
Arámaú gab schlagartig die Wächterpose auf, in der sie die vergangenen Stunden über Yalomiro gelauert und mich angestarrt hatte. Sie verschwand blitzschnell unter dem Bett, wo Yalomiro immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Ich blickte auf, als sich die Tür öffnete, und erschrak, als Isan das Zimmer betrat.
„Was machst du hier?”, fragte ich entgeistert.
„Das könnte ich dich fragen”, gab sie ebenso verstört zurück.
Yarl Altabete, der Isan hergeführt hatte, wirkte verunsichert. Er schien von einer zur anderen zu schauen und nicht recht zu wissen, ob er noch gebraucht wurde.
„Und was stinkt hier so entsetzlich?”, fragte Isan.
„Isan … es …”
„Bei den Mächten”, murmelte sie, als sie Yalomiro entdeckte und wandte sich umstandslos an den Ritter. „Ich brauche heißes Wasser, mindestens drei Eimer. Eine Flasche weißen Essig. Und Seife. Eine Menge gute Seife. Und viele Handtücher! Zügig. Nun beeilt Euch!”
Andriér Altabete zuckte zusammen, nickte und eilte gehorsam fort. Ich war sprachlos über den Ton, den Isan anschlug. Aber vielleicht war das weniger ungewöhnlich, als ich annahm. Möglicherweise waren doayraé in medizinischen Situationen selbst Adligen gegenüber weisungsbefugt, das konnte ich nicht wissen. Aber ich kam weder dazu, zu fragen, noch darüber nachzudenken.
Isan schloss energisch die Tür und würdigte mich keines weiteren Blickes. Sie stellte die Tasche ab, die sie über der Schulter getragen hatte und in der es klimperte und klirrte.
„Isan … ich kann das erklären”, brachte ich unbeholfen hervor.
„Da bin ich gespannt”, sagte sie so unwirsch, dass ich nichts Gutes ahnte. „Aber eines nach dem anderen. Erst ist er hier an der Reihe!”
Sie ging auf Yalomiro zu, bevor ich eingreifen konnte. Arámaú schoss mit gezückten Krallen unter der Matratze hervor wie ein Kastenteufel. Es gelang mir gerade noch, die Katze zu erwischen, bevor sie losspringen konnte.
„Nicht!”, rief ich aus.
Lass mich los!
Isan hatte sich gehörig erschreckt, als das fauchende Tier auf sie zuschoss. Nun aber sah sie kopfschüttelnd zu, wie ich mich mühte, das tobende Wesen festzuhalten. Arámaú wand sich in meinen Händen, fauchte und biss um sich. Ihre Krallen in meinem Unterarm waren entsetzlich scharf.
Schick sie fort!
„Au!” Eine krallenbewehrte Katzenpfote schrammte über meinen Arm. „Lass das!”
Sie soll weggehen! Arámaú versetzte mir einen weiteren wütenden Kratzer. Ich biss die Zähne zusammen.
„Tu das Vieh weg!”, sagte Isan ungeduldig. „Es ist im Weg!”
„Ich kann nicht!”
„Wirf es meinetwegen aus dem Fenster!”
Arámaú fauchte, ihr Fell stellte sich auf. Endlich gelang es mir, die Katze mit ausgestreckten Händen von mir zu halten. Trotzdem brachte sie es weiterhin fertig, ihre Hinterkrallen in mein Fleisch zu bohren, während sie herumstrampelte. Sie benahm sich wie ein Tier!
„Beruhige dich”, zischte ich sie schmerzvoll an, als ich sie endlich halbwegs sicher gepackt hatte. „Sonst sperre ich dich in die Truhe!”
Halt sie fern von ihm!
„Jetzt hör auf, mit dem Viehzeug zu reden. Erklär mir, was hier los ist!”, forderte Isan.
„Bleib ruhig”, flüsterte ich über Arámaús Fauchen hinweg. „Halt dich zurück!”
In Arámaús jadefarbene Katzenaugen trat ein Ausdruck höchster Verachtung. Ihre Lider senkten sich feindselig.
Wenn ihm etwas durch ihre Hand geschieht, verlässt keine von euch lebendig diesen Raum, drohte sie.
Fein!, dachte ich erbost in ihre Richtung. Dann ist überhaupt niemand mehr da, der ihm beisteht.
Du verstehst einfach nicht, was hier vorgeht, antwortete Arámaú finster.
Oh doch. Du bist auf seine Kosten eifersüchtig!
