Der Boden unter ihnen war eiskalt und steinhart. Die plötzliche Wucht, mit der der Untergrund sich verändert und sie alle niedergeworfen hatte, ließ die Kinder für einen Augenblick in eine Schreckstarre fallen. Dann stemmte Láas Grootplen sich als Erster wieder auf alle Viere.

„Was war das?”, hörte Osse die teirandanja wispern.

„Ich weiß nicht. Der Sand – ich glaube, der Sand ist zu Fels geworden.”

Osse blinzelte. Bei dem Sturz war ihm seine Brille halb von der Nase gerutscht. Durch das Glas, das an seinem Platz war, konnte er ganz deutlich den Sand in einzelnen Körnern erkennen und strich zögernd mit der Fingerspitze darüber. Aber er zeichnete damit keine Linie hinein. Der Sand war nicht nur verfestigt, er war erstarrt.

„Ich will zu meiner Mama”, murmelte Tíjnje tonlos. Dass das kleine Mädchen nicht weinte, kam Osse gespenstisch vor. Er setzte sich auf und sah, wie Jándris sich ihrer zärtlich annahm und sie vorsichtig auf die Füße stellte.

„Wir sind ja schon dahin unterwegs”, versicherte er ihr sanft. „Es ist gar nicht mehr weit.”

Merrit Althopian stand ebenfalls wieder auf. Sein eisblauer Blick huschte alarmiert hin und her. Dann bot er unschlüssig der teirandanja seine Hand, um ihr aufzuhelfen, aber sie griff nicht zu. Ohne ihn zu beachten, stellte sie sich wieder hin.

„Bist du unversehrt, Vater?”, fragte Osse und rückte seine Brille zurecht.

Alsgör Emberbey ächzte schmerzvoll und rappelte sich auf, antwortete aber nicht. Vor seinem Sohn wollte er sich wohl nicht die Blöße geben, dass das Alter ihm mehr und mehr zusetzte.

„Hörst du die Musik noch, Tíjnje?”, fragte die teirandanja.

Tíjnje schniefte und lauschte. Dann schüttelte sie den Kopf. Jándris drückte sie tröstend an sich.

„Na wunderbar”, ärgerte sich Láas. „Dann sind wir jetzt völlig verloren.”

„Es hat eben aufgehört. Vielleicht … vielleicht macht der Musikant einfach eine Pause!”

„Weil ihm jemand ein Bier gebracht hat, was? Das ist doch alles Unfug! Wir haben uns endgültig verirrt! Wir kommen hier nie wieder heraus!”

„Ich kann doch nichts dafür!”, brach es aus Tíjnje heraus, eine Spur zu zornig. Láas wich erschrocken vor der Kleinen zurück, was angesichts großen, kräftigen Jungen unfreiwillig komisch aussah.

„Du kannst nichts dafür”, tröstete Jándris mit einem warnenden Blick in Láas Richtung. „Fehlt ja noch, dass ausgerechnet du hier etwas falsch gemacht hättest.”

„Ich will nicht, dass ihr böse mit mir seid”, brachte die Kleine jämmerlich hervor.

„Niemand ist böse mit dir”, wagte Osse, selbst etwas zu sagen. „Vielleicht kommt die Musik ja wieder. Oder du hörst die Erwachsenen. Oder ….”

„Still!”, mahnte Merrit. Er kniete nieder und berührte den erstarrten Boden mit den Fingerspitzen. Dann legte er sein Ohr daran, verzog das Gesicht vor der Kälte und horchte.

„Was hörst du, Althopian?”, fragte Alsgör Emberbey ungeduldig, während die anderen Kinder Merrits Tun gespannt verfolgten.

„Da ist etwas”, wisperte der Junge. „In die Tiefe. Ganz leise.”

