
Yalomiro hatte den Autgenblick exakt abgepasst. In dem Moment, in dem der Blitz den Turm einen sichtbaren Schatten werfen ließ, hatte er zugepackt, den alten, gebrechlichen Körper, die frevelhafte Maskerade unter seinen Händen gespürt und ihn hinabgezerrt, den Verräter, den Verfluchten, den, der Noktáma gelästert, nach der Macht gegriffen und so viel dabei zerstört hatte. All die unschuldigen Menschenleben, die dabei sinnlos ausgelöscht worden waren, gar nicht eingerechnet.
Der Köder hatte seinen Zweck erfüllt. Natürlich hatte der Verfluchte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seinen Zauberstab zu bergen. Yalomiro hatte ihn mit Bedacht den Turm hinab geworfen, er aus einer Eingebung heraus exakt am Fuß des Turmes platziert. Schade nur, dass er diesen Plan nicht zuvor mit dem Goldenen hatte absprechen können. Das hätte weniger Verärgerung bedeutet. Nun, vielleicht würde später noch genug Zeit sein, um den Zorn des Hellen Magiers zu besänftigen. Bei dem, was er vorhatte, konnten Pataghíus Diener ohnehin nicht helfen. Mochten die Hellen Magier tun, was ihr Geschäft war und Ungeheuer bekämpfen. Das hier, das wahre Monster, das war seine Sache. Bei den Mächten, was hatte Ovidáol sich dabei gedacht, sich an der Schöpfung des Widerwesens zu bedienen, aus einer kindischen Machtphantasie heraus!
Der Verfluchte war überrascht, zu überrascht, um sich sogleich zu wehren. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass der so offenkundig entkräftete Schattensänger so schnell von der Spitze des Turms herabkommen würde. Dann aber bäumte er sich auf, trat um sich und versuchte, sich aus Yalomiros Griff zu winden. Dabei musste er etwas loslassen, etwas, das er mit sich gerissen hatte und nun geistesgegenwärtig von sich stieß. Aber das bemerkte Yalomiro kaum, so sehr flammte die Wut in ihm auf und der Rausch, den Verfluchten mit einem simplen Trick in seine Gewalt gebracht zu haben, auf ein Terrain, wo es nur sie beide kam und nicht erneut Unschuldige in etwas hineingerissen würden, was nur mit Blut und Tränen zu kontrollieren war.
Verfluchter Kerl!, geiferte Ovidáol. Yalomiro war für einen kurzen Augenblick überrascht, die brüchige Stimme eines alten Mannes zu hören, sie sich wie eine Maske aus Papier über die wahre, die voll tönende, machtvolle Gedankenstimme des Verfluchten legte, die hier in Noktámas Domäne widerhallte. Wahrscheinlich war es das erste Mal, seit Ovidáol den unaussprechlichen Frevel begangen hatte, sich Menschenkörper als Verkleidung anzulegen, dass auch wieder seine wahre Stimme erklang. Yalomiro hatte angenommen, die Greisin zu packen zu bekommen, aber offenbar beherrschte Ovidáol zumindest noch die Fähigkeit, seinen Körper zu wandeln und von einem zum anderen zu wechseln. Ein jämmerlicher Rest der berauschenden, der unerreichten Fähigkeiten, die er einst gehabt haben musste. Ovidáol trampelte und trat um sich. Stark war er, aber diese Kraft war in einem uralten, zerbrechlichen Körper gebannt. Wenn er es übertrieb, dann würde Ovidáol das arme Gefäß, dessen er sich bemächtigt hatte, selbst zerbrechen.
Vielleicht wäre das gar nicht schlecht. Der ursprüngliche Besitzer dieses Köpers war ohnehin längst hinter den Träumen. Möge er dort Frieden haben, dieser arme alte Unkundige, der zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Wie abscheulich, dass sein Leichnam auf diese abscheuliche Weise geschändet wurde.
