Der kleine Kutter kam sanft auf seinem Ankerplatz zu liegen. Er war nicht das einzige Boot, das mit der Flut an den Strand getragen wurde. Mehrere andere Fischer steuerten ihre Gefährte ebenfalls so geschickt zwischen die Liegesteine am Strand. Aber sie waren weit genug entfernt, sodass niemand in der anbrechenden Dunkelheit zunächst Kenntnis davon nahm, dass Egnar einen schwarzgewandeten Passagier an Bord hatte.

„Seltsam”, sagte Majék und spähte angestrengt in Richtung Strand. „Kelwa müsste doch mit ‘nem Boot kommen.”

„Ach, vielleicht wurde sie auf der Burg aufgehalten.” Egnar wuchtete einen Bottich mit Fischen an Deck. „Wir haben doch Zeit.”

Yalomiro hörte kaum zu, während die beiden sich eine Möglichkeit überlegten, ihren Fang möglichst schnell an Land zu bekommen. Es schien darauf hinauszulaufen, dass sie, sofern Kelwa nicht auftauchte, einen Karren organisieren wollten, sobald das Wasser flach genug war, um hindurch zu waten.

Der Magier dachte nach. Das Artefakt wog schwer. Er durfte nicht zu lange damit warten, es von hier fort zu bringen. Er musste seine Mission so schnell wie möglich zu Ende bringen. Aber die Fischer hatten sich ihren Lohn verdient.

Yalomiro griff nach seiner Tasche und stöberte durch seine magischen Utensilien, Hülsen, Döschen und kristallene Phiolen.

Phiolen?

Ein ungutes Gefühl überkam ihn, während er noch einmal die Tasche bis auf den Grund durchsuchte. Tatsächlich. Die Phiole mit dem tödlichen Inhalt war fort. Bei welcher Gelegenheit mochte der Rotgewandete sie herausgenommen haben? Bereits auf dem Montazíel oder erst, als er in Pianmurít gefangen gewesen war? Bevor oder nachdem er seine Magie mit der ujora getauscht hatte? Nicht, dass das am Resultat etwas geändert hätte, und genützt hätte es ihm in beiden Fällen nichts, diesen kleinen Ausweg aus höchster Not in Händen zu halten. Aber doch hätte es ihn interessiert zu wissen, wann der Rotgewandete sich dazu entschieden hatte.

Yalomiro seufzte. Viele Schattensänger hatten sich zu allen Zeiten dazu entschieden, ein augenblicklich wirksames Gift bei sich zu führen, wenn sie den Etaímalon verließen, eben für den Fall, dass sie den Rotgewandeten rettungslos in die Hände fielen. Mehr als einem von ihnen hatte diese Maßnahme in früheren, schlechten Zeiten ein grausames Ende erspart.

Nun, es bieb unerheblich, was mit dem Fläschchen geschehen war. In dem Moment, als Gor Lucegath ihn mit dem Schwert markiert hatte, war dieser Ausweg hinter die Träume ohnehin verschüttet gewesen.

Ob Meister Gíonar sich auf diese Weise hätte hinter die Träume flüchten können? Was hatte ihn davon abgehalten? Zweifellos wäre er niemals ohne diese Ausstattung aus dem Haus gegangen. Ob es Gor Lucegath gelungen war, jenen, die es versucht hatten, die tödliche Rettung irgendwie aus der Hand zu zwingen?

Der Schattensänger zögerte. Ob der Rotgewandete Übung darin hatte, sich Dinge zu nehmen? Während er darüber nachdachte, kam ihm ein Einfall, so überraschend und simpel, dass er selbst davor stutzte. Ob er es wagen konnte?

Endlich fand er fand den kleinen Lederbeutel mit Geld, den Gor Lucegath ihm überlassen hatte. Die Münzen schüttete er in Egnars Holzbecher, der augenblicklich unbeachtet neben dem Steuerrad stand. Dort sollte der brave Mann seinen Lohn wohl finden.

