
Manjév war es zugleich heiß und kalt geworden, als sie den wappenlosen Ritter hatte reden hören; heiß vor Scham und kalt vor Entsetzen. Jedes seiner Worte schien direkt an sie gerichtet gewesen zu sein. Aber konnte er wissen, dass es ihr eingefallen war, mit Advon Irísolor einen eigenen, heimlichen Favoriten ins Turnier zu schicken?
Nein, sicher nicht. Woher sollte er davon erfahren haben? Sicher war es ihr eigenes, lastvolles Gewissen, und der fremde yarl aus seinen eigenen Gründen misstrauisch gestimmt. Bei den Mächten, sie durfte sich nichts anmerken lassen!
„Ein seltsamer Gast“, sagte Kíaná von Wijdlant, als sie mit ihrer Tochter und Truda den Garten betrat und auf die Rosenlaube zusteuerte. Sie kamen an einem Gemüsebeet vorbei, wo der Gärtner und seine Gehilfen mit Harken und Hacken zugange waren und untereinander sprachen. Als sie ihre Herrin bemerkten, dämpften sie ihre Stimmen.
„Was geht hier vor?“, erkundigte die teiranda sich arglos.
Der Gärtner verneigte sich und nahm seinen Strohhut ehrerbietig ab. „Herrin, es sind wohl in der Nacht gierige Tiere in die Burg eingedrungen und hat einen guten Teil des Süßkohls verbissen.“
„Tiere? Was für Tiere?“
„Herrin, wenn ich nicht genau wüsste, dass es kein Hochwild gewesen sein kann, ich würde schätzen, es war mindestens ein Halbdutzend ausgehungerter Windninchen. Aber wir finden keine Spuren. Keine Losung. Nicht einmal ein Haar.“
„Vielleicht haben sie sich unter der Mauer durchgegraben?“, fragte Truda.
„Nachdem sie durch den Graben geschwommen sind?“ Die teiranda war amüsiert. Den Gärtner fragte sie: „Ist noch etwas daran zu retten?“
Wortlos zeigte einer der Gehilfen einen halben Süßkohlkopf vor. Truda verbiss sich ein Kichern. Manjév war verlegen. Sie wusste ja ganz genau, in wessen Maul die andere Hälfte gelandet war, wen sie dafür sogar gelobt hatte.
„Wir ernten die Reste, bevor die Schnecken sie sich holen. In der Küche können sie vielleicht noch ein Essigkraut daraus machen.“
„Igitt“, flüsterte Truda. Sie fand Süßkohl ebenso scheußlich wie ihre junge Herrin, einerlei ob eingemacht oder frisch geerntet.
„Tut das. Und lasst heute Nacht die Hunde hier im Garten laufen. Vielleicht hält das die Windninchen ab.“ Die teiranda schenkte den Gartenknechten einen milden Blick und schritt weiter zur Rosenlaube hinüber. Manjév eilte ihr rasch nach. Truda hatte Mühe, ihr in sittsamen Schritt zu folgen.
Die Rosen, die die Laube umrankten, waren schon fast abgeblüht. Aber das grüne Laub bot den drei Damen noch genug Schutz, um ungestört zu sein. Kíaná von Wijdlant ließ sich auf der Bank nieder und schwieg einen Moment, nachdem die jungen Damen Platz genommen hatten.
„Manjév“, sagte sie dann ernst, „du hast deinen Gast lange warten lassen.“
„Entschuldige, Mama. Ich war so müde.“
„Habt ihr zwei die ganze Nacht durch getuschelt und geschwatzt?“
„Nein, Mama.“
„Ich habe auch ganz fest geschlafen, Herrin“, bekräftigte Truda.
„Sorge du dafür, dass Manjév nicht noch einmal so sehr verschläft, Truda. Mit jedem Tag werden mehr Gäste eintreffen und vorsprechen wollen. Es geht auf dein vasposár zu, Kind. Die Herren sind von weit her gekommen, um dich zu sehen.“
„Ja, Mama.“
„Versuche wenigstens, höflich zu sein.“ Die teiranda lächelte. „Ich weiß, wie sehr es dich langweilt, aber es ist nun einmal ein wichtiger Anlass. Mit all diesen Herren und einflussreichen Leuten wirst du dich gut stellen und Frieden halten müssen. Es wäre nicht dienlich, wenn du einen von ihnen zurücksetzt. Das könnte jemanden kränken.“
Manjév seufzte. Solche Worte hatte sie seit dem letzten Winter sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrem Vater gehört. „Ich weiß, Mama. Aber ich bin froh, wenn ich die Sache hinter mir habe.“
„Ich finde es interessant“, plauderte Truda. „All die edlen Herren und jungen Männer von weit her …“
„Habt ihr beide euch schon unter den fremden Rittern umgeschaut?“, fragte die teiranda und schnupperte beiläufig an einer Rosenblüte.
