
Sie zeigte mir alles. Wirklich alles.
Ich hatte in meinem Leben oft Menschen kennengelernt, die sich über ihre Lieblingsthemen in Begeisterung reden und ohne Unterlass darüber dozieren konnten. Von einigen hatte ich dabei sogar wissenswerte Dinge gelernt. Aber der Mehrheit war es ganz egal, ob ihre Gesprächspartner ihnen Gehör schenkten, folgen konnten oder sich auch nur dafür interessierten. Sie hörten sich gern selbst reden.
Die teiranda setzte dem noch eines hinzu: Sie redete in einer Art und Weise von Sachen, die nur sie selbst wahrzunehmen schien. Je länger ich ihr zuhörte, desto klarer wurde mir, dass sie offensichtlich in der Vorstellung lebte, einen prächtigen Palast zu bewohnen, umgeben von Luxus und Glanz.
Redete sie sich all das ein? Oder hatte sie es tatsächlich vor ihren Augen?
Ich konnte nicht mehr tun, als ihr bei der Führung durch ihre Burg nachzulaufen, zuzuhören und ab und zu zu nicken. Ich tat das alles in der vagen Hoffnung, Hinweise zu bekommen, die mir dabei helfen würden, Yalomiro zu befreien, solange die Chance dazu bestand. Doch da gab es nicht viel, was als Ansatz brauchbar war.
Sie führte mich in einen Stall, in dem Pferde untergebracht waren, die laut ihren Worten zu den edelsten Tieren gehörten, die dieser Teil der Welt zu bieten hatte. Die Rösser ihrer yarlay, betonte sie, stammten alle aus den Herden der Herren von Althopian. Und ihres – sie tätschelte einem apathisch glotzenden Grauschimmel den Hals – war natürlich das Schönste von allen.
Ich war mir sicher, dem yarl hätte es das Herz gebrochen, die müden, teilnahmslosen Tiere zu sehen, die mit stumpfem Fell und glanzlosen Augen hier standen. Sie zuckten kaum mit den Ohren oder schlugen mit dem Schweif, um die trägen Fliegen zu vertreiben. Was für ein Unterschied zu den gepflegten, schönen Pferden, die ich in Valvivant gesehen hatte!
Ich hielt einem Schecken meine Hand hin, um seine Nase zu streicheln, aber ich glaube, das Tier hätte sie nicht bemerkt, selbst wenn ich ihm damit vor den Augen herum gewedelt hätte. Ein einziges Pferd machte einen ganz normalen, lebhaften Eindruck und stach daher unter ihnen allen hervor. Aufgrund des fuchsroten Fells glaubte ich, Gor Lucegaths Reittier wiederzuerkennen. Ich schauderte und hatte zugleich Mitleid mit dem Tier.
Dann ihr Garten, auf den sie besonders stolz zu sein schien. Ja, es wuchs etwas in den Beeten und es gab auch die Rosen, von denen sie geredet hatte. Aber alles sah verstaubt und vertrocknet aus, Pflanzen, die gerade so eben noch schafften, nicht zu verwelken. Es erinnerte mich an den Zustand der Vegetation unmittelbar außerhalb des Boscargén.
In der Küche war eine unübersichtliche Schar von Leuten damit beschäftigt, über offenen Feuerstellen eine Mahlzeit vorzubereiten. Überall dampfte, prasselte und brodelte es. Aber ich konnte nicht erkennen, ob das Küchenpersonal gerade buk, briet oder kochte. Am Ende schien alles im selben Kessel zu landen, was ringsum gewaschen, geschnitten und geputzt wurde. Ich konnte nicht einmal irgendeinen Küchendunst riechen. Was für ein Unterschied zu Valvivant!
Vielleicht hätte die Burg, die immerhin tatsächlich ein eindrucksvolles Gemäuer mit einem von einem Bach gespeisten Graben ringsum war (ein Schwarm Enten und ein paar schmutzig weiße Schwäne dümpelten darin), bei Sonnenschein etwas einladender gewirkt. Aber der Himmel war von diesem unwirklichen, reglosen Grau. Anfangs hatte ich noch gedacht, es handele sich um Schlechtwetterwolken. Doch je mehr ich hinschaute, desto klarer wurde mir, dass es der Himmel selbst war, der sich so ungesund verfärbt hatte und alles in ein trübes Zwielicht tauchte.