Vom Land aus kamen Ruderboote heran, die wohl den anderen Fischern behilflich sein wollten. Egnar besann sich und rief und winkte. Tatsächlich schien einer der Männer in den Booten auf ihn aufmerksam zu werden.

Yalomiro schaute sich um. Unterhalb der Reling am Heck des Kutters lag ein Stück dünne Schnur, ein Rest des Netzes, das die Fischer hatten zerschneiden müssen. Er hob es auf und steckte es zusammen mit dem leeren Beutel ein.

Egnar rief die Leute in den Booten. Majék war abgelenkt mit den Fischen, die ihnen so viel Geld bringen würden.

Yalomiro legte sich den Riemen der Tasche um und verließ die Unkundigen, indem er sich leise in den Schatten gleiten ließ, den das Boot im letzten Licht Pataghíus auf den Grund des Wassers warf. Gor Lucegath hatte ihm verboten, den Schatten zu betreten.

Yalomiro flehte zu den Mächten, dass der Rotgewandete einen einzigen kurzen Ungehorsam nicht bemerken würde.

***

Die Herren hatten sich in der Thronhalle versammelt. Einen Willkommenstrunk hatte man ihnen gereicht, und wie es die Sitte verlangte, hatten Tjiergroen und Lebréoka ihre Schwerter Asgaý von Spagor zu Füßen gelegt. Der junge teirand saß, etwas zu lässig, auf seinem Thron, argwöhnisch beobachtet von Alsgör Emberbey. Der ältere Ritter hatte neben seinem Herrn Stellung bezogen und war bereit, sofort korrigierend einzugreifen, sobald der das Protokoll vernachlässigen oder sich unangemessen äußern sollte.

Als der Form Genüge getan war, war es yarl Tjiergroen, der es über seine Zunge brachte.

„Dürfen wir unsere Wissbegier gestillt finden, bevor wir zu ernsthaften Geschäften kommen?”

„So fragt doch einfach zu”, forderte Asgaý von Spagor sie munter auf.

„Was hat es mit Eurer … Mode auf sich?”

„Könnt Ihr ein Geheimnis für Euch bewahren?”

„Selbstverständlich.”

„Ich breche noch heute Nacht auf, um das Herz einer hýardora zu gewinnen.” Der teirand sah ihre verdutzten Gesichter und fügte hinzu: „Es darf nicht in aller Offenheit geschehen.”

„Die hochedle Dame wird sicher angenehm … überrascht sein”, brachte yarl Lebréoka mit bemüht ernsthafter Miene hervor.

„Davon ist auszugehen”, sagte Alsgör Emberbey und gab den Herren damit zu verstehen, dass man das Thema nicht vertiefen sollte. Aber Tjiergroen war nicht zufrieden.

„Wem, Majestät, wollt ihr auf diese ungewöhnliche Weise Euer Herz anbieten?”

„Der holden und hochedlen teiranda Kíaná von Wijdlant”, sagte Asgaý von Spagor arglos, besann sich und fügte hinzu: „Aber das soll niemand vor der Zeit wissen!” Er dachte kurz nach und fügte hinzu: „Ihr seid nicht zufällig auf Eurem Weg hierher durch Wijdlant gereist?”

„Nein. Wir fanden eine zerstörte Brücke und hatten keinen Grund zur Annahme, dass Althopian diesen Weg genommen habe.”

„Schade”, sagte der teirand. Er schien sich deutlich mehr für die teiranda zu interessieren als für die Untaten, die man seinem Dienstmann vorhielt.

Lebréokas Neugier war noch nicht gestillt. „Wer hat Euch zu dieser Verkleidung geraten?”

Yarl Althopian. Er kam sozusagen als Werber der Dame zu mir.”

Léur Tjiergroen schüttelte den Kopf. „Es ist schon sehr seltsam, im Auftrag wie vieler Herren und Damen der yarl auftritt, um sein schändliches Werk zu begehen.”

„Uns ist nach wie vor von einem schändlichen Werk nichts bekannt. Klärt uns auf”, forderte Emberbey, bevor sein Herr sich in noch mehr Peinlichkeiten hineinreden konnte.

