Die yarlay schleppten ihre übel riechende, menschliche Last in meine Stube und schienen nicht so recht zu wissen, ob sie die leblose, zerlumpte Gestalt auf den Boden werfen sollten oder nicht.

„Hierhin!”, rief ich ihnen zu und deutete auf die Matratze. „Es ist nicht schlimm, dass er schmutzig ist.”

Die Herren hievten Yalomiro auf das Bett. Dann schauten sie alle drei mit ihren verwaschenen Gesichtern zu mir hinüber. Für einen winzigen Augenblick flimmerte der verfälschende Zauber ihren Gestalten. Für einen oder zwei Wimpernschläge erkannte ich sie klar und deutlich, wenn auch nicht gleichzeitig, Altabetes Narbe, Grootplens buschigen Bart, die jugendlichen Züge von Moréaval. Die Ritter waren sichtlich verstört.

„Hört mir zu”, sagte ich. „Ich weiß, Ihr dürft mir keine Fragen stellen. Aber ich verspreche Euch, es wird alles gut werden.”

Einer der Herren – Grootplen war es, ich erkannte es nun wieder nur an seinem Gewand – antwortete mir, ein Zischen und Murmeln. Seine Stimme drang nicht durch den Zauber hindurch. Er schien das zu bemerken und ließ frustriert die Schultern hängen.

„Ich kann Euch nicht verstehen!”, gab ich zurück. „Aber bitte, bringt Euch nicht in Gefahr. Bleibt bei Eurer teiranda. Beschützt sie. Alles wird gut! Nun wird bald alles gut!”

Sie tauschten Blicke untereinander. Dann verneigten sie sich und verließen eilig den Raum.

Arámaú kam unter dem Bett hervor und sprang auf die Matratze. Bei den Mächten! Bei Noktáma selbst…

Sie gab einen herzzerreißenden Wehlaut von sich und begann, ihren Kopf an Yalomiros unrasierter Wange zu reiben. Ihre Schnurrhaare bebten, als sie an ihm schnupperte. Dann setzte sie sich und schaute wortlos auf ihn herab. Ich wagte nicht sie anzusprechen, aber ich stellte mir vor, wie schockierend sein Zustand für sie sein mochte. Ich war zumindest darauf vorbereitet gewesen. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sicherlich anders ausgesehen.

Zumindest lebt er, sagte sie dann bitter. Noktáma sei gepriesen, dass sie selbst in Pianmurít ihre schützende Hand über ihren demütigen Diener hielt.

„Was ist das für ein widerlicher Geruch? Das riecht … nicht menschlich.”

Seine maghiscal ist zäh geworden, wie Harz. Die Magie beginnt in seinem Blut zu verwesen. Es ist die Ausdünstung von toter Magie.

„Das ist furchtbar!”

Ich rieche das nicht zum ersten Mal. Möge das Licht den Rotgewandeten dafür strafen! Mögen alle Mächte seine Seele zwischen sich zerreißen!

„Was können wir tun?”

Gar nichts. Wirklich überhaupt nichts. Wäre er bei sich, könnte er sich selbst heilen! Wir können nichts weiter tun, als zu warten.

„Denkst du, er wird von selbst wieder zu Kräften kommen?”

Ich flehe zu den Mächten, dass er genug Kraft dazu in sich hat. Und wenn nicht … dann wird Gor Lucegath sich selbst darum kümmern. Wie hast du den Rotgewandeten dazu gebracht, ihn aus seinen Fängen zu geben und dir zu überlassen?

„Ich habe ihm gesagt, ich wolle, Yalomiro zu überreden, ihm das ay’cha’ree zu bergen.”

Ihre Katzenaugen glommen schockiert auf. Ich hatte das schreckliche Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben.

Bei den Mächten! Wie konntest du das tun!, zischte sie schließlich erbost.

„Wäre dir etwas Besseres eingefallen?”

Alles wäre besser gewesen als solch ein Frevel!

„Aber das hab ich doch nicht erst gemeint! Das war doch nur … Schwachsinn, um ihn zu verwirren!”

Verwirren? Du glaubst, du könntest einen Lichtwächter verwirren mit einer unkundigen Faselei?

„Aber …”

Wenn der Rotgewandete sich darauf einlässt, glaubt er womöglich, dass du mit deinem Ansinnen erfolgreich sein könntest, selbst wenn du es für eine schlaue List hältst!