Jándris folgte seinem Beispiel. Kurz darauf lauschten alle Jungen am Boden. Die teirandanja zögerte einen Moment. Dann schloss sie sich an. Nur Tíjnje tat nicht mit. Stattdessen griff sie zutraulich ausgerechnet nach yarl Emberbeys Hand. Der alte Mann ließ es geschehen, offensichtlich peinlich berührt. Osse wusste, wie unangenehm es ihm sein mochte, denn er vermied es, das kleine Mädchen dabei anzuschauen.

„Was ist es?”, fragte er stattdessen knapp. „Ist die Musik nun etwa in die Tiefe gedrungen?”

„Nein. Ich denke, es sind die Chaosgeister. Es schabt und kratzt!”

„Dann weiter. Wir dürfen nicht stehen.”

„Aber meine Füße sind kalt und tun weh!”

Emberbey seufzte und hob Tíjnje dann auf seinen Arm. Osse kam aus dem Staunen nicht heruas. Er konnte sich nicht erinnern, wann sein Vater einmal Truda umhergetragen hatte.

„Wohin?”

„Ist das nicht egal, Altabete? Weg von hier, bevor sie den Sand aufbrechen wie die Maulwürfe. Es scheint den Mächten zu gefallen, und hier einherzutreiben wie ungezogene Kinder einen Taubenschwarm aufjagen!”

„Nein”, widersprach Merrit heftig. „Die Mächte jagen uns nicht. Die Mächte wachen über uns!”

„Woher willst du das wissen? Hat die Rote Dame dir das gesagt? Böse Zauberei ist das alles, Althopian!”

„Welche Rote Dame?” Láas war verdutzt.

Osse hielt den Atem an. Wenn sein Vater nun unbedacht Merrits ehrfürchtigen Traum von dieser weisen rotgewandeten Frau den großen Jungs vorwarf, dann würde es nicht gut enden. Wenn einer der beiden spotten würde, um Merrit zu uzen, dann würde es ihn böse verletzen. Und den Spötter vermutlich auch, denn Merrits Hand legte sich fest um den Griff seiner Waffe.

„Wir versuchen es noch einmal mit dem Stein”, schlug Osse rasch vor und stellte sich so an Merrits Seite, dass er Láas den Weg versperrte.

Die teirandanja hob das Schiffchen auf und legte den Stein hinein. Beides war ihr zuvor aus der Hand gefallen. Das Lichtlein im Stein glomm immer noch, aber das Boot bewegte sich nicht von der Stelle, obwohl sie geduldig eine Weile warteten.

„Vielleicht kann es auf dem harten Boden nicht mehr fahren.”

„Oder wir sind am Ziel.”

„Am Ziel?”

Osse nickte. Seine Eingebung kam ihm ganz natürlich vor. „Tíjnje hört die Musik nicht mehr. Das Boot hat angehalten. Vielleicht wollen die Mächte nicht, dass wir uns von hier wegbewegen.”

„Aber unter uns graben sich die Chaosgeister an die Oberfläche! Denkst du etwa, die Mächte wollen, dass sie uns erwischen, wenn sie uns behüten, Eulengesicht?”

„Nein. Aber vielleicht erwarten sie, dass wir ihnen vertrauen.”

„Du kannst ja hier sitzen bleiben und dich auffressen lassen, Eulengesicht”, zürnte Láas. Nun, zumindest schien er nicht mehr an der Roten Dame interessiert zu sein. „Ich sehe zu, dass ich weiter komme. Komm mit, Jándris! Tíjnje?”

Aber die beiden antworteten nicht. Tíjnje hatte sich schläfrig an yarl Emberbeys Brust gekuschelt. Jándris schien noch zu zögern.

„Seid ihr etwa Feiglinge?”, stichelte Merrit müde. „Wollt ihr etwa bis in alle Ewigkeit herumlaufen, statt auf die Zeichen zu hören?”

„Majestät, das ist unvernünftig!”