Schlagartig hörte Arámaú auf, zu zappeln. In ihr geflecktes Katzengesicht trat ein Ausdruck von … ja, von Verwirrtheit.
Ich setzte sie auf den Boden, bedachte sie mit einem flehenden Blick und eilte endlich zu Isan hinüber. Die begutachtete kopfschüttelnd den leblosen Mann.
„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, uns so zu hintergehen? Verta glaubt, du hast mit dem Anschlag auf unseren teirand zu tun.”
„Was für ein Anschlag?”
„Und was ist dem armen Kerl hier zugestoßen? Wer ist das?”
Hatte es Sinn, ihr irgendeine Geschichte aufzutischen? Wahrscheinlich nicht. Spätestens wenn sie die seltsame Farbe seines Blutes bemerkte, wäre ich in Erklärungsnot.
„Er heißt Yalomiro Lagoscyre”, sagte ich zaghaft. „Er ist ein … na ja … der Schattensänger.”
Isan machte einen Satz zurück, so als habe sie eine heiße Herdplatte angefasst.
„Also doch”, zischte sie zwischen den Zähnen hervor. „Der teirand hatte Recht! Du hast einen Schwarzmantel nach Valvivant eingeschleppt!”
„Nein, habe ich nicht! Ich kann das alles erklären!”
„Das hoffe ich.”
Arámaú sprang auf das Kissen neben Yalomiros Kopf und fixierte Isan feindselig. Sie knurrte nicht mehr. Doch sie würde sicherlich über das Mädchen herfallen, wenn es etwas tat, das ihr bedrohlich erschien. Meine Nerven flatterten. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie weit Arámaús Kräfte über ihr tobsüchtiges Gehabe herausreichen mochten. Wahrscheinlich war es tatsächlich ein Segen, dass sie in Katzengestalt nicht zaubern konnte.
Kannst du denn nicht spüren, dass sie nichts Böses im Sinn hat?, dachte ich flehend.
Ich spüre Angst. Angst und Verlockung. Arámaú grollte. Unkundige sind unberechenbar.
„Gib mir endlich das Wasser. Ist dir zwischenzeitlich eingefallen, wie du heißt?”
„Ujora”
„Natürlich. Was frage ich überhaupt? Bei den Mächten, in was für ein Tollhaus bin ich hier geraten. Schwarzmäntel, Lichtwächter und eine ujora.” Sie brachte aus ihrem Gepäck eine Schatulle zutage, die mit vielen kleinen Tiegeln und Phiolen gefüllt war. Kaum hatte sie den Deckel geöffnet, roch es in der Stube wie in einer Apotheke. Es übertünchte sogar den üblen Geruch einen Moment lang.
Erstaunlicherweise schien der Duft der Arzneien Arámaú augenblicklich zu besänftigen. Ihre gerade noch flach angelegten Ohren richteten sich interessiert nach vorn.
„Bitte”, bat ich Isan, „weck ihn nicht auf und tu ihm nichts an.”
„Lass mich einfach meine Arbeit tun. Was ist mit ihm passiert? Wurde er gefoltert?”
„Nein. Ja. Gewissermaßen.”
„Warum?”
„Das ist alles sehr kompliziert zu erklären.”
„Aha.”
Sie benetzte seine Kleidung und begann dann, das, was von Yalomiros Hemd und Mantel noch übrig war, von ihm abzulösen. Das war nicht leicht, denn stellenweise waren Stoff, Wunden und geronnenes Blut eine feste Verbindung eingegangen. An Armen und Handgelenken hatte sich die Schnur tief in sein Fleisch gegraben und ringsum gräuliche Verfärbungen unter seiner Haut hinterlassen. Als Isan ihm die Schuhe von den Füßen zerrte, löste das Leder sich mit einem abscheulich reißenden Geräusch. Isan murmelte kopfschüttelnd vor sich hin, warf die Überreste der Schuhe beiseite und wusch konzentriert bleigraue Krusten fort, trug Salbe und eine aushärtende Paste auf, wo Haut wund und zerfetzt war.
„Was tust du da?”, fragte ich, weniger weil es mich selbst interessierte, sondern weil ich wollte, dass Arámaú nicht auf falsche Gedanken kam.
„Dieser Gestank ist nicht normal. Bestimmt sind überall schon Entzündungen. Ich habe ein Mittel, das die Wunden sauber macht und schneller verheilen lässt. Hoffentlich ist noch nichts Übles in seinem Blut.”
