Etwas näherte sich, lautlos, geschmeidig, brach durch den Nebel und war bereit, sie zu überwältigen, wild entschlossen, kaltblütig und bewaffnet. Farbenspiel schnaubte erschreckt und stellte ruckartig seine Flügel auf, ein Reflex, der einen Angreifer, der nicht damit rechnete, für wertvolle Augenblicke irritierte. Und tatsächlich: Die vier Gestalten, die sich wohl auf sie hatten stürzen wollen, wichen hastig zurück und starrten das bunte Einhorn mit solcher Verblüffung an, dass es unter anderen Umständen komisch gewirkt hätte.

Advon sprang ebenfalls erschrocken zur Seite. Er hatte mit Chaosgeistern gerechnet, mit Ungeheuern, aber nicht mit dem hier. Die Ankömmlinge schienen lebendige, echte Menschen zu sein. Unkundige Männer. Und, zumindest die beiden, die ziviles Eisenzeug angelegt hatten und Schwerter führten, unkundige Ritter.

Der dritte Mann hielt eine Axt in Händen und trug eine blaue Tunika aus Linnen, so als sei er überstürzt aus seiner Stube herausgelaufen, bevor er sich fertig hatte ankleiden können. Und der vierte war ähnlich bequem gekleidet, allerdings mit deutlich kostbareren, bestickten Stoffen und feinstem Leder angetan. Alle vier hatten bleiche, erschöpfte Gesichter, und keiner von ihnen war nach der Mode Aurópéas gekleidet, die zarte Farben und duftiges Tuch schätzte. Alles an ihnen wirkte grober, robuster und für den Moment nicht besonders akkurat. Sicher hatten die Männer anstrengende Zeiten hinter sich. Vielleicht hatten sie Kämpfe ausgetragen, von einer Art, die sie sich nie hätten träumen lassen.

Und nun trat auch noch eine zierliche, blasse Dame mit aufwändig geflochtener, zerzauster Frisur, in prächtigem Gewand aus dem Nebel und starrte mit großen blauen Augen ebenso bestürzt wie verdutzt auf das große bunte Tier.

„Ruhig, Farbenspiel”, flüsterte Advon. „Ich glaube, das sind keine Monster. Ich will nicht, dass du jemanden angreifst. Vorerst.”

Farbenspiel schnaubte und klappte die Flügel wieder ein. Sein Horn zeigte weiterhin in Richtung der Hinzugekommenen. Blitzschnell konnte er damit zustoßen, wenn es nötig wurde.

Einen Moment lang herrschte unangenehmes Schweigen. Die Männer, bis auf den Vornehmen, wechselten rege Blicke und knappe Gesten miteinander. Der Edelmann trat schließlich ratlos an die Seite der Dame und griff nach ihrer Hand. Und dann war es die Frau, die das Schweigen brach.

„Ich bin Kíaná von Wijdlant”, sagte sie schlicht. „Habt ihr unsere Kinder gesehen, an diesem schrecklichen Ort?”

„Majestät”, antwortete Galéon und verneigte sich demütig. „Ihr seid die Ersten, die uns hier an dieser Stätte begegnen.”

Majestät?“, staunte Advon, ganz unbefangen.

„Sie ist eine teiranda“, raunte der báchorkor ihm zu. „Sei höflich! Wijdlant ist ein teirandon jenseits des Montazíel.”

Advon stutzte. Er fragte sich, wie es eine teiranda aus solcher Ferne ins Chaos verschlagen haben konnte. Dann entsann er sich seiner Manieren und verneigte sich, wie er es bei seinem Vater und den Rittern beobachtet hatte. „Seid gegrüßt”, sagte er so förmlich, wie er es fertigbrachte. „Ich bin Advon Irísolor. Und das hier ist Farbenspiel. Ihr müsst keine Angst vor ihm haben. Er dachte nämlich, ihr seid Chaosgeister. Jetzt ist er brav.”