Wie spät mochte es sein?
Während all der Zeit bemerkte ich immer wieder, wie yarl Moréaval betont unauffällig hinter uns her schlich. Wäre die Lage nicht so verzweifelt gewesen, hätte ich seine offensichtliche Besorgnis um die teiranda als beinahe anrührend empfunden. Ich bildete mir ein, dass es ihm nicht geheuer war, wie vertraut sie mit jemandem tat, der – aus seiner Sicht – höchst suspekt sein musste.
Fast war ich erleichtert, als die teiranda die Führung durch die Außenanlage beendete und wir wieder in die Halle gingen. Anders als in Valvivant gab es hier keine großen Fenster mit einem Laubengang an der Seite. Der Saal hatte hohe Wände, Tageslicht kam durch Fensterreihen etwa auf Höhe der ersten Geschosse der anliegenden Gebäudeflügel. Etwas unterhalb davon umlief den Raum eine Galerie mit einer kunstvoll geschnitzten Balustrade, von der einige Türen abzweigten.
Anderes als in Valvivant gab es hier kein verstörendes Monumentalgemälde der Schlacht um Aurópéa. Stattdessen säumten die Wände verblasste, lebensgroße Abbilder von Personen, Ritter und Damen in vornehmen Gewändern. Sie waren jedoch nur schemenhaft zu erkennen, so als läge eine dicke Schicht Staub darüber. Oder vielleicht doch eher Nebel beziehungsweise eine Verzerrung, die in jenem Moment einsetzte, in dem ich versuchte, meinen Blick darauf zu fokussieren.
„Wer sind all diese Leute?”, fragte ich.
„Das sind die teiranday von Wijdlant, die von dieser Halle die Geschicke des Hauses gelenkt haben”, erklärte sie begeistert. „Auf diese Weise sind sie immer unter uns – zumindest bildlich – solange hier regiert wird.”
„Das sind also Eure Vorfahren?”
„Die, die hier gelebt haben, ja. Natürlich sind nicht alle Bilder authentisch, denn die Burg, die hier ursprünglich erbaut worden ist, wurde in all der Zeit mehrfach geschliffen und größer und prächtiger wieder aufgebaut. Die Bildnisse mussten aus dem Gedächtnis nachgemalt werden. Aber die Porträts aus den letzten Generationen wurden von Malern angefertigt, denen die Herren und Damen persönlich Modell gesessen haben.”
Sie lachte und eilte auf eine Stelle der Wand zu, wo ein Wandteppich von unbestimmter Farbe hing. „Hier wird einmal mein Bild sein.”
„Und wer ist der Herr hier?”, fragte ich höflich und deutete auf das diffuse Bildnis eines stattlichen Mannes in einer aufwändigen Robe, unmittelbar links neben dem Teppich.
Ihr Lachen verstummte. Sie schaute auf das Bild und ihr Blick glitt wieder auf diese gespenstische Weise ins Leere.
„Mein Vater …” flüsterte sie dann, kaum dass ich es hören konnte.
„Oh”, sagte ich, peinlich berührt.
Sie zuckte zusammen, schien sich regelrecht zu schütteln, so als käme sie wieder zu sich und packte erneut ausgelassen meine Hand. „Komm, Ujora, komm weiter. Es gibt noch so viel zu sehen vor dem Abend. Lass uns das Haupthaus anschauen. Dort ist dein Gemach. Ich will, dass du immer in meiner Nähe bist!”
Ich hatte keine Wahl. Sie führte mich an dem querstehenden Tisch an der Kopfseite der Halle vorbei, wo auch ein schwerer hölzerner Thronsessel, mit langflorigen, strähnigen Fellen und zerschlissenen bestickten Kissen ausgelegt, stand. Dahinter war ein schwerer Vorhang, der die Türen zu weiteren Räumen abtrennte und zu einem Treppenaufgang. Eine Wendeltreppe führte hinauf zu der Empore und ging dann in gerade Stufen über, die zu einem versetzt angebauten Seitentrakt des Gebäudes führten.