Für meine Ohren klang das halbwegs professionell, für Arámaú wahrscheinlich reichlich primitiv. Sie beaufsichtigte jeden Handgriff ungerührt, weiterhin bereit, Isan anzuspringen. Andererseits schien sie eingesehen zu haben, dass Isan tatsächlich nichts Böses im Sinn hatte.
Sie tut etwas, dachte ich.
Es ist nicht gut, Unkundigen zu vertrauen, entgegnete Arámaú. Sie haben zu viel Angst vor uns. Angst macht unberechenbar.
Arámaús misstrauisches Gerede begann, mich zu verstimmen. Es gab Wichtigeres zu klären.
„Was machst du hier, Isan? Warum bist du nicht bei Verta in Valvivant?”
„Ich bin mit Waýreth Althopian gekommen. Er ist davon überzeugt, hier einen Ort zu finden, der Pianmurít heißt, wo yarl Altabete sich aufhalten soll. So ein Unfug. Der ist schließlich hier und trödelt mit dem Essig.” Sie blickte auf, reagierte aber nicht auf meinen verständnislosen Blick. Stattdessen hielt sie mir den Salbentiegel hin. „Du solltest dir auch etwas davon auf die Arme schmieren. Die Katze hat dich ganz schön zugerichtet.”
Ich warf einen Blick auf meine Unterarme, wo Arámaús Krallen blutige Spuren hinterlassen hatten. Sogar mein Kleid war befleckt. Es sah schlimm aus. Aber ich hatte keinen Sinn für Isans Medizin.
„Wo ist yarl Althopian jetzt?”, wollte ich alarmiert wissen.
„Er ist mit dem Lichtwächter in einer Unterredung. Hast du das geahnt? Ein leibhaftiger Lichtwächter! Weißt du was? Ich glaube, es ist derselbe, den Verta gelegentlich in Valvivant gesehen hat!”
„Yarl Althopian ist allein mit Gor Lucegath? Warum ist er hier, obwohl Yalomiro ihn davon abgeraten hat?”
„Ich glaube, der yarl hat einen Plan.”
Bei der Erwähnung von Althopians Namen regte Arámaú sich interessiert.
Yalomiro hat mit jemandem aus dem Haus Althopian geredet?
War das jetzt auch wieder verkehrt?, fragte ich, dachte aber nicht weiter nach, denn Isan hielt einen Moment grübelnd inne. Dann löste sie das Tuch, das Yalomiro als Gürtel diente und entkleidete ihn zu meinem Entsetzen gänzlich, mit sachlicher Geschicklichkeit, obwohl er abwärts der Taille unverletzt war.
Ich rechnete fest damit, dass Arámaús Zorn erneut ausbrach. Stattdessen seufzte die Katze lediglich missbilligend.
Was immer Isan erwartet hatte, zu sehen zu bekommen, der Anblick schien sie zu ernüchtern. Als sie meine Befangenheit bemerkte, bedeckte sie beiläufig Yalomiros Blöße mit einem der Lappen, benetzte ein weiteres Tuch und legte es über seine Augen.
„Sicher ist sicher”, sagte sie zu mir. „Nicht, dass er die Lider öffnet und uns verflucht!”
„Isan, ich weiß immer noch nicht, was ihr hier zu suchen habt!”
Während sie die Behandlung mit routinierten Handgriffen fortsetzte, berichtete das Mädchen mir in erstaunlich knappen Worten, was in Valvivant geschehen war. Von dem rätselhaften Attentat auf den teirand, von der unzeitigen Abreise der yarlara und dem falschen Verdacht von Benjus von Valvivant gegen yarl Althopian. Von dessen liebestollem Fluchtversuch und dem Handel, den der teirand ihm angeboten hatte, um Leumund und Leben zu retten.
„Die teiranda wäre mehr als glücklich, ihn als neuen teirand an ihrer Seite zu wissen,” sagte ich.
„In ihren verwegenen Träumen wohl!” Isan wirkte unangemessen amüsiert. „Ich glaube, Herr Waýreth ist auf alles vorbereitet. Er lässt sich von Zauberei nicht übertölpeln.”
***
– Yalomiro? Yalomiro, kannst du mich hören?
Es war finster um ihn herum, dunkel, warm und frei von Schmerzen. Er hatte weder Gewicht noch Grenzen und driftete durch die angenehme Taubheit.
– Yalomiro, ich bin es! Schlaf nur weiter, aber lass mich in dein Bewusstsein herein.
„Arámaú? Arámaú, bist du wirklich da?”
