. Welch ein Glück, dass Gor Lucegath so sehr an diesem Opfer interessiert war, dass er es unwillentlich für mich stählte!”

„Wir verteidigen unsere Herrin”, sagte Grootplen mit zitternder Stimme. „Wir …”

„Ich habe mit Eurer teiranda nichts zu schaffen. Das war Gor Lucegaths Geschäft. Ich will nur die Unkundige. Oder vielmehr das, was sie in Händen hält. Also lasst mich durch.”

„Du kommst an uns nicht vorbei!”, entgegnete Tjiergroen tapfer.

Yalomiro hob die Hand. Ich spürte, wie sich etwas Eisigkaltes manifestieren wollte, etwas, das der mynstir von Valvivant nicht überleben würde. Gegen das Widerwesen halfen keine Waffen, keine Kampfeskunst. Und einen Fluchtweg aus Pianmurít heraus gab es nach wie vor nicht.

„Nicht!”, rief ich. „Bitte … es hat keinen Sinn. Lasst ihn gewähren. Lasst mich zu ihm reden!”

„Ujora”, sagte die teiranda hilflos. Isan wollte nach mir greifen, um mich festzuhalten, aber ich entzog mich ihr, drängte mich zwischen Emberbey und Moréaval durch. Die Herren machten mir Platz.

Yalomiro schlenderte durch die Spiegelscherben hindurch und kickte dabei respektlos gegen Kíaná von Wijdlants Krone. Der Goldreif schlitterte durch Gor Lucegaths Blut hindurch bis vor ihre Füße. Dann stand er vor mir, in der einen Hand die nun wieder bläulich schimmernde Waffe, in der anderen Geige und Bogen.

„Es hat jetzt vollkommen Besitz von dir ergriffen, nicht wahr?”, fragte ich leise.

Er lächelte gehässig, eine Miene, für die Yalomiros Gesicht nicht geschaffen war und es grausam verzerrte. Das bestätigte meine Befürchtungen.

„Ich hatte gefürchtet, das ay’cha’ree könne zu viel für dich sein”, fügte ich hinzu und umschloss das lächerliche kleine Lichtlein in hilflosem Zorn mit der Faust.

„Für den Magier wäre es das. Für mich nicht. Die Reihenfolge ist ausschlaggebend, Unkundige.”

Es war geschehen. Das Schrecklichste, was ich mir hatte vorstellen können, war passiert. Yalomiro hatte das Artefakt geborgen. Aber etwas anderes war stärker gewesen als er. Ich hatte ihn verloren.

„Der Schattensänger, das ay’cha’ree und das Schwert”, sagte die Metallstimme. „Was für ein glücklicher Fang. Gib es mir endlich!”

„Nein”, sagte ich leise. „Dir gebe ich es nicht.”

„Er hat das Artefakt eigenhändig aus dem Chaos geborgen und hergebracht. Es steht mir zu.”

„Du bist nicht Yalomiro Lagoscyre! Du hast seinen Körper übergestreift! Wir alle haben es gesehen und verstanden!”

Er verschränkte die Arme, ohne Schwert und Geige loszulassen. „Wie albern du dich aufführst, Ujora. Nichts verstehst du, nichts von dem, was hier geschehen ist und warum es geschieht. Aber das macht nichts. Ich werde mir das ay’cha’ree schon nehmen, wenn du es mir nicht herausgeben willst.”

Ich schaute auf. Seine Augen waren nun braun und stumpf wie Rost. Dieses …. Wesen hatte ihn also gänzlich erfüllt.

„Wozu brauchst du das ay’cha’ree?”, fragte ich.

„Um zu spielen.”

„Was für ein Spiel?”

„Das Weltenspiel natürlich, du dummes Menschenweib!”

Das Artefakt funkelte in meiner Hand. Aber abgesehen davon fühlte ich nichts. Ich hatte erwartet, eine Art Energie würde sich manifestieren, oder ein Geräusch oder eine Änderung der Temperatur. Nichts von alledem. Es leuchtete, wenn auch in einem ausgesprochen einladenden Licht. Nichts anderes tat eine Taschenlampe.