Hier befanden sich also Wohngemächer und Gesindestuben. Es hielten sich auch Menschen hier auf, die sich beim Anblick der teiranda verneigten, ansonsten aber scheinbar unbeeindruckt ihren Tagesgeschäften, was immer sie gerade taten, nachgingen.
In regelmäßigen Abständen gab es hier Fenster für Tageslicht, die sich mit dicken Holzläden schließen ließen. Aus einem schaute ich hinaus, in den Burghof hinab und zuckte überrascht zurück. Meinem Empfinden nach war den Erdboden von hier aus viel zu weit entfernt. Es war unmöglich, dass die beiden Treppen in eine derartige Höhe geführt hatten.
Ich wollte die teiranda danach fragen, aber sie war schon wieder bei der nächsten Treppe. Hier stand ein Wächter auf Posten, der beim Anblick seiner Herrin Habachtstellung annahm. Sein Gesicht war verschwommen, wie bei den anderen Bediensteten der teiranda auch.
Sie kümmerte sich nicht um ihn und stieg die Wendeltreppe hoch. Ich eilte ihr nach.
„Warum steht da eine Wache?”
„Wir kommen jetzt in meine persönlichen Räume. Hier oben haben nur ich und meine Kammermägde, die yarlay und ein Teil des Gesindes Zutritt, das hier zu arbeiten hat. Es darf niemand ohne Erlaubnis auf diese Etage. Das gilt für dich natürlich nicht, Ujora.”
„Kommen denn oft Unbefugte her?”
Sie blieb mitten auf der Treppe stehen, starrte verwirrt geradeaus und zögerte erneut.
Bemerkenswert. Offenbar stelle ich ihr Fragen, die sie in ihrem euphorischen Zustand störten.
„Schon lange nicht mehr”, sagte sie, ohne sich zu mir umzudrehen. „Komm! Das wird dir sicher gefallen!”
Sie öffnete die Tür zu einem Raum gleich am Treppenabsatz und winkte mich hinein.
Tatsächlich staunte ich. Es war eine Bibliothek. An drei der vier Wände standen überkopfhohe Regale, in denen sich dicke und dünne, teils ledergebundene Bücher aneinanderreihten und stapelten. Das Fenster war mit einer milchigen Scheibe verglast, sicher, um das Papier vor der Witterung zu schützen. Direkt davor stand ein Tisch, auf dem eine Art Gesellschaftsspiel aufgebaut war.
Im nächsten Moment bemerkte ich, dass auch in diesem Raum etwas fehlte, und zwar der Geruch von Leder und Papier, den es angesichts der vielen Bücher hätte geben sollen. Stattdessen roch es nach überhaupt nichts.
„Schau”, sagte die teiranda, „hier auf dieser Seite sind die Schriften gelehrter Männer und Frauen und dort hinten die Aufzeichnungen über die alten Zeiten. Einige Bücher sind sogar noch von Hand geschrieben, kannst du dir das vorstellen? Was für ein Aufwand das gewesen sein muss! Aber ich mochte immer dieses Regal am liebsten. Das sind die schönen Romane von Rittern und Seefahrern, und…”
„Darf ich?”, fragte ich und deutete wahllos auf eines der Bücher im Regal neben mir.
„Bedien dich! Deswegen zeige ich sie dir ja. Du sollst dich hier nicht langweilen!”
Ich schlug das Buch auf und sah eine sauber gezeichnete, grau kolorierte botanische Abbildung einer Blume. Der Text daneben war tatsächlich viel zu regelmäßig für eine Handschrift. Es war gedruckt.
Die Lettern konnte ich natürlich nicht lesen, wie auch. Die Buchstaben waren eine Abfolge von steilen und flacheren Linien, die mal in flachen, mal in spitzen Winkeln miteinander verbunden waren. Es ähnelte den Zeilen in Yalomiros Notizbuch, oder was es gewesen sein mochte, das Gor Lucegath am Feuer auf dem Montazíel durchgeblättert hatte.
