
„Hilf mir”, kreischte Ovidáol Etaímalar, benebelt von Schmerz und Reue und Verzweiflung. „Hilf mir, verfluchter Kerl!”
„Wie freundlich du mich darum bittest”, sagte Galéon und blieb in respektvollem Abstand stehen. Was er sah, das waren ein paar Mindere Chaosgeister, die teils in die Leere bissen und rissen und mit ihren scharfen Klauen an den Überresten des Schattensängers zerrten. Die waren viel zu weit voneinander, nicht in der rechten Reihenfolge und kaum noch als das zu erkennen, was es einmal gewesen war. So bearbeiteten sie noch einige Glieder und Stücke von dem, was ein klägliches Gemenge von Ovidáol Etaimalars ursprünglicher Menschengestalt und den traurigen Resten seiner Verkleidung sein mochte. Das sah erbarmungswürdig, Abscheu erregend und schrecklich aus, war jedoch angesichts dessen, dass Körperliches hier und gerade für Ovidáol nicht mehr von Belang war, fast zu vernachlässigen. Die Chaosgeister hatten seine Seele gefunden und reagierten sich daran ab.
Unvollständig, verstümmelt, verschnitten, hatte das Traumphantom dazu gesagt. Eine Schattensängerseele eben. Vielleicht hat seine Meisterin damals mehr davon weggenommen, als notwendig gewesen wäre.
Ob das sein Tun und Streben entschuldigen würde, hatte Galéon wissen wollen.
Nein, hatte das Traumphantom ihn belehrt. Das hat er vor sich selbst zu verantworten. Trotzdem … du solltest mit ihm reden. Vielleicht hat er etwas vorzubringen, das anhörenswert ist.
Und das tat Galéon nun. Nicht, dass der Verfluchte das zu schätzen schien.
„Verdammt … báchorkor … du musst … mich retten …”
„Nun ja”, sagte Galéon unschlüssig, „es dürfte nicht oft geschehen sein, dass ein Schattensänger einen Rotgewandeten um Beistand gebeten hat.”
„Du widerlicher …” Es gelang dem Verfluchten nicht mehr, den Satz artikuliert zu beenden. Zu grausam und schmerzhaft war das, was die Chaosgeister mit ihm anstellten, blind vor Wut und Verzweiflung und eigenem Leid. Galéon wartete und beobachtete.
„Töte mich”, ächzte der Gepeinigte schließlich. „Bring mich hinter die Träume!”
„Dafür bin ich nicht hier”, behauptete Galéon. „Und wie sollte ich das anstellen? Ich kann es noch nicht vollbringen. Ich bin kein Meister. Noch nicht.”
„Du abscheulicher …” Kreischen, Stöhnen. Gellendes Schreien. Galéon verschränkte die Arme und schloss die Augen, bis Ovidáol Etaímalar wieder für einen Moment seine Stimme fand.
„Gnade …”, wisperte er rau.
„Hast du Gnade mit denen hier gehabt?”, fragte Galéon. „Du hast sie letztlich selbst geschaffen, deine verstandlosen Peiniger hier. Was dir gerade widerfährt, das hast du anderen zugedacht, ohne Gnade, ohne Mitgefühl. Es sollte dich nicht überraschen, dass sie dir zürnen.”
„Aber … doch nicht … so …”
„Ovidáol Etaímalar”, fragte Galéon, „ich kann dir nicht vergeben, denn ich bin nur der Bote. Es liegt weder in meiner Macht noch meinem Ermessen, dir beizustehen und die unglücklichen Wesen hier zu bekämpfen. Aber … wenn du mir etwas vorbringen kannst, etwas Überzeugendes, dann kann ich vielleicht einen Weg finden. Gehen musst du ihn selbst.”
„Bist du bei Sinnen? Ich bin … in Fetzen bin ich! Das ist eure Schuld!”
„Mehr fällt dir nicht ein?”
„Verflucht sollst du sein, Rotgewandeter, wenn du mir nicht sofort diese Drecksdinger hier vom Hals schaffst!”
Galéon seufzte und wandte sich ab. Es hatte so keinen Zweck.
„Fängt es so schon an?”, japste der Verfluchte. „Steigt sie dir zu Kopf, deine neu entdeckte Macht? Magie, die dir jemand hinterher geschmissen und an den Leib geschmiert hat wie einen Batzen Mist? So wird es wohl sein und enden, báchorkor! Es wird mit dir enden, wie es mit allen geendet hat! So vielen von euch bin ich begegnet, und immer war es dasselbe!”
„Dasselbe?”
