
Arámaú war überzeugt davon, dass die ytraray und die anderen Schüler ihr den ungeheuerlichen Bericht über einen Rotgewandeten, der mit Billigung des Großmeisters den Boscargén betreten hatte, nicht geglaubt hätten. Meister Gíonar, der ohnehin nicht gut auf Yalomiro zu sprechen war, würde ihr gar nicht erst nicht zuhören, wenn sie mit einer solchen Geschichte ankam. Gíonar Boscargén hielt den Schüler des Großmeisters für einen Taugenichts, der zu wenig Demut und Ernst an den Tag legte und sie, Arámaú, zu Albernheiten anstiftete. Die junge camat’ayra mutmaßte insgeheim, dass der humorlose Meister sich von Yalomiros Begabung und Unbekümmertheit beständig brüskiert fühlte. Gíonar Boscargén hatte, das wurde er nicht müde zu betonen, seine Kräfte mit Eifer und Entbehrungen zur Reife gebracht. Nicht mit Phantasie.
Verdenken konnte sie es Meister Gíonar nicht. Es war erst wenige Tage her, dass Yalomiro sich mit besorgter Miene erkundigt hatte, was wohl geschähe, wenn die Unkundigen jenseits des Boscargén auf der Suche nach Erz versehentlich einen Gang bis zum See vortreiben würden. Ob ein falscher Hieb einer Spitzhacke in der Tiefe wohl ein Leck in den See schlagen könne. Arámaú hatte sich das Lachen kaum verkneifen können. Meister Gíonar hatte Yalomiro daraufhin mit bemühter Geduld dargelegt, dass er sich über derartigen Unfug nicht zu sorgen brauche, bis ihm die Argumente ausgingen. Später am Tag hatten Arámaú und Yalomiro Gíonar Boscargén dabei beobachtet, wie der sich misstrauisch am Seeufer aufhielt und sicherheitshalber die Erde beschwor.
Und wenn Meister Gíonar ihr doch glauben würde?
Meister Askýns Eigenmächtigkeit kam einem Hochverrat nahe, einem, der sich nur mit geistiger Umnachtung erklären ließ. Würden die anderen camat’ay ein solches Sakrileg ungestraft lassen können, selbst wenn es ihr Anführer war, der es verübt hatte?
Vielleicht würde die Angelegenheit sich aufklären, ohne dass großes Aufsehen nötig wurde. Möglicherweise war alles harmloser, als es den Anschein hatte. Immerhin hätte der Großmeister den Rotgewandeten wohl kaum gerufen, wenn er sich nicht etwas Weises dabei gedacht hatte. Meister Askýn war über jede Dummheit, jeden Fehler erhaben. Er war Noktámas stärkste Figur im Weltenspiel. Der Großmeister konnte kaum noch laufen und die Gicht krümmte seine Finger. Trotzdem würde er den Rotgewandeten mühelos in seine Schranken weisen, das stand außer Zweifel. Es gab keinen Magier im Weltenspiel, der mächtiger war als Askýn Lagoscyre!
Sicher, die Gegenwart des fremden Magiers war furchtbar. Aber immerhin war er in Begleitung einer unkundigen Frau gewesen, die auf Arámaú nicht sonderlich verängstigt gewirkt hatte. Wie sonst könnte ein Mensch in Gegenwart eines Lichtwächters so gelassen bleiben? Hatte die Unkundige ihn irgendwie – das Mädchen schauderte vor dieser Idee – gezähmt?
Nein. Ausgeschlossen. Meister Askýn war kein Verräter, und er war auch nicht verrückt geworden. Das war völlig unmöglich. Es musste eine einleuchtende Erklärung geben.
Das änderte aber nichts an ihrer Lage. Meister Gíonar würde sie fragen, ob Yalomiro der Geschichte von den unkundigen Bergleuten unter dem See noch eine geschmacklose Übertreibung hinzusetzen wolle. Andere camat’ay waren zu weit fort, um diese Tageszeit vielleicht auch gar nicht im Boscargén, sondern in den Schatten unterwegs. Arámaú war noch nicht mächtig genug, um sie dort herbeizubeschwören.
Die camat’ayra näherte sich also verzagt dem Etaímalon. Und die über den weitläufigen Wald und Noktámas dunkle Domäne verstreuten Schattensänger ahnten nicht, was sich in dessen Mauern anbahnte.