Ich wollte aufbegehren, aber ich kam nicht zu Wort. Sie redete sich in Rage.

Es ist befremdlich, dass du annimmst, dass Yalomiro auf so eine lästerliche Idee hören könnte. Dass der Rotgewandete sich darauf einlässt, als sei zumindest ein bedenkenswerter Kern darin. Glaubst du, Macht über Yalomiro zu haben? Was denkst du, wer du bist?

„Macht? Das hat überhaupt nichts mit Macht zu tun! Ich wollte ihn retten!” Ich war verstört. „Du hast doch gesagt, ich solle irgendetwas tun!”

Du willst ihn retten, indem du ihn zum Verrat an den Mächten bringst?

Ich stand vor ihr und starrte sie an wie das Kaninchen die Schlange. Und den Blickkontakt zu ihr lösen, ging ich hinüber zu meinem Waschtisch und griff nach dem Wasserkrug und Handtuch. „Arámaú, das stimmt nicht!”

Er hätte sich niemals auf dich einlassen dürfen!

Das tat weh. Meine Finger krampften sich um den Krug.

Was tust du da?

„Ich will das Blut abwischen.”

Fass ihn nicht an!

Ich wich erschrocken zurück. Sie hatte mich angefaucht! Ihre Augen funkelten zornig. Einen endlos langen Moment starrten wir einander an.

„Ich will ihm helfen”, sagte ich schließlich verunsichert.

Du kannst ihm nicht helfen! Du nicht! Nicht so!

„Was soll das heißen?”

Sie knurrte mich an. Ich stand da, den Krug in der Hand, und begriff nicht, was in sie gefahren war. Sie benahm sich wie ein wildes Tier!

„Kannst du ihm denn helfen?”

Nein. Ich … es geht nicht.

„Aber wenn ich alles falsch mache, dann musst du doch eine bessere Idee haben! Du bist doch eine Magierin! Warum tust du nichts?”

Das kannst du nicht verstehen!

Ich zögerte. Ein unbehaglicher, erschreckender Gedanke kam mir. „Du kannst ihm nicht helfen, weil du als Katze nicht zaubern kannst, nicht wahr?”

Sie grollte.

„Ich weiß, dass Schattensänger Wunden kurieren können”, sagte ich zornig. „Ich weiß, dass ihr Heilkräfte habt und Energie tauschen könnt.”

Ich kann nicht!

„Du hast Angst, dass der Rotgewandete auf dich aufmerksam wird!”, unterstellte ich ihr. „Du hast Angst, dass er dich entdeckt!”

Du hast keine Ahnung!

„Sollen wir beide dann tatenlos hier herumstehen?”

Da kam Bewegung in Yalomiro. Er regte sich kaum merklich. Seine Lider flackerten, aber es gelang ihm nicht, die Augen zu öffnen. Arámaú neigte sich über ihn. Sie legte ihre Stirn sacht an die seine.

„Arámaú?”, kam es kaum hörbar über seine Lippen, ein rauer Hauch nur, den ich mir möglicherweise sogar einbildete.

Ich bin bei dir, wisperte sie.

Er ächzte. Dann lag er reglos.

Ich bin auch bei dir, dachte ich fassungslos. Eifersucht versetzte mir einen Stich. Er hatte ihren Namen genannt. Nicht meinen.

Arámaú legte sich lauernd neben ihn und fixierte mich. Das Schweigen zwischen uns war schrecklich und dauerte an, bis ich den Mut fand, es zu brechen.

„Warum tust du das, Arámaú?”

Ich bekam zunächst keine Antwort. Aber sie rückte demonstrativ noch näher an ihn heran. Vielleicht tastete sie nach meinen Gedanken. Nun gut. Zu verbergen hatte ich nichts. Sollte sie ruhig mitbekommen, wie verletzt, nein, wie enttäuscht ich von ihr war. Wenn sie ihn einst wirklich in einer großen Gefahr zurückgelassen hatte, brauchte sie sich nun nicht aufzuspielen. Immerhin hatte ich ihn hergebracht. Das war nicht einfach gewesen. Bei genauerem Nachdenken war ich noch gar nicht dazu gekommen, wirklich zu begreifen, dass ich mich Gor Lucegath gegenüber behauptet hatte. Wenn sie ihm nun erneut nicht half, musste sie mir schon einen sehr guten Grund dafür nennen.

