
Es ist seltsam, wie gut ich mich an die Schwärze erinnere.
Es war keine Bewusstlosigkeit, kein Blackout, nichts, was ich später als einen Filmriss hätte erklären können.
Ich schwebte in völligem Frieden und Wohlbefinden in einer samtenen Dunkelheit und fühlte mich … glücklich. Nicht euphorisch, nicht betäubt – es war vielmehr ein Gefühl absoluten Friedens und Geborgenheit. Ich hatte keinen Körper mehr und keine Sorgen, keine Angst, keine Schmerzen. Es war wunderschön.
Ich war nicht allein in dieser Dunkelheit. Aber es gab keinen Grund, sich zu fürchten. Was immer bei mir war, es war wohlwollend. Es gab auf mich acht. Es sorgte dafür, dass ich dieses vollkommene Gefühl genießen konnte.
Ich erinnerte mich auch nicht mehr daran, wer ich oder was geschehen war. Alles war gut, so wie es war.
An das Erwachen erinnere ich mich allerdings. Es war grauenhaft.
In der Dunkelheit stürzten aus dem Nichts plötzlich Geräusche auf mich ein, Licht, Kälte und Gerüche. All das drang nicht aus der Ferne an mich heran, sondern offenbarte sich Stück für Stück unmittelbar um mich herum, erst eines nach dem anderen, dann alles zugleich. Schlagartig war die Wirklichkeit wieder da, und sie bestand aus einem Sturz, einem tiefen, schnellen Fall ohne Oben und Unten, schneidendem Wind und irgendetwas riesenhaftem, pechschwarzen über mir.
Ich zuckte zusammen und schrie panisch auf. Ich hatte plötzlich auch wieder Arme und Beine, strampelte um mich und verhedderte mich in der Tasche, die ich immer noch umgehängt hatte,
Das war auch der Moment, in dem ich mich plötzlich in freiem Fall befand. Ich tauchte in etwas Instabiles, Grünes ein, das ich in diesem Moment gar nicht als Baumkrone erkannte. Ich prallte schmerzhaft von Ast zu Ast, hörte dumpfes Klatschen, wo Holz meinen Körper traf, Stücke meiner Kleidung wegfetzte und die Haut darunter zerkratzte. Dann fing mich dichtes Gebüsch auf. Äste knackten, und über mir schlugen raschelnd Blätter zusammen. Das bremste mich gerade so weit, dass ich mir nicht den Hals brach, als ich den Boden erreichte. Gleichzeitig bebte die Erde und ein Splittern, Rascheln und Tosen erklang, als werde ein Wald abgemäht.
Dann lag ich auf dem Rücken, eine federnde Schicht von Geäst unter mir, die sich sacht absenkte, während unter mir Ästchen um Ästchen zerbrach.. Dort, wo nun eine Lücke in dem Blattwerk über mir klaffte, war morgenrosafarbenes Licht.
Ich spürte keine Schmerzen. Aber ich war wie paralysiert und konnte kein Glied regen. Und ich war müde. Unglaublich müde. Die Augen fielen mir zu.
Es war mir ganz egal, dass ich offenbar gerade einen Sturz aus dem Himmel überlebt hatte. Schlafen…
Als ich die Augen wieder aufschlug, war es etwas heller über mir, doch es konnte nicht viel Zeit vergangen sein. Allerdings hatte sich ein neues Geräusch hinzugesellt. Irgendwo sang ein Vogel.
„Wie fühlst du dich?”, fragte Yalomiro und beugte sich über mich. „Weißt du, wer du bist? Erkennst du mich?”
Er hatte Erde und silbrig-blutige Schrammen im Gesicht und in seinem zerzausten Haar hingen einige kleine Zweige fest. Seine pechschwarze Kleidung strotzte vor Dreck. Aber seine Augen waren wieder ganz normal. Dunkel mit silbernen Einsprengseln. Tatsächlich. Das empfand ich nun als beruhigend normal.
„… müde.”
„Bist du verletzt? Kannst du aufstehen?”
