Das Widerwesen wirbelte um uns herum. Es war überall, nicht nur zu unserer Seite, auch über unseren Köpfen und unter uns. Dabei hielt es keinen gleichbleibenden Abstand, es schnellte heran und dehnte sich wieder aus, eine amorphe Sphäre aus dem seltsamen, nebelartigen, flimmernden Etwas, aus dem Pianmurít bestand und was wie eine Patina über Wijdlant gelegen hatte.

Yalomiro spielte auf seiner Geige, langgezogene, kraftvolle Töne, die er vor sich ausrichtete und die in dem Klirren und Kreischen fast absurd massiv klangen. Er stand dabei nicht still. Er drehte sich tänzelnd mit dem Wirbel und schien sich auf einen Fixpunkt in der wabernden Masse zu konzentrieren. Es war, als suche er Deckung hinter einem Schild aus Musik.

Das Lied schimmerte – ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben sollte. Ich konnte den Klang sehen, oder zumindest irgendwie mit anderen Sinnen wahrnehmen als mit dem Gehör, ein konfuses und verstörendes Durcheinander von Reizen und Reflexen. Es war erstaunlich, dass mein Verstand angesichts dessen nicht aussetzte.

Das Widerwesen toste umher und griff nach ihm, versuchte, ihn herumzustoßen. Er stemmte sich dem Druck und Sog entgegen, sein Mantel bauschte sich, sein Haar wehte ihm ins Gesicht, als stünde er in einem Sturm. Gegen den vollen, warmen Klang der Geige kreischte das Zetern und Brüllen des Weltenspielverderbers an wie ein dissonanter Chor riesiger Metallfräsen.

Ich hielt Gor Lucegaths Schwert immer noch in der Hand, rappelte mich auf und versuchte, noch ganz benommen von der sonderbaren außerkörperlichen Erfahrung, mich zu orientieren. Das kreiselnde, eiernde Etwas machte mich schwindelig, aber glücklicherweise wurde mir nicht schlecht dabei.

Yalomiros Gesicht war wie erstarrt; in höchster Konzentration, seine Augen strahlend silbrig. Er fixierte etwas in dem Wirbel, das mal oben, mal unten war. Vermutlich konnte er etwas erkennen, was der Kern, der Ursprung der Entität sein mochte. Sein Spiel war furios, kraftvoll, es war fast massiv und floss mir durch alle Nervenbahnen. Dort, wo Leimstellen gewesen waren, pulsierte Magie durch das Instrument wie durch Adern. Offenbar hatte Arámaú sich getäuscht, als sie behauptete, das Instrument ließe sich nicht mehr reparieren.

Und Yalomiro selbst … Er schaute mich nicht an. Er spielte und tanzte und er war … mächtig. Eine entsetzliche, übermenschliche Macht strahlte von ihm aus, aber nicht etwa seine hochpotenzierte, magische Kraft. Yalomiro war kein Mensch mehr. Er war … vermutlich war er in diesem Moment selbst ein Werkzeug der Mächte, was immer diese Mächte letztlich tatsächlich sein mochten. Tatsächlich … ich hatte in diesem Moment nicht wirklich Angst vor ihm. Das wäre das falsche Wort gewesen. Es wareher eine Art von … Ehrfurcht? Entsetzen?

Yalomiro hatte zwar zu mir gesprochen. Aber das hier war nicht er, nicht nur. Das hier war ein furchtbares, allmächtiges Wesen, eines, das dem chaotischen, waberndem Widerwesen Widerstand leisten, es vom Weltenspiel ablenken konnte. Vielleicht in alle Ewigkeit, ohne dass es enden würde. Hatten die Mächte aus ihm eine Art Gegengewicht gemacht, eine Figur, die sie alle zugleich mit ihren unbegreiflichen Kräften lenkten? Etwas, das dazu bestimmt war, die Aufmerksamkeit des Weltenspielverderbers zu beschäftigen, damit die Mächte in Ruhe weiterspielen konnten? Etwa so (und ich musste fast lachen angesichts der Banalität dieser bizarren Assoziation) wie in einfaches Spielzeug, das man einem nervenden Kleinkind gab, das ein Schachturnier stört?

Aber nein … das wäre zu einfach. Wenn es so leicht gewesen wäre, das Widerwesen abzulenken, dann hätten die Mächte es gar nicht so weit kommen lassen. Den Mächten reichte es nicht, dass das Widerwesen einfach nur Ruhe gab.