Aber … ich wusste, dass der Text sich auf die Pflanze bezog, eine ausdauernde krautige Pflanze, die weit südlich des Montazíel zu finden war. Aus ihren getrockneten Samen konnte man ein Pulver für einen anregenden, bitteren Aufguss gewinnen.
Ich stellte das Buch erschrocken wieder zurück. Es war nicht so, dass ich diese Zeilen gelesen hätte, Zeichen für Zeichen, wie man es eben so tut. Trotzdem hatte ich verstanden, was da geschrieben stand. Das war mir nicht geheuer.
Die teiranda deutete auf die Spielfiguren auf dem Tisch. „Sieh, ist das nicht wunderschön? Einer meiner Ahnen hat es einst als Brautgabe mitgebracht. Die Figuren sind aus kostbaren Steinen, wie man sie im teirandon Pianárdent findet, weit, weit im Westen.”
Ich kam näher. Das Spiel erinnerte mich im ersten Moment vage an ein Schachspiel. Aber es standen viel weniger Spielsteine auf einem mit Intarsien verzierten Brett, auf dem eineinander verschlungene Kreis- und Spiralmuster das Spielfeld bildeten. Die Figuren selbst waren lang wie meine Finger und bestanden aus transparentem, aber eingestaubt wirkendem gelblich-grünem und rosa Kristall. Kunstvoll und detailreich verziert stellten sie menschliche Gestalten dar. Ich erkannte einen Ritter mit gezogenem Schwert, einen Bauern, der aus einem Beutel Saat zu verstreuen schien, einen teirand mit einer Krone. Sehr vorsichtig griff ich nach einer Figur mit einem Buch und einer filigranen Schreibfeder in der Hand, die besonders fragil aussah.
„Das ist der mynstir“, erklärte Kíaná. „Er ist wichtig, weil er den Gegenpol zum yarl darstellt. Der yarl und der mynstir müssen den teirand immer weise ergänzen. Aber ich muss zugeben, ich habe nie ganz verstanden, wie die Strategie aussieht, wenn der vendyr zu nahe an die einen der beiden heranzieht.”
„Was ist der vendyr?”
Sie reichte mir eine Männerfigur mit einer kleinen Handwaage in der einen und einer Schatulle, vielleicht einer Geldkassette, in der anderen Hand. Ein Kaufmann?
„Kennst du das Spiel etwa nicht? Oh, wir müssen unbedingt einmal eine Partie austragen. Ich habe nicht mehr gespielt seit… seit…” Sie verstummte zerstreut.
„Auch nicht mit Meister Gor?”
Sie lächelte matt. „Ach, ich glaube nicht, dass Meister Gor sich dafür interessiert.”
„Er spielt lieber mit echten Menschen, nicht wahr?”
Sie nahm den kristallenen Kaufmann zurück und stellte ihn umständlich wieder auf seinen Platz auf dem Brett. „Ich habe Gor Lucegath sehr viel zu verdanken, Ujora. Du solltest lernen, ihm zu vertrauen. Ich weiß, dass viele ihn fürchten und dass meine Ritter ihn nicht schätzen, aber sie tun ihm Unrecht. Er ist ein kluger, ein gerechter Mann.”
„Habt Ihr denn keine Angst vor ihm?”
Sie blinzelte mich irritiert an. „Nein”, sagte sie. „Warum sollte ich Angst vor ihm haben? Er war immer gut zu mir.”
Ich zögerte. Was mochte sie tatsächlich von dem wissen, was Meister Gor vorhatte? Und war dies der richtige Zeitpunkt, um sie danach zu fragen? Würde ich diese Gelegenheit noch einmal bekommen?
Ich entschied mich dagegen. „Gab es auch Magier auf diesem Spielbrett?”, fragte ich stattdessen.
„Ja”, sagte sie leichthin. „Aber der Meister hat sie weggenommen. Er sagte, sie hätten keinen Platz mehr im Weltenspiel.”
Wir verließen den Raum. Ein erneuter Blick aus einem der Flurfenster brachte mich zu der Ansicht, dass wir uns nun in den oberen Stockwerken eines Hochhauses befinden mussten. Das war … bizarr.