„Wir waren gestern kurz da“, erzählte Truda. „Aber nur ganz kurz“, fügte sie eilig hinzu, als sie Manjévs warnenden Blick auffing.
„Und? War schon einer dabei, der dir gefallen hat, Truda?“
„Nein. Ich … hab aber auch nicht richtig geguckt.“
„Nun, vielleicht bist du auch noch etwas zu jung für einen hýardor.“ Die teiranda lächelte milde.
„Ich bin auch nicht jünger als Tíjnje“, plapperte Truda in die Falle. Kíaná von Wijdlant lächelte.
„Und du, Manjév? Wie gefallen dir die Herren, die bereits ihre Zelte aufgeschlagen haben?“
Manjév errötete. Was sollte sie Unverfängliches darauf antworten. „Der yarlandor von Ghelazia“, behauptete sie, „scheint recht manierlich zu sein. Und der Sohn von yarl Tjiergroen, der wird doch sicher auch in den nächsten Tagen eintreffen, oder?“
„Hattest du nicht vor einigen Tagen gesagt, der yarlandor von Tjiergroen sei ein stumpfer Protz?“
„Ich kann mich ja geirrt haben, Truda“, antwortete Manjév, etwas schärfer, als sie es vorgehabt hatte. „Zum Glück habe ich ja … Auswahl, wenn es so weit ist, nicht wahr?“
Kíaná von Wijdlant schaute von einer zur anderen. Was sie sich dabei dachte, ging aus ihrer Miene nicht hervor.
„Ich werde mir jeden Einzelnen anschauen, Mama“, fuhr Manjév artig vor. „Ich werde für jeden im Turnier applaudieren und alle Huldigungen entgegennehmen, ohne einen von ihren vor den Augen des anderen zu bevorzugen. Und wenn die Mächte mir tatsächlich einen hýardor schicken, dann werde ich es mir nicht anmerken lassen.“
„Es ist schade, dass dir die Sache so einerlei zu sein scheint, Kind. Alle sind aufgeregt und freuen sich auf das große Fest. Nur du scheinst so zu tun, als sei dir das alles gleich.“
„Das ist es nicht, Mama. Ich weiß doch, wie wichtig es ist. Aber vielleicht ist unter den Rittern und edlen Herren nun einmal keiner für mich dabei. Du hast Papa doch auch nicht bei deinem vasposár gefunden, oder?“
Kíaná von Wijdlant schaute geistesabwesend auf die Rose. Die war bereits überblüht, duftete herrlich, ließ aber einige Blätter fallen, als sie sie berührte. „Nein“, gestand sie dann. „Aber ich hatte mein vasposár, als ich noch … ein junges Mädchen war. Dein Großvater, möge er hinter den Träumen seinen Frieden haben, hatte keine Kosten und Mühen gescheut, eines auszurichten.“
„Aber dir hat keiner gefallen?“
„Es waren die Umstände. Ich wollte keinem gefallen, damals. Und später …“ Sie schüttelte den Kopf. „Falsche Zeit, falscher Ort, falsche Erwartungen. Ich flehe zu den Mächten, dass es bei dir anders sein wird.“
„Tíjnje hat eine prächtige Helmzier gefertigt, ganz allein“, tratschte Truda arglos. „Sie glaubt … oh.“ Sie unterbrach sich hastig, denn der Rosenbogen, der den Eingang zur Laube darstellte, verdunkelte sich.
„Herr Jóndere. Da seid Ihr ja. Hat unser Gast die Burg verlassen?“
Yarl Moréaval trat ein und warf Truda einen fragenden Blick zu. Sicher hatte er aufgeschnappt, dass der Name seiner Tochter gefallen war. Nun hätte er wohl zu gern gewusst, für wen der Helmschmuck gedacht war. Aber das konnte er nicht offen fragen.