– Lass mich zu dir, solange die unkundigen fánjulaé abgelenkt sind!
Er ließ seinen Geist ausfasern, vorsichtig, damit er sich nicht auflöste. Da war ihr Bewusstsein, zart, aber kräftig und stabil.
„Arámaú!”
Ihre Seelen umarmten einander. Sie zu spüren, das vertraute, das so lang vermisste Gefühl einer anderen Schattensängerseele, es tat so gut!
– Bei Noktáma! Endlich! Endlich! Yal gha’tanai!
„Yal gha’tanai, Arámaú, bei den Mächten, bei Noktámas Herrlichkeit! Wie sehr habe ich gehofft, dich zu finden, seit ich deine Spur im Schatten fand.”
Mehr war in diesem Moment nicht zu sagen. Sie schwiegen und tasteten sacht nach dem Geist des anderen.
„Was tust du? Wo bist du?”
– Ich sitze neben dir. Ich passe gut auf, dass dir kein Leid geschieht!
„Ich bin also nicht mehr in Pianmurít?”
– Du bist in Wijdlant, in der Burg. Du bist bewusstlos und schwer verletzt. Aber er hat dich aus seiner Domäne entlassen. Eine vorwitzige doayra versucht, deinen Körper zu versorgen. Aber sie scheint nicht gefährlich zu sein.
„Kannst du mich denn nicht heilen?”
– Ich … nein. Es geht nicht. Ich wage es nicht. Es würde mich verraten. Sobald ich meine Maskerade aufgebe, wird der Rotgewandete mich erwischen.
„Maskerade?”
– Ich habe mich … verkleidet.
„Bei den Mächten! Ich habe es vermutet, als ich von diesem geschmuggelten Brief erfuhr, aber … warum hast du das gemacht?”
– Sie taten mir so leid. Es war ein Punkt erreicht, an dem ich ihre Verzweiflung selbst nicht mehr ertragen konnte. Ich …
„Nicht der Brief, Arámaú. Nicht dein Mitgefühl für die Unkundigen. Du weißt, wovon ich rede.”
Sie zögerte.
– Ich mache es gut, Yalomiro! Ich mache alles wieder gut! Ich wollte aushalten, bis ich Hoffnung sehe. Noktáma hat mein Flehen erhört! Noktáma hat dich zu mir zurückgebracht!
„Weißt du, warum Gor Lucegath mich freigegeben hat?”
– Die Unkundige hat mit ihm gehandelt.
„Du bist mit der Unkundigen zusammengetroffen?”
– Zusammengetroffen. Ja. Ich habe sie gefunden.
„Meine Sinne sind so schwach, ich kann nichts fühlen … ist sie da? Ist sie bei mir?”
– Du bist besorgt.
„Es darf ihr nichts zustoßen.”
– Yalomiro … wieso hast du dich mit einem unverständigen, leichtsinnigen unkundigen Wesen eingelassen? Du weißt, dass uns das nicht zusteht!
„Ich verdanke ihr mehrfach mein Leben und stehe tief in ihrer Schuld. Noktáma hat sie gesandt.”
– Sie sollte nicht hier sein!
„Nein. Aber auch du solltest nicht in Gor Lucegath Reichweite sein. Wieso bist du in Wijdlant? Sind noch andere da?”
– Nein.
„Warum war der Boscargén verlassen? Warum seid ihr weggegangen?”
– Meister Gíonar hat es so entschieden, als wir sahen, was der Rotgewandete im Etaímalon und an dir vollzogen hatte. Die Meister waren sich darüber aber nicht einig, und einige wollten die arcaval’ay um Beistand bitten. Wahrscheinlich haben sie Aurópéa nicht erreicht. Ein Halbdutzend andere, unter ihnen Meister Gíonar und ich, wir gingen nordwärts über den Montazíel, als man uns zum teirand nach Valvivant rief.
„Wer hat Euch gerufen?”
– Der teirand selbst. Eine große Not sei über das teirandon gekommen. Meister Gíonar vermutete, es könne eine Spur des Rotgewandeten sein. Sie lachte bitter. Weißt du noch, wie oft Meister Askýn und Meister Gíonar debattierten, ob es recht sei, Unkundigen zu trauen und sich einzubringen?
„Noktáma selbst hat unseresgleichen geboten, zu helfen, wenn man uns bittet.”