„Nein. Nein. … nur … müde.”
„Wir können hier nicht bleiben.”
Ich hörte ihn zwar, dämmerte aber schon wieder weg. Ich war zu kraftlos, um mich zu wehren, als er mich unter den Armen packte und aus dem niedergedrückten Gebüsch zerrte, hinaus auf eine Wiese, durch die sich eine Furche frisch aufgepflügtes, sattbraunes Erdreich zog wie ein Graben.
„Bitte”, hörte ich mich murmeln, „lass mich schlafen… nur noch fünf Minuten … ich steh gleich auf … lass mich liegen …”
„Nicht, bevor ich dich in Sicherheit weiß.”
Ich stöhnte. Mein Kopf tat weh, und mir war entsetzlich schwindelig. Am liebsten hätte ich mich übergeben, aber selbst dafür war ich zu schlapp. Yalomiro ließ nicht von mir ab. Er versuchte, mich auf seinen Rücken zu laden, um mich auf die Wiese schleppen zu können. Ich gab auf und legte meine Arme um seinen Hals.
„Was ist passiert?”, murmelte ich.
„Du hast uns gerettet.” Er trug mich ins warme Morgenlicht. Ich schmiegte die Wange an seinen Hut und ließ es geschehen.
„Ich?”
„Du hast mir deine Lebenskraft überlassen.”
„Bin ich deswegen so müde?”
„Die Mächte seien gepriesen, dass du noch müde sein kannst.”
„Bin… wie sind wir entkommen?”
„Ich musste eine Form wählen, die möglichst groß und unangreifbar ist und sich sehr schnell im Flug bewegen kann.”
„Und da hast du …”
„Ein Drache.”
Ich war nicht beeindruckt. Dazu war ich zu müde.
„Ein Drache?”, murmelte ich nur. „Es gibt hier Drachen?”
„Nur in Märchen.”
„Ach so …” Schon driftete wieder weg. Ich wollte nur unbedingt zurück in die warme stille Schwärze.
„Aber es verschafft uns nur einen kleinen Vorsprung.”
„Verwandeln sich Schattensänger häufig in… Drachen?”
„Keine Ahnung. Soweit ich weiß, hat es vor mir noch keiner versucht. Und es war nur möglich, weil du mir vertraut hast.” Er blieb stehen.
„Ujora”, fragte er leise, „ist dir klar, was du getan hast?”
„Schlafen …”
„ Wenn ich einen Fehler gemacht hätte, dann … “
„Hast du aber nicht.”
„Warum?”, fragte er eindringlich. „Warum hast du das für mich getan?”
Ich konnte weder darüber nachdenken noch ihm antworten. Nichts von dem, was um mich vorging, kam nahe an mich heran. Ich konnte die Augen kaum öffnen, um zu sehen, wo Yalomiro mich hinbrachte. Er hatte Mühe damit, so schlapp und unbeweglich war ich. Meine Füße streiften feuchten, klebrig-schweren Boden. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass etwas einige größere Bäume geknickt hatte. Ich zuckte hoch, als ich wieder einzuschlafen drohte, aber das nützte nichts. Ich fror, war aber zu schwach zum Zittern. Schließlich sackte ich endgültig weg.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte. Jedenfalls erwachte ich mit entsetzlichen Kopfschmerzen. Mir war speiübel. Ich versuchte, mich aufzusetzen, aber alles, was ich davon hatte, war ein entsetzliches Schwindelgefühl. Mir wurde so elend, dass mir fast die Tränen kamen.
Ich war in meinem Leben noch nicht oft betrunken gewesen, aber ich erinnerte mich an einen fürchterlichen einsamen Abend, an dem ich versucht hatte, Verbitterung in Rotwein zu ertränken. Der Kater am nächsten Morgen hatte sich ähnlich, aber nicht halb so heftig angefühlt. Mir war elend.
Derweil war es heller Tag geworden. In meinem Blickfeld sah ich verschwommen einige rote und gelbe Blumen auf schlanken Stängeln, die sich in einer sanften Brise wiegten.