„Dieser sonderbare Herr Unbekannt ist wieder auf dem Weg ins Turnierlager“, bestätigte der Ritter.
„Was haltet Ihr von dem Mann?“
„Es ist zu schade, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, sein Schwert genauer anzuschauen. Vielleicht hätte mir eine Meisterpunze einen Hinweis auf die Schmiede gegeben, die es gefertigt hat, und damit einen auf seine Herkunft.“
„Ihr seid wohl neugierig, Herr Jóndere.“ Die teiranda war amüsiert.
„Ihr müsst doch nur den maedlor mit der Wappenrolle fragen“, wandte Manjév ein. „Vor dem musste er sich doch zu erkennen geben.“
„Das ist richtig, Majestät, aber der maedlor dürfte es mir ohne einen triftigen Anlass nicht sagen. Solange er nichts Regelwidriges tut oder sich zuschulden kommen lässt, darf er bescheiden ohne Namen antreten.“
„Was macht Euch so misstrauisch?“
„Um ehrlich zu sein, Majestät, und wenn Ihr mein Urteil duldet: Es war reichlich ungehobelt von dem Herrn, vor Euren Ohren anzuzweifeln, dass alles beim Turnier mit rechten Dingen zugehe.“
„Das meine ich auch“, sagte Manjév eifrig. „Ganz recht, Herr Jóndere. Was für eine … Unterstellung.“
„Er wird schlechte Erfahrungen gemacht haben.“
„Merkwürdig fand ich ihn auch. Stell dir vor, Manjév, er will gehört haben, dass Regenbogenritter unter den Wettstreitern sind. So etwas albernes!“
Die teiranda und der yarl lachten. Manjév wurde es schwindelig.
„Manjév?“ Kíaná von Wijdlant neigte sich zu ihrer Tochter vor. „Ist dir nicht wohl?“
„Regenbogenritter?“, kicherte Manjév, während ihr das Blut in den Adern zu Eiswasser zu gerinnen schien. „So ein Unsinn. Warum sollten Magier bei einem Turnier antreten?“
„Es ginge nicht gut für uns aus, wenn einer es versuchte. Sie sind unbesiegbar, nicht dazu bestimmt, Mann gegen Mann zu kämpfen. Pataghíu hat sie in die Welt gesetzt, um Ungeheuer in Schach zu halten.“
„Das ist so aufregend!“, rief Truda aus. „Wie in den Romanen! Wie in den Geschichten der báchorkoray!“
„Ausnahmsweise übertreiben die báchorkoray in dieser Sache nicht, das ist wahr.“
„Ihr müsst es wissen, Herr Jóndere. Ihr habt einst gegen einen Regenbogenritter gekämpft“, sagte Manjév. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht schweigen konnte, so sehr ihr das Herz auch bis zum Hals pochte. Regenbogenritter? Bei den Mächten, war das ein verrückter Zufall? War es möglich, dass dieser wappenlose yarl Advon und Farbenspiel zu Gesicht bekommen hatte? Hatten sie nicht in der Nacht ganz kurz geglaubt, dass sich ein Mensch in der Nähe aufhielt? Waren sie belauscht worden?
Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf einher wie ein Schneegestöber. Nein, das war unmöglich. Selbst wenn da jemand gewesen war, war er fortgewesen, bevor sie Advon Irísolor gebeten hatte, Merrit Althopian, nun … aus dem Turnier zu vertreiben.