Die Dame lächelte flüchtig. Offensichtlich war sie die Ranghöchste in der Gruppe und damit die Wortführerin. „Die Herren sind, den Mächten sei Dank, sehr weit davon entfernt, Chaosgeister zu sein. Dies hier ist mein hýardor, Asgaý von Spagor. Das ist ein teirandon ganz im Norden, am Meer”, fügte sie hinzu, bevor Advon fragen konnte. „Und die anderen Herren sind unsere getreuen yarlay. Yarl Altabete, yarl Grootplen und yarl Althopian.”

Die Herren nickten bei Nennung ihrer Namen, blieben aber wachsamer, als nach Advons Meinung angebracht war. Sie schienen ihnen nicht zu trauen.„Irísolor?”, fragte nun der ohne Eisenzeug und steckte sich die Axt unter seinen Gürtel. „Gehörst du zum Haushalt der fajíaé des Cielástel?”

„Elosál Irísolor ist meine Mutter.”

„Oh.” Der Mann schien über diese Antwort sehr erstaunt zu sein. Aber er entspannte sich sichtlich. Seine Begleiter wirkten verständnislos.

„Die Chaoskriege”, warf er ihnen ein Stichwort zu. „Die große Schlacht. Die schönen weisen Magierinnen, die Pataghíu dienen.”

Das schien den Männern etwas zu sagen. Vielleicht eine vage Zuversicht zu wecken. Pataghíus Name war gefallen. Das, so wusste Advon, gab immer Hoffnung, egal, worum es ging.

„Ich bin Waýreth Althopian”, erklärte der mit dem blauen Gewand. „Einer meiner Ahnherren war einige Monde lang der Gast der ehrenwerten fajíaé. Vor vielen, vielen Wintern.”

Ein unkundiger Ritter im Cielástel? Advon hätte tausend Fragen hervorsprudeln können, aber sicher war das jetzt gerade nicht der passende Moment dafür. Er kam auch nicht zu Wort.

„Kommt ihr aus Aurópéa, du und dein … bei den Mächten, das ist wirklich ein Einhorn, nicht wahr?”, fragte der teirand ehrfürchtig.

„Ja, ist es. Er gehört mir. Wir sind vom Cielástel aus losgeflogen.”

„Und was machst du hier?”, wollte der Ritter mit dem grünen Wappenrock wissen. Seine linke Wange war bis zum Mundwinkel durch eine tiefe Narbe entstellt. Advon bemühte sich, nicht zu auffällig hinzusehen. Sicher hatte der Mann einmal einen gefährlichen Kampf bestritten und es war niemand da gewesen, um seine Wunden spurlos heil zu zaubern.

„Wir suchen Dýamirée. Die muss irgendwo da in der Dunkelheit sein.” Advon zeigte nach oben, empor zu dem schrecklichen schwarzen Himmel. „Wir wissen nur noch nicht, wie wir dahin kommen.”

„Dýamirée?” Der etwas beleibte Ritter mit gelbem Wappenrock und Scnauzbart runzelte die Stirn.

„Die Tochter von Yalomiro Lagoscyre”, brachte Galéon sich geduldig in Erinnerung. Die Unkundigen hatten ihm keine Beachtung geschenkt, seit Advon gesprochen hatte. „Ein Kind, das uns abhandengekommen ist.”

„Lagoscyre?”, hauchte die Dame und riss schockiert die Augen auf.

„Schon wieder dieser Kerl!”, polterte der mit der Narbe los. „Pfuscht der also auch hier herum und lässt noch mehr Kinder verschwinden?”

„Herumpfuschen?” Nun war Galéon irritiert.

„Und du? Wer bist du?”, ließ sich nun endlich der teirand dazu hinab, den jungen Mann anzusprechen. „Was hast du mit dem Jungen hier zu tun?”