Gefällt es dir hier nicht?, zischte Yalomiro. Erkennst du diesen Ort? Fühlst du dich hier etwa nicht mehr wohl?
Verhornte Altmännerfingernägel kratzten nach seinem Gesicht. Der Verfluchte wand sich wie eine Schlange, konnte sich ein wenig mehr Beweglichkeit erringen. Tückisch trat er nach seinem Gegner. Yalomiro wich ihm aus, spürte einen heftigen Stoß gegen sein Schienbein und warf sich wütend auf den Greis.
Unter normalen Voraussetzungen hätte aus ihrem Gerangel eine sehr ungleiche Prügelei werden können, aber das war hier, im Schatten nicht möglich. Hier, an diesem Ort, an dem nur Schattensänger sich mit Noktámas Duldung bewegen konnten, gab es kein Oben und Unten, nicht in dem Sinne, wie er im Weltenspiel herrschte. Yalomiro wusste, wenn er den Verfluchten losließ, dann würde es sehr schwierig werden, seiner wieder habhaft zu werden. Aber nur hier, in Noktámas Domäne, da gab es eine Chance, den Verfluchten niederzuringen. Es war lästerlich und unrühmlich, das wohl. Aber musste Noktáma nicht ein Interesse daran haben, ihren abtrünnigen Diener wieder ordentlich in ihrer Partie zu haben, nach all der Zeit, in der er sich vor ihr hatte verstecken können?
Was soll das, Kerl?, keifte die nun fadenscheinige alte Männerstimme über der vollen, dröhnenden des Verfluchten. Du kannst hier nicht kämpfen! Du kannst hier nicht zaubern!
Ich weiß, keuchte Yalomiro, verblüfft über die Gegenwehr des Alten. Und du auch nicht, selbst wenn du die Macht dazu hättest! Hier sind unsere Chancen gleich!
Das ist lächerlich! Das ist unwürdig!
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich in den Schatten mit einem Magier prügeln muss! Dass sein erster Kampf in Noktámas Domäne damit geendet hatte, dass sein Gegner ihn in eine furchtbare Zwischenwelt weitab der Dunkelheit gezerrt hatte, sagte er besser nicht.
Wie erbärmlich! Ovidáols Hand grabschte erneut nach Yalomiros Gesicht, zielte auf seine Augen. Und nun? Willst du mich mit bloßen Händen umbringen?
Wenn es nötig wäre?, presste Yalomiro hervor.
Ovidáol lachte und hart stieß sein Knie nach ihm. Töricht! Ein Narr bist du, dich mit mir anzulegen!
Bist du so sicher? Yalomiro schlug die knochige Hand beiseite. Ist es nicht Aufgabe des Schülers, das Werk des Meisters zu vollenden?
Ha! Du denkst also, Askýn hätte Hemmungen gehabt, mich zu töten, damals?
Ja, das glaube ich! Meinem Meister war jedes Leben heilig! Dass Noktáma über dich urteilt, darauf hat er wohl vertraut! Und das ist mein Ansinnen!
Und was treibt dich, Yalomiro Lagoscyre? Blutdurst? Rache? Deine Arroganz? Gelüstet es dich danach, der zu sein, der den mächtigen Ovidáol vom Weltenspiel vertilgt?
Oh nein, gab Yalomiro zurück und versuchte, die Hand abzuwehren, die immer fester gegen seine Brust drückte, fast, dass es ihm Rippen zu brechen drohte. Ich will nur, dass derselbe Wahnsinn nicht noch einmal losbricht! Ich will, dass es ein Ende hat!
Und dafür würdest du ernsthaft töten, Yalomiro Lagoscyre? Dafür würdest du deinesgleichen morden, wie ein dreckiger dummer Unkundiger?
Wenn ich meine Seele hergeben muss, um dich zu stoppen, behauptete Yalomiro, dann soll es so sein!
Ovidáol lachte schallend. Und dann war er plötzlich über dem jüngeren Schattensänger, seine Hand krallte sich um Yalomiros Hals.