Arámaú verbarg sich hinter einem breiten Ölbaumstamm und beäugte die Unkundige, die mit den Pferden auf dem Platz vor dem Gebäude der Weihestätte stand und mit ihrer schleppenden Stimme kindisches Zeug zu ihnen brabbelte. Als die camat’ayra hervorlugte, begegneten sich die Blicke der jungen Frau und des Mädchens.
Arámaú war verunsichert, wie sie sich angemessen verhalten sollte. Das Mädchen hatte nur wenig Erfahrungen im Umgang mit Unkundigen. Nur sehr selten nahm einer der Meister sie mit in eine der Siedlungen außerhalb des Waldes. Es wäre zu gefährlich gewesen, hätten unkundige Männer sie erblickt. Sie hielt sie sich auch im Hintergrund, wenn die ujoray [Unkundige, nicht-magische Menschen] von sich aus Kontakt zu den camat’ay aufnahmen, weil sie irgendwelche Anliegen hatten. Arámaú fühlte sich unbehaglich, wenn sie die wirren Gefühle der Unkundigen spürte. Es behagte ihr folglich nicht, dass die unkundige Edeldame um ihre Anwesenheit wusste.
Diese musterte das Mädchen ihrerseits mit einem geistesabwesenden, aber durchaus geneigtem Blick. Arámaú starrte zurück. Irgendetwas an dieser Frau war … anders. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, was es war, das so irritierend wirkte. Die Frau war absolut lautlos. Da waren weder Gedanken, noch Gefühle, die nach außen drangen.
„Du da!”, rief die Fremde, „komm doch zu mir! Du musst dich nicht verstecken!”
Arámaú zögerte. Die Fremde war unkundig, sie war nicht gefährlich. Die camat’ayra gab sich einen Ruck und kam auf ihrer Deckung hervor.
„Wer bist du?”, fragte die vornehm gekleidete Unkundige interessiert.
„Ich heiße Arámaú Boscargén. Ich bin die Schülerin von ytra Gíonar Boscargén. Und wer seid Ihr?”
„Ich bin Kíaná von Wijdlant. Kennst du Wijdlant? Ich bin die teiranda dort.”
Wijdlant? Bei den Mächten, das war weit nördlich des Montazíel. Sie musste eine lange Reise hinter sich haben! Und was hatte sie hier zu schaffen, wenn sie eine teiranda war?
„Ich weiß, wo das ist. Was führt Euch her? Wo ist Euer Gefolge? Und wo ist Euer … Begleiter?”
„Meine Getreuen habe ich in Wijdlant gelassen. Meister Gor sagte, es wäre unnötig, sie auf eine so kurze Reise mitzunehmen.”
„Ihr seid also den ganzen Weg allein mit dem Lichtwächter gereist? Wie lange seid Ihr unterwegs gewesen?”
Sie blinzelte nachdenklich. „Wie lange? Ich … ich weiß nicht. Ich erinnere mich nicht, wann wir losgezogen sind. Gestern Nachmittag?”
Das war Unsinn. So schnell konnte man selbst mit Magie diese Strecke nicht bewältigen. Scherzte sie? Nein. Sie war taub und leer wie eine Nussschale, zumindest nach außen hin. Ihr Geist, ihre Gedanken fühlten sich gespenstisch an. Arámaú konzentrierte sich und begann, die Magie zu erahnen, die über der Frau lag wie ein hauchzartes Gespinst.
„Und wo habt Ihr Euren Begleiter gelassen?”
„Meister Gor?”
„Ist sonst noch jemand bei Euch?”
„Nein. Aber das ist nicht nötig. Ich brauche niemanden außer ihm. Wenn ich ihm nicht begegnet wäre, dann …”
Dann ginge es dir besser, dachte Arámaú.
„… wäre ich wohl nicht so glücklich, wie ich es heute bin. Meister Gor hat mich gerettet.”
„Gerettet?”
„Ja. Er hat mich mit seiner Magie geheilt.”
„Er hat Euch geheilt?”, fragte Arámaú interessiert. „Von welcher Krankheit denn?”
Sie runzelte die Stirn, als wäre ihr gerade ein Gedanke entglitten.
„Ich war … traurig”, sagte sie zerstreut.
„Traurig?” Bei den Mächten. So eine Art von Zauber? Hatte der Rotgewandete versucht, mit Magie menschliche Gefühle zu … formen?