„Du kannst es nicht ewig festhalten, Unkundige. Ich habe Zeit. Ich habe Zeit zu warten, bis ihr alle miteinander wahnsinnig werdet, euch gegenseitig umbringt oder freiwillig sterbt. Dies ist Pianmurít, eine unendliche Leere im Chaos. Ich habe Zeit. Ich habe so lange gewartet … da kommt es auf ein Menschenleben Verzögerung nicht mehr an.”

Ich schwieg. Niemand gab einen Laut von sich. Sogar Asgaý von Spagor stand so reglos, dass kein Glöckchen klingelte.

„Wir können es abkürzen”, fügte das Wesen hinzu. „Gib es mir endlich.”

Und da stand ich. Hineingeworfen in eine fremde Welt, vor einem übernatürlichen, destruktiven Wesen, das den Körper eines mächtigen Magiers okkupierte. Ich hatte das wahrscheinlich heiligste Ding in der Hand, das in diesem Universum existierte, so jämmerlich es aussah. Das war zu viel. Das war zu viel Verantwortung. Zu viel Entscheidung. Ich war klein, lächerlich und hilflos. Niemand konnte mir helfen, nicht die yarlay, nicht die teiranda, nicht das Mädchen und nicht der Schattensänger, der da vor mir stand und…

Egal, was passiert, egal, wie es scheint: Hab niemals Angst vor mir.

Ich zuckte zusammen. Seine Stimme war klar und deutlich in meinem Kopf gewesen, aber diesmal war es keine Telepathie. Diesmal war es ein Echo. Die Worte, die er zu mir gesagt hatte, als ich bei ihm in seiner Erinnerung gewesen war, am Ufer des Sees.

„Gib es mir!”, schrillte das Wesen und stieß ungeduldig das Schwert vor meinen Füßen in das gleißende Nichts. Es blieb aufrecht in der Leere stecken.

Es hätte damit nach mir schlagen können. Ich schaute auf.

„Du kannst es dir nicht selbst nehmen, nicht wahr?”, fragte ich. „Du kannst selbst überhaupt nichts tun. Du brauchst einen Körper.”

„Ich habe einen Körper! Einen starken, mächtigen Körper!”

„Du kannst nichts tun, was dieser Körper verweigert!”

„Unsinn!”

Ich überlegte. Dann nahm ich das ay’cha’ree ganz vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt es in die Höhe.

„Hol es dir!”, sagte ich und hatte keine Ahnung, was ich da tat. Es war … Intuition.

Ich hörte hinter mir die yarlay nach Luft schnappen. Einer von ihnen zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen etwas Unverständliches. Wahrscheinlich fluchte er.

„Ich wette, du kannst es dir nicht nehmen”, sagte ich mit völlig irrsinniger Überzeugung.

Der Magier hob die Hand. Einen ganz kurzen Augenblick lang zögerte er.

Dann griff er zu, packte mein Handgelenk. Ich erschrak und umklammerte das ay’cha’ree mit der Faust, wollte es festhalten. Er lachte und begann langsam, meinen Arm an sich zu ziehen.

Was hatte mich geritten, mich Idiotin! Ich war überzeugt davon gewesen, dass Yalomiro mich nicht antasten würde. Dass er es jetzt doch tat, konnte nur bedeuten, dass das, was von ihm noch da sein mochte, völlig wehrlos war.

Sein Griff war unnachgiebig. Einen Augenblick lang war ich sicher, er würde mir die Hand brechen. Er tat mir weh. Ich ächzte und versuchte, mich aus seiner Umklammerung zu lösen. Aber es war zwecklos. Die kühle harte Schale des Artefakts presste sich in meine Handfläche, schmerzhaft und unnachgiebig. Und dann …

… war da etwas, etwas kühles, Silbriges zwischen meiner und seiner Hand. Es ging nicht vom ay’cha’ree aus. Es kam aus mir selbst. Es baute sich in meinen Adern auf, stieg mit meinem Blut meinen Arm entlang empor und konzentrierte sich als kribbelndes Gefühl in meinen Fingerspitzen. Es war ein irritierendes Gefühl, das ich im ersten Moment darauf zurückführte, dass er mir Blut und Nerven in der Hand abdrückte. Aber das war es nicht. Es war …

… vorbei. Es war zu schwach gewesen.