„Am Ende habt ihr alle damit aufgehört, Menschen zu sein! An meine Worte wirst du zurückdenken in den einsamsten Momenten deines verpfuschten Daseins, báchorkor! Wenn dein kleines empfindsames Menschenherz irgendwann hart und spröde ist wie Stein und du beginnen wirst, mit ihm zu hadern, mit dem Licht! Du wärest nicht der Erste! Du …” Nun versagte ihm die Stimme, denn er kreischte erneut wahnsinnig vor Qual. Galéon versuchte, seine Schreie zu ignorieren. Die Minderen Chaosgeister schienen über seine Anklage noch mehr in Wut zu geraten.
„Am Ende”, stöhnte Ovidáol Etaímalar, „am Ende wart ihr nichts anderes als Monster. Weiß das Drecksgör, weiß Noktámas absurde Kreatur, dass du es sein wirst, der ihr den Vater nehmen wird, eines Tages? Wie fühlt es sich an, dieses Wissen? Wie lebt es sich mit dieser Bestimmung, báchorkor? Wie vielen Menschen wirst du Trauer, Leid und Schmerz bringen? Wie viele Schicksale wirst du zu verantworten haben mit dem, was deine Schutzmacht dir vorbestimmt hat?”
Galéon seufzte tief auf. Dann gab er sich einen Ruck und trat an den Chaosgeist heran, der die Reste von knochigen alten Fingern zwischen seinen Zähnen hatte und versuchte, sie abzubeißen.
„He”, sagte er sanft und legte der Kreatur die Hand auf die Schulter. „Komm, lass es bleiben. Das ist vorbei und vergangen. Quäl dich nicht mit deinem kalten, blassen Zorn. Lass mich dir lieber eine Geschichte erzählen. Das tut dir besser besser, als den hier anzunagen. Das stillt deinen Hunger nicht.”
Der Chaosgeist schien aufzuschrecken. Er spuckte Ovidáols Finger aus und sein hohlwangiges Gesicht wandte sich mit blutunterlaufenen Augen dem báchorkor zu. Galéon fasste sich ein Herz, überwand seine Abscheu und legte seine Stirn an die des Monsters. Kalt und klebrig war die. Aber hinter der Stirn, verstreut in seinem Geist, in Erinnerungen, vermengt und durchgerührt wie ein Brotteig, fand Galéon das, was von dem Menschen übrig geblieben war, der in Chaos gezerrt worden war.
„Bestes Rauschzeug aus Forétern”, sagte Galéon belustigt. „An dich erinnere ich mich. Erinnerst du dich an meine Geschichte? Willst du mehr davon? Willst du wissen, wie es weiter geht? Diese Geschichten werden besser, je öfter ich sie erzähle. Dann weiß ich mehr Einzelheiten.”
Der Chaosgeist zögerte und glotzte ihn verwirrt an. Dann nickte er tumb und unbeholfen. Galéon atmete auf und wandte sich dem nächsten Monster zu, das Ovidáol an seiner unsichtbaren Kehle gepackt hielt. Galéon schaute ihn an, streifte sacht die klebrigen Fäden aus verrottenden Erinnerungen beiseite. Tief darunter waren noch ein paar intakte, kostbare.
„Dein Schiff ist im Norden gesunken”, suchte er nach dem, was das Wesen noch im Herzen hatte. „Ein berühmter keptyen aus Ovéstola bist du. Ich war schon oft in Ovéstola. Der schöne Strand, die hohe Gischt an den Klippen im Norden … da hast du dich deiner hýardora versprochen, erinnerst du dich? Komm, komm mit mir, ich weiß etwas, das dir gefallen wird …”
Einen minderen Chaosgeist nach dem anderen löste Galéon sacht von Ovidáol Etaímalars Fetzen ab, und jeder, zu dem der báchorkor gesprochen und eine Erinnerung gelesen hatte, wurde ruhig, sanft und still. Ihre verzerrten Gesichter veränderten sich, ihr wahnsinniger Zorn, ihr Toben wich begieriger, vager Hoffnung. Ihre ursprüngliche Gestalt wiederherzustellen, das lag außerhalb von Galéons Macht. Aber sie scharten sich um ihn, erschöpft von dem, was sie hinter sich hatten. Und mit jedem, der ihn losließ, minderten sich auch die Qualen des Verfluchten.
„Wenn du es auch hören willst”, sagte Galéon schließlich zu den flüchtigen Resten des Schattensängers und dessen wunder Seele, „dann überlege es dir jetzt. Ein báchorkor wird niemals einem Zuhörer abweisen.”