Und so erfuhren Asgaý von Spagor und sein yarl von den sonderbaren Vorkommnissen im teirandon Valvivant, von dem schrecklichen Schattensänger und seiner rätselhaften Begleiterin, von den sonderbaren Umständen, die Benjus von Valvivant um Haaresbreite hinter die Träume gebracht hätten. Und von dem vereitelten Fluchtversuch und der anschließenden tatsächlichen Flucht, die den yarl – offensichtlich nach einem eigenmächtigen Umweg quer durch das teirandon Wijdlant – nun hierher gebracht hatte.

„Hätten wir unterwegs seine Spur verloren”, schloss yarl Lebréoka, „hätten wir annehmen können, dass er bei seinem Auftrag, den Schattensänger zur Strecke zu bringen, gescheitert und als ehrenvoller Kämpfer gestorben ist. Nun sieht es so aus, als habe er auf seinem Weg noch weitere Wirrnisse in Gang gesetzt. Wir ersuchen Euch, Asgaý von Spagor, daher im Namen unseres Herrn Benjus von Valvivant, uns den Verbrecher auszuliefern.”

Der teirand sank im Thron zurück. Hilfesuchend schaute er zu Alsgör Emberbey hin. Die Geschichte passte ihm nun überhaupt nicht in seine Pläne. „Was soll ich sagen?”, flüsterte er.

„Nun, Herr, in dieser Sache kann ich Euch nichts raten. Dies ist ein Ersuchen unter teiranday.”

„Aber ist es denn möglich, dass Althopian all diese Dinge …”

„Nun, es ist zuzugeben, dass er sich ausgesprochen sonderbar benommen hat, seit er hier ist. Aber das allein überzeugt mich nicht. Herr Waýreth ist ein Abenteurer. Wer kann wissen, welche Umstände hinter seinem Verhalten stecken, ohne sich uns zu erschließen?”

Der teirand erhob sich. Die beiden weitgereisten yarlay musterten ihn erwartungsvoll.

„Ich wünschte, Ihr wäret einen Tag später gekommen. Nun ist es eine äußerst unangenehme Zeit. Ich bin mit wichtigen eigenen Dingen beschäftigt, die keinen Aufschub dulden.”

„Mit Verlaub, Herr, es bringt uns nicht weiter, wenn Ihr Euch der Weisung entzieht, weil Ihr Wichtigeres zu tun habt. Wir benötigen Euer Zustimmen oder Untersagen.”

„Und wenn ich es untersage?”

„Dann wird einer von uns nach Valvivant zurückkehren, um dies unserem teirand auszurichten. Wie er es beantworten wird, mit Waffen oder Worten, wäre abzuwarten”, sagte Tjiergroen förmlich.

Der junge teirand zögerte. Die Warnung hatte er verstanden. „Ich weiß nicht recht …”

„Nun, Majestät, es ist in keiner Weise Euer persönliches Handeln notwendig. Gebt uns nur den Halunken heraus und in die Gewalt unseres teirand.”

„Wurde Euch von Eurem Herrn aufgetragen, ihn zu ergreifen, wenn mein Herr Euch auf seinem Land gewähren ließe?”, schaltete Alsgör Emberbey sich sachlich ein.

„Wollt Ihr das Dokument sehen?”

„Nein. Ich gehe davon aus, dass Euer teirand Euch eine Befugnis erteilt hat. Aber Waýreth Althopian ist trotzdem nicht hier.”

„Dürfen wir uns davon überzeugen?”

„Sicher.” Alsgör Emberbey nickte, während sein Herr ihm überrascht zuhörte. „Schaut gern hinter jede Tür, die ihr hier seht. Ihr werdet ihn in diesen Mauern jedoch nicht finden. Und Ihr werdet wertvolle Zeit verlieren, sofern er in der Tat auf der Flucht ist.”

„Gut. Also werden wir uns aufteilen und auf die Suche nach ihm machen.”