Du dummer, eitler Kerl!, spottete der Alte. Du einfältiger Trottel! Während wir uns hier unter Noktámas Augen schlagen wie die Gossenkinder, sind meine Chaosgeister auf dem Weg gen Norden! Alles, was du erreichst, indem du mich mit deinem kindischen Getue aufhältst, ist nur, dass die Vernichtung planlos und beliebig wird, wie es ihnen einfällt! Nicht, dass das für die Unkundigen eine Rolle spielt!
Noktáma wird dich strafen, keuchte Yalomiro. Nein: Das Widerwesen wird dich strafen für deine Anmaßung!
Ach, geiferte Ovidáol spöttisch, Jetzt rufst du nach deiner Mama? Ob du es wissen willst oder nicht, du törichter Kerl, Noktáma und Pataghíu können gar nichts mehr ausrichten, nicht mehr als aus den Trümmern ihres Weltenspiels ein neues aufzubauen. Wir werden sehen, wie weit sie damit kommen, mit ihrer feinen Puppenstube!
Und wenn wir beide hier umkommen und zu ruhelosen Schatten werden, ächzte Yalomiro, dann hast du doch noch lange nicht gewonnen. Die arcaval’ay werden wohl herausfinden, was dein Stab tatsächlich kann! Mir mag es reichen, dich solange aus ihrem Weg zu schaffen und hier festzubannen!
Yalomiro hörte sein eigenes Blut in seinen Adern pochen. Der Alte drückte ihm mit unmenschlicher Kraft den Hals zu. Aber natürlich gelang es ihm nicht, Yalomiro zu ersticken. Darüber schien Ovidáol verwirrt, aber es hielt ihn nicht ab, weiter zu prahlen.
Arcaval’ay und fajíaé werden meine Geheimnisse nie entschlüsseln! Ich würde mich sehr wundern, wenn Askýn, der widerliche Emporkömmling, nicht sein Leben lang darüber nachgerätselt hätte! Wahrscheinlich hat er darüber seinen Verstand gänzlich verloren! Er war doch am Ende närrisch geworden, habe ich nicht recht?
Woher wusste Ovidáol das? Und was mochte er noch wissen?
Hattest du Kenntnis, was im Boscargén geschehen war?
Ich wusste, dass ein Rotgewandeter die Gelegenheit genutzt hat, seine Rache zu nehmen. Sollte er. Nur gut für mich. Weniger verblendete Tölpel zwischen mir und meinem Werkzeug.
Meine hýardora wird den arcaval’ay helfen, dein Werkzeug zu entschlüsseln und den einen Zauber herauszuholen, den du für die Chaosgeister gewirkt hast!
Deine hýardora? Nun lachte der alte Mann abscheulich. Wo immer dieses … Ding hergekommen, warum auch immer du dich zu Lüsternheit hast hinreißen lassen – dieses dumme, hässliche, widerliche Stück wird den arcaval’ay nichts nützen. Wo hast du sie hergehabt, die unkundige Dirne, und wie ist es ihr bekommen, dass du sie besprungen hast? Hatte sie Vergnügen daran? Oder hat sie selbst danach verlangt in närrischer Hitze? Hat sie da, woher sie kam, keinen ihr gemäßen Kerl dafür gefunden?
Yalomiro ließ Ovidáols Handgelenke los. Dann trat er zu. Offenbar hatte er eine empfindliche Stelle getroffen, denn Ovidáol keuchte auf und lockerte seine Umklammerung. Yalomiro wand sich heraus, wirbelte herum.
Kein schmutziges Wort, zischte er und haschte nach dem Alten, bevor der entwischen konnte, und keine ekelhaften Gedanken über meine hýardora!
Ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt, du und die fajía! Mit unkundigem Gewürm herumhuren! Die Keuschheit der reinen Magie beschmutzen, die euch so eilig war! Pfui über dich und Pataghíus liederliche Magd!