Während ich versuchte, möglichst still zu liegen, drangen nach und nach andere Sinneseindrücke zu mir vor. Im Hintergrund tschilpten Vögel. Die Sonne schien und wärmte das Frösteln hinfort. Und ganz in der Nähe waren Stimmen. Vermutlich war das es gewesen, was mich geweckt hatten. Dann hörte ich, wie jemand näher kam. Ein Lederstiefel mit eisernen Beschlägen trat zwischen die Blumen. Dann ließ sich ein Mann neben mir auf ein Knie nieder. Finger in einem ebenfalls mit Metall besetzten Handschuh berührten mich vorsichtig an der Schulter.
„Sie ist nicht ernsthaft verletzt”, hörte ich Yalomiro sagen. „Aber ihr muss etwas Furchtbares zugestoßen sein, was sie all ihrer Kräfte beraubt hat. Sie ist so verstört vor Entsetzen, dass sie sich kaum ansprechen lässt.”
„Was für sonderbare Gewänder sie trägt”, sagte der fremde Mann und griff unter meinen Rücken. Kräftige Hände setzten mich auf. „Ihr Augenlicht ist glasig. Ist es ein Fieber?”
„Nein.” Yalomiro beugte sich ebenfalls zu mir hinab und schaute mir über die Schulter des Fremden hinweg mahnend in die Augen. Die Schrammen und der Schmutz auf seinem Gesicht waren fort. „Aber wie mir scheint, ist sie nicht recht bei Sinnen. Sie spricht nicht, und wie Ihr seht, kann ich mir ihr nähern, ohne den Blick zu senken. Ich glaube, ihr Geist ist betäubt. Ihr seht ja selbst, was hier passiert ist. Ich denke, sie ist einem großen Schrecken begegnet, der aus den Bergen kam.”
Was redete Yalomiro da? Wer war dieser Mann?
Fast hätte ich aufbegehrt, aber da war die Stimme des Schattensängers plötzlich wieder in meinem Kopf. Furchtbar laut, sicherlich ob meines desolaten Zustands.
Stell keine Fragen. Spiel mit!
Der Fremde musterte mich mit prüfendem Blick. Seine Augen waren blau, sein Bart und das blonde Haar ordentlich gestutzt. Die Gewänder, die er trug, waren in einem sehr sonderbaren, intensiven Blau gefärbt. Darüber trug er ein Wams, das in Teilen mit Metallplatten und einem Ringgeflecht besetzt war. Schultern und Arme waren mit Panzerschienen bestückt. Darüber trug er einen Mantel in gleicher Farbe, an dessen Aufschlag ein fein gesticktes Wappen prangte, ein steigendes silbernes Pferd, umrahmt von einer Raute aus Efeuranken.
Offensichtlich war der Fremde ein Ritter, zumindest glich seine Aufmachung der von yarl Altabete. Dann wurde mir bewusst, dass ich ihn in Farbe und ohne Grauschleier sehen konnte und seine Stimme hörte. Das war sicherlich ein gutes Zeichen.
Der Ritter legte seine gepanzerten Arme um meinen Oberkörper und unter meine Beine. Er schien ziemlich stark zu sein, denn er hob mich ohne große Mühe auf und trug er mich einige Schritte weit. Auf einem Pfad aus blankem, festgetretenem Erdboden wartete ein braunes, sehr großes und wuchtiges Pferd mit einer Schabracke, die ebenso blau war wie die Kleidung seines Herrn. Am Sattel war ein Helm mit einem Federbusch in derselben Farbe befestigt.
Der Ritter brachte es irgendwie fertig, aufzusteigen und mich dabei hochzuheben. Mit festem Griff stützte er mich in seinem Arm.
Was passierte hier? Was hatte der Mann vor? Und warum unternahm Yalomiro nichts dagegen?
„Ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr Euch der fánjula annehmt”, sagte der Magier zu meinem Entsetzen. „Den Mächten sei es gedankt, dass Ihr des Weges kamt.”
