
Die Geige lag vor mir auf dem Tisch, nun zusammengefügt zu einem Teil. In ihrem Korpus, an einer Kante, klaffte das Loch, dort wo die letzte Scherbe fehlte. Ich war ratlos. Wie nur konnte ich es anstellen, diese aus dem Versteck in der Kemenate der teiranda zurückzuholen? Schließlich konnte ich nicht so einfach in ihr Gemach spazieren und dort in die Bodenvase greifen, ohne dass jemand eine Frage gestellt hätte.
Ich begann zu überlegen, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, das letzte Bruchstück des magischen Instruments außerhalb meiner Reichweite zu verstecken. Aber hätte Arámaú mir diesen Rat ohne Grund gegeben?
Yalomiros Zauberinstrument bot, unter dem grauen Tageslicht betrachtet, einen jämmerlichen, deprimierenden Anblick. Ich hatte mich so sehr bemüht, ordentlich zu arbeiten. Aber natürlich war es nicht ganz ohne Kleckern mit dem Leim gelungen An manchen Stellen sah es so aus, als hätte ich die Ränder nicht ganz sauber zusammengefügt. Seinen lackschwarzen Glanz hatte das Holz ohnehin verloren.
Die Geige war tot.
Vielleicht stimmte es. Wahrscheinlich würde nie wieder jemand darauf spielen.
Möglicherweise ließen sich gewisse Dinge einfach nicht reparieren.
Immerhin hatte ich es versucht.
Ich stand frustriert auf und schaute aus dem Fenster. Draußen schienen Vorbereitungen für den Empfang von Asgaý von Spagor stattzufinden. Yarl Altabete war auf dem Hof und gab Leuten lustlose Anweisungen. Der Hof wurde aufgeräumt, Dinge, die nicht unbedingt umher stehen mussten, Schubkarren, Fässer und allerlei Arbeitsgerät schaffte das Gesinde der teiranda beiseite. Ich sah einige der Mägde, wie sie ausgeblichene und zerschlissene Banner unter den Fenstern befestigten. Hier und da glitzerte ein übrig gebliebener Goldfaden in den verwaschenen Stickereien auf. Vielleicht hatten die Wimpel und Fahnen einst einen Turnierplatz geschmückt, oder es waren Menschen vergangener Zeiten darunter in den Krieg gezogen. Sicher hatten sie eine bewegte Geschichte. Aber hier, unter dem Einfluss von Gor Lucegaths Zauber, waren sie nicht mehr als Lumpen. Müll.
Obwohl so viele Personen in Bewegung waren, blieb der Eindruck von Hektik aus. Ganz im Gegenteil; es schien, als bewege sich der größte Teil der Leute in Trance. Jeder Handgriff saß, niemandem fiel etwas herunter, keiner machte einen unnötigen Schritt.
Wie ein Uhrwerk.
Auf dem Wehrgang der Mauer gegenüber sah ich yarl Moréaval in seinem grün-gelb-staubfarbenen Waffenrock stehen und in die Ferne schauen. Wo yarl Grootplen sich herumtreiben mochte, wusste ich nicht zu sagen. Sicher hatte er irgendwelchen Papierkram zu regeln. Immerhin war er der mynstir.
Dass Gor Lucegath nirgends zu sehen war, beunruhigte mich. Wenn er eine Konfrontation mit Yalomiro schon in der kommenden Nacht erwartete, hätte er sich nicht längst danach erkundigen müssen, welchen Ausweg aus dem Weltenspiel ich wählte? Oder erwartete er allen Ernstes, dass ich noch einmal aus freien Stücken den Aufstieg in den Turm wagte, solange dazu noch Zeit war?
In der kommenden Nacht …
Was immer der Rotgewandete hier inszeniert hatte, offenbar steckte ein minutiöser Zeitplan dahinter. Vielleicht hatte er die ganze Sache mit dem fremden teirand und der teiranda nur angezettelt, damit die Menschen abgelenkt waren. Damit er sich ungestört mit Yalomiro befassen konnte.
Ich schauderte. Dann realisierte ich, dass die Geige schutzlos auf dem Tisch lag. Ich hob sie vorsichtig auf. Der Körper verzog sich ein wenig unter meinen Fingern, da der Leim noch nicht vollständig ausgehärtet war. Kurz überlegte ich, das Ganze wieder in die Truhe zu legen. Ich entschied mich dagegen. Womöglich würde sie in der Truhe nicht schnell genug trocknen. Also bettete ich sie auf eines der Stuhlkissen und schob sie, einer Eingebung folgend, unter das Bett. Dort würde jemand, der das Zimmer betrat, sie zumindest nicht sofort sehen.