Yalomiro stutzte. Er spürte den kostbaren Stoff von Ovidáols Gewand unter seinen Fingern und den rasselnden Atem des Greises in der völligen Schwärze. Offenbar hatte der unwürdige Kampf den alten Körper verausgabt.
Was?, fragte er dann misstrauisch. Was sagst du?
Ovidáols Stimme lachte gehässig und befreite sich dabei endgültig von der seines Menschenkostüms. Bei allem, was seit jenem unheilvollen Tag geschehen ist, damals, als der Cielástel beinahe gefallen wäre, hörte Yalomiro ihn in der Dunkelheit, da hat Pataghíu wohl eine glücklichere Wahl getroffen. Sicher, Cýelú Irísolor ist ein tumber Trottel, ein heldenmütiger Idiot, aber zumindest hat er das, was ihm geschenkt wurde, halbwegs zu nutzen gewusst. Was kann deine Dirne denn wirken mit ihrer Magie, außer schiefen Banngeweben, wie gemacht von einer besoffenen Spinne?
Wovon redest du da?
Noktáma hätte sich denken können, dass es ihr nicht besser gelingen würde. Aber wenn ich dein … Weibchen so anschaue, dann hat die Mutter des Dunkeln sich noch nicht einmal Mühe gegeben, jemanden zu wählen, der neben der Witzfigur mit der Goldrüstung halbwegs statthaft aussieht! Wie jämmerlich, dass Noktáma sich dazu herablässt, Pataghíu seine Narreteien auch noch nachzumachen!
Yalomiro zog den Alten an dessen Mantel zu sich heran. Der Menschenkörper setzte sich nicht zur Wehr. Sonderbar kraftlos schien er ihm zu sein.
Soll das heißen, Cýelú Irísolor ist …
Was denkst du, warum er auch nichts anderes zustande gebracht hat als ein magieloses Balg?
Yalomiro zögerte. Vielleicht länger, als er es sich hätte erlauben dürfen.
Wolltest du mich nicht gerade noch unschädlich machen?, fragte Ovidáol sanft. Wolltest du nicht dein sauberes Herz, deine zusammengeflickte Seele opfern, um das Werk deines Meisters zu beenden? Komm, Yalomiro Lagoscyre, tu dir keinen Zwang an. Willst du mich nicht endlich hinter die Träume bringen?
Yalomiro fühlte sich angewidert. Eine dumpfe Leere betäubte seine Wut. Der Schattensänger ließ den Verfluchten los. Mir ist nicht mehr danach, sagte er leise, drehte sich um und ging fort.
Aber er kam nicht weit. Ovidáol Etaímalar stapfte in dem verbrauchten Greisenkörper hinter ihm her. Kein Wunder, lästerte er, unverkennbar bist du Askýn Lagoscyres Schüler. So weit bist du gekommen, und dann zögerst du, den letzten Zug zu tun? Armselig, dass Noktáma mit dir als ihrem letzten Magier, ihrer letzten kundigen Spielfigur auskommen muss!
Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe dich an den Ort gebracht, an den du gehörst. Noktámas Domäne zu verlassen sollte außerhalb deiner Macht und Möglichkeiten liegen. Was soll ich mir anmaßen, nun noch zu entscheiden, was mit dir geschehen soll?
Wer bist du, Yalomiro Lagoscyre? Noktámas Auserwählter? Noktámas Liebling? Noktámas Kerkermeister? Noktámas Wachhund?
Zumindest bin ich nicht Noktámas fýntar. Und nun lass mich und flehe die Mächte an, dass du hier sicher vor dem Widerwesen bist.
Hast du mich allen Ernstes hergebracht, um mich in meinem eigenen Element einzusperren?