Sie erwarteten, dass Yalomiro es zurück in seine eigenen Gefilde schickte, wo es nicht störte. Zurück ins Chaos.

Der echte Yalomiro war irgendwo dort drinnen, eingeschlossen in einer Hülse aus unfassbarer Macht. Und doch … wenn das Widerwesen ihn irgendwie zu Fall brachte, dann würde alles umstürzen, wie Dominosteine

Ehrfurcht? Nein. Ich verspürte blanke Panik. Er war in höchster Gefahr! Ich musste ihm helfen!

Das Widerwesen wich nicht zurück. Es schien zwar keinen Punkt zu finden, um ihn anzugreifen, aber sehr viel mehr, als es auf Abstand zu halten, konnte er mit seinem Lied auch nicht. Womöglich würden sie sich immerfort und in einem unendlichen, absurden Tanz gefangen, umkreisen, während die Mächte abwarteten und das Weltenspiel stillstand.

Ich schaute ratlos auf das Schwert hinab. Konnte mir Meister Gors magische Waffe in irgendeiner Weise jetzt noch von Nutzen sein? Das schimmernde Metall – was immer es tatsächlich sein mochte – spiegelte matt. Ich erhaschte einen ganz kurzen, verzerrten Blick auf mein eigenes Gesicht. Meine Augen … leuchteten.

Arámaú? Hatte sie tatsächlich im Sterben ihre letzte Magie in mich hinein gesungen? Hatte sie es getan, damit ich ihm helfen, zu ihm vordringen konnte?

Ich ließ das Schwert fallen. Es war leer. Gor Lucegath selbst hatte das Artefakt mit dem letzten Rest seiner Magie zerschlagen und das Licht befreit. Nun brauchte Yalomiro meine Hilfe, nicht die einer verbrauchten Zauberwaffe.

„Yalomiro”, kam es mir über die Lippen, ohne dass ich darüber nachgedacht hätte. Ich musste ihn festhalten!

Er hielt das Widerwesen mit seiner Musik auf Distanz. Aber er kam nicht zum Erfolg damit. Gerade kehrte er mir wieder den Rücken zu. Das komplizierte Muster auf seinem Mantel, sicherlich in Tuch und Faden gewobene Magie, das ich so oft gesehen und nie näher beachtete hatte, glitzerte vertraut, während das Widerwesen um uns herum waberte. Ich richtete mich auf und bereute es augenblicklich. Mein Körper war so entsetzlich schwer, als wirke eine viel, viel stärkere Anziehungskraft auf ihn ein als gewohnt. Der Druck quetschte mich zusammen und nahm mir den Atem. Hier, im Inneren des Widerwesens, war nicht nur Raum und Zeit aus dem Gefüge.

„Yalomiro!” Ich streckte die Hand nach ihm aus. Aber ich verfehlte ihn.

Doch ich gab nicht auf. Das Atmen wurde immer schwerer, fühlte sich an, als verkleinerten sich meine Lungen. Mein Brustkorb fühlte sich an wie eingeschnürt.

„Yalomiro …” Ich nahm all das, was ich an Kraft noch hatte, und ließ mich ihm entgegen fallen, auf das schimmernde Ornament zu. Diesmal gelang es. Er zuckte zusammen, und die schwache maghiscal um mich herum vermengte sich mit der seinen, wie zusammengegossene Flüssigkeiten, verwirbelte mit ihr und wurde zu etwas Neuem.

Ich legte meine Arme um ihn. Ich spürte sein Herz unter meiner Hand. Er spielte unbeirrt weiter. Ich schmiegte mein Gesicht an seinen Rücken. Und ich sprach es mit dem letzen Atem in meinen Lungen aus.

„Yalomiro … wir sind füreinander!”

Er keuchte auf, als schrecke er aus einem tiefen Schlaf aus. Energie zuckte durch seinen Körper, ich konnte es unter meinen Fingern spüren. Es griff auf mich über, war herrlich und magisch und voller Glück. Wir verschmolzen miteinander, wurden für einen winzigen Moment ein einziger Körper. Yalomiro schrie auf, ich schrie, ein Ausruf, orientierungslos irgendwo zwischen Euphorie, Ekstase und Agonie. Das Widerwesen zuckte wie erschrocken weg von uns.