„Das ist richtig“, sagte Moréaval bescheiden und erntete einen beifälligen Blick von Truda. „Und ich muss es den Mächten danken, dass ich mit dem Leben davongekommen bin.“
„Selbst wenn sich ein Regenbogenritter beim vasposár zeigen würde“, lenkte Manjév ein, „würde er sich nicht dazu herablassen, sich mit den Wettstreitern zu messen. Wozu auch? Sie brauchen nichts zu beweisen und haben nichts mit unseren Bündnissen zu schaffen. In Aurópéa dürfen sie nicht einmal die Stadt betreten. Sie halten sich aus nichtmagischen Dingen heraus. Ist es nicht so, Mama?“
„Es ist nie gut, wenn sich Magier in Menschendinge einbringen“, bestätigte die teiranda. „Wir alle wissen das.“
„Nun, wenn es Euch recht ist, Majestät, erlaubt mir bitte, dass ich mich mit Herrn Daap berate. Herrn Daap ist unser misstrauischer Freund vielleicht auch schon auffällig geworden. Er hat immerhin am meisten mit den Turnieraufbauten zu tun und ist am nächsten an den Zelten.“
Kíaná von Wijdlant dachte kurz nach und nickte dann. „Ja, tut das. Herr Daap und mein hýardor werden wohl im Amtszimmer des mynstir sein und über den Aufbau reden. Vielleicht aber ergibt es Sinn, auch Herrn Andriér hinzuzuziehen.“
„Ich werde mit ihm sprechen.“
Die teiranda hob nachdenklich eines der Rosenblätter auf. „Es ist äußerst ärgerlich, dass meine eigenen yarlandoray mit Abwesenheit von sich reden machen, während ihre Herausforderer von nah und fern herbeiströmen. Allein Láas Grootplen sei dabei entschuldigt. Und Tíjnje natürlich auch. Die eld-yarlara soll schließlich nicht ohne Geleit aufbrechen. Was die anderen betrifft …“
„Merrit brauchte ganz dringend ein besonders gutes Pferd“, erinnerte Truda sich an den geheimen Plan. „Er kommt sicher gemeinsam mit seinem Vater bald hier an.“
„Wisst Ihr, wie die Reisepläne von Herrn Waýreth sich gestalten, Herr Jóndere?“
„Vermutlich wird er sich dem Gefolge von Herrn Alsgör anschließen. Ich kann mir denken, dass die Herren zusammen reisen wollen.“
„Mein Vater ist nicht mehr so gut zu Pferd“, sagte Truda. Ganz leise war sie plötzlich. „Sie werden nicht allzu schnell reisen können. Aber sie werden pünktlich sein. Ganz bestimmt“
„Es ist gut, Truda. Es ist eine große Ehre für uns, dass dein Vater den weiten Weg noch einmal auf sich nehmen will.“
„Venghiár wird ihm sicher voraus sein und ihn würdig vertreten. So lange, bis Osse auch eingetroffen ist, meine ich.“
Manjév seufzte still und unbehaglich. Auf Venghiár Emberbeys Gegenwart hätte sie verzichten können. Wo immer der Großneffe des alten Emberbey auftauchte, breitete sich so ein seltsamer Missklang, ein Unbehagen aus. Ganz so, als geriete ein Tröpfchen Seife in einen Kelch Wein.
„Nun, dann sieht es wohl so aus, als sei Jándris Altabete der einzige, der ohne guten Grund das Weite gesucht hat, ohne sich glaubhaft abzumelden.“
Moréaval lächelte. „Nun, Majestät, sein Vater hat sich bereits etwas einfallen lassen, um seinen Sohn angemessen für diese Keckheit büßen zu lassen.“
„Tatsächlich?“
„Ich habe Herrn Andriér versprochen, es nicht weiterzutragen. Fragt ihn nur selbst.“
Manjév ließ die Schultern hängen und schaute schuldbewusst zu Truda hin. Der arme Jándris hatte keine Strafe verdient. Schließlich war er auf ihr Geheiß unterwegs. Aber natürlich durfte das niemand wissen.
„Nun, Herr Jóndere, dann lasst mich nun mit meiner Tochter allein. Wir haben Frauendinge zu bereden, die Euch in Verlegenheit bringen würden. Bleibt nur in Sichtweite der Laube und sorgt dafür, dass niemand uns stört. Truda, du darfst dich entfernen. Schau, ob du etwas zu tun findest.“
Der Ritter verneigte sich und tat, wie ihm geheißen. Truda senkte demütig den Blick und folgte ihm aus dem Rosengerank. Manjév warf ihr einen bedauernden Blick nach und wandte sich dann ihrer Mutter zu. Frauendinge … als ob sie davon nicht genug hatte. Als ob es nicht Dringenderes zu tun gab! Wie viel sinnvoller wäre es doch, sich jetzt schnell auf die Suche nach Advon und Dýamirée zu machen und um Rat zu bitten! Die Dinge gerieten außer Kontrolle, noch bevor das Turnier begonnen hatte – und alles nur ihretwegen, ihretwegen und wegen …
„Manjév, Kind“, sagte Kíaná von Wijdlant sanft. „Bitte, lass uns über Merrit Althopian sprechen.“
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