Das ay’cha’ree löste sich aus meiner Hand, als habe es einen eigenen Willen. Es hätte zu Boden fallen müssen, aber es gab keinen Boden. Es schwebte.

Der Schattensänger schnappte es mit einer lässigen Geste, umschloss es und lächelte.

„Danke”, sagte er.

Ich spürte die Blicke der yarlay auf mir liegen, das Entsetzen, das sie alle ergriff. Wahrscheinlich wusste keiner von ihnen, was geschah, aber sie ahnten, dass diese dumme leuchtende Murmel etwas sehr Wichtiges war, etwas, dessen Bedeutung sie nicht ermessen konnten und das doch das Schicksal ihrer Welt entscheiden konnte.

Bestenfalls schützten sie sich immer noch mit der Phantasie, einen bösen Traum zu erleben. Aber sie begriffen selbst dabei sehr wohl, dass es meine Schuld war, dass das Widerwesen in seinem neuen Körper nun das gefährliche Ding, möglicherweise eine tödliche, eine allzerstörerische Waffe, in der Hand hatte. Es war meine Schuld, weil ich einfach nicht fest genug zugepackt hatte. Weil ich mich zu etwas unglaublich Einfältigem und Dummen hatte hinreißen lassen.

Der Magier ließ das Schwert zu meinen Füßen stecken, schlenderte zurück zum Tisch, nun die Geige und den Bogen in der einen, das Artefakt in der anderen Hand. Er spielte damit!

„Es ist schade, dass es nun auch für dich hier zu Ende ist. Aber ich will dir noch Gelegenheit geben, es in aller Ruhe zu bereuen, dass du die Gelegenheit nicht genutzt hast, um in deine Welt zurückzukehren, nachdem dich hier wirklich niemand mehr gebraucht hat. Er hier, der gerade die Ehre hat, mein Vehikel zu sein, schon gar nicht. Er hat dich nicht verdient.”

Er lehnte sich an die Kante des Opfertisches, legte die Geige darauf ab. Er warf das heilige Artefakt der Lichtwächter respektlos in die Luft und fing es wieder auf. „Um ehrlich zu sein – es dürfte sehr unterhaltsam sein, zu beobachten, was geschieht, sobald ein Wesen aus einer anderen Welt hier in dieser stirbt. Ich glaube ja, dass du gar nicht wirklich von hier aus hinter die Träume gehen kannst. Vielleicht wird dein Geist zu etwas ganz anderen, ruhelosem. Zu etwas, was ich mir nutzbar machen kann. Vielleicht gehst du nicht hinter die Träume, sondern kommst zu uns ins Chaos. Das könnte amüsant werden, mit all den Chaosgeistern und einem weltenlosen Geisterwesen.”

„Ich … ich verstehe nicht …”

„Hat dir denn niemand von mir erzählt?”

„Du bist sowas wie ein Teufel, nicht wahr? Ein Dämon? Ein abgrundtief böses, übernatürliches Wesen? Ist das Chaos so etwas wie die Hölle?”

Es lachte. „Oh nein. Was du dir vorstellst, ist viel zu naiv. Gut, böse … Menschen müssen immer alles fein säuberlich in Kästchen einsortieren, nicht wahr? Wie fade! Wie engstirnig!”

„Was bist du dann? Was willst du?”

„Ich? Ich bin älter als diese Welt. Und ich will nur spielen.”

Ich schaute mich ratlos nach den Menschen um. Die Ritter, der junge teirand, Kíaná von Wijdlant, sie waren verängstigt bis zur Unbeweglichkeit. Aber ihre Emotionen nahm ich wahr wie ein ungezügeltes Schreien um Hilfe und Gnade. Diejenige, die mir am meisten über diese Welt beigebracht hatte, war Isan gewesen.

„Isan”, fragte ich und ahnte Böses, „was muss ich wissen, um das zu verstehen?”

Sie schüttelte heftig den Kopf. „Es ist verboten!”