Dann ließ Yalomiro den Bogen sinken. Einen Moment stand er still, war es still. Ich umklammerte ihn und ich weinte, überwältigt von den Emotionen, die uns beide zugleich durchtobten. Ich konnte spüren, wie sich etwas in seiner Seele mit der meinen zusammenfügte. Der wunderschöne Pflanzenduft wurde überwältigend intensiv.

Das Widerwesen wogte heran, heftig, voller Wut. Yalomiro drehte sich zu mir um. Ich konnte spüren, wie die Allmacht von ihm abfiel wie eine bröckelnde Schale, wie Staub. Da stand er, zerzaust von dem entsetzlichen Gewirbel der Wesenheit, die Narbe über seinem Herzen immer noch entblößt, und Tränen, die über seine Wangen rannen, so fremd in seinem Gesicht. Hatte ich ihn je zuvor weinen sehen?

„Ujora”, wisperte er in das unablässige Schaben und Klirren hinein. „Hýardora.”

Hýardor“, antwortete ich leise.

Wir standen einander gegenüber, im Zentrum der Verneinung, des Nichts, es gab nur ihn und mich. Die Mächte hatten uns an diesem seltsamen Ort, in dieser unbegreiflichen Gefahr, über Welten hinweg zusammengeführt.

Unsere maghiscal war unzerstörbar. Geborgenheit. Wenn wir beide in diesem Moment gestorben wären, es wäre mir egal gewesen.

Aber Yalomiro hatte nicht vor zu sterben. Er hob den Bogen und wandte sich dem Widerwesen zu.

Was glaubst du zu sein?, kreischte seine Stimme, wie zerreißendes Eisen. Was hast du mir zu entgegnen?

„Ich bin Yalomiro Lagoscyre. Ich bin ein Schattensänger mit einer vollständigen Seele. Fürchte mich!

Das Widerwesen lachte, wie eine Blechdose, in der Schrauben klimperten. Es klang bei alledem ein wenig erstaunt. Yalomiro lächelte finster. Er wirbelte den Bogen spielerisch zwischen seinen Fingern herum und setzte ihn erneut auf die Saiten.

Und er spielte, warf dem Widerwesen sein Lied entgegen. Aber die Melodie hatte sich nun verändert. Sie war nicht mehr magisch. Sie war … lebendig. Die Töne waren kürzer, schneller, heftiger. Ekstatischer. Er sang. Und jeder Ton schien körperlose Dinge um uns herum zu treffen wie ein Schwertstreich.

Das Widerwesen waberte, es tobte, versuchte, die Melodie zu übertönen, aber es gelang ihm nicht, in den Kokon aus Leben einzudringen, den Yalomiro nun mit seinen Klängen um sich und mich herum wob. Ich hörte, wie die Musik gegen das leere Kreischen anschrie, und ich erkannte in den Melodien und Rhythmen Emotionen. Nicht nur schöne, positive Gefühle wie Glück und Lebensfreude, oh nein. Yalomiro spielte und sang ebenso von Wut, Enttäuschung und Trauer, von Neid und Scham. Angst erklang neben Geborgenheit, Langeweile neben Übermut, Eitelkeit neben Schwermut und Enttäuschung neben unbändiger Freude.

Doch all das war kein ungeordnetes Chaos aus Klängen. Yalomiros Lied verwob alle Facetten mit dem Leitmotiv, das in seiner Seele erwacht war.

Ich kann nicht sagen, wann wir erneut begonnen hatten, zu tanzen. Wie damals, in jener Nacht am Waldrand, tanzte ich mit Yalomiro zu seinem Lied des Lebens. Wir tanzten im Inneren eines unbegreifbaren Wesens, im Herzen der Verneinung.

Es war absurd und wunderschön zugleich. Er lachte leise. Mit jedem Atemzug veränderte sich etwas in mir. Mir kam es vor, als könne ich den Fluss meines eigenen Blutes spüren, wie ein warmes, sanft rinnendes Gewässer. Das war … sonderbar. Und fühlte sich phantastisch an. Irgendwann, das bemerkte ich erst, als ich es schon längst tat, sang auch ich.

Das Widerwesen wand sich und erzitterte.

Ihr könnt mich nicht zerstören!, zürnte es.

„Wir nicht. Die nach uns kommen vielleicht.”

Hatte Yalomiro das gesagt oder gespielt? Ich wusste es nicht.