Hör zu, sagte sie nach einer Weile. Ich nehme an, dass du tatsächlich nichts Übles im Sinn hast. Aber das macht die Sache nicht besser. Es ist ganz offensichtlich schon genug Schaden angerichtet. Mach es nicht aus Einfalt noch schlimmer. Lass ihn in Ruhe, bis er wieder für sich selbst reden kann.

„Einfalt?”

Dies sind Dinge, die du nicht verstehen kannst!

„Immerhin habe ich dafür gesorgt, dass er wieder hier ist.”

Schon. Aber um welchen Preis? Auf welche Idee bringst du den Rotgewandeten, wenn er dir nachgibt, um zu schauen, was oder wie du es bewerkstelligst? Ujora, lass ihn in Frieden zu sich kommen. Du hast getan, was du konntest. Aber nun bin ich an der Reihe.

„Womit?”, fragte ich wütend. „Offenbar bist du ja zu feige, deine Tarnung abzulegen um ihn gesund zu zaubern! Wahrscheinlich ..”

Schweig!

Ich zuckte zurück. Arámaús Fell stand buschig nach allen Seiten ab, sie zeigte ihre weißen scharfen Zähne und Krallen. Wäre ihre Magie frei gewesen, dessen war ich mir sicher, hätte sie mich vermutlich mit ihrer Wut erschlagen.

Einen Augenblick lang starrten wir einander an. Dann zog ich mich einen Schritt zurück, stellte den Krug auf den Tisch und setzte mich auf den Stuhl, ohne dass ich es wagte, den Blick von ihr zu wenden.

Sie wandte sich ab. Ihr Fell legte sich wieder an.

Du hast überhaupt keine Ahnung, um was es hier geht, sagte sie. Wer bist du, dass du dich hier einmischt?

So war das also. Ich schloss die Augen und beschloss, mir nicht anmerken zu lassen, wie verletzt ich war. Dass ich wieder einmal einen Augenblick erlebte, an dem ich mich beiseite gedrängt und missverstanden fühlte. Dass Yalomiro nicht dazu fähig war, Stellung zu beziehen, war furchtbar. Vielleicht hätte ich es akzeptiert, wenn er mir gesagt hätte, dass er mich nicht mehr in seiner Nähe brauchte, jetzt, wo seine Arámaú wieder bei ihm war. Das wäre eine klare Ansage, eine weitere Enttäuschung, wie ich es gewohnt war und überwunden geglaubt hatte. Aber es wäre weniger furchtbar gewesen als das hier. Ich hatte meine Schuldigkeit getan. Nun, da er in ihrer Reichweite war, wollte sie ihn nicht mit mir … teilen.

Und ich hatte gehofft, in Arámaú möglicherweise eine Freundin gefunden zu haben.

Sie entspannte sich ein wenig und schmiegte sich an seine Schulter. Ihr Blick veränderte sich, wurde wieder etwas sanfter. Natürlich hörte sie meine Gedanken oder spürte zumindest die Emotionen, die sich in mir ein wildes Handgemenge lieferten.

Sicherlich hatte sie Gründe für ihr Verhalten. Sie war wahrscheinlich ebenso besorgt wie ich, vielleicht sogar noch mehr, weil sie begriff, was mit Yalomiro passiert war.

Was ist mit dir los?, fragte sie schließlich. Was willst du von ihm? Was ist mit dir passiert, dass er dir so sehr am Herzen liegt? Ich kann es nicht verstehen.

Ich zögerte. Aus irgendeinem Grund war ich überzeugt, dass ich ihr darauf besser nicht antworten sollte. Nicht, solange sie jeden Moment in einem neuen Wutanfall explodieren konnte.

„Ich will ihm nichts Böses, Arámaú”, sagte ich unverbindlich. „Ich bin eine dumme, naive Unkundige, die im Leben so ziemlich alles falsch gemacht hat. Das weiß ich bereits, und du brauchst es nicht eigens zu wiederholen. Aber meine Gefühle, was auch immer du davon wahrnehmen magst, die sind echt. Und er … er ist ganz tief drin in meinen Gefühlen, in meinem Herzen.”