„Ja. Siehst du, wie schön ich bin? Das hat er bewirkt. “
„Nun”, sagte Arámaú, spürte mit leisem Grauen die fremde Magie und wunderte sich nicht über das eklatante Missverhältnis zwischen dem, was sie sah und dem, was die teiranda schilderte, „hat Euch der Tausch zwischen Trauer und … Schönheit glücklich gemacht?”
Die teiranda blickte verwirrt an Arámaú vorbei und schwieg.
„Es ist alles so, wie es sein soll”, sagte sie dann verträumt.
Die Schattensängerin schaute an ihr vorbei, hinüber zum Etaímalon. Sie verschwendete hier ihre Zeit mit einer einfältigen Menschenfrau, die so betäubt von Magie war, dass sich nichts mit ihr anfangen ließ.
„Wo ist Euer Retter? Ist er im Haus?”
„Ja”, sagte die teiranda munter. „Er sagte mir, ich solle auf die Pferde achten, während er sich Vergeltung holt. Ich mag Pferde. Du auch? Schau, der Schimmel gehört mir.”
„Hat er das so gesagt? Vergeltung?”
„Ja.” Die teiranda lächelte arglos. „Er sagt, er hat lange auf diese Gelegenheit gewartet.”
„Bei Noktáma … entschuldigt mich.”
Arámaú ließ die Unkundige stehen und rannte los.
Von außen war der Etaímalon ein adrettes Häuschen aus weiß gekalkten Steinen mit ziegelgedecktem, moosbewachsenen Dach. Niemand, der zufällig daran vorbeigegangen wäre, hätte hinter diesen bescheidenen Mauern die Weihestätte des Schattens, Noktámas Heiligtum vermutet.
Doch das Haus war mit beständiger Magie errichtet worden. Hätte sein Außen dem Inneren entsprochen, der Etaímalon wäre ein hoch aufragendes und ausladendes Gebäude gewesen.
Die niemals abgeschlossene Eingangstür führte in einen sacht ansteigenden Korridor. Links und rechts davon zweigten Pforten ab, hölzerne Türen mit silbernen Beschlägen und Schnitzereien in Form mystischer Ornamente. Ein diffuses Licht ohne Bezugsort durchschwebte den Flur.
Arámaú war diesen Gang oft entlang gelaufen, beinahe täglich, aber sicherlich nie zuvor so schnell. Sie stürzte auf den Saal zu und entsetzte sich.
Yalomiro saß auf dem Sessel in der Mitte der Halle. Gor Lucegath wandte sich ihr zu und schaute das Mädchen interessiert an.
Arámaú dachte nicht nach. Heiße Angst stieg in ihr auf. Sie ballte die Fäuste und schleuderte dem Lichtwächter ihren Bann entgegen. „Yal!”, sang sie.
Im selben Augenblick entdeckte sie den Leichnam des Großmeisters, zuckte und verfehlte den goala’ay. Der Zauber fuhr an ihm vorbei und in die Lehne direkt neben Yalomiros Kopf und zerstäubte in Funken auf dem schwarzen Stein. Der Schattensänger kauerte sich geistesgegenwärtig zusammen.
„Nicht so stürmisch! Wie ärgerlich wäre es, wenn ihr euersgleichen einander auf so tölpische Weise umbringt!”
Arámaú schloss ihre Fäuste. Der goala’ay musterte sie belustigt.
„Das war ein destruktiver Zauber. Hat dein Meister dich das gelehrt? Bist du dafür nicht noch ein wenig zu ungeschickt?”
„Kommt mir nicht zu nahe!”
„Kühn, junge camat’ayra, und doch so nutzlos. Es ist wohl nicht weit her mit deiner Kunst. Wo hast du deinen Meister gelassen, den du herbeiholen solltest?”
„Woher …”
„Du verbringst offensichtlich zu wenig Zeit mit seinen Lektionen und zu viel mit ihm hier und seinen eitlen Spielereien. Hat er hier dir etwa beigebracht, wie du Magie zur Waffe machst?”
Arámaú nickte verwirrt.
„Wie unverantwortlich.” Der Rotgewandete warf dem Schattensänger einen rügenden Blick zu. „Hätte Meister Askýn das gutgeheißen? Soll man fánjulaé [Mädchen, junge Frauen] mit Waffen spielen lassen?”