Ihr dummen Sterblichen! Eure Lebenszeit ist nicht mehr ein Wimpernschlag!

Yalomiro neigte den Kopf. Und dann schmetterte seine Geige dem Widerwesen etwas entgegen, das unaufhaltsam war. Über alle Takte und durch sie hindurch tönte etwas, das nichts anderes war als … nun ja. Liebe.

Das wirbelnde Chaos um uns vibrierte und blähte sich zu etwas Ungeheurem auf. Dann zerbarst es und verschwand, als sei es nie dagewesen.

Ohne einen einzigen Laut

***

Meister Gors Turmzimmer war wesentlich kleiner, als ich es in Erinnerung hatte. Wir standen beide mitten auf dem grausigen Opfertisch wie auf einer kleinen Bühne. Ich hätte die verblichene Deckenmalerei berühren können, wenn ich die Hand gehoben hätte.

Staub tanzte träge in den Sonnenstrahlen, die durch das nördliche Fenster drangen. Yalomiro ließ die Geige sinken und blinzelte. Mit jedem Lidschlag dimmte das Leuchten seiner Augen ab, bis nur noch seine silbern gesprenkelte, dunkelbraune Iris übrig blieb. Zu meinen Füßen lag das Schwert und schimmerte wie ein Insektenpanzer.

Einen Moment standen wir stumm da, bis unser Atem sich wieder beruhigte. Dann seufzte er erleichtert und breitete die Arme aus. „Ujora!”

Ich warf mich an seinen Hals und umklammerte ihn. Eine gewaltige Last fiel mir vom Herzen. Ich zitterte und schluchzte. „Yalomiro!”

Wir schmiegten uns aneinander. Es war überstanden. Er war bei mir. Nun war alles … es war … il’ay-ra. Alles war gut.

Es tat so gut, zu weinen. Yalomiro versuchte nichts, um mich zu beschwichtigen. Er hielt mich einfach fest und war bei mir. Das tat so gut!

„Was für ein Glück”, wisperte er schließlich, „dass du die Geige gerettet hattest.”

„Du hattest selbst gesagt, dass du Dinge reparieren kannst”, schniefte ich. „Knochen, Scherben, Holz …”

„Erschrick nicht”, sagte Yalomiro, nachdem wir eine kleine Ewigkeit einfach nur in unserer Umarmung dagestanden hatten. „Sie sind hier.”

Ich nickte und drehte mich um. Ich ahnte, was für ein Anblick mich erwartete.

Arámaú sah aus, als schliefe sie und träume etwas Schönes. Ihr Gesicht war entspannt, ihre Augen geschlossen. Das mondhelle Haar bauschte sich wie ein Kissen unter ihrem Kopf. Sie war wunderschön. Kein Wunder, dass Jóndere Moréaval ihr augenblicklich verfallen war.

Gor Lucegaths Gesicht war von mir abgewandt, wofür ich zutiefst dankbar war. Sein ausgestreckter Arm schien nach der Maske zu langen, die einen Schritt weiter unter dem Fenster lag. Der Rest seines Körpers war Fleisch in rohen Stücken und viel rotes Blut, das die Fetzen seiner vornehmen Gewänder durchtränkte. Ich presste mir die Hand vor den Mund. Übelkeit schwallte in mir auf, aber ich konnte mich beherrschen.

Yalomiro stieg vorsichtig vom Tisch herunter, bückte sich nach der Maske. Er hob sie auf und betrachtete sie von allen Seiten.

„Hat es ihn damit … kontrolliert?”, fragte ich nach einer Weile.

„Es scheint so. Die beunruhigende Frage ist, wer das Werkzeug erschaffen hat und wie es in seinen Besitz kam. Ich fürchte, wir werden es nie erfahren.”

Dann reichte er mir die Hand, um mir vom Tisch herabzuhelfen.

Ich war benommen und fühlte mich seltsam schwer, aber diesmal war es eine merkwürdig angenehme Schwere, etwa so, wie wenn man nach dem Schwimmen aus dem Wasser steigt.

„Was war das alles?”

Yalomiro legte die Maske neben das Schwert auf den Tisch.

„Du hast es vertrieben.”

„Ich? Wieso ich?”

„Wer, wenn nicht du?”

Du hast es gebannt!”

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe nur ein wenig musiziert. Die Scherben hast du zusammengefügt. Die von meinem Instrument und die in meinem Inneren. Ohne dich, Ujora, wäre die Geige nie dermaßen mächtig geworden. Und ich … möglicherweise wäre ich ohne dich jetzt nicht mehr als ein wahnsinniger Chaosgeist.”

