
Der Angriff der Chaosgeister kam so rasch, dass die Unkundigen immer noch geblendet waren, während die Musik abbrach und sich absolute Schwärze über dem Zwielicht ausbreitete wie Wellen rings um einen ins Wasser geworfenen Stein. Advon spürte, wie etwas nach seinem Willen griff und daran zog und schüttelte, also versuchte er, sich dagegen zu wehren.
Neben ihm glitt ein Wesen aus dem Sand hervor, seltsam schleimig und unwirklich anzusehen. Es brach durch den gefrorenen Untergrund und Klümpchen von eisigem Sand bleiben auf seiner Haut hängen wie Krumen aus Kälte.
Advon wich hastig zurück und starrte es entgeistert an. Das Ding glotzte mit vergilbten, blinden Augen zurück. Sein Mund klaffte weit auf, fast bis zu dem, was seine Ohren sein mochten. Und … es trug Kleidung. Ein überraschend ordentliches, sauberes Frauengewand. Advons Blick blieb irritiert an einer sehr kunstvoll bestickten Borte am Kragen hängen.
Dann trat Farbenspiel zu. Die Wucht seiner gespaltenen Klauen beförderte das Ding endgültig aus dem Sand hervor und schleuderte es dem Ritter mit dem Schnauzbart vor die Füße. Der durchbohrte es geistesgegenwärtig mit seinem Schwert, ohne dabei das kleine Mädchen loszulassen, das er fest mit dem anderen Arm an sich drückte.
Das Wesen gurgelte überrascht. Aber es blieb am Leben, oder zumindest dem, was es aufrecht hielt und es bewegte.
All das geschah binnen kaum zweier Herzschläge, brannte sich aber so tief in Advons Wahrnehmung ein, dass es ihm vorkam, als habe er lange Zeit ein Gemälde betrachtet.
Und etwas abseits von alledem krallte sich in seinen Willen und schrie ihn lautlos, dringlich aus der Ferne an.
Die Ritter und ihre Söhne kümmerten sich nicht um ihn, hätten dazu gar keine Gelegenheit gehabt, denn ringsum wurden sie von ganz ähnlichen Kreaturen angegriffen. Instinktiv hatten die Männer und die beiden älteren Jungen die teiranda und ihre Tochter in ihre Mitte genommen, bildeten einen engen, schützenden Kreis um sie, in dem der Schnauzbart nun auch das kleine Mädchen absetzte. Die zwei Kinder klammerten sich aneinander. Die teiranda drückte mütterlich beide an sich, war mit ihrer Aufmerksamkeit aber ganz bei den Männern, deren Aufgabe es war, sie zu beschützen. Sogar der teirand tat sein Bestes, die Wesen abzuwehren, obwohl er nur schlecht bewaffnet war. Und der schwächliche Junge mit der Brille – nun, er hatte ein Brett bei sich. Ein stabiles Brett aus schwarzem Holz, mit dem er ungelenk auf ein taumelndes, aufgedunsenes Wesen einprügelte, das aussah wie ein in verschlissenes Tuch gewandeter Engerling, mit Armen, Beinen und einer beunruhigend langen Zunge. Viel Erfolg hatte er damit nicht, aber der Mut der Verzweiflung schien ihn zu beflügeln. Tatsächlich gelang es ihm, dass das Ding nicht dem alten Mann an den Hals sprang, aber lange abhalten würde es nicht.
Advon stand dabei, bemerkte gar nicht, wie Farbenspiel ihm nachdrängende Monster vom Leib hielt und ihm wurde bewusst. was es war, das hier ganz und gar nicht stimmte. All diese Monster, eine Schar, die immer größer und größer wurde und sicherlich schon aus mehr als hundert von ihnen bestand, unterschieden sich massiv von denen, die ihnen draußen im Weltenspiel, an der Richtstätte begegnet waren. Diese hier, so grässlich und ekelerregend sie aussahen, die hier trugen Kleidung. Und ungeachtet all ihrer Scheußlichkeit und Entstellung, sie waren ganz offensichtlich aus etwas Menschenartigem hervorgegangen.