„Der teirand hat gute doayray [Ärzte] auf seiner Burg”, erklärte der Ritter. „Sicher findet man dort heraus, was ihr zugestoßen ist.”
Er spornte das Pferd an, allerdings im Schritttempo. Yalomiro ging neben uns her. Seine Gewänder waren wieder tadellos in Ordnung, ganz im Gegensatz zu den meinen. Vermutlich war Magierkleidung so beschaffen, dass sie sich selbst säuberte und reparierte. Ich nahm das hin. Um mich über solche Kleinigkeiten zu wundern, war ich zu erschöpft.
Viel beunruhigender war, dass schon wieder etwas mit mir geschah, das ich selbst nicht beeinflussen konnte.
„Wahrscheinlich benötigt sie einfach nur Ruhe. Viel Ruhe. Veranlasst Ihr nur, dass man ihr Nahrung und ein angemessenes Gewand gibt, und einen sicheren Ort, an dem sie wieder zu Kräften kommen kann. Ich werde derweil ergründen, was hier vorgefallen sein mag.”
Was? Wollte er mich etwa allein lassen?
Ich versuchte verstört, seinen Blick aufzufangen, aber er hatte seinen Hut wieder in die Stirn gezogen. Doch er hörte meine Gedanken und antwortete mir.
Diesem Mann kann ich dich anvertrauen. Es ist der einfachste Weg, dich in die Obhut des teirand zu bringen. Dort bist du sicher. Wir müssen uns eine Weile trennen. Falls Gor Lucegath uns verfolgt, wird er mir nachjagen. Schweige und spiele mit. Ich komme zurück! Vertraue mir!
Ich wollte etwas entgegnen, protestieren, aber der Ritter war schneller.
„Ich werde keine Zeit verlieren”, sagte er. „Ich will bis zum Mittag die Burg erreichen.”
„Mögen die Mächte Euch allezeit begleiten auf Euren Reisen, beschützen in Euren Kämpfen und Euch Gerechtigkeit und Weisheit schenken”, sagte Yalomiro förmlich. „Yal gha’tanái, yarl Althopian.”
Der yarl nickte knapp und trieb sein imposantes Pferd ohne ein weiteres Wort an. Wir trabten über den Sandweg hinfort. Ich sah Yalomiro hinter uns zurückbleiben. Vor der Kulisse eines wie von einem Einschlag zerschmetterten Wäldchens stand er am Rand einer bunten Frühlingswiese und war bald außer Sicht.
Wäre ich nicht immer noch so betäubt und entkräftet gewesen, wäre ich wohl erneut in Panik geraten. Ich war in einer fremden Welt, um mich herum geschahen surreale Dinge, und nun war auch noch die Person fort, wegen der ich mich in dieser Situation befand. Dafür befand ich mich jetzt in den starken Armen eines edlen Ritters, was einer Szene aus einem Kitschroman bedenklich nahekam.
Wollte Yalomiro mich loswerden?
Sicher wäre es aus seiner Sicht das Bequemste, mich einfach zurückzulassen und seine Reise allein fortzusetzen. Der Ritter war ihm sicher gerade recht gekommen. Nun hatte der arme Kerl seine Last mit mir. Wieder jemand, für den ich ein Klotz am Bein war.
Gedanklich schwankte ich zwischen Groll auf den Magier und Mitleid mit dem yarl, der bestimmt eigene Pläne hatte. Angst vor ihm hatte ich allerdings nicht. Das war seltsam, wenn ich näher darüber nachdachte.
All diese Gedanken kamen mir nicht am Stück, denn immer wieder schrumpfte mein Bewusstsein zusammen und verabschiedete sich in eine Art Sekundenschlaf, aus dem ich regelmäßig hochschreckte. So nahm ich nur beiläufig zur Kenntnis, dass der Weg auf dem wir ritten, zunächst entlang von Feldern führte, auf denen üppiges Getreide wuchs, zwar noch grün und noch lange nicht erntereif, aber doch in beeindruckender Dichte und Kraft. Es sah aus wie grüner Samt, über den Wind hinweg strich. Bei der nächsten Gelegenheit erwachte ich, während wir durch einen lichten Wald ritten. Oder nein… das war kein Wald. Es gab kaum Wildwuchs und Unterholz. Dafür säumten üppige Büsche den Weg, und auf einer lieblichen Lichtung sah ich bunte Blumenbeete und ein plätscherndes Wasserspiel. Es war ein riesiger Park! Das gefiel mir. Die gebändigte, gepflegte Natur war etwas ganz anderes als die apokalyptische Szenerie von dem, was einmal Yalomiros Wald gewesen war.