Dann schaute ich wieder hinaus, hinüber zu yarl Moréaval. Aus irgendeinem Grund empfand ich unter den drei yarlay mit ihm das meiste Mitleid. Er schien mir der empfindsamste zu sein, und nachdem der Schleier von seiner Gestalt gefallen war, wusste ich nun auch, dass er ein sympathischer, adretter junger Mann war. Bestimmt waren an Kíanás Hof einige der jüngeren Mädchen heimlich in ihn verliebt. Wonach bückte er sich da?
Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, es zu erkennen. Es war zu weit weg, und ich wagte nicht, zu glauben, was ich sah.
Doch ich glaubte zu erkennen, dass er eine Katze streichelte, die um seine Füße strich. Eine Katze mit scheckigem Fell.
***
„Wenn du es eilig hast”, sagte Egnar gelassen, „musst du eben von Bord. Du kannst dich doch in was anderes verzaubern.”
Yalomiro schaute den Fischer nicht an. Sein silberner Blick lag konzentriert auf den Punkt gerichtet, wo an der Küste das Leuchtfeuer erstrahlen würde, um den Fischerbooten den Weg zu ihrem Dorf zu weisen. Noch war es dazu allerdings zu hell. Die Sonne stand erst seit einer kurzen Weile hinter ihrem Segel.
„Das nützt mir nichts. Ich kann meinen … Schatz nur in meiner Menschengestalt tragen.”
„Dann musst du noch eine Weile Geduld haben.” Egnar trank vergnügt einen Schluck aus seinem Schnapsfläschchen. Nun, da der Strand fast in Sichtweite war, konnte er sich das erlauben. Es gab nicht mehr viel zu tun. Sie hatten den Anker geworfen und mussten nun nur noch auf die Flutwelle warten, die sie das letzte Stück an ihren Liegeplatz tragen würde. Im Augenblick konnten sie nicht weiter, denn eine Sandbank lag zwischen ihnen, dem breiten Streifen Watt und dem Ziel. Geduld zu haben gehörte zum Alltag eines keptyen.
Der Laderaum des kleinen Kutters war randvoll mit Fisch. Egnar und Majék würden gemachte Leute sein, sobald der Fang ausgenommen und eingesalzen war. Mindestens drei Monde lang würden sie nun nicht mehr ausfahren müssen. Das wäre die Gelegenheit, mit Kelwa einige Tage nach Virhavét zu reisen. Und auch Majék sollte die Gelegenheit haben, in der Stadt ein paar nützliche Dinge einzukaufen, sobald der Fang zu Geld geworden war.
„Was soll ich Eurem teirand sagen?”, fragte Yalomiro, ohne den Blick vom Strand zu wenden.
Egnar schreckte aus seinen Gedanken auf. „Hä?”
„Ich hatte Euch versprochen, Asgaý von Spagor ins Gewissen zu reden, als Lohn dafür, dass ihr diese Reise für mich unternommen habt. Erinnert ihr euch vor lauter Gedanken an Geld und Ruhm nicht mehr daran?”
Egnar schob seine Mütze zurück und kratzte sich beschämt im Nacken. Nun schaute der Schattensänger ihn an.
„Nun ja. Ich dachte, das wüsstest du selbst am besten. Ich meine … du bist doch ein Magier.”
Yalomiro verschränkte die Arme und lehnte sich an die Reling. „Das macht mich nicht zu einem Weisen. Zumal ich wenig über das weiß, was Unkundige untereinander umtreibt. Was wollt ihr, das er für euch tut? Werdet konkreter!”
Egnar zuckte die Achseln. „Wir… na ja. Wir wollen einfach ‘n teirand haben. ‘nen richtigen teirand. Einen, den man in Rodekliv und Férocrivé ernst nimmt.”
„Dann erzähl mir von seinen Eltern. Was war damals anders?”
„Nun ja … Wenn was anlag, wenn wir’n Problem hatten, haben sie sich gekümmert. Damals zum Beispiel, als der Sturm ‘ne große Düne weggerissen hat. Oder als die aus Rodekliv sich einfach in unseren Fischgründen breitgemacht haben …”
„Und würde das heute passieren, euer teirand würde sich nicht für euch einsetzen?”