Oh weh. Das klang so schwülstig, so kitschig wie in dem Roman vom Smaragdritter, der neben mir auf dem Tisch lag. Arámaú würde mich verhöhnen dafür.

Aber sie tat es nicht. Sie blinzelte mich nun an und streckte sich dann neben ihm aus. Ihr unergründlicher Blick wurde mir schnell unangenehm, und so konzentrierte ich mich auf Yalomiro. Man hätte ihn für tot halten können. So vorsichtig ich in Gedanken danach tastete, seine maghiscal war verschwunden und dem ekligen Gestank gewichen Aber ich wagte es nicht, zu tun wonach ich mich all die Tage so sehr gesehnt hatte, und ihn zu berühren. Arámaú hätte mich sicher daran gehindert. Und das hätte ich gar nicht ertragen

Ujora?

„Ja?”

Ich weiß, dass du nichts Arges im Herzen hast. Aber du kannst nicht verstehen, was hier vor sich geht.

„Das habe ich begriffen.”

Ich bin eine ängstliche camat’ayra, die in ihrem Leben allzu viel falsch gemacht hat. Wir ähneln einander mehr, als du vermutlich glaubst.

Ich schaute erstaunt wieder zu ihr hinüber.

Lass uns über ihn wachen. Er wird wieder zu sich kommen. Dann wird sich alles klären.

***

Die teiranda über den Verlust des Spiegels hinwegzutrösten hatte bedenklich lange gedauert. Wahrscheinlich würde er sich bald die Zeit nehmen müssen, ein neues magisches Spielzeug zu formen, um sie bei Laune zu halten. Aber das konnte noch warten.

Allerdings – den Ritter, der voller ehrsamer Absichten und kühnen Herzens nun in der Halle stand, den konnte und wollte er ihr nicht überlassen. Es war kindisch von ihr, stets haben zu wollen, was ihr Interesse fand. Dieser Ritter gehörte ihm selber.

Kíaná von Wijdlant hatte alle Mühe, hoheitlich und erhaben seine Aufwartung zu empfangen. So lange schon hatte sie außer ihren eigenen yarlay keine adligen Herren vor sich gehabt. Das, was sie in recht beunruhigendem Wissensdurst über Waýreth Althopian in Erfahrung gebracht haben mochte, machte sie ganz aufgeregt.

Was für eine Ironie, dass Benjus von Valvivant ausgerechnet jenen Ritter, den die drei Herren sich als Retter in der Not auserkoren hatten, dem Schattensänger hinterher geschickt hatte. Wie nervös sie nun dort um ihre teiranda versammelt waren und die Mächte im Stillen anflehten, das der Ritter mit dem blauen Waffenrock nicht unbedacht wieder einen gewissen Brief zum Thema machte.

Der Rotgewandete beobachtete die Ankunft von Waýreth Althopian von der Galerie um den Thronsaal. Er schaute von der Fußseite aus zu, sodass die Herren und die teiranda ihn deutlich sehen konnten, der yarl, der artig den Blick in ihre Richtung gesenkt hielt, jedoch nicht. Wie es die Achtung gebot, hatte er sein Schwert auf dem Boden zwischen sich und der teiranda abgelegt.

Aber das Mädchen, das hatte ihn bemerkt. Neugierig hatte die junge fánjula umher gegafft und dabei auch den einsamen Zuschauer auf der Galerie entdeckt und war erschrocken. Er schaute sie prüfend an, so lange, bis sie sich hastig abwandte. Sie sollte wissen, dass er sie gesehen hatte.

„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?”, fragte die teiranda, als alle langatmigen rituellen Floskeln ausgetauscht waren, mit etwas zu viel Interesse in ihrer Stimme.

„Ich komme aus Valvivant, gesandt von Benjus von Valvivant, Herrin.”

„Warum schickt er keinen seiner eigenen Männer?”

„Nun”, sagte der Ritter, „es geht darum, meine Ehre wieder herzustellen. Ich werde in Valvivant einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe.”

„Was für eine Tat soll das sein?”

„Ein Mordanschlag, Herrin.”

„Wie bedauerlich.” Sie lächelte verträumt, als habe sie seine Worte nicht verstanden. Ihre yarlay hingegen warfen einander verstörte Blicke zu.

Oh. Warum schien diese Rede das junge Mädchen unvorbereitet zu verwirren? Gor Lucegath neigte sich interessiert vor.