Ovidáol antwortete nicht. Aber etwas in seinem Schweigen war … weniger verstockt als zuvor. Galéon wartete noch einen Moment. Dann winkte er den minderen Chaosgeistern, den Geopferten wie den Verirrten, ihm zu folgen. Er durfte niemanden zurücklassen.
***
„Diese Chaosgeister sind anders als das Monster, das uns fressen wollte”, stellte Dýamirée fest.
„Ja, die sind anders. Ich glaube, das sind eigentlich Menschen, die jemand in Monster verwandelt hat.”
Dýamirée schüttelte energisch den Kopf. „Das darf man nicht. Man darf nur seinen eigenen Körper in etwas anderes verwandeln. Wenn ich erwachsen bin, dann will ich ein kleiner Vogel sein können, der abends in den Bäumen singt. Oder ein niedliches Eichhörnchen, das flink auf die höchsten Äste klettert. Und du?”
„Regenbogenritter können sich nicht in Tiere verwandeln, Dýamirée.”
„Oh. Das … tut mir leid.”
Advon betastete nachdenklich die Wunde an Farbenspiels Flügel. Der Chaosgeist, der den Hengst dort gebissen hatte, hatte seine Zähne fast bis auf den Knochen geschlagen, den Mächten sei Dank aber weitab von Sehnen oder einem Gelenk. Ich will, dass das verheilt, dachte der Junge vorsichtig und konzentrierte sich. Farbenspiel schüttelte seine Mähne und schnaubte. Offenbar spürte er den Zauber unter der Hand seines jungen Herrn.
Das neblige Zwielicht ragte zwischenzeitlich höher an ihren Seiten auf, sodass sich kaum noch etwas erkennen ließ. Das Chaos veränderte sich erneut. Obwohl der Boden nach wie vor fest und hart war, schien der Dämmer auseinanderzudriften, wie eine Wolke an einem windigen Tag, oder wie Schaum auf einer Wasseroberfläche. Advon war beunruhigt, und vermutlich ging es Dýamirée nicht anders damit. Zwar waren sie endlich beieinander und auf Farbenspiels Rücken auch offenbar in Sicherheit, allerdings waren sie auf sich allein gestellt. Es machte nicht den Eindruck, als käme der Schattensänger, Dýamirées Vater, bald wieder zurück.
„Was machen wir hier?”, fragte Dýamirée. „Sollen wir nicht Papa und Galéon helfen?”
„Galéon kommt gut allein zurecht, Dýamirée”, sagte Advon. „Ich … später erzähl ich dir, was ich über Galéon weiß.”
„Und mein Papa?”
„Der hilft den Unkundigen. Das hast du doch gehört.” Advon wandte sich ihr zu. Sie saß hinter ihm und hatte ihren Blick geistesabwesend auf die wirbelnden bunten Partikel in dem Stein gerichtet. „Hast du die Kinder gesehen?”
„Ja, hab ich.”
„Ob wir Freunde mit denen werden können?”
„Freunde?”
„Wir könnten Abenteuer miteinander erleben.” Er seufzte. „Ich hab mir immer so gewünscht, andere Kinder zu kennen. Aber die Unkundigen wollen nichts mit uns zu tun haben. Mama hätte sicher nicht verboten, dass unkundige Kinder in den Cielástel kommen.”
Dýamirée schwieg einen Moment. „Mama sagt, die Unkundigen haben Angst vor uns. Aber Papa kennt Unkundige. Ich kenne auch welche. Die sind nett.”
„Du kennst Unkundige? Was heißt das?”
„Mama hat eine Freundin, die ist eine berühmte doayra und wohnt am großen weiten Meer. Und dann hatten wir Besuch von einem freundlichen Ritter, aber der …” Sie unterbrach sich. Advon wunderte sich. Warum redete sich nicht einfach weiter?
„Es haben schon lange keine Monster mehr versucht, uns anzugreifen”, wechselte sie stattdessen das Thema.
„Vielleicht haben dein Papa und Galéon sie festgebannt.”
Dýamirée ließ den Stein auf ihren Schoß sinken. Nachdenklich runzelte sie die Stirn „Sollen wir nicht doch besser nachschauen?”
„Farbenspiel”, fragte Advon, „kannst du mit dem verletzten Flügel schon wieder fliegen?”
Das Einhorn schnaubte und flatterte. Das konnte man als Zustimmung gelten lassen.
„Dann auf. Von oben können wir sicher sehen, wo die Unkundigen sind.”