„Der würde nicht einmal begreifen, dass er etwas tun könnte. Die yarlay, klar, auf die können wir uns verlassen. Der alte Emberbey hatte damals, als das mit den Fischgründen war, ein paar von seinen Leuten hergeschickt. Ich sag dir, die aus Rodeliv, gerudert sind, als wäre Chaosgeister hinterdrein! Aber wenn der teirand die beiden einmal aus seinem Dienst entlässt, weil ihm das alles lästig wird… wie soll das Weltenspiel enden?”
Er schaute sich nach Majék um. Der junge Mann richtete irgendetwas an den Segeln und träumte möglicherweise davon, mit welchem Respekt man sie im Dorf empfangen würde. Vielleicht auch, wie sich das Mädchen, dem er beim Tanzen fortwährend auf die Füße gestiegen war … geneigt zeigen würde, sobald er Geld in der Tasche hatte.
„Was soll aus den jungen Leuten werden, wenn der teirand aus dem Weltenspiel aussteigt?”
„Warum sollte der teirand sich von seinen ehrenhaften Gefolgsleuten trennen?”
„Na ja. Vielleicht hat es einfach keine Lust auf die Verantwortung.”
„Aber braucht ihr denn wirklich jemanden, der über euch herrscht?”, fragte Yalomiro sanft. „Seid ihr im Dorf denn nicht miteinander stark genug, um dem Sturm und der Stadt zu trotzen?”
Der Fischer schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht ohne unseren teirand. So, wie die Mächte es woll’n.”
„Ihr denkt also, die Mächte würden es euch nicht zutrauen, eure eigenen Züge zu tun? Was spricht dagegen, solange ihr ihnen zum Gefallen handelt?”
„Ach, du redest lästerliches Zeug! Es ist nicht leicht, mit der Stadt auf der einen Seite und zanklustigen Herren auf der anderen Seite.”
„Aber wonach sollte der teirand nach euren Wünschen suchen? Nach Macht? Nach mehr Reichtum? Nach Ruhm?”
„Kelwa sagt, ‘ne hýardora sei nicht schlecht.”
Der Schattensänger zuckte zusammen.
„Wenn Liebe da ist”, rezitierte Egnar ironisch, „dann hat das Leben Sinn und Ziel.”
Das klang ein bisschen spöttisch, etwa so, als trage er Kelwas stets mit etwas Kitsch getränkte Weisheiten vor..
„Kelwa ist eine weise Frau”, sagte der Magier. „Weiser als ich. Vielleicht sollte besser sie mit dem teirand sprechen und ihm ins Gewissen reden. Alle ujoray verstehen mehr von Liebe als ich.”
Egnar seufzte. Yalomiro zuckte die Acheln. „Nun gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.”
***
Als man die Burg der Herren von Spagor neu aufgebaut hatte, hatte man auf ein tiefes Kellerverlies verzichtet. Die wenigen tatsächlich unterirdisch gelegenen Räume, die vom ursprünglichen Gebäude noch erhalten waren, dienten nun einem deutlich wichtigeren Zweck, nämlich der kühlen Lagerung verderblicher Lebensmittel. Der Raum, in dem nun Untäter untergebracht wurden, bis man ein Urteil über sie gefunden hatte, war lediglich eine kleine Kammer, deren Boden etwa in Mannshöhe unter dem Niveau des Burghofes lag und unterhalb der Decke über ein vergittertes Lüftungsgitter verfügte, das den Blick in den Hof erlaubte. Das war praktisch, denn so konnten sich Wächter während ihrer Runden mit einem Blick davor überzeugen, dass niemand einen Ausbruchsversuch gewagt hatte. In Asgaý von Spagors Burg waren kleine Vergehen so selten, dass man es lässig damit hielt. Wirkliche Verbrechen gab es ohnehin nicht.
Isan hatte ihren Schemel unter dieses Fenster gerückt. Man hatte ihr und Kelwa Sitzgelegenheiten bereitgestellt, damit sie nicht auf dem nackten Boden sitzen mussten. Einer der Wächter (von dem sich herausstellte, dass er der Sohn von Kelwas Nachbarin war) hatte den beiden einen Krug Honigwasser und Zwieback gebracht und musste sich von Kelwa ausführlich über das Wohlergehen seiner Verwandten im Nachbardorf ausfragen lassen, die die Fischersfrau ewig nicht gesehen hatte. Mindestens zwei Monde lang.