„Dort hinten”, sagte sie und wies auf eine Tür am Kopfende des Korridors, „sind meine privaten Gemächer.”
Ich wartete. Wollte sie mir ausgerechnet ihre Kemenate etwa nicht präsentieren?
Offensichtlich nicht. Stattdessen drehte sie sich zu mir um und strahlte mich an. „Und jetzt gehen wir in deine Kammer.”
„Aber Majestät … wollt Ihr mir nicht vorher noch den Turm zeigen?” Ich deutete aus dem Fenster. Das war das einzige Gebäude, das sie mir nicht präsentiert hatte.
„Wozu?”, fragte sie. „Da ist doch nichts.”
„Sagtet Ihr nicht, Meister Gor….”
„Den, Ujora, merk dir das und beherzige es, darfst du niemals, hörst du: niemals ungebeten behelligen. Seine Gemächer oben im Turm sind tabu.”
Das mochte ja sein. Aber irgendwo musste sich doch der Zugang in Gor Lucegath fürchterliche, substanzlose, immaterielle Leere befinden. Der Turm war der einzige Ort, den sie mir vorenthalten hatte. Wahrscheinlich aus gutem Grund, sogar wenn sie sich selbst darüber nicht im Klaren war.
„Gibt es denn sonst noch etwas da drinnen?”
„Nur den Zugang zu den Kellern, wo Wein und verschlossene Vorräte lagern. Aber da sind nur ein paar Fässer und Krüge, und…”
„Majestät, hat nicht jede Burg auch ein Verlies?”
„Wie kommst du darauf?”
„Weil … weil es mich brennend interessiert.”
Sie schmunzelte.
„Herr Jóndere!”, rief sie dann. „Zeigt Euch!”
Es dauerte einen Augenblick. Dann kam der yarl mit dem grüngelben Waffenrock wie zufällig aus einer Nische hervor. Wahrscheinlich hatte er uns die ganze Zeit belauert.
Der junge Ritter verneigte sich. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen.
„Meine liebe Freundin wünscht, einen Blick in den Kerker zu werfen”, erklärte sie ihm amüsiert. „Tut Ihr mir die Liebe und erfüllt ihr diesen Wunsch?”
Er schien befremdet, nickte aber gehorsam. Die teiranda wandte sich mir zu. „Anschließend wird yarl Moréaval dich in dein Gemach bringen. Du wirst dort alles finden, was du benötigst und allen Komfort, der dir deine Zeit hier angenehm macht. Deine Mahlzeiten werden dir gebracht. Nur eines, Ujora.”
„Ja?”
„Du bist keine Gefangene in dieser Burg. Trotzdem solltest du dein Zimmer niemals ohne Begleitung verlassen. Keine Ausflüge auf eigene Faust, Ujora. Sei so gut und gehorche diesem einen Befehl. Mir zuliebe.”
Ich zögerte. Aber was hätte ich anderes tun sollen?
„Selbstverständlich”, stimmte ich zu.
Sie strahlte mit leeren Augen. Jóndere Moréaval reichte mir chevaleresk seine behandschuhte Hand und führte mich zur Treppe zurück.
Ich bemühte mich zwar, ihn nicht anzuschauen, denn die durch Magie unkenntlichen Gesichter der Leute waren schwer zu ertragen. Aber ich hatte das dringende Bedürfnis, das Schweigen zu brechen.
„Yarl Moréaval”, sagte ich zu ihm, als wir die Halle erreicht hatten, „ich weiß nicht, ob Ihr meine Worte verstehen könnt. Ich möchte aber, dass Ihr wisst, das ich Euch nicht aus Unhöflichkeit nicht antworte.”
Er schaute kurz zu mir hinüber, schwieg aber.
„Seid Ihr auch ein Turnierkamerad von yarl Althopian?”, fragte ich, nur um das Schweigen zu übertönen.
Der yarl blieb abrupt stehen und starrte mich an. Er schaute sich hastig um und legte dann einen Finger dorthin, wo seine Lippen sein mochten. Dann lotste er mich energisch weiter, hinaus aus der Halle, über den Hof und hin zum Fuß des Turmes.