„Tut das frei heraus. Aber Ihr könntet ebenso gut die Zeit nutzen, bis er selbst zurückkehrt. Er hat keinen Grund zur Flucht, sofern er Euch nicht kommen sah. Er will in den Morgenstunden mit auf jene … sonderbare Brautwerbefahrt mit uns gehen.”

Yarl Tjiergroen überlegte.

„Das ist vielleicht besser”, gab Lebréoka zu bedenken. „Besser, wir stellen ihn hier in den Mauern als auf freiem Feld.”

„Derweil”, fuhr yarl Emberbey fort, „kann vielleicht das Kind, in dessen Begleitung er hier aufgetaucht ist, etwas zur Klärung der Seltsamkeiten beitragen. Ich nehme weiterhin an, dass sich hier unschuldige Dinge unglücklich kreuzen.”

„Isan?”, fragte Lebréoka überrascht. „Die kleine freche doayra?”

„Ich glaube, das ist tatsächlich ihr Name. Wenn Ihr sie kennt, werdet Ihr vielleicht von Ihr erfahren, welche Hintergründe der Ungehorsam des yarl gegen Euren teirand hat.”

„Ja!”, rief Asgaý von Spagor erleichtert und sprang auf. „Lasst uns das Mädchen ausfragen, bevor ich irgendjemandem einen Freibrief erteile!”

Die yarlay aus Valvivant waren einverstanden. Alsgör Emberbey verneigte sich. „Soweit ich es mit anhören konnte, hatte yarl Althopian sie am Mittag in Gewahrsam nehmen lassen. Vermutlich hatte sie es mit ihrer Keckheit etwas zu weit getrieben. Folgt mir.”

Die drei Ritter und der neugierige teirand verließen die Audienzhalle wieder und überquerten den Hof. Das Verlies war durch eine kleine Seitentür im gegenüber liegenden Gebäude zu erreichen, gelegen hinter einem Wachraum.

Der Sohn von Kelwas Nachbarin saß dort auf einem Stuhl, mit glasigem Blick und einem breiten Lächeln auf den Lippen. Seine Pike lag vor ihm auf dem Tisch.

Kelwa war gerade dabei gewesen, den Becher, aus dem er wohl getrunken hatte, fortzuräumen. Als die Männer eintraten, erschrak die Fischersfrau so sehr, dass ihr das irdene Gefäß aus der Hand glitt und auf dem Steinboden zerschellte. Der junge Wächter schrak auf, erkannte seinen Herrn und versuchte, Haltung anzunehmen. Dabei kippte er mitsamt seinem Stuhl um.

„Mächte”, wisperte Kelwa, während Alsgör Emberbey den jungen Mann fassungslos anstarrte.

„Kerl”, rief der mynstir aus, „bist du betrunken?”

„N… nein”, lallte der junge Mann mit schwere Zunge. „Nur … nur das Honigwasser…”

„Er kann nichts dafür, Herr”, rief Kelwa inständig aus. „Sie hat gesagt, es sei nur ein einfaches Mittel gegen …”

„Dann ist sie weg”, unterbrach yarl Tjiergroen. „Dieses kleine Biest ist unterwegs, um ihren Herrn zu warnen. Wie viel Beweis braucht Ihr noch, Majestät?”

Asgaý von Spagor schaute von einem zum anderen. Kelwa rang flehend die Hände.

„Auf die Pferde”, ordnete er an und klang dabei überraschend resolut. „Wir suchen ihn. Wir alle. Ich will wissen, was vor sich geht.”

***

Waýreth Althopian spürte die Übelkeit in sich aufsteigen und schalt sich für seine Nachlässigkeit. Natürlich, es war weit über die Zeit. Längst hätte die junge doayra ihm seine verfluchte Arznei reichen müssen, die ihn bei klarem Verstand und Herrn über seinen Körper hielt.

Wäre es nicht lächerlich, wenn ihn nun ausgerechnet die magischen Ketten, an denen der Rotgewandete ihn durch diesen Zauber hielt, daran hindern würden, seinen Auftrag zu erfüllen?