Was auch immer sich in Yalomiro festgesetzt hatte, es schnaubte und kicherte. „Hörst du es? Die Mächte haben mich sogar aus der Erinnerung ihres Weltenspiels verbannt. Den Menschen bin ich ein Tabu. Und nicht einmal die Magier haben mit mir gerechnet. Man hat mich buchstäblich aus der Existenz heraus geschwiegen.”

„Isan …”

„Bitte Ujora! Ich habe dir erzählt, dass die Mächte spielen, nicht wahr? Dass ihr Spiel die Welt in Gang hält und alles schön und gut und in Ordnung ist!”

„Und?”

Isan wimmerte. Ihr Verstand schien es ihr unmöglich zu machen, es auszusprechen oder auch nur zu denken. „Das Spiel darf nicht im Chaos enden!”

Weltenspielverderber, zuckte es durch meine Vorstellung. Das Gesellschaftsspiel in der Bibliothek. Die Figuren in Gor Lucegaths Regal. So war das also gemeint.

„Die Mächte lassen dich nicht mitspielen, nicht wahr?”, fragte ich, ohne Yalomiro und das Etwas in ihm anzuschauen.

„Ich habe schon fast gewonnen”, sagte die Entität mit ihrer Metallstimme.

War da irgendetwas in seinen Augen, in seinen Worten, etwas das mir zeigte, ob der Schattensänger noch anwesend war?

„Dann willst du uns also töten?”, fragte ich.

„Natürlich. Aber nicht sofort. Wolltest du nicht wissen, wie es mit den Menschen weitergeht, die du so interessant fandest? Wir haben viel Zeit, nun, nachdem Yalomiro Lagoscyre mir seinen Körper und seinen Geist überlassen hat. In Pianmurít vergeht keine Zeit. Dies hier ist eine Erweiterung des Chaos, hinter den Grenzen des Weltenspiels, ein Hinterzimmer, ein Abstellraum, wie du es willst. Hier sind wir ungestört.”

Ich hätte jetzt irgendetwas entgegnen können, eine heroische und völlig nutzlose Forderung stellen, so etwas wie ‚lass die Menschen in Frieden, Bestie’ oder dergleichen. Wie peinlich, banal, zum Fremdschämen hätte das geklungen!

Ich schaute mich zu den zehn Personen um, die hinter mir standen. Ich hätte es besser nicht getan. Da waren … Schicksale in ihren Augen. Isans blaue Augen flehten mich an. Was hätte ich darum gegeben, ihr ein glückliches Ende wie in einer der Liebesgeschichten versprechen zu können, die sie so schätzte.

Die teiranda, so gebeugt, so schwach, so krank und doch so … lebendig unter diesen seltsamen Umständen. Was hätte aus ihr werden können, wenn sie den gerade völlig überforderten, aber doch sicherlich herzensguten teirand näher kennengelernt hätte? Ein seltsames, aber vielleicht ideales Paar hätten die beiden abgegeben.

Die yarlay … jeder mit seiner eigenen Queste. Die von yarl Althopian kannte ich in Teilen. Wo seine yarlara nun sein mochte? Und Moréaval … er war doch noch so jung! Arámaú hatte ihn auf ihre Weise gern gehabt. Seine Geschichte durfte hier nicht enden! Aus den Wortwechseln wusste ich zusammenhanglose Bruchstücke, über einen kleinen Sohn, eine liebende Mutter, einen wahrscheinlich dementen Vater, eine seltsame arrangierte Heirat, oder wie auch immer das hier in dieser Welt gehandhabt wurde. So viele Geschichten! So viel, was nicht enden durfte, nur weil ein übernatürliches Wesen aus Übermut ein Spielbrett umwarf …

„Und…”, fragte ich, „was hast du mit Yalomiro Lagoscyre vor, wenn du mit uns hier fertig bist?”

Das Widerwesen drehte sein funkelndes Glitzerspielzeug, das heilige Objekt der Lichtwächter, möglicherweise im Weltenspiel so etwas wie ein Würfel, der ständig den höchsten Wert zeigte, vor den blinden Augen, die es gerade benutzte.