Während all der Zeit sagte der Ritter kein Wort. Wozu auch – schließlich ging er davon aus, dass ich so gut wie besinnungslos war. Andererseits gönnte er seinem Reittier keine Pause, bis wir auf einer dieser Lichtungen den ersten anderen Menschen begegneten. Ein Grüppchen von Leuten war offenbar damit beschäftigt, Erde für ein Blumenbeet umzugraben und einen Strauch zu beschneiden. Ein paar Kinder waren dabei und halfen den Erwachsenen.
„He!” Der Ritter zügelte sein Pferd, und die Leute wurden auf ihn aufmerksam. Alle wandten sich ihm zu und verneigten sich grüßend, aber nur einer der älteren Männer stieß seinen Spaten in die Erde und kam näher.
„Herr?”
Der Ritter rückte mich im Sattel zurecht und hob grüßend seine Hand. „Bin ich noch auf dem richtigen Pfad zur Burg Valvivant?”
„Ihr könnt es nicht verfehlen. Immer weiter dort entlang”, gab der Gärtner Auskunft und musterte mich neugierig. Der Mann trug einen Strohhut, hatte eine stämmige Statur und ein wettergegerbtes, rundes Gesicht mit freundlichen Augen. Seine Kleidung war zweckmäßig und natürlich voller Erde und Grasflecken, aber in tadellosem Zustand.
Wenn schon einfache Arbeitskräfte so adrett auftraten, schien es am Hof ordentlich zuzugehen. Wie anders wirkten dagegen die gruseligen gesichtslosen Gefolgsleute der teiranda.
„Ist einer deiner Leute abkömmlich, um mich beim teirand anzukünden? Die fánjula braucht Hilfe.”
Ich sah dem Gärtner an, dass er gern neugierige Fragen gestellt hätte, aber das wagte er wohl doch nicht. Stattdessen winkte er eines der Kinder heran, einen Jungen, den ich auf zehn oder elf Jahre schätzte. Er legte die Harke, mit der er gerade hantiert hatte, beiseite und kam mit fragendem Blick näher. Seine Kleidung ähnelte dem des Gärtners und auf seinem Gesicht gab es mehr Sommersprossen, als ich zählen konnte. Wie gut tat es, solche Details zu sehen.
Der Ritter kramte mit der freien Hand in seiner Gürteltasche und fischte ein kleines Holzplättchen hervor, etwas kleiner als eine Spielkarte. Als er es dem Jungen reichte, konnte ich sehen, dass lediglich sein Wappen darauf abgebildet war.
„Hör zu”, erklärt er. „Lauf zur Burg vor und lass ausrichten, yarl Waýreth Althopian folge dir nach. Ich bringe eine fánjula, die Pflege benötigt. Sie sollen ihre doayray bereithalten, und stärkende Arzneien. Hast du das verstanden?”
„Natürlich, Herr”, antwortete der Junge höflich.
„Dann lauf.” Yarl Althopian warf ihm noch eine Münze zu. Das Kind schnappte sie auf und seine Miene erhellte sich. Offenbar war es angenehm überrascht von der Großzügigkeit des Ritters. Der Kleine verneigte sich und flitzte dann leichtfüßig los.
Der Ritter wandte sich wieder dem Gärtner zu. „Ich habe einen weiten Weg hinter mir und war lange nicht in dieser Gegend. Gibt es irgendetwas, was ich wissen sollte?”
„Was interessiert Euch denn, Herr?”
„Sind während der letzten Monde Reisende aus Wijdlant hier entlang gekommen?”