Was ihn selbst betraf, wäre ihm dies beinahe egal gewesen. Aber es ging nicht um ihn. Es ging um so viel mehr.

Einen Augenblick lang erstarrte er vor Schreck, denn das pochende silberne Licht in dem magischen Kompass verlosch von einem Lidschlag auf den nächsten. Dann rappelte er sich auf, klopfte sich den Sand von der Hose und schaute sich verwirrt um. Das Sonnenlicht war nur noch ein schmaler gelber Streifen am Horizont; längst schon hatte der Turmwärter das Leuchtfeuer entzündet. Im Süden waren die ersten Sterne am Himmel zu sehen. Das magische Werkzeug in seiner Hand war dunkel und leer.

Einige schreckliche Momente stand der Ritter so, schwindlig und mit Krämpfen im Magen und zugleich alarmiert und hellwach.

Dann glomm die Scherbe wieder auf, nach und nach, wie ein Docht, der auf einer Öllampe schwamm. Der Schattensänger musste irgendwo ganz in der Nähe sein. Waýreth Althopian wurde es unheimlich. Während er dich umschaute, zog er leise sein Schwert.

„Waýreth Althopian?”

Der Ritter schrak herum. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand der Magier auf dem Plankenweg, so plötzlich, als sei er buchstäblich aus der Nacht aufgetaucht.

Der Ritter antwortete nicht. Das Erscheinen des camat’ay brachte ihn aus der Fassung.

Der Magier führte eine knappe Geste auf der Höhe seiner Schulter aus und ließ ein kleines Licht erscheinen, mild und fahl wie ein winziger Mond. Der schwebte neben ihm, während er sich dem Ritter näherte. Nass war der Schwarzgewandete, so als sei er soeben aus dem Wasser gestiegen.

„Yalomiro Lagoscyre”, sagte der Ritter tonlos und neigte grüßend den Kopf.

Yal ghata’nai, hochedler yarl. Darf ich erfahren, was Euch zu dieser Stunde mit gezogener Waffe in die Dünen führt? Es sieht fast so aus, als erwartetet Ihr etwas. Oder jemanden.”

„Ich habe Euch nicht kommen sehen.”

„Ich hatte nicht vor, mich zu zeigen. Dann fühlte ich, dass hier Zauberei vorhanden ist. Das machte mich misstrauisch. Ich weiß, dass Ihr etwas Magisches bei Euch führt. Lasst es mich sehen.”

Waýreth Althopian stöhnte ertappt. Dann warf er dem Schattensänger den Kompass zu. Der Magier fing ihn mit einer Hand aus der Luft, ohne hinzuschauen. Sein Blick lag weiterhin fest auf dem Gesicht des Ritters.

„Ihr wart entgegen meiner Weisung in Pianmurít?”

„In Wijdlant war ich”, sagte Waýreth Althopian leise. „Ich war auf der Suche nach Euch.”

„In wessen Auftrag?”

„Im Auftrag von Benjus von Valvivant.”

Der Schattensänger warf einen flüchtigen Blick auf das magische Utensil in seiner Hand. „Nun, ich spüre, dass das nicht gänzlich gelogen ist. Aber damit hier hat Gor Lucegath Euch ausgerüstet, nicht der teirand.”

„Ich hörte, dass Ihr auf einer Art … Schatzfahrt wart”, entgegnete der Ritter beherrscht.

„Eine interessante Wortwahl. Aber ja, wenn der Rotgewandete es Euch so geschildert hat – so mag es sein.”

„Wart Ihr erfolgreich?”

„Was könnte Euch das interessieren?”

Waýreth Althopian schloss für einen Augenblick die Augen. Die Nacht flimmerte um ihn herum.

„Es sind viele Menschen in Gefahr.”

„Ich weiß.”

„Seid Ihr in der Lage, die Gefahr … abzuwenden?”

„Das kommt darauf an, wen von all diesen Leuten ich retten soll.”