„Was willst du hier denn mit Vernunft? Hier ist nichts, wie es sein soll. Zuhause, da können wir mit Vernunft etwas anfangen. Vernunft funktioniert hier nicht!” Sie hob das Boot mit dem Stein darin auf und nahm den Karfunkel heraus. Das Lichtlein glühte unvermindert.

„Solange das Licht leuchtet, sind wir auf dem richtigen Weg. Nicht wahr, Merrit? Ich glaube, das Licht im Stein ist wie ein Kompass. Vielleicht so einer, wie ihn Magier benutzen, wenn sie Abenteuer in seltsamen verzauberten Gegenden erleben.”

„Keiner von uns ist ein Magier”, gab Jándris zu bedenken.

„Na und? Deswegen kann es doch trotzdem funktionieren? Osse hat doch auch mit dem Brett einen Chaosgeist verprügelt, obwohl er kein Krieger ist!”

Das brachte ihm ganz unversehens anerkennende Blicke von Láas und Jándris ein, die ihm äußerst unangenehm waren.

„Wenn die Mächte mit uns sind und uns Hilfe senden”, sagte er verlegen, „dann wird uns der Stein vielleicht ein Zeichen geben. Pataghíu, Noktáma, oder das Licht, einerlei!”

Kaum hatte er das ausgesprochen, schwoll das winzige Lichtlein in dem Stein jäh an, so als habe jemand es mit einer Flamme befeuert. Der rote Schein erfasste sie und veränderte die Farbe des Zwielichtes ringsum. Alles schien plötzlich wie in klaren, roten Wein getaucht.

Die teirandanja war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. „Das ist schön”, sagte sie verträumt. „So … warm. Ich friere gar nicht mehr.”

„Es ist Zauberei”, ließ yarl Emberbey hören. „Wie hast du das gemacht, Osse?”

„Ich weiß nicht”, gab der Junge verblüfft zu. „Aber es ist tatsächlich schön. Es ist so warm. So wie … wie …”

Er konnte nicht weiter sprechen. Etwas stieg von seinem Herzen auf und verschloss ihm die Kehle. Rasch wandte er Osse sich von seinem Vater ab, damit der es nicht bemerkte, und wandte sich Merrit zu. Sein Freund schwieg. Aber er hatte keine Gewalt über seine Tränen.

„Du spürst sie auch, nicht wahr?”, wisperte er nur. „Deine Mama? Unsere Mütter hätten sicher gewollt, dass die Rote Dame uns hilft!”

Osse nickte. Und dann war es auch um ihn geschehen.

***

„Was machst du da?”, fragte Advon, während er hinter Galéon her durch das Zwielicht wanderte. Sein Zeitgefühl hatte er längst verloren, und dass es sich bei der Einöde aus kaltem hartem Sand unter dem schwarzen Nichts um das Chaos handelte, konnte er sich auch schlecht vorstellen. Nachdem er die Chaosgeister in der Wüste gesehen und von seinen Eltern die Geschichten über das tobende Wasser und die Feuerstürme an den Grenzen des Weltenspiels gehört hatte, hatte er Hektik, Krach, Gefahren und ein Gewimmel erwartet, das einem den Verstand zu rauben drohte. Keine beklemmende Langeweile.

Galéon war von Zeit zu Zeit einfach still stehen geblieben und hatte ins Leere geblickt, als könne er dort etwas sehen, das nicht da war. Dass Advon mit Farbenspiel dabei neben ihm wartete, schien er nicht wahrzunehmen.

Immer, wenn Galéon eine Weile so verharrt hatte, wechselte er beim Weitergehen die Richtung und schien sich nicht daran zu erinnern, was er getan hatte. Auch jetzt war er so in Gedanken, dass er zusammenzuckte, als Advon ihn kurzerhand am Hemd packte und festhielt.

„Kannst du etwas hören?”, fragte er, ohne auf die Frage des Kindes zu antworten.

„Nein. Sollte ich?”