„Ich? Ich bin ein einfacher báchorkor auf der Suche nach neuen Geschichten”, behauptete Galéon. „Die meine und wie ich in Gesellschaft des Jungen geraten bin, ist sicher wesentlich banaler als die Eure, Majestät, edle Herren. Darf ich fragen, wie Ihr an diesen Ort gekommen seid und welchen Kindern Ihr nachspürt?”

Ganz offenkundig lag es in Galéons Absicht, die Aufmerksamkeit der teiranday und yarlay abzulenken, um nicht selbst unnötig ausgefragt zu werden. Advon legte Farbenspiel die Hand auf den Hals. Nun wurde es wirklich spannend.

„Nach meiner Tochter suchen wir”, erklärte die teiranda. „Und nach fünf weiteren Kindern, das jüngste ein Mägdelein von fünf, das älteste ein Junge in seinem vierzehnten Sommer. Sie … nun. Es war Zauberei, die wohl von Meister Yalomiro gewirkt wurde.”

„Wie das?”

„Zuerst sind drei der Kinder in einem verzauberten Turm verschwunden. Als wir uns daran machten, sie zu befreien, hat es uns hierher verschlagen. Und später wurden wir von den drei übrigen Kindern und einem vierten der yarlay getrennt.”

„Getrennt”, murrte der mit der Narbe halblaut. „Feige weggelaufen ist der alte Fisch!”

„Es steht dir nicht an, seine Tapferkeit zu schmähen, Andriér”, mahnte Althopian mit einer Schärfe, die Advon nicht einzuordnen wusste. „Nicht in seiner Abwesenheit.”

Der andere yarl gab einen verächtlichen Laut von sich, widersprach jedoch nicht. Der Schnauzbärtige legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.

„Und dieser Turm”, fragte Galéon weiter, „steht der in Aurópéa?”

„Nein, natürlich nicht. Es ist der Wehrturm meiner Burg in Wijdlant.”

„Hat eines der Kinder möglicherweise etwas aus diesem Turm bei sich, das … es nicht hätte anfassen sollen? Etwas … nun. Etwas ziemlich Wertvolles, das in jenem Turm verborgen war?”

Die teiranda wechselte einen stummen Blick mit ihrem hýardor. Dann erstarrte ihre Miene, so als sei ihr plötzlich ein Einfall gekommen.

„Möglicherweise”, sagte sie dann zaghaft. „Es … sie könnten einen roten Edelstein bei sich führen.”

Galéon hob erstaunt die Brauen. Dann murmelte er halblaut einen Fluch, der sich in Gegenwart einer Dame ganz sicher nicht schickte.

„Folgt uns”, ordnete er dann an. „Wenn wir zu lange stehen, kommen die minderen Chaosgeister her, und das kann ich jetzt nicht brauchen.”

„Warum sollten wir dir folgen, báchorkor?”, fragte der Schnauzbärtige, halb empört, halb belustigt. Anweisungen von Niedergestellten war er wohl nicht gewohnt.

„Weil ich glaube, dass wir auf unsere Weise auch eure Abkömmlinge finden können. Advon, du suchst weiter nach Dýamirée. Die Menschenkinder sind für mich.”

„Aber …”

„Bei den Mächten, ich kam her, um das Chaos zu läutern”, schimpfte Galéon. „Nicht, um lauter verirrte Blagen einzusammeln!”

Er setzte sich in Bewegung, ohne sich weiter um die Leute zu kümmern. Die teiranda und die vier Herren schauten ihm entgeistert hinterher. Offenbar wussten sie nicht so recht, was sie von der Sache halten sollte, nachdem der báchorkor sich so im statthaften Ton vergriffen hatte.

„Kommt”, rief Advon den Unkundigen zu. „Wir dürfen hier nicht lange stehenbleiben. Verliert uns nicht aus den Augen!”

Dann schloss er eilig zu dem báchorkor auf, der schon wieder geistesabwesend in die Leere blickte.

„Wieso hast du so ein schlimmes Wort gesagt?”, wollte er wissen.