„Um in der Sache zu entscheiden, habe ich selbst eingewilligt, mich einem yarlpénar zu stellen. Ich habe eigene Fürsprecher benannt und bitte Euch daher, Euren Herren Altabete, Moréaval und Grootplen einige Tage Urlaub zu gewähren, auf dass sie sich von Benjus von Valvivant für oder gegen mich äußern können. Man erwartet meine Rückkehr mit den Herren in gesetzter Frist. Lasse ich diese verstreichen, wird man annehmen, ich sei auf der Flucht vor meinen Taten. Es war ein großes Entgegenkommen von Benjus von Valvivant, mich unter den gegebenen Umständen selbst meine Verteidiger wählen zu lassen.”

In die drei Ritter kam Bewegung und ein bisschen zu viel von einer Mischung aus Verblüffung und Hoffnung. Das Mädchen war sichtlich irritiert. Und die teiranda … womit hatte sie gerechnet? Dass der yarl nach Wijdlant reiste, weil er von einer ledigen teiranda gehört hatte und nach Höherem strebte? War sie über solche unschuldigen Träume nicht langsam hinweg?

„Ich fürchte”, sagte sie freundlich, „dass ich Euch dieses Nachsuchen nicht gewähren kann. Meine yarlay sind absolut unabkömmlich und dürfen Wijdlant nicht verlassen.”

„Das ist bedauerlich”, sagte der blau gewandete Ritter, ohne allzu verwundert darüber zu sein. „Dann erwartet mich wohl ein ruhmloses Schicksal nach den alten Gesetzen.”

„Was ich Euch stattdessen anbieten kann, yarl Althopian … wenn Ihr hierbleiben wolltet, an meinem Hof, dann soll Euch Asyl gewährt sein, sofern man Euch in Valvivant verfolgt.”

„Das ist sehr freundlich, edle teiranda. Aber dieses Angebot kann ich nicht annehmen.”

„Aber es wäre mir eine große Freude.”

„Noch mehr als an meine Sicherheit bin ich an meine Treue gegenüber meinem teirand gebunden. Ich werde nach Spagor reiten, meine Angelegenheiten regeln und mich dann meinem Los ergeben. Es wird nicht ausreichen, yarl Emberbey auf meiner Seite zu wissen. Seine Stimme wäre zu leise gegen die der yarlay aus Valvivant.”

Dagegen konnte sie so einfach nichts sagen. Gor Lucegath amüsierte sich still über ihre wirren Gedanken. Der Ritter gefiel ihr außerordentlich. Aber sie durfte ihn nicht bekommen. Er brauchte ihn selbst, nun, da er schon einmal da war. Der Rotgewandete hatte auch sogleich eine gute Verwendung für den ehrbaren Dummkopf im Sinn.

„Was wirft man dir von, Waýreth?”, fragte yarl Altabete unaufgefordert. „Was ist daran, an dieser Sache?”

„Es ist eine falsche Anklage, Andriér, wie du dir denken kannst. Missliche Umstände lassen es erscheinen, als habe ich einen Anschlag auf das Leben des teirand verübt.”

„Das ist doch lächerlich!”, brach es aus Jóndere Moréaval heraus.

Gor Lucegath räusperte sich.

„Was dies betrifft, yarl Althopian”, sagte er laut, „sollte es möglich sein, Euch von der Bezichtigung zu entlasten. Denn ich weiß zufälligerweise, wer dem teirand tatsächlich so schrecklich zusetzte.”

Waýreth Althopian wandte sich um. Der Rotgewandete stieg ohne Eile die nächstliegende Treppe hinab und schritt auf den Ritter zu. Das junge Mädchen versuchte, sich unauffällig hinter dessen Rücken zurückzuziehen, während er sich näherte.

„Und wer seid Ihr?”, fragte Waýreth Althopian und wich ebenfalls unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Ich bin ytra Gor Lucegath.”

„Meister Gor ist mein engster Vertrauter”, mischte die teiranda sich ein.

„Dann seid Ihr dieser mysteriöse Ratgeber an der Seite der teiranda, von dem man hört?”

„Hört man von mir? Herr Andriér, Ihr solltet Euch darum kümmern, dass Eure Dame nicht allzu viel mit Fremden schwätzt, wenn der Tag ihr zu lang wird.”