Galéon zuckte die Achseln. „Nun ja, ich hatte erwartet, dass du Dýamirées Stimme hören kannst und herausfindest, wo sie ist.”

„Wieso sollte ich sie denn hören? Sie weiß doch gar nicht, dass wir hier sind. Sie hat keinen Grund, nach uns zu rufen.” Er ließ den báchorkor wieder los und fügte hinzu: „Oder glaubst du, sie schreit, weil die Monster sie jagen?”

„Die Monster, die ihr etwas anhaben könnten, werden gerade von deinen Eltern und den arcaval’ay hierher zurückgejagt. Wir müssen Dýamirée finden, bevor es so weit ist. Gegen die echten Chaosgeister sind wir machtlos.”

„Und deswegen suchst du das Signal, von dem du geredet hast?”

„Nein. Das Signal suche ich, weil ich verhindern muss, dass diejenigen, die sich sonst noch hier aufhalten, zu Schaden kommen. Dýamirée ist deine Mission.”

„Meine Mission?”

„Ja. Alles, was du zu tun hast, ist sie zu finden und zu verhindern, dass ihr etwas Schlimmes geschieht.” Der junge Mann lächelte flüchtig. „Farbenspiel wird dir bestimmt dabei helfen.”

„Farbenspiel?”

„Farbenspiel ist dein Werkzeug. Und dein Gefährte. Ihr seid unzertrennlich, du und er.”

„Und du?”

„Ich? Nun … ich erledige das übrige.”

Advon zögerte einen winzigen Moment. Was mochte das Übrige sein? Wer außer ihnen mochte noch hier umherirren und auf Galéons Eintreffen warten? War das nun der richtige Moment, um danach zu fragen? Aber wann, wenn nicht jetzt, konnte er es so rundheraus tun?

„Wer hat dich auf deine Mission geschickt, Galéon? Und seit wann weißt du, dass du eine hast?”

„Was weißt du über die Magie, die die Mächte ins Weltenspiel gegeben haben?”

„Du meinst, was ich über die arcaval’ay und die camat’ay weiß? Na, alles eben. Pataghíu hat Mama und ihre Schwestern ins Weltenspiel gesetzt, damit die Regenbogenritter die Chaosgeister im Chaos halten.” Advon unterbrach sich und schaute sich um. Wenn es danach ging, hatte die Sache ja nicht gerade viel genutzt, immerhin war hier gerade kein Chaosgeist weit und breit. Dies war ein von allen Geistern verlassenes Chaos. „Und Noktáma hat so etwas Ähnliches mit den Leuten von Dýamirée gemacht. Und dann ist ein verrückter Schattensänger gekommen und hat die Chaosgeister freigelassen, und … das weißt du doch alles! Du erzählst den Leuten doch bestimmt immerzu Geschichten von den Mächten und dem Widerwesen und dem Weltenspiel.”

„Schattensänger, Regenbogenritter, fajíaé … und?”

„Und was?”

Galéon blieb stehen. „Und vielleicht die Magier, von denen selbst fajíaé und Regenbogenritter vor den Ohren von Kindern nicht reden. Und ich verstehe, warum das so ist. Aber es macht mir die Sache wirklich nicht leicht. Es ist so unnötig. Es hat doch gar keinen Zweck, es zu verheimlichen.”

„Was?”

„Du bist jung und unschuldig und behütet, Advon Irísolor. Im Cielástel gab es keinen Grund, dir davon zu erzählen. Vielleicht hielt deine Mutter es nach all der Zeit auch für müßig. Vielleicht hat Ovidáol auch schwer daran gearbeitet, sie abzulenken. Aber … ist dir nie die Idee gekommen, dass auch das Licht seine Diener hat?”