– Und nun hatte man uns gebeten, und Meister Gíonar folgte Noktámas Regel, sicherlich in Respekt vor dem Großmeister, der selbst den Lichtwächter anhören wollte. Aber es war keine Spur. Es war eine unbegreifliche Falle. Entsetzliche Magie zerrte uns direkt nach Pianmurít. Wie hat er dich ergreifen können, Yalomiro?
„Urplötzlich erschien er im Schatten. Er überraschte uns mit gestohlener Magie.”
– Für diese Kunst hat er Meister Gíonar umgebracht.
„Ausgerechnet Meister Gíonar hat tatsächlich dieses Geheimnis preisgegeben?”
– Tropfenweise hat der Rotgewandete ihm vergoldetem Wein auf die Zunge geträufelt. Alle ytraray haben ihm in ihrer Agonie Geheimnisse als Handel angeboten, damit er sie endlich tötet. Der Preis für die Erlösung wurde immer höher, mit jedem ein Stück mehr. Als sei er in einem Rausch. Es war Wahnsinn dabei.
Yalomiro verspürte beschämtes Bedauern. Wie oft war Meister Gíonar das Ziel der unbekümmerten Albernheiten gewesen, die er zu Arámaús Vergnügen ausgeheckt hatte. Die Vorstellung, dass der gestrenge Meister auf eine so entsetzliche Weise hatte sterben müssen, versetzte seinem Verstand einen schmerzhaften Stoß.
„Warum hat Gor Lucegath dich verschont?”
– Ich war die Letzte. Um mich zu verspotten, löste er meine Fesseln und forderte er mich zum Kampf. Aber ich entwischte ihm und rannte, ziellos kreuz und quer durch das Nichts. Tagelang muss ich durch seine Domäne gehetzt sein. Noktáma hat mich gerettet. Gor Lucegath machte sich nicht einmal die Mühe, mich zu verfolgen. Sicher dachte er, dass ich ohnehin nicht lange in Pianmurít überleben würde. Aber ich flehte zu Noktáma, immer wieder, und sie erhörte mich. Ich konnte entschlüpfen, durch einen Fetzen von Schatten, der sich auftat. Ich rannte hindurch und stand plötzlich im einem Kellergewölbe; unter dem Burgturm. Von dort war es ein Leichtes in Katzengestalt fortzukommen.
Yalomiro sagte nichts dazu. Er konnte spüren, welche Panik sich in Arámaús Seele verbissen hatte. Es erschien ihm müßig, in Frage zu stellen, was wahrscheinlicher war: Noktámas Eingreifen oder eine grausame Laune des Rotgewandeten, die Arámaú aus Pianmurít gerettet hatte. Es hatte keinen Zweck, sie zu verunsichern. Nicht jetzt.
„Warum bist du hiergeblieben, wo er dich jederzeit aufspüren könnte? Du hättest nach Aurópéa fliehen und die arcaval’ay um Hilfe bitten können!”
– Du glaubst, es hätte sie gedrängt, uns beizustehen? Ich glaube daran, dass es ihnen zupasskommt, dass unseresgleichen aus dem Weltenspiel verschwunden ist. Sie hatten lange genug Zeit, ihm entgegenzutreten.
Er schwieg eine Weile. Sie zögerte.
„Und warum bist du wirklich hiergeblieben?”, fragte er dann sanft.
– Wohin hätte ich gehen sollen? Ich war allein. Aber ich konnte mein Leben retten, indem ich mich verkleide und meine Magie gut in mir verschließe. Ich wusste, eines Tages würde er dich wieder aus dem Etaímalon hervorholen. Ich durfte ihn nicht aus den Augen lassen. Du siehst, ich habe es richtig getan.
„Du hast dich also in einer Tiergestalt versteckt? Bis heute? Arámaú, das …”
– Hätte ich mit Magie versucht zu entkommen, hätte ich keine Chance gegen ihn. Ich warte auf den Tag, an dem ich die Chance bekomme, unseresgleichen an ihm zu rächen. Sie zögerte. Wir werden unseresgleichen doch rächen, oder? Wir werden doch über ihn siegen, nicht wahr? Gemeinsam?
Er seufzte und umarmte sie mit seinen innigen Gedanken. Sie schmiegte ihren bitteren Geist an den seinen. Er umfing sie, wie er damals das kleine Mädchen in seinen Armen gehalten hatte, vor Ewigkeiten, als er ein noch ein Knabe war und sie so bitterlich weinte. Ihr Geist war so chaotisch und verängstigt wie einst, als Meister Gíonar sie zu den camat’ay geholt hatte und die Schwarzgewandeten sie so sehr erschreckt hatten. Lange hatte er damit zugebracht, die Angst von ihr abzunehmen, Schicht um Schicht, wie Zwiebelschalen. So lange, bis sie ihn endlich angelacht hatte. Jetzt lag ihr etwas auf der Seele.