Bei den Mächten, entsetzte Advon sich. Das sind … waren … Menschen! Das waren nicht die Monster, die das Widerwesen erschaffen hatte! Das waren…
Was immer sich in seinem Willen verbissen hatte, es schien den Halt zu verlieren. Advon riss sich von seinem Grausen los, bemerkte endlich, wie Farbenspiel tobte und unter seinen Klauen einige von den menschenähnlichen Kreaturen zertrampelte, ohne dass es diese an ihrem Vorankommen gehindert hätte. Das Einhorn brüllte und versuchte, seinen jungen Herrn zu schützen. Advon wurde klar, dass er, der Sohn des Goldenen und der fajía der Einzige war, der in Schreckstarre verfallen war. Der Einzige, der hier über Magie verfügte und vielleicht etwas hätte unternehmen können. Aber wie?
„Galéon!”, wisperte er erstickt, „Galéon! Was soll ich denn jetzt machen?”
Er erhaschte einen Blick auf den Rittersohn mit den seltsamen hellen blauen Augen. Er war jünger als die beiden anderen, aber das tat seiner Entschlossenheit keinen Abbruch. Der alte Streitflegel, wo immer er den hergenommen haben mochte, richtete wenig wirksame, aber stetige Verwüstung unter den Chaosgeistern an. Der Junge wirbelte die Waffe herum, präzise und mit einer Kraft, die Advon unwirklich vorkam, bedachte man, wie jung er und wie erschöpft sie alle sein mussten. Advon hatte so oft die arcaval’ay im Wettkampf miteinander erlebt, den Vater zur Übung hart fechten sehen. Dieses Kind hier, da war er sich sicher, das hätte es mit einem der Regenbogenritter aufnehmen können. Das war erschreckend, denn das, was den Knaben antrieb, war nichts, was noch im Ansatz kindlich oder spielerisch gewesen wäre. Der Junge kämpfte ums Leben, und während er kämpfte, war er kein Kind. Es ging ihm nicht um sein Heil, denn möglicherweise war ihm nicht klar, dass er selbst noch lebendig war. Nein, seinen Vater wollte er verteidigen, denn der war unbewaffnet und rang mit einer Kreatur, die ihm sicher nur deswegen noch nicht überwältigt hatte, weil ihr Körper der einer zierlichen Frau gewesen sein mochte, die nun in purer Mordlust geiferte und versuchte, dem ermattenden Recken die Augen auszukratzen.
Farbenspiel brüllte und Advon schrak herum. Einem der Monster war es irgendwie gelungen, sich auf den Rücken des Einhorns zu hangeln und sich von dort oben in seinem Flügel zu verbeißen wie eine wütende Ratte. Farbenspiel warf sich nieder und wälzte sich über die Kreatur hinweg. Es knacksten Knochen, dann stand das zerquetschte Ding wieder auf und versuchte es erneut, als sei nichts geschehen.
„Galéon!”, schrie Advon verstört. „Galéon!”
Aber dann war da etwas neues, etwas vertrautes, etwas Wunderschönes, vor dem all das Grausen und der Schrecken verkümmerten wie eine verglimmende Flamme. Advon roch das Salz, das Wasser, das große weite Meer, so wie er es sich vorstellte. Und da, dicht vor ihm … da flimmerte es im Zwielicht. Eine Sphäre aus bunten, funkelnden Lichtlein wirbelte munter umher, kaum zu erkennen und gedämpft.
„Dýamirée?”, flüsterte er zaghaft. „Bist du das?”
Was immer an seinem Willen hing, der doch eigentlich Galéon durch die Leere geleiten sollte, es schüttelte ihn. Es verlangte nach seiner Aufmerksamkeit, seiner Konzentration.
Das nächste Chaoswesen kam heran. Es war einige Schritte neben Advon aus dem Boden hervorgebrochen, der zwischenzeitlich aussah wie ein sinnlos zerkrümelter Kuchen, und sobald es auf Füßen stand, jagte es auf den Jungen zu.