„Habe ich das?”, knurrte Galéon.

„Was macht dich dermaßen wütend?”

„Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr vor hochedlen Ohren erzählt. Sie werden es einem dahergelaufenen báchorkor nachsehen. Sieh mich doch an! Wie der letzte Vagabund laufe ich einher. Wie stehe ich da?”

„Warum sagst du ihnen denn nicht einfach, dass du …”

„Pst. Kein Wort darüber vor den Herrschaften. Folgen sie uns?”

Advon schaute sich um. Tatsächlich gingen die Leute aus Wijdlant nun in respektvollem Abstand hinter Farbenspiel her, die Dame in der Mitte, die Männer wie eine Eskorte vor, hinter und an ihren beiden Seiten. „Ja. Sie kommen mit. Galéon, was ist hier los? Was soll das mit den Kindern und dem verzauberten Turm? Das klingt wie ein Märchen.”

„Ich wünschte, es wäre eines. Wenn die Kinder in Wijdlant in einen Turm hineingegangen und hier ausgekommen sind, dann hat das Chaos noch mindestens ein weiteres Leck. Wenn Dýamirées Vater irgendwie darin verwickelt ist, dann muss er es auch wieder schließen, denn einen Schattensängerzauber kann ich nicht einfach aufheben. Wir müssen die beiden schnell finden. Spürst du Dýamirées Gegenwart immer noch nicht?”

„Nein. Galéon, warum bist du so sicher, dass ich sie spüren kann?”

Der báchorkor lächelte flüchtig, „Das wirst du dir einmal selbst beantworten können. Wir suchen rasch die Kinder, die ihnen verlorengegangen sind. Bei den Mächten, ich habe nicht geahnt, dass so viele Unkundige hier herumstolpern.”

„Nicht? Aber hattest du nicht gesagt, du suchst hier nach Leuten?”

„Ja, aber nicht nach diesen. Ich suche nach derjenigen, die das Signal trägt. Und ich habe ein Versprechen einzulösen.”

„Vielleicht ist es eines der Kinder?”, schlug Advon vor.

„Das”, murmelte der báchorkor, „mögen die Mächte verhüten.”

***

„Gute Nacht”, sagte ich. Mir fiel nichts Harmloseres ein, denn erschrecken wollte ich die beiden Männer nun wirklich nicht. Trotzdem kieksten die zwei alarmiert auf und wirbelten mit entsetzten Mienen zu mir herum.

„Entschuldigt. Ich wollte mich nicht anschleichen. Was ist da los?”

„Wer bist du?”, fragte der Jüngere der beiden. Ich schätzte ihn auf höchstens Mitte zwanzig. Er schien gut betucht zu sein, wenn seine Aufmachung auch eher wirkte ein wenig wie eine Dienstkleidung oder Amtstracht. Der andere war etwa doppelt so alt, stämmig, trug Arbeitskleidung mit Lederflicken und erinnerte mich ein wenig an den Stallknecht, den ich früher am Tag kennengelernt hatte. Er roch auch ähnlich, nach Leder und Tier.

„Ich bin hier zu Besuch”, sagte ich so vage wie möglich und zupfte meinen Schleier zurecht. Es war abgesehen vom düsteren Glimmen der Mauern zwar recht finster, aber in Gefahr bringen wollte ich die zwei natürlich nicht. In meine Augen schauen durften sie nicht.

„Was soll der Schleier?”, fragte er misstrauisch.

„Sonnenbrand”, behauptete ich. „Ich sehe schrecklich aus. Was macht ihr hier?”

„Wir? Ach ja.” Der junge Mann schien sehr verwirrt. Wahrscheinlich hatte der Ärmste in den vergangenen Stunden mehr Unwirkliches erlebt, als ihm lieb sein konnte. Der Andere wirkte geradezu stoisch neben ihm. Vielleicht durfte er aber auch einfach nicht sprechen, wenn der Ranghöhere redete. Oder er war so schockiert, dass ihm alles egal war „Wir sind Diener von sinor Saháalír. Ich bin der für seine persönlichen Belange zuständige maedlor.”