***
Yalomiro öffnete achtsam die Dose mit dem Sand. Die Gegenwart des Widerwesens hatte ihn so unvermittelt getroffen, dass es ihm durch Mark und Bein gegangen war, aber im gleichen Moment war ihm klar gewesen, dass er sich nichts anmerken lassen durfte. Das Allerletzte, was er jetzt riskieren durfte, war, dass die Unkundigen in kopflose Panik gerieten. Sie durften nicht bemerken, dass sie nicht mehr allein waren.
Kíaná von Wijdlant blickte flüchtig zu ihm auf. Hatte sie gespürt, dass etwas geschehen war?
Auch die Minderen Chaosgeister schienen sich vor dem Widerwesen zu fürchten. Was zuvor noch ziellose Wildheit war, wandelte sich nun zu respektvollem Kuschen. Offenbar zogen sich einige sogar furchtsam zurück.
Bist du schon fertig mit dem Verfluchten?, fragte Yalomiro ruhig und griff in den kleinen Behälter. Die goldenen Sandkörner fühlten sich an wie winzige Nadelstiche in seine Fingerspitzen.
Mit dem Verfluchten hat es keine Eile. Der kommt hier für alle Zeiten nicht heraus. Du scheinst derjenige zu sein, den ich aufhalten muss.
Yalomiro zerrieb den Sand zwischen den Fingern und ließ ihn zurückrieseln. Das war interessant. Demzufolge hielt das Widerwesen es wohl für möglich, dass sich mit einfacher Zauberei ein Portal öffnen ließe.
Die Unkundigen schauten ihn erwartungsvoll an. Das Licht an der Spitze des Stabes, den Merrit gewissenhaft festhielt, beschien die Gruppe von oben und ließ sie innerhalb des leuchtenden Nebels lebendiger, echter wirken.
Welches Spiel spielst du mit den Menschen, fragte Yalomiro und gab sich den Anschein, sich auf einen Zauber zu konzentrieren, sodass niemand wagte, ihn zu unterbrechen. Wahllos beschrieb er mit der Hand eine Reihe zufälliger Gesten, um alle abzulenken, die Unkundigen und das mächtige körperlose Wesen.
Ein Großes.
Du hast es lange vorbereitet, nicht wahr? Und so, dass die Mächte es nicht bemerkt haben.
Nicht einmal du hast es bemerkt.
Yalomiro beschwor zwischen seinem sinnlosen Gefuchtel beiläufig den Inhalt der Dose. Er umhüllte Sand- und Schmutzkörnchen mit silbernem Licht und ließ sie schweben. Nur die Goldkörnchen blieben am Grund der Dose liegen. Yalomiro schloss den Deckel und steckte sie wieder ein.
Lass es mich herausfinden. Hast du den beiden Knaben die Mütter genommen?
Nur dem einen. Den Stein vom Dach habe ich geworfen. Die andere hat schon die Unvernunft des alten Mannes umgebracht. Ich habe es zusammengefügt, als der Moment kam. Ich habe … beobachtet.
Warum? Von allen Unkundigen, was macht diese beiden so besonders?
Sie waren lästig, damals. Die hier sind geformt aus den alten Figuren, mit denen die anderen mich einst besiegt hatten. Ich will sie nicht im Spiel haben.
Wäre es nicht leichter gewesen, den Jungen zu erschlagen?
Das Widerwesen schwieg.
Du willst den Jungen lebendig für dich, nicht für das Licht. Ich verstehe. Der Junge ist ein Schlüssel, der nicht verloren gehen darf. Und die teirandanja? Womit versuchst du, das Mädchen zu verführen?
Das sollte eine Überraschung werden. Aber nun hat sich ohnehin alles geändert. Du selbst hast meine Pläne geändert, in dem Moment, in dem du dich eingemischt hast. Denkst du, mir ist entgangen, was du den Unkundigen erzählt hast? Was du versucht hast, ihnen einzugeben und geheim zu halten, versiegelt in einem Raum, den du niemals hättest verschließen können?
Yalomiro winkte den glitzernden Sand in die Höhe. Wie eine Perlenkette, wie einen zarten Faden ließ er ihn um die Unkundigen herum schweben. Die Menschen bestaunten ehrfürchtig das Wunder und waren damit ausreichend abgelenkt. Niemand wagte eine Regung. Sehr gut.
Wie viel davon hast du geplant, wollte der Schattensänger wissen. Nicht, dass es noch eine Rolle spielt, aber ich bin fasziniert.
Es führte eines zum anderen, antwortete das Widerwesen. Fühlte es sich auf absurde Weise geschmeichelt? Während es sprach, wurde es größer, präsenter. Aber hier, in seiner eigenen Domäne, brauchte es keinen Körper, und es schien auch nicht das Bedürfnis zu haben, sich den Menschen in einer Form zu präsentieren, die sie wahrnehmen konnten. Erst war es nur der Junge, der Kämpfer, der Beschützer. Ich wollte sehen, was sich mit ihm anfangen lässt. Aber sie haben ihn einfach nicht allein gelassen. Nun habe ich sie alle, fast den ganzen Satz der Spielfiguren. Das macht alles so vieles einfacher.