Advon schloss die Augen. Der Kampflärm, das Geifern und Brüllen der Monster, die Kampfschreie der Männer und Knaben, das Wimmern des kleinen Mädchens verstummten in seinem Geist. Er hob die Hand und langte nach dem Lichtwirbel.
„Ich will“, wisperte er, „dass du das bist, Dýamirée. Konm zu mir. Bleib bei mir! Ich brauche dich so sehr!”
***
Gerade noch, in dem kranken, kraftlosen Dämmern in Pianmurít, war es völlig still gewesen. Galéon zuckte zusammen, als urplötzlich ohrenbetäubendes Kreischen und Geschrei um ihn herum waren, ein Getümmel, das er merkwürdigerweise zuerst riechen und dann erst sehen konnte. Metallisches Blut, menschlicher Schweiß und was immer den furchtbarem, halb verwesenden, halb eitrig-erbrochenem Gestank erzeugte, vermischten sich zu einem ekelerregenden Gemenge, vor dem der Kampf bereits begonnen hatte. Gerade noch, im letzten Moment!
„Advon!”, rief Dýamirée aus, fiel dem überraschten Knaben um den Hals und spuckte dann ihrerseits aus, was ihr schon die ganze Zeit quälend im Hals gesessen haben mochte. Den Stein hielt sie fest in der Hand. Sehr gut!
Der Schattensänger japste, als habe er unter Wasser die Luft angehalten und durchbräche nun die Wasseroberfläche. Er klammerte sich an dem Stab fest, um auf den Beinen zu bleiben, und schaute sich gehetzt, verstört um. Das Chaos in Gestalt der endlosen Sandwüste unter den schwarzen Schatten und dem Zwielicht hatte er noch nie geschaut. Allerdings – die unerklärliche Schwäche, die ihn in Pianmurít überkommen hatte, die mochte hier nicht so schwer zu wiegen. Mit seinem Atem schien auch seine Kraft schlagartig zurück in seinen Körper zu finden. Mit vor Verwirrung geweiteten, silbrigen Augen blickte er sich um, um sich einen Überblick zu verschaffen, und wich geistesgegenwärtig einem rasenden Chaosgeist aus, der auf ihn zusprang, ihn daraufhin verfehlte, mit dem Einhorn zusammenprallte und von diesem weggekeilt wurde. Dessen buntes Fell war verklebt und besudelt, als habe es sich in etwas Verwesendem gesuhlt. Und vielleicht war eben das geschehen.
Und Ovidáol Etaímalar, der Verfluchte, der … bei den Mächten, diese Schreie!
„Gib mir das!” Eine aufgebrachte Männerstimme herrschte Galéon an und entriss ihm grob die Axt, um sie in derselben fließenden Bewegung einem minderen Chaosgeist in den Bauch zu versenken. Dunkelgrüne Flüssigkeit, die nur zum Teil aus Blut zu bestehen schien, spritzte in Waýreth Althopians Gesicht. Galéon keuchte erschrocken und stolperte zurück. Althopian stieß ihn grob fort und widmete sich, nun wieder im Besitz seiner Waffe, der Abwehr der minderen Chaosgeister.
„Komm beiseite!” Der Schattensänger packte ihn bei der Schulter und zog ihn zurück. „Damit haben wir nichts zu schaffen!”
Der báchorkor schüttelte seine Hand ab und versuchte, durch das Getümmel hindurch zu spähen. Da war sie, die kleine teirandanja, vorerst sicher in den Armen ihrer Mutter. Ihre kleine Freundin hatte sie fest an sich gedrückt und verbarg selbst ihr Gesicht entsetzt an der Brust der teiranda. Galéon seufzte schwer auf. Nun, so blieb es ihm erspart, ihr noch einmal in die Augen sehen und die Last noch einmal fühlen zu müssen.
Yalomiro Lagoscyre ließ ihn ungeduldig stehen, war schon bei seiner Tochter und dem Jungen. Advon Irísolor umarmte das Mädchen so innig und glücklich, wie es wohl nur ein unschuldiges Kind fertig brachte, während ringsum Monster wüteten, so als spiele all das keine Rolle, solange sie bei ihm war.