Über mangelnden Komfort oder gar eine grobe Behandlung konnten die beiden Weggesperrten sich also nicht beklagen. Trotzdem grollte Isan. Nicht einmal in Valvivant wäre man auf die Idee gekommen, sie so einfach einzusperren, nicht einmal, für wirklich grenzwertige Keckheiten.
Kelwa nahm die Sache gelassen, aber sie war besorgt. Ihr war nicht entgangen, wie nervös der Ritter gewesen war, und es hatte in früheren Tagen durchaus Gelegenheiten gegeben, zu denen sie Majék – damals noch im Knabenalter – liebend gern auch in gewissen Momenten irgendwo eingeschlossen hätte. Vielleicht ging es yarl Althopian mit Isan ähnlich. Dass der Ritter das Mädchen in sein Herz geschlossen hatte, stand außer Zweifel.
Isan schimpfte unablässig wie ein Reedspatz und beklagte sich abwechselnd über das mangelnde Ver- und unnötige Misstrauen ihres Herren.
„Er wird sich wohl wundern, wenn er nicht zur rechten Stunde wieder hier ist”, schmollte sie. „Spätestens, wenn ihm einfällt, dass er ohne seine Arznei nicht weit kommt.”
„Was ist das für eine Arznei?”, fragte Kelwa in der Hoffnung, Isan mit einer Fachsimpelei über Heilkräuter beruhigen zu können.
„Wenn ich das wüsste. Ich habe sie von einem Lichtwächter bekommen.”
„Bei den Mächten! Ist denn das ganze Weltenspiel irre geworden? Wo kommen denn so plötzlich all die Magier wieder her?”
„Dann sind hier auch schon lange keine Rotgewandeten gewesen?”
„Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt noch welche gibt. Was passiert als Nächstes? Ein Regenbogenritter, der hier Einzug hält?”
Just in diesem Moment drang das Geräusch von Pferdehufen auf dem Steinpflaster des Innenhofs an Isans Ohr. Das Mädchen zögerte verblüfft, bevor es sich umdrehte. Es hätte sie nicht überrascht, wenn tatsächlich die hochedlen Magier aus dem Süden aufgetaucht wären, um das Gewirr perfekt zu machen.
Aber es waren nur zwei gewöhnliche yarlay, die auf den Hof geritten kamen, begleitet von dem gewohnt lustlosen Tröten des Hofwächters. Des einen Pferd trug eine rot-weiße, des anderen eine grüne Schabracke. Gerade wollte die doayra sich uninteressiert wieder abwenden, da durchzuckte sie Verwunderung. Sie erkannte die Farben der Herren.
„Was wollen die beiden denn hier?”, flüsterte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um so nah wie möglich am Gitter zu sein.
„Wer? Und warum flüsterst du?”
„Yarl Lebréoka und yarl Tjiergroen höchstselbst! Der mynstir von Benjus von Valvivant.”
Kelwa erhob sich und kam neugierig näher. „Oh! Solch hochedler Besuch!”
„Das gefällt mir gar nicht. Still, ich will wissen, ob ich etwas höre!”
Die Mächte waren ihr gewogen, denn die Ritter lenkten ihre Rösser nichtsahnend näher an das Kerkerfenster. Nun sah Isan zwar nur noch die Beine der Pferde. Sie waren voller Schlammspritzer und die üppigen Behänge an ihren Fesseln verfilzt. Offenbar hatten die Herren einen langen Ritt querfeldein hinter sich.
Die yarlay warteten. Wie es Sitte war, durften sie in einer fremden Burg nicht absitzen, bis ein dazu befugter Bewohner sie ausdrücklich dazu aufforderte. Aber sie mussten nicht lange warten. Vom Gebäude her kamen Leute herbei. Zu Isans Überraschung war es wohl der teirand selbst, der aus seinen Gemächern herausgekommen war. Er trug etwas Klingelndes bei sich, vielleicht ein neues Musikinstrument, einen Schellenkranz.
„Seid gegrüßt, edle Herren. Wer seid Ihr?”, fragte er.
Die Ritter zögerten. Lebréoka prustete verhalten los.
„Ich bin yarl Léur Tjiergroen, mynstir des Hauses Valvivant”, sagte der andere Ritter. „In Begleitung von yarl Gundald Lebréoka, ebenfalls Dienstmann von Benjus von Valvivant.”
„Oh! Freut mich! Dann steigt doch ab!”, entgegnete der teirand.