Der Magier warf dem Ritter den Kompass wieder zu. Althopian schnappte daneben. Als er sich bückte, um ihn aus dem Sand wieder aufzuheben, schritt der Magier an ihm vorbei.

„Begleitet mich, Herr Waýreth.”

Der Ritter stapfte verlegen schweigend durch den lockeren Sand hinter dem hellen Licht her, das den Magier umschwebte.

„Redet derweil zu mir, Herr Waýreth. Für wen wollt Ihr den Verrat begehen?”

„Wovon redet Ihr?”

„Von dem, worum Eure Gedanken kreisen. Ich vermute, dass der Rotgewandete Euch ausgeschickt hat, um mir das, was ich aus dem Chaos hinaus geholt habe, abzunehmen. Offenbar ist sein Misstrauen größer, als ich ahnte. Es enttäuscht mich, dass der letzte derer von Althopian sich entschieden hat, zum Raubritter zu werden. Und doch glaube ich nicht, dass es Habgier ist, die Euch antreibt.”

„Das ist eine Sache, die Ihr wohl nicht verstehen werdet”, sagte Waýreth Althopian flehend.

„Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich verstehe, dass Ihr aus durchaus ehrenhaften Absichten dem Rotgewandeten in die Hände gefallen seid.”

Er ging auf Althopians Pferd zu, das geduldig in den Dünen wartete.

„Der Rotgewandte hat Benjus von Valvivant in seiner Hand und erpresst ihn. Der teirand ist in Todesangst.”

„Verständlich, wenn man einen goala’ay zum Feind hat.”

„Der teirand wäre um ein Haar hinter die Träume gegangen. Es hat sich so gewendet, als seiet Ihr der Schuldige, und ich Euer Gehilfe. Oder zumindest Mitwisser.”

„Das ist vollends lächerlich, aber es verwundert mich nicht. Hat Benjus von Valvivant überlebt?”

„Ja.”

„Nun, dann gehört er wohl mit zu den Personen, die wieder auf ihren angemessenen Platz im Weltenspiel zurückzuführen sind. Ich werde mich zu gegebener Zeit an ihn erinnern. Es ist erstaubnlich, wie viele teiranday offenbar ohne die Anleitung eines Magiers nicht mehr aus eigenen Angelegenheiten herauskommen.”

„Man schickte mich aus, meinen Leumund reinzuwaschen, indem ich Euch aufhalte. Bei allem, was Ihr vorhabt.”

„Aber das habt Ihr nicht wirklich vorgehabt?”

„Nein. Natürlich nicht. Aber ich hoffte, Ihr hättet … Antworten.”

„Ich befürchte, Herr Waýreth, dass ich im Grunde dieselben Fragen habe wie Ihr.”

„Ich wusste, dass Ihr nach Wijdlant unterwegs wart.”

„Aber Ihr wart zu spät vor Ort.”

„Ja.”

„Und nun seid Ihr hier, um mir das Artefakt abzunehmen, bevor ich selbst es nach Wijdlant bringe? Und bevor Ihr Eure Antworten erhaltet?”

Waýreth Althopian blieb stehen.

„Es ist so offensichtlich, dass es mich beinahe beleidigt, yarl Althopian.”

„Ich habe keine andere Wahl”, brachte der Ritter hervor.

„Wisst ihr überhaupt, was es ist, das Ihr ihm bringen sollt?”

Der camat’ay hob sacht die Hand. Das Licht blieb reglos in der Luft stehen. Die silbrigen Stickereien auf dem Mantel des Schwarzgewandeten glitzerten verschwommen von Waýreth Althopians Augen.

„Seltsam”, sagte der Magier, „dass wir uns an diesem Ort der Wahllosigkeit begegnen. Findet Ihr nicht auch?” Er lächelte und zog einen kleinen Beutel hervor, den er an einer Schnur unter dem Hemd trug. „Hier. Das ist das Ding, das Gor Lucegath haben will. Lächerlich, nicht wahr?”

Der Ritter nahm all seinen Mut zusammen.

Dann hob er sein Schwert und hieb zu.