„Du erdrückst mich!”, beschwerte sich das Mädchen, machte aber keine Anstalten, sich gegen ihn zu wehren. Im Gegenteil. Sie lächelte so zufrieden, als nähme sie das Chaos, den Kampf und den Schrecken ringsum nicht wahr, solange der Junge sie festhielt. Ob das den Schattensänger ein wenig eifersüchtig machen würde?
Und Ovidáol Etaímalar, der Verfluchte …
Ja, sie hatten ihn entdeckt. Es hatte ihn entdeckt. Es …
„Was nun?”, fragte der Schattensänger. „Hast du eine Weisung, was zu tun ist?”
Galéon zuckte zusammen, als er so unerwartet angesprochen wurde.
„Nicht für die Unkundigen”, sagte er dann. „Die … gehen mich nichts an. Lasst Euch etwas einfallen. Die sind für Euch.”
„Warum bist du dann hier?”
„Für …” Galéon seufzte und riss sich vom Anblick des Mädchens los, das zu beschützen ihn drängte. „Für alle übrigen.”
Zu seiner Überraschung schien der Schattensänger zu verstehen, was er nicht aussprechen mochte. „Für den Verfluchten etwa auch?”
„Nein. Der … der gehört nun etwas anderem.”
Weitere Chaosgeister taumelten, krochen und rannten näher. Sie unterschieden nicht zwischen den Magiern und den Menschen, deren Kraft zusehends erlahmte. Die Männer, die bewaffneten Kinder, der ungelenke teirand, der Knabe mit der Brille … sie wehrten sich verbissen und mutig, aber es wäre letztlich sinnlos. Sie alle, einschließlich der kleinen teirandanja, sie würden unweigerlich zu ihnen gehören, sobald die Chaosgeister sie überwältigten. Es war keine Zeit mehr übrig!
„Meister Yalomiro”, sagte Galéon und schaute sinnend auf Advon und Dýamirée, für die die Mächte so große Pläne hatten, „habt Ihr einen Zauber, um die Unkundigen zu führen?”
Der Schattensänger beobachtete angewidert das Gemetzel, das zusehends zum Nachteil der Unkundigen verlief. Die Chaosgeister waren zwar verwundbar, aber das schien ihnen weder Kraft zu nehmen noch sie zu bremsen. Die Ritter und ihre Söhne wurden immer weiter zurückgedrängt, waren beinahe schon auf Tuchfühlung mit der Frau und den Mädchen in ihrer Mitte. Der Kampf war unfair, nicht anders, als habe man Windninchen und scharfe Hunde zusammen in eine Kiste gesperrt. Irgendwo, gar nicht weit weg, mochte etwas das interessiert beobachten. Etwas veränderte sich im Chaos. Der Abstand zwischen den tobenden Kreaturen, den Menschen und ihnen, den Magiern, schien sich zu vergrößern, so als drifteten sie auseinander, ohne sich zu bewegen.
„Möglicherweise. Ja. Ja, ich denke, es könnte glücken.”
Galéon hob überrascht die Brauen. Aber der Schattensänger schien es ganz ernst zu meinen. Auch die Kinder blickten auf.
„Wir müssen sie voneinander trennen”, sagte der báchorkor. „Die minderen Geister von den lebendigen Menschen.”
„Wie Hütehunde eine Schafherde?”, fragte Advon gespannt. Derweil schnappte das Einhorn mit seinen scharfen Fangzähnen nach den Chaosgeistern, die sich ihnen näherten. Das schien Eindruck zu machen, denn die Wesen wandten sich rasch dem vermeintlich leichteren Ziel zu und schlossen sich teils dem Gemenge um das Dutzend erschöpfter Menschen an, teils dem, was im Hintergrund mit dem Verfluchten geschah. Das Getümmel um Galéon, die Kinder und den Schattensänger entzerrte sich, während die Unkundigen litten und stritten.
„Ja. Die Chaosgeister zu mir. die Menschen zu euch.”