„Was ist hier los?”, stammelte Arámaú. Erst jetzt realisierte sie, dass sie es gewagt hatte, den Lichtwächter anzugreifen. Gor Lucegath tat einen Schritt auf sie zu.
„Du bist also Arámaú Boscargén. Beruhige dich! Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Noch nicht.“
Arámaú wich wimmernd zurück.
„Lasst mich in Ruhe”, wisperte sie gepresst und richtete ihre maghiscal vor ihm aus, diesmal als Schild. Die Energie flimmerte wie Licht auf Laub in einer Brise.
Meister Gor hob die Hände zu einer Geste der Fassungslosigkeit. „Du meine Güte”, rief er aus. „Ein Kind! Ein scheues Tier! Wo bleiben die echten, die mächtigen camat’ay, die sich mir in den Weg stellen und mich niedermachen wollen?”
Arámaú konnte den Blick nicht von Meister Askýns Leichnam abwenden. Sie reimte sich zusammen, was hier Schreckliches vorgefallen war.
„Arámaú”, wisperte Yalomiro, offenbar unter größter Anstrengung, „wo bleiben die anderen?”
„Und vergesslich”, ergänzte der Rotgewandete, „ist sie auch, die Kleine.”
„Du hast sie doch gerufen, Arámaú? … Arámaú?”
Die Schattensängerin schaute zu Boden. Yalomiro ließ entgeistert die Schultern sinken.
„Bedauernswert”, sagte der Rotgewandete. „Ein seniler Meister, eine verzagte Kumpanin und die maghiscal gefesselt mit ein wenig Gold. Wo ist sie denn, Noktáma, eure Schutzmacht, in deren geweihtem Haus du gerade sitzt?”
„Spottet nur über uns”, ächzte Yalomiro. „Aber hütet Euch, Noktáma zu lästern!”
„Deinesgleichen besitzt die Frechheit, mich einen Ausgestoßenen zu schimpfen? Ich bin gekommen, um mein Eigentum zu holen, und war darauf vorbereitet, ein paar von euersgleichen hinter die Träume zu stoßen. Indes, je länger ich mich hier im Heiligtum Eurer lächerlichen Schutzmacht aufhalte, desto mehr fühle ich mich dabei wie in einem Possenspiel!”
Arámaú wimmerte. Yalomiro versuchte, sich aufzurichten, aber der Rotgewandete wandte sich ihm zu und unterband es mit einer herrischen Geste.
„Nun gut. Ich werde dich jetzt tatsächlich nicht töten. Möglicherweise werde ich andere Wege finden, um das ay’cha’ree zu finden und zu bergen. Ich nehme nicht an, dass das Salzwasser, das in deinem Haar trocknet, von einem Bad im See stammt, also weiß ich, dass du keinen Abstecher nach Aurópéa gemacht hast. Aber das Meer ist groß und weit.”
„Wie bedauerlich”, keuchte Yalomiro bitter. „Da werdet Ihr wohl lange schwimmen müssen!”
„Es muss nicht heute geschehen, nach all der langen Zeit. Ich habe Geduld. Dennoch werde ich nicht zulassen, dass du dein Geheimnis mit dir hinter die Träume nimmst. Ich habe Zeit, mehr, als du dir vorstellen magst. Aber diese Zeit wird dir die Entscheidung erleichtern. Ich will indes nicht warten, bis das übrige Diebsgesindel hier vor der Tür steht.”
Arámaú war Schritt für Schritt weiter zurückgewichen und hatte nun die Pforte direkt hinter sich. Sie wechselte einen flehentlichen Blick mit Yalomiro.
Lauf, formten seine Lippen lautlos.
„Ja”, sagte Gor Lucegath. „Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, dich so zu erhalten, dass wir beide etwas davon haben, ganz egal, wie lange es dauert, bis du zur Vernunft kommst. Sag, Yalomiro Lagoscyre … bis du aus eigener Kraft dazu in der Lage, lebendige Materie umzuformen? Sagen wir … Holz in Wasser? Fleisch in Stein?”
„Natürlich nicht. Das ist doch … verboten.”
„Vortrefflich. Bist du bereit, Yalomiro Lagoscyre, über deine Arroganz nachzudenken? Darüber und über das, was ich derweil mit deinesgleichen anstellen werde, ohne dass du es verhindern kannst?”