„Und wo ist der sinor?”

„Im Stall”, sagte der Knecht. „Mit der sinora.”

Im Stall? Nun gut. Vermutlich hatte die Zeit einfach nicht mehr gereicht, um eine formelle Audienz bei Elosál und Cýelú zu erbitten. Sicher waren sie vor dem Sandregensturm ins Gebäude geflüchtet und von allem, was seither geschehen war, maßlos verstört,

Ich schaute auf die Lichtkuppel jenseits der Hügelkette, die man von hier aus erahnen konnte, zumindest mit nachtsichtigen Augen. Es sah wunderschön aus, so als sei eine riesige Seifenblase aus Licht dort niedergegangen, ohne zu zerplatzen. Die Farben, mehr, als man sich nur vorstellen konnte, vermengten und vermischten sich kontinuierlich wie Schlieren auf einer schillernden Öllache, nur viel schneller. Was sich unterhalb der Lichtkuppel tat, ließ sich nur anhand des Lärmes erahnen, den der Wind in Fetzen herantrug. Es schallte grausig, nach Wut und Zerstörung und Schmerz.

„Es sind die Regenbogenritter, nicht wahr?”, fragte ich.

„Mögen die Mächte wissen, was sie da treiben”, murmelte der junge maedlor.

„Es klingt gar nicht gut”, schloss der Knecht sich an.

Ich betrachtete das nächtliche Farbenspektakel und schauderte vor dem metallischen Klirren und organischen Lauten, die entfernt an die Laute gewaltiger, exotischer Raubtiere erinnerten, die ich irgendwann einmal in Naturdokumentationen gehört hatte. Vielleicht hatten damals auch Dinosaurier ähnlich geklungen, wer weiß? Ich versuchte, mir die Ausmaße dieser Schlacht gegen die Chaosgeister vorzustellen, und wurde den Gedanken nicht los, dass der arme Cýelú Irísolor sich darin unglaublich verloren vorkommen musste. Wenn auch sicherlich nicht so planlos wie ich.

Im Gegensatz zu dem Getümmel am Rand der Wüste war es oben am Himmel immer noch absurd still. Vielleicht war das ganz gut so, denn so kamen die unkundigen Männer nicht auf die Idee, in die Höhe zu schauen und das unheimliche Wolkenportal, dieses Loch im Nachthimmel zu entdecken. Zu gebannt und besorgt beobachteten sie den lautstarken Kampf der arcaval’ay, der sich aus ihrem Verständnis auf ein absurdes Naturschauspiel, einen blasenförmigen, vom Himmel gefallenen Regenbogen beschränken mochte.

„Schaut! Da geschieht etwas!”, rief der Knecht plötzlich aus und deutete aufgeregt hin, so als würden wir es nicht selbst bemerken. Die Farbenkuppel veränderte sich. Es ist schwer zu beschreiben, was da vor sich ging. Sie schien aufzuklappen. Die wirbelnden Farben formierten sich neu, wie ein riesiger Vogelschwarm, schälten sich von dem, was sie eingeschlossen hatten ab und verstärkten in einer zweiten Schicht den hinteren, der Stadt zugewandten Bogen. Eine Viertelkugel aus buntem Licht, die sich in die Länge zog und sich in einer breiten Front neu formierte, zu einem über dem Boden liegenden, geraden Regenbogen aus wirbelnder Farbe wurden, der in mir die absurde Assoziation mit einer gigantischen Schöpfkelle weckte. Zum Glück war es zu weit entfernt, um Einzelheiten der Kreaturen zu erkennen, die nun ein markerschütterndes Gebrüll hören ließen. Wäre der Wind aus der anderen Richtung gekommen, hätte man es womöglich noch in Aurópéa gehört. Die unkundigen Männer neigten sich gebannt über die Brüstung, um besser sehen zu können.