Der Verfluchte kreischte in unmenschlichen Tönen, gar nicht weit entfernt, aber seine Stimme verschwamm im allgemeinen Lärm. Die Geister hatten ihn entdeckt. Und etwas … etwas erhob sich von seinem Ort wie ein Zuschauer von seinem Sitz, um besser zu schauen …
„Mein kleiner Stern”, wandte der Schattensänger sich an die Kinder, „Advon Irísolor. Kann dein Einhorn an diesem Ort fliegen?”
„Ja, Meister Yalomiro. Das haben wir ausprobiert.”
„Dann steigt auf. Fall etwas Unerfreuliches geschehen sollte, dann fliegt. Fliegt auf und fort, bis die Lage sich klärt. Und folgt dem, der von uns beiden übrig bleibt.”
„Papa!”, begehrte das Mädchen auf.
„Halt deinen Stein gut fest, Dýamirée. Du wirst deine Magie benötigen, um diesen Ort zu verlassen. Falls mir etwas zustößt, soll euer Freund hier sich etwas einfallen lassen. Was, das ist sein Problem. Ich erwarte, dass er euch sicher zu euren Müttern zurückbringt.”
„Was habt Ihr vor?”, fragte Galéon verwirrt. Der Schattensänger packte den Stab, wandte sich dem beinahe verlorenen Kampf der Unkundigen zu und ging los.
„Ich habe einen Zauber, der funktionieren mag, sobald ich die Aufmerksamkeit dieser Unglücklichen habe. Und … ich weiß jemanden, der die Fähigkeit hat, diesen Mob zu trennen.”
Galéon schaute ihm verwirrt nach, dann besann er sich. „Los, los!”, trieb er die Kinder an. „Steigt auf!”
Er packte Dýamirée und setzte sie kurzerhand selbst auf den Rücken des nun gehorsam und gespannt stillstehenden Einhorns. Dann half er dem Jungen beim Aufstieg, indem er aus seinen Händen einen Steigbügel formte.
„Galéon!”, rief Dýamirée aus. „Dein Stein …”
„Den kannst du mir später geben. Ich muss sehen, was dein Vater vorhat!”
„Galéon, ich …”
„Dein Wille war stark und hat mich gut geleitet, Advon Irísolor. An deiner Aufmerksamkeit musst du noch etwas üben.” Galéon schob den Jungen auf den Einhornrücken und klopfte dem Hengst den Hals. „Wenn das Widerwesen uns freigibt, sehen wir uns eines Tages wieder, egal, wie dies hier ausgeht. Und bis dahin … es war mir eine Freude, euch begegnet zu sein, dem Morgen- und dem Abendkind.”
„Galéon! Du willst doch wohl nicht weggehen?”, rief Dýamirée bestürzt aus.
„Komm mit uns!”, forderte Advon. „Wir … wir lassen dich nicht alleine!”
„Diesen Weg muss ich allein gehen, Kinder. Ich bin bereit, meine Reise fortzusetzen. Ihr beide aber .. ihr seid noch nicht so weit. Noch nicht. Ihr müsst zurück ins Weltenspiel, zu euren Eltern. Zu Pataghíu und Noktáma. Eure Zeit ist noch nicht gekommen.”
„Du sollst bei uns bleiben!”, rief Dýamirée mit verzweifeltem Trotz. „Du bist doch unser Freund!”
Galéon lächelte. Dann zauste er Farbenspiel ein letztes Mal die Mähne, riss sich los und rannte dem Schattensänger hinterher. Der blickte sich nach ihm um und hob dann seine Hand. Einen kleinen Zauber richtete er vor sich und ihm aus, einen Schild, der die Chaosgeister beiseite hielt. Obwohl … vielleicht war es gar nicht der Zauber selbst. Einer der Chaosgeister, der vielleicht einmal ein Kind gewesen war, entdeckte den Stab, jaulte auf und huschte davon. Galéon schaute ihm fasziniert nach.
„Ihr wisst sie zu trennen?”
„Ich hoffe. Der Verfluchte wird uns nicht mehr verfolgen, nicht wahr?”
„Nein. Der … ist verloren.”
„Auch für das Licht?”
„Das kann ich nicht wissen.”