Einige Stufen führten zur Außentür hinauf. Dahinter befand sich ein Raum, von dem eine breite Wendeltreppe nach oben und eine gerade abwärtsführte. Auf einem Regal gleich hinter dem Eingang standen mehrere mit einem Lampenöl gefüllte Laternen und ein Kästchen mit groben Zündhölzern bereit. Der yarl entfachte eine Flamme, zündete zwei Lichter an und gab mir eines davon. Die Flamme war bemerkenswert hell.
Ich folgte ihm die Treppe hinab. Es waren nur wenige Stufen. Auch wenn ich ganz offensichtlich Entfernungen innerhalb der Burgmauern nicht trauen konnte, schätze ich, dass es nicht mehr als fünf Meter unter die Erdoberfläche ging. Dann endeten die Stufen auf einem kurzen Flur, der sich zur einen Seite in einen Gewölbekeller öffnete. Dort standen, wie die teiranda gesagt hatte, ziemlich viele Fässer und Regale mit Gläsern und Krügen. Ein großer Vorratsraum mit Lebensmitteln.
An der anderen Seite war eine Tür, die Moréaval aufzog, ohne einen Schlüssel dafür zu benötigten. Er trat beiseite und ließ mich an sich vorbei.
Das Burgverlies von Wijdlant war eine Enttäuschung. Ich leuchtete um mich und schaute mich ernüchtert um.
Ich weiß nicht, ob ich ernsthaft erwartet hatte, hier tatsächlich einen Zugang zu jenem unfasslichen Ort zu finden, an den Meister Gor Yalomiro verschleppt hatte. Aber hier befand ich mich definitiv in einer Sackgasse. Ich hatte mich in Gedanken darauf eingestellt, in einem fürchterlichen, feuchten und düsteren Gewölbe zu landen, in einem schrecklichen Gefängnis.
Kreisförmig um einen freien Platz in der Mitte angeordnet, in einem Radius, der dem des Turmes entsprechen mochte, befanden sich zwar einige vergitterte Gelasse. Aber sämtliche Türen waren geöffnet, eine sogar ausgehängt. Sowohl die Zellen als auch der Mittelraum waren vollgestellt mit Gerümpel. Kisten, Kästen, Truhen, ausrangierte Möbel und sogar ein zusammengerollter Teppich waren hier deponiert. An einer Wand lehnte ein Gestell mit verrostenden und schartigen Schwertern. Der yarl nahm beiläufig eine der Waffen zur Hand, betrachtete sie flüchtig und stellte sie wieder an ihren Platz.
Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich unter dem alten Zeug ein paar Gegenstände, die vielleicht ursprünglich hierher gehörten, rostige Ketten und eiserne Schellen. Aber alles in allem war klar, dass hier seit Ewigkeiten niemand eingesperrt gewesen war. Staub und Spinnweben bestätigten das. Es hätte hier feucht und muffig riechen sollen, tat es aber nicht. Auch hier war jeglicher Geruch verschwunden. Das war ein vergessener Ort, der nicht einmal mehr gruselig war.
„Danke, yarl Moréaval”, sagte ich kleinlaut. „Es … es war mir wichtig, das zu sehen.”
Er nickte. Entmutigt folgte ich ihm wieder ins Freie.
Dort angekommen, schaute ich den Turm hinauf. Es führte also kein Weg an Gor Lucegath vorbei. Das war der einzige Ort, der noch infrage kam, um nach Yalomiro zu suchen.
Der yarl folgte meinem Blick. Was mochte er denken, was sehen? Wer mochte er sein, unter dieser Maskerade aus schaler, lähmender Magie?
„Wenn es geht”, sagte ich zu ihm, „werden wir Euch helfen. Euch und Eurer teiranda.”
Ich weiß nicht, ob er es gehört und verstanden hatte. Aber ich vermute fast, dass dem so war, denn sein schemenhaftes Gesicht blieb mir etwas länger zugewandt, als es nötig gewesen wäre. Dann verneigte er sich. Schweigend reichte er mir seine Hand. Ich griff zu und ließ mich führen, zurück in die Burg und eine diffuse Zukunft.
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