„Sie treiben sie!”, rief der maedlor mit kieksender Stimme zu. „Sie treiben sie hierher!”

Meine Hoffnung, dass das Objekt am Himmel unbemerkt blieb, hielt nicht lange an. Dafür sorgte ein unglaublich helles Licht, das urplötzlich und völlig lautlos aus dem Wolkenring aufstrahlte und den gesamten Cielástel in blendendes Mondweiß tauchte.

***

„Können wir ihnen trauen?”, raunte Daap Grootplen.

„Bedingungslos. Wenn der Junge der Sohn der fajía ist …”

„Behauptet er”, gab Altabete zu bedenken.

„Andriér, der Junge hat ein Einhorn bei sich, das ihm aufs Wort gehorcht. Reicht dir das nicht als Beweis?”

„Habt Ihr jemals mit den Regenbogenrittern zu tun gehabt, Althopian?”, fragte der teirand gespannt.

„Ich selbst nicht. So weit in den Süden bin ich nie gekommen. Aber ich habe die Geschichten geliebt, die über sie erzählt wurden, aus den alten Tagen.”

„Dass es sie überhaupt noch gibt”, murmelte Grootplen. „Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben nicht mit jemandem geredet, der einen mit eigenen Augen gesehen hat.”

„Es heißt, sie hätten sich in ihrer Burg in der Wüste verschanzt und gehen nur selten hinaus. Sie sind fast verschwunden aus dem Weltenspiel.”

„Wer mag dieser junge Kerl sein? Die Regenbogenritter werden doch kaum báchorkoray einlassen?”

„Habt ihr gesehen, wie zerfetzt seine Kleidung ist? Selbst für einen báchorkor scheint mir das seltsam und verdächtig.”

„Ja. In dem Aufzug lässt ihn niemand in seinem Haus vorsprechen und vor einer Gesellschaft erzählen. Da stimmt etwas nicht!”

„Wie groß”, fragte die teiranda nachdenklich, „ist die Wahrscheinlichkeit, an diesem Ort jemanden zu treffen, der von Meister Yalomiro weiß?”

„Ich würde meinen, sie ist absurd gering, Majestät.”

„Dann”, sagte sie, „haben die Mächte unser Flehen erhört. Wenn der Junge tatsächlich zu den Regenbogenrittern gehört, dann hat er gewiss Fähigkeiten, mit denen er unsere Kinder entdecken kann. Ich vertraue ihm.”

„Nun”, sagte der teirand, „es kann nicht schaden, wenn wir Verstärkung haben, sofern die Chaosgeister zurückkommen.”

„Erwartet nicht zu viel von dem Mann, Majestät. Ein schmächtiger Bursche und offenbar in keiner guten Verfassung. Und unbewaffnet ist er ohnehin. Ein Chaosgeist würde ihn mit einer Fingerspitze umstoßen können, scheint mir.”

„Ich dachte an das Einhorn.”

„Ein prächtiges Wesen”, stimmte Althopian gedankenverloren zu. „Aber jemand hat es zu hart geritten. Es ist voller Schweiß und Schaum. Sicherlich haben die beiden eine ähnlich wunderliche Geschichte hinter sich wie wir.”

„Heißt es nicht, Pataghíu selbst habe die Einhörner ins Weltenspiel gesetzt?”

„Nie hätte ich gedacht, mal selbst eines zu Gesicht zu bekommen.”

„Nun lasst doch das Einhorn”, fuhr die teiranda ihnen ärgerlich ins Wort. „Lasst uns hoffen, dass wir bald unsere Kinder wieder in die Arme schließen können, und …”

Weiter kam sie nicht. Lautlos und unerwartet leuchtete die Schwärze über dem Nebel auf und machte sie alle stumm, blind und taub. Das Letzte, was sie hörte, war, wie der Junge den Namen des Mädchens rief.