„Nein. Ich …”
„Du brauchst keine Sorge zu haben, dass ich dich aus dem Gedächtnis verlieren könnte. Ich werde sofort spüren, wenn du bereit dazu bist, erneut mit mir zu verhandeln. Vergiss nicht – uns verbindet etwas.”
Er hob seine Hände. Yalomiro wich alarmiert zurück.
„Und noch etwas. Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass du dich befreist oder – was die Mächte verhüten mögen – befreit wirst: Ich werde es augenblicklich bemerken. Du kannst dich nicht verstecken. Sooft du mir entkommen magst, ich werde dich immer und immer wieder in meine Gewalt bekommen. Du kannst niemals vor mir weglaufen, Yalomiro Lagoscyre. So lange nicht, bis ich an meinem Ziel bin. Und du, camat’ayra, bevor du deinerseits davonläufst wie ein feiges Getier, schau. Sieh hin und berichte dem übrigen Diebsgesindel. Lass es sie alle wissen, dass es Gor Lucegath ist, der über den Schatten triumphiert! Berichte Ihnen von dem, was ich mit meiner Magie vermag!”
Seine eiskalte maghiscal wallte auf, strahlte etwas ab, was fremd und verstörend war, sich aus dem Nichts hinaus aufbaute und seine Magie anreicherte.
„Arámaú!”, rief Yalomiro in Panik. „Lauf-“
Sie krümmte sich unter der Kälte, die von dem Zauber ausging und barg ihr Gesicht in den Händen. Dann fuhr sie herum und rannte um ihr Leben.
Als sie ins Freie stürzte, rannte die camat’ayra die teiranda fast über den Haufen. Das Mädchen nahm davon keine Notiz. Erst, als es schon fast am Waldrand war, schienen ihr ihre eigenen Zauberkräfte wieder einzufallen. Sie verwandelte sich in einen großen Vogel, einen Raben mit schreckgesträubten Federn, und flatterte zwischen den Ölbäumen davon.
Die teiranda schaute ihr freundlich nach, aber der Vorfall entglitt ihrer Erinnerung im selben Moment, als Arámaú außer Sicht war. Die junge Frau wandte sich zerstreut den Tieren zu.
Sie musste nicht lange warten. Nur Augenblicke später kam Gor Lucegath aus dem Etaímalon heraus und schloss die Tür.
„Ihr habt hier draußen gewartet, wie ich es Euch riet”, lobte er. „Artig. Ist etwas vorgefallen?”
„Nein. Ich glaube nicht.”
„Sehr schön.”
„Wart Ihr erfolgreich?”, fragte sie ihn.
„Zum Teil. Zumindest habe ich unbegrenzte Zeit gewonnen. Wir reiten zurück. Ich muss zuvor nur noch eine Kleinigkeit erledigen.”
Sie nickte, und er half ihr in den Sattel, bevor er selbst wieder aufsaß.
„Ich habe keine Lust, die gesamte Schattensängerbrut zugleich gegen mich zu haben, sobald das Mädchen das übrige Pack aufgehetzt hat. Haltet Euch bereit. Das, was ich nun wirken werde, kann ihnen nicht entgehen, selbst wenn sie gerade in den Schatten sitzen wie die Asseln unter den Steinen. Es wird sie … verärgern. Und es bietet mir die Möglichkeit, meine Vergeltung zu versüßen. “
Er hob die Hände und senkte den Blick, breitete seine maghiscal über sich und die junge Frau aus und wirkte seinen Bann. Welche Magie er dabei anwandte, erkannte die teiranda nicht. Doch der Zauber wurde von einem Geräusch begleitet, das klang, als riefen sie gellend um Hilfe, der Wald, der See und die Vögel im Geäst. Es war lautlos.
Noktáma, dachte Yalomiro betäubt.
Obwohl er sich weder bewegen noch etwas spüren konnte, waren seine Sinne hellwach. Er hörte die Stille, er sah die Leere. Ein endloser Augenblick, wie eingefroren. Und doch war dem Schattensänger klar, dass die Zeit vorbeizog, ohne ihn zu berühren. Was machte es da für einen Unterschied, ob Wimpernschläge oder Äonen verstrichen?
Der Magier wollte schreien, aber er hatte keine Stimme mehr. Nur ein winziger, flimmernder Rest von Bewusstsein war noch da.
Noktáma, erhöre das Flehen deines Dieners. Hilf mir! Lass jemanden den Schlüssel finden!
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