Der Gärtner überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Aber vor einigen Tagen kam eine Gefolgschaft aus dem Westen. Wahrscheinlich trefft Ihr die Damen noch an. Aber sonst…”
„Damen?”
„Die yarlaraé von Ivaál, wenn ich mich recht entsinne.” Der Gärtner lächelte verschmitzt. „Sehr hübsche Damen, sagt man.”
Der Ritter horchte merklich interessiert auf. „Die hochedle yarlara von Ivaál? Mit ihren beiden Töchtern? Bei den Mächten, das wäre eine Fügung der Mächte.”
„Meine Tochter, Herr, arbeitet in der Burg. Die Damen seien auf der Durchreise nach Forétern. Woher wisst Ihr, dass es zwei Töchter sind?”
„Ich … hörte von ihnen.”
Yarl Althopian wartete einen Moment zu lang, um das Thema zu wechseln. Vielleicht hoffte er, dass der Mann Details verriet. Dann besann er sich. „Und ist jemand von hier nach Norden aufgebrochen?”
„Sicher. Aber natürlich nicht auf gradem Wege. Niemand reist ohne guten Grund durch Wijdlant.”
„Ich weiß.” Der Ritter nickte, hob grüßend die Hand und spornte sein Pferd an. Der Gärtner verneigte sich und ging dann wieder an seine Arbeit.
Waýreth Althopian hatte es nicht allzu eilig. Schließlich wäre es unsinnig gewesen, den Jungen mit der Botschaft zu überholen. Außerdem konnte er mit mir als Gepäck nicht so schnell reiten, wie er es wohl unter normalen Umständen getan hatte. Aber das kurze Gespräch mit dem Gärtner des örtlichen teirand hatte etwas geändert. Der Ritter redete nun. Besser gesagt, er murmelte vor sich hin. Dem nach, was ich verstehen konnte, ärgerte er sich über irgendetwas, war aber zu gut erzogen, um laut zu fluchen. Ich drehte den Kopf in seine Richtung.
Er fing meinen Blick auf. „Du bist wach?”
Ich nickte. Seine Miene erhellte sich.
„Kannst du mich verstehen?”
Ich zögerte. Yalomiro hatte mich angewiesen, zu schweigen, nicht Taubheit vorzutäuschen. Ich schenkte dem freundlichen Ritter ein unverbindliches Lächeln.
„Es ist wie verflucht”, sagte er. „Ich hatte gehofft, dass Altabete, Grootplen oder wenigstens der junge Moréaval es nach Valvivant zum teirand geschafft hätten. Aber offenbar hat keiner von ihnen Urlaub bekommen, wie es in ihrem Brief angekündigt war. Ich habe Herrn Andriér seit Sommern nicht gesehen.”
Altabete? Grootplen? Hatte er tatsächlich gerade die Namen der gesichtslosen Gefolgsmänner der teiranda genannt?
„Der teirand muss uns beistehen, sonst geht es nicht gut aus. Vielleicht hat Benjus von Valvivant zumindest ein klein wenig Verantwortungsgefühl übrig.”
Ich begriff kein Wort. Aber dass der Ritter beunruhigt schien, machte mir nun doch Sorgen.
„Es kommt nichts Gutes mehr aus Wijdlant. Wenn Asgaý von Spagor nichts unternimmt, wird es nicht besser. So die Mächte es wollen, vielleicht kann Benjus von Valvivant helfen.”
Wahrscheinlich machte ich ein so ratloses Gesicht, dass er mich wieder für weggetreten hielt. Er seufzte und schwieg wieder eine Weile.
„Vielleicht bekomme ich zumindest Gelegenheit, mit der yarlara zu reden”, sagte er dann nachdenklich. „Ich habe schon so viel zu ihrem Ruhm gehört. Ihr ausgerechnet hier zu begegnen, wäre eine Gunst der Mächte.”
Dann schwieg er wieder und ich ließ mich erneut in den Halbschlaf treiben, ohne eine Spur schlauer zu sein, als zuvor.
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