Du glaubst, die Mächte bemerken nicht, was hier geschieht?
Nein. Die Mächte schauen nur auf ihr Spielbrett, auf das gegenwärtige Spiel. Was dort hinunter fällt, das gehört mir. So ist es verabredet. Was im Chaos geschieht, das folgt meinen Regeln.
Den Mächten wird auffallen, dass der Kämpfer, der Beschützer fort ist.
Noch nicht. Denn im Weltenspiel ist seine Zeit noch nicht gekommen.
Die Unkundigen wurden allmählich unruhig. Spürten sie etwas? Oder fühlten sie sich nur mit der Zeit hingehalten?
Yalomiro ließ den Sandfaden um die Hände der zwölf Menschen gleiten. Die Magie fesselte sie an das Brett aus Wijdlant, nicht fester als ein hauchzartes Stück Spinnenseide. Nur um die Hand von Merrit Althopian machte die Magie einen Bogen.
Das war … interessant, Yalomiro blickte auf. Mehr noch das war … ein Zeichen.
„Das kribbelt”, kicherte Tíjnje Moréaval. Láas Grootplen knuffte sie tadelnd.
„Meister Yalomiro”, nutzte Asgaý von Spagor in zaghaft autoritärem Ton die Gelegenheit, „was soll das hier werden? Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, was Ihr da macht?”
Wenn du diese Menschen hier behältst und sie zu deinen Kreaturen machst, fragte Yalomiro ungerührt, was hast du dabei gewonnen?
Die nächste Partie, noch bevor sie begann.
Nun. Dann bleibt mir wohl nichts zu tun, als die Unkundigen aus deiner Gewalt zu befreien, damit das Spiel fortgesetzt werden kann.
Womit? Mit etwas lächerlichem, auf eine Stange montierten Sternenlicht?
Yalomiro trat an Merrit heran, zwischen ihn und die teirandanja. Seine Hand legte er mitten auf das Brett, zwischen die von Magie umschlungenen der Unkundigen.
„Merrit Althopian”, sagte er ruhig. „Sag mir die Wahrheit. Trägst du etwas bei dir, das aus Gold gemacht ist?”
„Nein”, sagte der Junge verwirrt.
„Wirklich nicht? Denk genau nach! Es mag dir unwichtig erscheinen. Ich spüre, dass du etwas verbirgst.”
Merrit Althopian runzelte angestrengt die Stirn. Dann nahm er seine Hand vom Holz und tastete nach seinem Hemd. Mit vom Kämpfen erlahmten Fingern zog er eine Haarnadel aus einer Falte seiner Tunika.
Yalomiro hob überrascht die Brauen. Das war so unerwartet, ein wenig albern und zugleich so perfekt, dass es ihm als unergründlicher Humor der Mächte erschien. Wahrscheinlich war es das auch.
„Wo hast du das her?”, fragte Asgaý von Spagor überrascht.
„Die gehört Mama”, erklärte Tíjnje aufgeregt. „Die hatte ich auf dem Pfannkuchenteller!”
„Wieso … was für ein Teller?”
„Wir brauchten doch Gold, Opa. Wegen dem Schloss von der Tür.”
„Wer hat euch auf diese Idee gebracht?”
„Das Bilderbuch aus der Bibliothek”, sagte Osse Emberbey verlegen. „Ich hab es gelesen, wie du gesagt hast, Vater.”
„Eine Haarnadel?”, entfuhr es Kíaná von Wijdlant. „Und wir haben uns mit der Axt geplagt!”
„Mit Haarnadeln”, sagte Yalomiro und streckte die Hand nach dem Schmuckstück aus, „und ähnlichen Dingen öffnet man verbotene Schlösser. Erstaunlich häufig scheint das zu glücken.” Er packte die Nadel sacht an den glänzenden Schmucksteinen. Augenblicklich legte sich der magische Faden um Merrits Hand.
Yalomiro schauderte. Nun, es war ihm klar gewesen, dass es ihn etwas kosten würde. „Und mit Gold …”
Nein!, protestierte das Widerwesen. Das wagst du nicht!
Yalomiro Lagoscyre lächelte grimmig und stieß sich, ohne zu zögern, die spitze Nadel mit Wucht mitten durch seine Handfläche, sodass sie tief in das Brett drang.
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