Der Schatten ist nicht mehr für dich, Ovidáol. Wenn nicht mehr von dir geblieben ist als Erinnerungen, die tote Menschenkörper parasitiert haben, dann wirst du in Noktámas Domäne den Verstand verlieren. Dieser Ort ist nicht für Unkundige, und mehr bist du nicht mehr. Ich habe gesehen, wie du nach deinem alten Zauberstab gelechzt hast, wie ein Trunkenbold, der einen zerbrochenen Weinkrug findet und in den Scherben nach den letzten Tropfen sucht. Lass mich zurück zu den anderen, zu meiner hýardora, meinem Kind. Ich will nach Kräften den arcaval’ay beistehen, den Frevel und das Durcheinander, das du im wahnerfüllten Hochmut losgetreten hast, wieder zu ordnen.
Du bist entkräftet und machtlos, Yalomiro Lagoscyre. Deine maghiscal reicht vielleicht gerade noch für einen halben Zauber.
Der reicht mir, um diesen Ort zu verlassen. Mag Noktáma Gnade mit dir haben, Ovidáol. Ich habe hier nichts mehr zu tun.
Er wandte sich erneut ab und trachtete danach, einige Schritte zwischen sich und den Verfluchten zu bringen. Aber Ovidáol verfolgte ihn, ließ ihn nicht in Ruhe. Yalomiro konnte sich denken, warum er das tat. Vielleicht hoffte der einstmals mächtige Magier, den Moment nutzen zu können, in dem er, der nahezu Kraftlose, aus dem Schatten hervortreten wollte. Es war ihm gelungen, den Alten in die Dunkelheit zu ziehen, nur durch die Überraschung war ihm das geglückt. Das würde nun nicht funktionieren, denn nun rechnete er damit. Und Noktáma – sie schwieg und blieb fern. Hatte sie tatsächlich kein Interesse daran, sich um ihre abtrünnige Spielfigur zu kümmern?
Und was hatte diese Rede über Cýelú Irísolor zu bedeuten? War es tatsächlich das Ansinnen der Mächte gewesen, Magie und Unkundiges zu vereinen, so wie er es mit den Zutaten für seine Elixiere tat? Als er damals in das Alter gekommen war, als sein Fluch sich zu manifestieren begann, hatten ihn die Älteren streng ermahnt, dass camat’ay keusch zu bleiben hatten und Noktáma auf strenge Weise sicherstellte, dass es dabei blieb. Hatten Pataghíu und Noktáma ihre eigenen Regeln mutwillig gebrochen, nur um zu sehen, was geschah, wenn sie die Bedingungen änderten?
War ihnen trotzdem misslungen, was sie erwartet hatten? Was hatten sie vorgehabt, mit den arcaval’ay, den fajíaé – mit ihm und Salghiára? Was hatten sie sich davon erhofft?
Yalomiro dachte darüber nach, und was ihm dazu einfiel, über die Ungeheuerlichkeit, die sich dahinter verbergen und doch so vieles erklären würde. Inklusive der Empörung, die Ovidáol Etaímalar empfinden mochte.
Wie ein Hirte, der Schaf und Ziege vereint, goss Ovidáol weiteres Gift nach, und sich dann grämt über das unfruchtbare Missgebilde, das dabei herauskommt!
Yalomiro musste die Gedanken des Alten gar nicht hören. Der Verfluchte hatte ihn verwundet, nicht seinen Körper, nicht seine maghiscal. Die Wunde war winzig klein, vorerst. Wie ein Schnitt an einem Papier beim Öffnen eines verbotenen Buches. Er besann sich, sammelte seine Gedanken ein, brachte sie zum Schweigen.
Noktáma, dachte er, ich habe ihn dir gebracht, den Verräter, den Falschspieler, den Wahnsinnigen, der sich anmaßt, das Weltenspiel zu unterbrechen. Ich habe ihn getrennt von den Wesen, die er hervorgetrieben hat aus dem Chaos! Und nun? Was willst du, das ich tue? Was erwartest du, das ich vollbringen soll? Was erwartest du als Nächstes von mir? Womit kann ich dich als Nächstes belustigen?