„Nun, zum einen werde ich mit seiner Hilfe und der Magie, die Noktáma ihm geliehen hat, und dem ay’cha’ree als Verstärker das ausbauen, was der Lichtwächter zugegeben sehr ordentlich begonnen hat. Natürlich werde ich mich zugleich nach dem nächsten Körper umsehen müssen, denn auch der hier wird einmal abgenutzt sein und versuchen, mir zu entfliehen. Ich denke, in Aurópéa sollte sich etwas Passendes unter den arcaval’ay finden lassen.”

„Und wozu das ay’cha’ree? Brauchst du tatsächlich fremde Magie, wenn du so mächtig bist?”

Der Schattensänger schaute auf. Er antwortete nicht sofort.

„Du bist gar nicht so mächtig, nicht wahr? Du … du stiehlst Magie. Und nicht einmal das kannst du selbst. Du brauchst Menschen, die für dich handeln.”

„Spielt das jetzt noch eine Rolle? Fühlst du dich besser, dumme Unkundige, wenn du zu verstehen glaubst, was ich bin und tue?”

„Ja. Es fühlt sich besser an, wenn ich – wenn wir alle hier wissen, dass das, was die ganze Zeit Unruhe ins Weltenspiel bringt, ein körperloses Etwas ist, das keine eigene Macht besitzt!”

„Ujora!”, rief Kíaná von Wijdlant entsetzt aus. Yarl Lebréoka tat einen panischen Schritt in meine Richtung, als wollte er mir rasch den Mund zuhalten. Ich wich ihm aus.

„Was für eine lästerliche Rede”, tadelte das Widerwesen mit seiner scheppernden Metallstimme.

„Möglich. Aber ich kann es aussprechen, ohne ein Sakrileg zu begehen. Dies ist schließlich nicht mein Weltenspiel!”

Es lachte. „Und diese Erkenntnis, dumme Unkundige, glaubst du, ändert irgendetwas an Eurem Schicksal?”

„Dann habe ich recht? Wir stehen hier und zittern vor einem – Nichts?”

Fánjula!”, rief Alsgör Emberbey. Offenbar war selbst ihm das nun zu viel. „Hüte deine Zunge!”

„Vor einem Nichts, das Euch alle, einen nach dem anderen, nun auslöschen wird.” Der Magier fing das ay’ch’ree ein und ging dann gemessenen Schrittes auf die Menschen zu. Er schlurfte erneut durch Gor Lucegaths Blut, und unter seinen Schritten knirschten die Spiegelscherben.

Hätte ihn einer der yarlay nun erschlagen können? Jeder einzelne hielt eine Waffe in der Hand. Aber natürlich kam keiner auch nur auf den Gedanken, es zu versuchen. Warum auch. Yalomiros Körper war … unsterblich?

Wenn das Widerwesen, nach alledem, was ich wusste, auf einen Körper angewiesen war, und dieser Körper einfach … aufhörte zu leben …

Der Gedanke hatte etwas beunruhigend Plausibles. Vielleicht würde das Widerwesen einen der übrigen Anwesenden in Besitz nehmen. Aber nein … das nützte ihm nichts. Es brauchte Magier. Ich hatte die absurde Idee, dass ein Unkundiger, von dem es Besitz zu ergreifen versuchte, ihm möglicherweise zu eng war und augenblicklich zerreißen würde.

Aber hieße das dann nicht, dass es aus Pianmurít auch nicht mehr herauskäme, wenn ihm hier, an diesem Ort, die Hülle genommen würde? Selbst, wenn es uns alle, einen nach dem anderen umbrachte, aber so, dass unser Tod noch einen Sinn ergab?

Gab es eine Möglichkeit, Yalomiro zu retten? Hatte das Widerwesen ihn bereits assimiliert, wie es es mit Gor Lucegath getan hatte? Sie waren fort, seine gütigen Augen, die sanft-warme Stimme. Aber stand Yalomiros Herz bereits still?

„Wieso”, fragte des Wesen, „versiegelst du deine Gedanken? Ich warne dich, Ujora. Was immer dir durch deinen dummen unkundigen Geist geht, es ist nichts, was mich dauerhaft aufhalten wird. Du hast nichts, was mich aufhalten wird.”

Doch, dachte ich. Habe ich.

Ich nahm all meinen Mut zusammen. Dann griff ich nach Gor Lucegaths Schwert.