Advon tastete verunsichert nach Farbenspiels Hals. Der Schweiß darauf von dem anstrengenden Flug war längst zu zartem Reif gefroren und saß im Zwielicht glitzernd an den Spitzen seiner Mähne. Die Ungeheuerlichkeit, die Galéon ihm da gerade in den Kopf gesetzt hatte, war verstörend. Trotzdem verspürte Advon weniger Unbehagen, als vernünftig gewesen wäre. Stattdessen erfasste ihn urplötzlich eine sehr seltsame Ehrfurcht.

„Du bist ein vom Licht erwählter Magier?”, fragte er ehrfürchtig.

„Nein. Noch nicht. Vorerst bin ich nur ein kleiner báchorkor mit mystischen Träumen und einer groben Vorstellung von kleinen nützlichen Zaubereien. Ich muss mich meines Meisters würdig erweisen, bevor ich mich allen Ernstes zu den Magiern zählen dürfte. Deshalb bin ich hier.”

„Du hast einen Weg ins Chaos geöffnet!”

„Nein, habe ich nicht. Das Portal war längst offen, wie auch immer das zugegangen ist. Alles, was ich gemacht habe ist, Dýamirées Mutter dazu zu bringen, den Sturm so zu bändigen, dass er uns nicht in der Luft zerfetzt, und dich zu bitten, mich auf Farbenspiel hier hinauf und hinein zu bringen.”

„Nein.” Advon schob energisch den Gedanken beiseite, der báchorkor hätte all das hier lediglich inszeniert, um ein Einhorn als Reittier zur Verfügung zu haben. „Galéon, das glaube ich nicht. Du hast mich doch nicht wirklich austricksen wollen! Du … bist doch wirklich mein Freund, oder?”

„Ich musste nicht tricksen, Advon Irísolor. Du hast doch dasselbe Ziel wie ich. Das Weltenspiel hat uns auf diese wunderliche Art zusammengeführt, damit wir einander helfen und gemeinsam wirken.”

„Und wie lange weißt du von deiner Mission?”

„Länger, als ich gedacht habe. Aber ich bin wohl etwas schwer von Begriff und musste mich erst mit Úldaise Tiáramalé anlegen, um es zu verstehen.”

„Und was ist nun deine Mission?”

„Ich will …”

Farbenspiel schnaubte. Advon legte den Finger an die Lippen, und Galéon verstummte. Das Einhorn reckte den Hals vor und blähte die Nüstern auf. Dann begann es, mit der Vorderklaue zu scharren, und bleckte die Zähne.

***

Die Musik, die sich in Waýreth Althopians Verstand eingeschlichen hatte, war verstummt. Aber sie hatte ihren Zweck erfüllt. Indem er den herrlichen Klängen nachgegangen und die anderen ihm gefolgt waren – sicher nicht, ohne sich Gedanken über seine Zurechnungsfähigkeit zu machen – waren sie sicher von dem Sandhügel hinab und wieder in das Zwielicht hinein gelangt; zurück in eine Art gnädiger Blindheit, die die verstörende, abscheuliche Schwärze von ihnen verbarg. Einen Augenblick lang hatte Althopian damit gezögert, den anderen einzugestehen, dass er nichts mehr hörte. Er hätte sie in alle Ewigkeit, oder bis zum nächsten Angriff der Chaosgeister dort herumführen können, ohne dass sie es in Frage gestellt hätten. Aber das wäre ihm unehrenhaft vorgekommen, und so wandte er sich demütig an seine teiranday und die beiden yarlay.

„Es ist verstummt. Oder aus Reichweite meines Gehörs, Majestät.”

Grootplen seufzte hörbar, aber es kam kein Vorwurf.

„Es ist gut, Herr Waýreth. Möglicherweise ist, was immer Ihr vernommen habt, nur oben auf dem Hügel zu hören.”

„Und dann”; ergänzte der teirand die Worte seiner hýardora, „war es vielleicht ein übler Trug, der uns erneut in die Irre führen sollte. Gehen wir weiter.”