Altabete wimmerte leise auf und wurde kreidebleich. Die teiranda kümmerte sich nicht darum. Sie lächelte strahlend. „Meister Gor ist keiner meiner Schutzbefohlenen. Er ist …”

„Ich sehe, was er ist”, fiel Waýreth Althopian ihr ins Wort. „Allerdings war ich der Überzeugung, dass goala’ay sich nicht mehr als fýntaray [Henker] Menschen verdingen. Ihr seht mich über die Maßen befremdet über Eure Gegenwart.”

„Bei den Mächten, Waýreth, hüte deine Zunge”, zischte Altabete entsetzt.

Aber der Rotgewandete ließ sich nicht beleidigen. „Ihr erachtet Dinge aufgrund falscher Annahmen. Ich bin aus anderen Gründen in den Diensten der teiranda als meine Vorgänger in … unschönen Zeiten.”

„Ihr seid tatsächlich ein Lichtwächter?”, wisperte das Mädchen beeindruckt, das wohl selbst in größter Angst seinen Mund nicht halten konnte.

„Womit, mein Kind”, entgegnete der Rotgewandete beiläufig, „könnte ich dir das wohl am besten beweisen?”

Sie errötete und verneigte sich demütig.

Yarl Althopian musterte den Magier wachsam. „Dann seid Ihr also der, der für all das verantwortlich ist?”

„Wofür denn?”

Der Ritter breitete die Arme aus: „Na für… das hier!”

„Ich weiß beim besten Willen nicht, was Ihr damit meinen könntet.”

„Ich bin sicher”, mischte die teiranda sich ein, „Herr Waýreth ist zutiefst beeindruckt von den Herrlichkeiten, die Ihr für mich geformt habt!”

Waýreth Althopian warf ihr einen perplexen Blick zu. Die yarlay neben ihrem Thron flehten ihn mit Gesten und Blicken an, zu schweigen.

„Ich sehe”, sagte er dann ruhig. „Nein. Ich verstehe.”

„Natürlich ist es der Bescheidenheit der teiranda nicht angemessen, wenn jemand außerhalb ihres teirandon von den Wundern erfahren würde, die Ihr hier um Euch seht. Das gilt übrigens auch für Benjus von Valvivant und seine Leute. Es könnte allzu viel Neid schüren.”

„Aber was ist denn in Valvivant …” Das Mädchen unterbrach sich und biss sich auf die Lippen.

„Wenn du deine Zunge nicht hüten kannst, während Erwachsene sich unterhalten, könntest du dich anderswo nützlich machen”, sagte der Rotgewandete liebenswürdig, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Wenn ich mich recht erinnere, versuchst du, eine doayra zu werden. Es gibt hier jemanden, an dem du üben kannst, wenn du Lust dazu hast.”

„Wie könnt ihr Euch … erinnern?”

„Nun gut. Ich weiß, dass du eine doayra werden willst. Dein Talent hat sich bis zu mir herumgesprochen.”

Nun schien sie zu begreifen und riss die Augen auf. „Verta? Seid Ihr …Hat Euch Verta …”

Der Magier lachte leise. Das Mädchen schaute verstört zu ihrem Herrn auf, aber er vereitelte weiteres Gerede.

„Sei still, Isan. Es ist besser, wenn du dich hier heraushältst.”

„Ja, Herr.”

„Altabete, seid so gut und bringt die fánjula zu unserem Gast. Und Ihr, Waýreth Althopian – mit Euch würde ich gern einige Worte wechseln. Ganz privat.”

„Worüber könnten wir zu reden haben?”

Gor Lucegath lächelte. „Über Damen?”

Der yarl zögerte. „Ich verstehe”, sagte er dann. „Gut. Lasst uns über Damen sprechen. Von Mann zu Mann.”

Die teiranda erhob sich verwirrt. So hatte sie sich die Audienz für den Ritter nicht vorgestellt. Aber warum die Zeit lange mit höflichen Floskeln verschwenden? Meister Gor streckte ihr gebieterisch die Hand entgegen. Dies war der Moment, in dem sie zu warten hatte.

„Unter vier Augen, Herrin. Ihr werdet noch früh genug die Gelegenheit bekommen, Euch mit Herrn Waýreth zu … unterhalten.”