„Aber …”

„Der Magier, der es tatsächlich einmal besiegen wird, der ist noch nicht geboren. Möglicherweise liegt es nicht einmal in den Händen eines Magiers, es zu tun. Was hier gerade geschehen ist, das ist nur … ein Aufschub. Zeit. Ein Wimpernschlag.” Er stützte erschöpft die Hände auf die Tischkante und betrachtete das Schwert. „Aber mit etwas Glück haben wir es verwirrt und verwundbar gemacht.” Er schaute mir über den Tisch, über Geige, Schwert und Maske hinweg in die Augen. „Du hast Gor Lucegath eine große Gnade erwiesen. Durch deine Hand und seine Magie ist nun auch das Licht wieder vollständig.”

„Eigentlich”, entgegnete ich, „war das alles nur … irgendwie passiert.”

„Es konnte passieren, weil er dir vertraut hat. Ich denke, er hat dich respektiert und auf eine wunderliche Art … gern gehabt.”

Ich schaute instinktiv hinauf zu dem Bild, zu der goala’ayra in ihrer Würde, Milde und Reinheit.

„Er wusste, was Liebe ist”, sagte ich leise. „Das da, dieses Bild … das war das, was er haben wollte. Er wollte keine Macht für sich. Er wollte das ay’cha’ree, um den Mächten dienen zu dürfen. Wie damals. Er wollte den Frevel gut machen, den seinesgleichen begangen hat.”

Er betrachtete das Gemälde ebenfalls einen Augenblick nachdenklich. „Damit konnte es ihn also tatsächlich verführen.”

Dann hockte er sich neben Arámaús Körper und strich ihr sacht über die Stirn. Ich kam näher. In meinem Leben hatte ich noch nie einen Leichnam gesehen, und ich denke, ich war in diesem Moment noch nicht dazu in der Lage, zu begreifen, dass sie tatsächlich tot war, so friedlich, wie sie da lag. Wahrscheinlich hätte mich der Anblick einer toten Katze wesentlich mehr schockiert. Trotzdem ergriff mich mit jedem Moment größere Traurigkeit. Sie war die beste Freundin gewesen, die ich in meinem Leben gehabt hatte.

„Ich wusste, dass ich sie verlieren würde,” sagte Yalomiro mit gefasster Stimme. „Ihr war es auch klar. Es musste so geschehen.”

„Sie hat mir ihre Magie überlassen.”

„Ich weiß. Auf diese Weise hat sie all das hier ermöglicht.”

„Yalomiro?”

Er wandte sich mir zu.

„Wer war der Schwarze Meister?”

„Auch camat’ay haben ihre dunklen Geschichten, Ujora. Es ist nicht der passende Ort und Augenblick, die seine zu erzählen. Wir haben noch Dringliches zu tun. Aber du sollst alles erfahren. Reicht dir das für den Moment?”

Ich nickte.

„Dann sollten wir uns nun um die Unkundigen kümmern.”

Er nahm die Geige an sich und ging ohne ein weiteres Wort hinüber zur Kammertür. Sie führte nun hinaus zu einer schmalen Wendeltreppe, anders, als ich sie in Erinnerung hatte. So normal – eine Treppe, wie man sie in einem Burgturm erwarten würde. Ich folge ihm, aber er blieb auf dem Absatz stehen.

„Du solltest die Tür versiegeln”, sagte er. „Es dürfen keine Unkundigen diesen Raum betreten, solange darin noch Unordnung herrscht.

„Aber … das kann ich doch nicht!”

„Natürlich kannst du. Das war Arámaús leichteste Übung. Sie schätzte es nicht, überrascht zu werden. Denk nicht darüber nach. Probier es aus. Ich helfe dir.”

Ratlos legte ich die Hand auf die Tür. Yalomiro legte seine Fingerspitzen darauf. Das sacht rinnende Gefühl, das wohl doch nicht mein Blut war, änderte seine Richtung. Ein ganz zartes Etwas sprang von meinen Fingerspitzen auf das Holz, wie ein winziger kleiner Funken. Es war ganz und gar unspektakulär.

„Sehr gut”, lobte Yalomiro. „Für jemanden, der Magie für Unterhaltung, Betrug und Märchen hält.”