– Wer ist diese Unkundige, Yalomiro? Was geht dich ein unkundiges Wesen an?
„In mir ist … Arámaú, das Verbotene ist in meinem Herzen erwacht.”
– Was!?
„Ich verstehe es selbst nicht, wie es geschehen konnte. Aber … das Verbotene ist gut. Es ist heilig.”
– Es ist nicht für uns bestimmt! Es ist Frevel!
„Ich weiß.”
– Aber … es ist unmöglich!
„Vielleicht war zu wenig Sorgfalt dabei, als Meister Askýn es damals … entfernte. Möglicherweise ist unbemerkt etwas übriggeblieben.”
– Unbemerkt? All die Zeit? Unter Noktámas Augen?
„Arámaú, ich weiß es nicht. Aber es ist … oh, ich kann es nicht beschreiben.”
Sie seufzte verstört. Du wirst daran zugrunde gehen!
„Dann ist es Noktámas Wille.”
– Yalomiro …
„Ich kann es dir noch nicht erklären. Für den Moment bitte dich, der Unkundigen zu vertrauen. Sie ist eine … Freundin.”
– Das ist ja schön und gut. Aber weiß sie, was auf dem Spiel steht? Oder ist sie von Sinnen, weil du ihr zu nahe gekommen bist? Sicher ist es einfach nur diese unselige Begierde! Du weißt doch, was mit unkundigem Verstand passiert, sobald …
„Arámaú … nein. Ich habe anfangs dasselbe vermutet, aber so ist es nicht! Es muss einen Grund dafür geben, dass sie unserem Unheil widersteht. Ich kann es mir nur mit Noktámas schützender Hand erklären. Wenn dem so ist, dann hat es eine Bedeutung.”
– Du glaubst, es sei ein Zug im Weltenspiel?
„Wie kann ich das wissen?”
Arámaús Seele war verwirrt. Sie schwiegen einen Moment.
„Was hat die ujora getan, während ich in Pianmurít war?”
– Sie konnte nicht viel tun. Sie hat um dich geweint. Und … sie fragte mich, ob ich dich liebe. Ich habe das für unkundige Torheit gehalten.
„Was hast du ihr geantwortet?”
– Ich habe ihre Frage erst gar nicht verstanden.
Seine Seele koste die ihre. Arámaú kämpfte, um die Beherrschung zu bewahren. Er war so schwach und müde.
– Schlaf, Yalomiro. Es ist gut, dass du wieder da bist. Wir werden den Rotgewandeten besiegen. Gemeinsam. Wir werden die camat’ay rächen!
„Kann ich etwas von dir erbitten, Arámaú?”
– Natürlich.
„Lass die ujora nicht allein. Und trage deine Verkleidung noch eine Weile länger. Sei unsichtbar für Gor Lucegaths Augen.”
– Du willst, dass ich auf eine Unkundige achtgebe?
„Ich würde sie niemand anderem anvertrauen wollen.”
– Schlaf. Ruh dich aus. Ich bin bei dir. Wir sind bei dir.
Er löste seinen Geist dankbar von ihrem. Ein letztes sanftes Streicheln, dann war er zurück in der heilenden Schwärze der Ohnmacht und sie im Körper der Katze. Einem kleinen, verwirrten Tier, das auf dem Kissen saß und wachte, während die Unkundigen sich vorsichtig und doch so sinnlos an seinem Körper zu schaffen machten.
„Diese Wunde ist älter”, sagte die junge doayra gerade, während sie mit einem Lappen Schmutz, Schweiß und Blut abtupfte.
„Sie stammt von einem Schwert”, sagte die ujora beiläufig.
Arámaú hob den Kopf, um zu schauen. Als feiner Strich zog sich eine blass-silbrige Narbe über die Brust des Schattensängers. Eine Wunde, die ganz sicher nicht von einer gewöhnlichen Klinge stammte. Keine verheilte Verletzung. Ein Zeichen. Ein kundiges Auge konnte die Magie daran sehen.
Arámaú erschrak bis ins Mark. Dann tat sie panisch einen Satz vom Bett auf das Fensterbrett und entschwand mit einem schrillen Fauchen über den Mauersims in die einsetzende Nacht, bevor die ujora sie einfangen konnte.
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