„Was maßt du dir an, Kerl?”, wies Tjiergroen ihn heftig zurecht. „Was hast du uns zu sagen?”
„Aber …” Asgaý von Spagor unterbrach sich verstört. Zum Glück war yarl Emberbey ihm offenbar auf dem Fuße gefolgt.
„Lasst mich das regeln, Herr”, rief er eilig, noch bevor er die Gruppe erreichte. Isan hörte ihn eilig herannahen. „Willkommen, edle Herren. Ich bin yarl Alsgör Emberbey, Dienstmann von Asgaý von Spagor, der in Person vor euch steht. Steigt ab!”
Die Ritter zögerten.
„Es ist ein … Kostüm ….”, brachte der ältere yarl hervor, und ganz offensichtlich war ihm die Angelegenheit ziemlich unangenehm. „Es hat seine Ordnung damit.”
Tjiergroen und Lebréoka schwangen sich aus den Sätteln. Nun sah Isan nur noch eine Menge gestiefelter Füße. Von der Seite schlurfte jemand in Schuhen aus glatt gegerbtem Leder heran, in die ganz offensichtlich vorsätzlich mehrere Löcher gestanzt worden waren. Die Hosenbeine darüber waren aus bunten Flicken sorgfältig zusammengefügt.
„Vergebt uns, Majestät”, brachte Tjiergroen nach einem Moment peinlicher Stille hervor. „Wir mussten annehmen, Ihr seiet ein … Hofnarr, oder so etwas.”
Isan schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht loszulachen. Auch Kelwa hörte lautlos lachend mit. Dass sie heute noch etwas so lustiges zu hören bekommen würde, hatte sie nicht geahnt.
„Dann hat Euch meine Verkleidung getäuscht? Vortrefflich!”, rief der teirand entzückt aus. „Emberbey, ich habe es Euch doch gleich gesagt. Das ist ein gutes Zeichen.”
„Sicherlich, Herr. Lasst uns später darüber reden. Wollt Ihr nicht den Grund des Besuches der Herren aus Valvivant erfahren?”
„Natürlich.”
Schweigen.
„Dann fragt sie danach”, brachte der yarl zwischen den Zähnen hervor.
„Oh. Natürlich. Was führt Euch den weiten Weg hierher? Ihr müsst ewig unterwegs gewesen sein!”
„Nun, Majestät, die Geschichte ist recht unerfreulich. Wir sind im Auftrag unseres Herrn auf der Suche nach einem Hochverräter.”
„Hier? Am Rand der Welt?”
„Es handelt sich um einen Eurer Dienstmänner. Und nachdem der hochedle yarl Emberbey neben Euch steht, müssen wir seinen Namen nicht laut aussprechen.”
Isans Augen weiteten sich.
„Was reden die da?”, fragte die Fischersfrau bestürzt, aber das Mädchen legte den Finger an die Lippen.
„Erklärt Euch.”
„Majestät, es gibt Gründe zur Annahme, dass Waýreth Althopian einen Pakt mit einem Schattensänger geschlossen hat, um unserem Herrn und wahrscheinlich auch Euch Schaden zuzufügen. Es sind Dinge geschehen in Valvivant. Der Gnade der Mächte allein ist es zu verdanken, dass es unseren teirand nicht hinter die Träume gebracht hat.”
„Oh. Aber der teirand ist wohlauf?”
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.”
„Ein Schattensänger, sagt Ihr?”
„Ein Schwarzmantel, ja.”
Asgaý von Spagor lachte auf. „Ich bitte Euch! Das sind doch … Märchen! Seit Generationen ist kein Schattensänger mehr gesehen worden! Ihr Wald ist durch irgendein Unheil zur Einöde geworden! Jeder báchorkor kann Euch das sagen””
„Wollt Ihr die Worte unseres teirand ins Lächerliche setzen, Majestät?”
Alsgör Emberbey räusperte sich. „Ich glaube Euch, nachdem ich in diesen Tagen ähnlich phantastische Geschichten zu Ohren bekommen habe. Aber es fällt mir schwer anzunehmen, dass Waýreth Althopian in irgendeiner Weise gegen Euren oder seinen teirand handeln würde.”
„Aber Ihr wisst schon, dass es das Haus Althopian ist, das gewisse … Verbundenheit zu den Schwarzgewandeten unterhält?”
„Selbstverständlich. Aber auch in seinem yarlmálon ist seit Generationen kein Schwarzgewandeter mehr erschienen.”