Sie setzten sich wieder in Bewegung. Kalt war ihnen, das Laufen auf dem gefrorenen Sand mühsam und unbequem, denn der Boden passte sich nicht mehr ihren Schritten an. Am meisten schienen die teiranday zu leiden, Kíaná von Wijdlant mit ihren dünnen bestickten Damenschuhen und Asgaý von Spagor mit seinem legeren Schuhwerk. Doch nicht nur der Boden war kalt. Der Frost stieg von dort hinauf und drang ihnen durch die Gewänder bis auf die Haut, denn hier gab es nichts, was sie irgendwie hätte aufwärmen können. Von daher, so redete Althopian es sich ein, war es das vernünftigste, wenn sie in Bewegung blieben. Aber wie lange noch? Irgendwann würden sie so erschöpft sein, dass sie schlafen mussten. Und dann wäre es nur Zufall, ob die Chaosgeister im Nebel sie überwältigten oder sie erfrieren würden. Das wäre dann vielleicht doch der Weg hinter die Träume, nach dem Alsgör Emberbey gesucht hatte. Ach, der arme alte Alsgör … Man musste ihn zu nehmen wissen, dann kam man gut mit ihm aus und wusste einen loyalen Freund an seiner Seite. Dass das Weltenspiel ihm so zugesetzt hatte, und schließlich der Verlust seiner Gefährtin …

Waýreth Althopians Gedanken schweiften ab. Das Verhältnis von Alsgör zu seiner Dame war zweckgetrieben und dies niemals ein Geheimnis gewesen. Die Dame hatte bei ihm Sicherheit und ein standesgemäßes Zuhause gefunden, er die Hoffnung auf einen späten Nachfolger. Respektvoll und zuvorkommend behandelt hatte er die Dame und vielleicht sogar auf seine schroffe Art Zuneigung zu ihr empfunden. Er selbst aber, Waýreth Althopian, er und seine hýardora … bei den Mächten, wie sehr hatte er die Dame geliebt und ihr alles Glück der Welt schenken wollen. Seine Dame …

Althopian seufze bei der Erinnerung. Fast konnte er das Duftwasser riechen, mit dem sie sich die Haare gewaschen hatte, fast spüren, wie sie duftig und seidig seine Wangen berührten, wenn sie Stirn an Stirn und Arm in Arm lagen und sich geschworen hatten, einander niemals allein zu lassen. Wenn er nun nicht vor aller Augen in Tränen ausbrach. Wenn sie doch wenigstens Merrit finden würden, den, der ihm von ihr geblieben war. Wenn –

„Scht!” Andriér Altabete bedeutete ihnen, zu warten und zu schweigen.

Dann bedeutete er ihnen mit den knappen Gesten, die yarlay für eben solche Fälle verwendeten, in denen sie nicht laut reden konnten, was er bemerkt hatte.

Pferd, deutete er ihnen an.

„Pferd?”, wisperte der teirand verständnislos. „Wo soll denn hier ein Pferd herkommen?”

Daap Grootplen verdrehte die Augen, fassungslos über die Sorglosigkeit seines Herrn. Die teiranda legte ihrem hýardor rasch ihre Finger vor den Mund.

Tatsächlich. Nicht weit von ihnen, aber tief im Nebel, scharrten Hufe und schnaubte etwas, etwas, das ziemlich groß sein musste. Ein berittener Chaosgeist? Oder, so absurd das sein mochte, ein einfaches Pferd, das irgendwie ins Chaos geraten war, das arme, unschuldige Ding?

Die drei Ritter ließen ihren teirand stehen. Wenn es eine Gefahr auszukundschaften und abzuwehren galt, dann war das ihre Sache. Mochte der Asgaý von Spagor seine hýardora schützen und die ernsthaften Geschäfte ihnen überlassen. So kam er ihnen wenigstens nicht in den Weg.

Andriér Altabete, Daap Grootplen und Waýreth Althopian packten ihre Waffen und stießen tapfer in den Nebel vor.