Der Schattensänger nickte. So weit fort waren sie im Chaos auseinandergetrieben. Aber die verzweifelten Schreie der Menschen stachen grell zwischen dem wirren Gelärm der Monster hervor.
„Dein Name ist Galéon?”
„Ja.”
„Wirst du den Meisternamen deines Mentors tragen, Galéon? Galéon Lucegath?”
„Nein. Nein, das fühlt sich falsch an. Ich hab nicht gerne viel Gepäck und große Lasten. Ich bin nur ein báchorkor.”
„Wenn dies hier ein Ende findet, das uns alle zu Ruhe kommen lässt, Galéon, dann haben wir viele Dinge zu bereden, du und ich.”
„Ja. Das denke ich auch.”
„Sobald du deinen Auftrag erfüllt hast, begib dich auf direktem Weg ins yarlmálon Grootplen. Du weißt, wo das ist?”
„Selbstverständlich.”
„Du wirst dort, unweit der Grenze zum yarlmálon Tjiergroen eine Stelle voller roter Blumen finden. Jeder dort wird dir den Weg dorthin weisen können, denn dieses blutrote Beet ist den Unkundigen nicht geheuer. Dort wirst du die Antworten erhalten, die du suchst.”
„Ich danke Euch, Meister Yalomiro.”
„Ich habe dir zu danken. Wie ich hörte, hast du meine Tochter aus dem Maul eines großen Chaosgeistes gerettet.”
„Sie werden ein schönes Paar sein, Eure Dýamirée und Advon Irísolor.”
Der Schattensänger seufzte, ganz leise. Dann blieb er stehen. Vor ihnen kämpften die Menschen mit ermattender Kraft. Altabete und der Sohn des Schnauzbartes waren entwaffnet. Der betagte Ritter war nicht mehr in der Lage, sein Schwert zu halten. Der zweitälteste Knabe hatte es an sich genommen und hielt damit schwach die Monster auf Abstand. Das Brett des bebrillten Jungen war zerborsten und zersplittert, er den Tränen nahe. Auch der blonde Knabe war in Nöten. Ein Chaosgeist mit breiten Schultern und absurd muskulösen Armen hatte es geschafft, die Eisenkugel des Streitflegels aus der Luft zu schnappen wie eine Mücke.
„Bleib zurück”, sagte Yalomiro Lagoscyre und trat vor. Seine maghiscal flammte auf.
Die teiranda hob den Kopf.
„Meister Yalomiro!”, wisperte sie, ihre Stimme wie Donnerhall, so klar über dem schrillen Gejaule und Geheule. Auch die übrigen Menschen hörten es, und alle Blicke flogen ihm zu.
Die Kette des Streitflegels gab mit einem rostigen Reißen nach und der Junge verlor den Halt und stolperte zu Boden, den nutzlos gewordenen Griff in seinen geschundenen Fingern. Sein Vater sprang instinktiv hinzu und riss die Axt hoch, von der zwischenzeitlich die dünne Goldschicht ganz abgefallen war, aber eine der Kreaturen stieß ihn nieder.
Das Muskelmonster warf die stumpf gewordene Metallkugel weg und gab ein begeistertes Grunzen von sich, bereit, sich auf den Jungen zu stürzen. Der Knabe blickte seinem Schicksal starr und entwaffnet entgegen.
„Merrit Althopian!”, rief Yalomiro Lagoscyre. „Nimm dies!”
Und er warf ihn dem Kind entgegen, den leeren, nutzlosen Zauberstab von Ovidáol Etaímalar, an dessen Spitze nun ein Funke Schattensängermagie flimmerte, ein kleines Lichtgebilde, ein Spielzeug, das ausreichte, um einen dummen Chaosgeist lange genug zu täuschen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Der Junge schnappte verblüfft zu. Die blutigen Kinderhände schlossen sich sicher um das schlanke Holz, nicht viel dicker, wenn auch etwas länger als ein Besenstiel.
Merrit Althopians Blick erhellte sich. Ein entrückter Ausdruck breitete sich auf sein Gesicht aus.
Hinterlasse einen Kommentar