„Umso bedrohlicher, dass es plötzlich einen gibt, der es offenkundig geschafft hat, den yarl für seine düsteren Pläne einzuspannen.”
„Emberbey”, schaltete der teirand sich verwirrt ein, „was geht hier vor?”
„Unser Herr, Benjus von Valvivant, hat dem yarl die Gelegenheit gegeben, sich von allem Verdacht reinzuwaschen. Das ist nicht geschehen. Er hatte viele Tage Zeit, seinen Auftrag zu erfüllen. Stattdessen erfahren wir nun, dass er hierher zurückgekehrt ist. So ist es doch, oder?”
„Als ich ihn zuletzt vor mir hatte, sagte er, er wolle an den Strand”, bestätigte der teirand arglos.
„Gut”, entgegnete Tjiergroen vielsagend. „Das wollen wir auch.”
„Haltet ein.” Asgaý von Spagor regte sich und trat mitten unter die Ritter. Irgendwo an seinem Gewand klingelten Glöckchen. „Bevor hier irgendjemand etwas unternimmt, will ich wissen, was vorgeht. Kommt in mein Haus, edle Herren. Ich möchte über jedes Detail dieser rätselhaften Geschichte in Kenntnis gesetzt werden. Ich verstehe nämlich kein Wort.”
Diese unerwartet herrschaftliche Ansprache schien die Ritter zu überraschen. Offenbar wurden still Blicke gewechselt. Dann entfernten die vier Männer sich, während ein Stallknecht sich der Pferde annahm..
Isan erbleichte und sprang vom Schemel herunter.
„Ich muss hier raus. Bei den Mächten, ich muss ihn warnen!”
„Aber was soll das heißen? Hat der Schattensänger tatsächlich … ich meine, den teirand von Valvivant…”
„Unsinn”, gab Isan zurück. „Der würde doch nicht …” Sie zögerte. Hätte sie nicht eigentlich sagen müssen, dass Waýreth Althopian über allen Verdacht erhaben war?
„Das ist ein ganz furchtbares Missverständnis. Ich bin mir sicher, dass sich all das aufklären würde, wenn …” Sie zögerte. Waýreth Althopian war auf dem Weg zum Strand, um dort dem Schattensänger zu begegnen. Nahm man die Flut als Startzeichen, blieb ihm kaum noch Zeit. Althopian wollte keine Zeugen. Und ihm war unwohl bei dem, was er von der Begegnung erwartete.
Die yarlay aus Valvivant waren hergekommen, um Waýreth Althopian zur Rede zu stellen, weshalb er Benjus von Valvivant nicht – wie verlangt – mindestens den Kopf des Magiers gebracht, irgendwie dessen unbehelligten Abzug verhindert hatte. Zeit genug dazu wäre wohl gewesen. Althopian, der überzeugt gewesen war, dass der Schattensänger seine Freunde in Wijdlant und diese verrückte teiranda retten konnte, war – wie der Magier selbst – in Wijdlant in die Fänge des Rotgewandeten geraten, der möglicherweise in Person hinter dem Mordanschlag auf den teirand steckte. Dann hatte etwas den ganzen zeitlichen Ablauf der Dinge in Unordnung gebracht, etwas, womit sie nicht hatten rechnen können. Denn für den Schattensänger schienen die Regeln von Raum und Geschwindigkeit ohne Bedeutung zu sein. Magie. Benjus von Valvivant hatte seine yarlay losgeschickt, um Althopian zur Rede zu stellen. Althopian war unterwegs, einen Schritt davor, dem Schattensänger zu begegnen. Im Auftrag des Rotgewandeten. Deswegen war er so bedacht darauf gewesen, die Brautfahrt von Asgaý von Spagor zu verzögern.
„Bei den Mächten”, wiederholte Isan, „jemand muss das Schlimmste verhindern. Nein, nicht verhindern. Jetzt verstehe ich. Alle Dinge … sie müssen in der vorgesehenen Reihenfolge geschehen!”
Denn wenn die yarlay verhinderten, dass Althopian dem Schattensänger am Strand begegnete, wenn die beiden sich verpassten und der Magier auf seinen so kurzen Wegen wieder zurück nach Wijdlant ging, bevor Asgaý von Spagor bereit war, sich vor der teiranda zu blamieren…
„Ich muss hier raus”, sagte Isan. „Ich muss Herrn Waýreth warnen. Oder die beiden yarlay aufhalten. Eins von beiden.”
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