Natürlich antwortete sie ihm nicht, warum sollte sie auch? Ihr würde nicht entgangen sein, welcher Ärger und welche Fassungslosigkeit sich ausgehend von dem winzigen Papierschnitt in seinem Vertrauen ausbreitete. Vielleicht wäre es besser, das verbotene Buch zu schließen, bevor der kleine Schnitt zur Unzeit zu einem gewaltigen Riss werden konnte. Es gab Wissen, das weh tun konnte. Das hatte Yalomiro immer geahnt, aber noch nie so deutlich empfunden.
Es sieht so aus, sagte Ovidáol, dass Noktáma Besseres zu tun hat, als sich um dich und mich zu kümmern. Nun, an diesem Ort haben wir Zeit!
Nein, die hatten sie nicht, zumindest er hatte sie nicht. Während er hier mit einer unerfüllten Aufgabe verharrte, tobte im Weltenspiel der Kampf gegen die Chaosgeister, ein Beben, das sich durch das Weltenspiel ziehen konnte wie ein Riss auf einer Eisfläche, nicht zu berechnen in Richtung und Tiefe. Ovidáol hatte mit seinem Irrsinn den Anstoß gegeben, wahrscheinlich, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein, wie sich an dem Sandregensturm beweisen ließ.
Noktáma, dachte Yalomiro ungeduldig, was soll ich tun? Was verlangst du von mir?
Ovidáol schien belustigt. Yalomiro konnte spüren, dass er grinste. War er noch in seinem Körper? Oder hatte er den Ballast abgeworfen, um schließlich eines zu werden mit dem Dunkel, vielleicht das Allerletzte, was er ohne Magie noch zuwege brachte?
Noktáma! Ich flehe dich an!
„Papa?”
Yalomiro keuchte auf. Das war nicht Noktáma gewesen, auch kein Gedanke, kein Trugbild, mit dem Ovidáol ihn provozieren wollte. Er hatte die Stimme gehört, mit seinen Ohren! Hier – in Noktámas Reich, wo kein Laut sein konnte, es sei denn, etwas verzerrte die Dunkelheit mit starker Magie.
Ovidáol hatte es auch gehört. Das Grinsen im absoluten Dunkel wurde immer scheußlicher.
Also doch. Mir war doch, als hätte ich beides mit mir gehabt, das Gör und das andere.
Wie …
Einen hast du erhaschen wollen, Yalomiro Lagoscyre. Gepackt hast du den Wolf, der den Hasen in den Fängen hatte. Halten konntest du nur einen. Und nun … lass uns spielen! Wer fängt ihn zuerst, den Hasen? Oder findest du zuerst den Stab?
„Dýamirée!” Yalomiro rief ihren Namen, entweihte Noktámas Schattenreich mit seiner Stimme, aber der klang vergingt ungehört in der Dunkelheit. Ovidáol lachte, Yalomiro fuhr zornig zu ihm herum … und ins Leere.
„Papa?”, rief Dýamirée, ganz weit fort und direkt an seiner Seite, von allen Seiten zugleich hörte er ihre Stimme, ein überlappendes Echo, das durch das Dunkel auf ihn einstürzte. Wie sollte er sie finden, hier, wo es nur das Dunkel gab und nichts darüber hinaus?
„Papa!”, wimmerte sie, und nun war Entsetzen in ihrer Stimme. „Papa! Papa!!!” Und dann, leise in dem Klanggewirr, das hier nicht sein sollte, nicht sein konnte: „Papa … ich hab Angst!”
Sie würde den Verstand verlieren. Ihr unkundiger kleiner Kindergeist wäre nicht dazu in der Lage, Noktámas Domäne zu begreifen, sich ihr anzuvertrauen. Nicht ohne einen Magier, der seine maghiscal mit ihr teilte.
„Dýamirée! Mein kleiner Stern! Wo bist du?”
Und irgendwo im Dunklen lachte Ovidáol Etaímalar schallend über sein unerwartetes Glück.
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