„Es ist äußerst irritierend, wenn Ihr so neben mir einher flattert”, sagte Cýelú Irísolor unwillig. Der Rabe, der sich wacker in Perlenglanz’ Windschatten hielt, krächzte. Der Regenbogenritter seufzte und öffnete seinen Geist.

Was soll ich anfangen, sagte der Vogel. Mit Eurem Ross könnte ich nicht Schritt halten.

„Wie es Euch beliebt”, sagte Cýelú und trieb das Einhorn weiter, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet. Sie folgten der Straße westwärts nach Aurópéa. Wenn die Kinder miteinander oder auch einzeln auf der Flucht waren, Advon wäre es gewiss nicht eingefallen, allein nach Süden, in die Wüste zu gehen. Warum auch? Da gab es nichts von Interesse.

Ihr glaubt, es sei im Sinn der alten Frau, der Ihr nachjagt, in die Stadt zu gehen?, fragte der Rabe.

„Wohin sollte sie sonst wollen? Hier gibt es nichts weiter, was sie zu Fuß erreichen könnten.”

War Eurem Sohn nicht sein Einhorn entsprungen?

„Woher wisst Ihr das?”

Ich bin ein aufmerksamer Zuhörer.

Cýelú seufzte und brachte Perlenglanz zur Landung, ein paar Schritte abseits der Straße, die durch die Hügel in Richtung der Stadt führte. Die goldenen Dächer zeigten einen sonderbar düsteren Schimmer. Im Norden rückte eine Wolkenfront an, ein Wetter, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Das missfiel ihm und beunruhigte ihn. Aus der Luft hatte er sehen können, dass sich auf dem Weg vor ihnen weder Kinder noch die Alte bewegten. Bei den Mächten, so schnell konnten sie alle nicht aus der Sicht geraten sein. Wo waren sie? Hatte Siledaú den Cielástel vielleicht noch gar nicht verlassen, und sie waren nicht hinter ihr her, sondern dieser abscheulichen Betrügerin vorausgeeilt?

Dass der Schattensänger nun Farbenspiel erwähnte, an den er selbst bei der ganzen Aufregung kaum noch gedacht hatte, änderte die Sache. Wenn der Junge irgendwie doch mit dem Tier unterwegs war? Vielleicht war er losgelaufen, nicht um mit dem kleinen Schattensängermädchen vor Siledaú zu fliehen, sondern ganz unabhängig davon, um sein über alles geliebtes Reittier zu finden? Advon hatte eine ganz besondere Beziehung zu dem halbwüchsigen Einhorn, das hatte ihm der unkundige Stalldiener schon mehr als nur einmal berichtet. Dennoch … wenn der Junge sich wieder einmal über die Grenzen hinweggesetzt hatte, die er und Elosál ihm zu seiner eigenen Sicherheit zogen… bei den Mächten, dann war er in Gefahr!

Advon war nicht zum ersten Mal allein in die Wüste geritten. Cýelú konnte die Faszination seines Jungen für Soldesér nachempfinden, auch wenn er es nicht gutheißen konnte. Die Weite, die Stille, die waren ebenso verlockend wie gefährlich.

Der Schattensänger folgte ihm zu Boden und kehrte, noch halb im Flug, in seine Menschenform zurück. Cýelú saß ab und erlaubte Perlenglanz, das drahtige Gras am Straßenrand zu untersuchen.

„Es wäre möglich, nicht wahr?”, fragte der Schwarzgewandete und kam näher. „Wenn er seinerseits ein Reittier hat, dann könnte er nun überall sein. Wohin könnte es ihn ziehen? Und könnte es sein, dass er meine Tochter mit sich zieht? In irgendeine Verantwortungslosigkeit hinein?”

„Wie könnt Ihr es …”

„Als ich in seinem Alter war”, unterbrach der Schattensänger gelassen, „hat mein Meister mich fast täglich für unbedachten Übermut gerügt. Es sind Kinder.”

„Ach. Ich … ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr”, murmelte Cýelú und schaute trotzig zu Straße hin.

„Ist das da im Norden eine hier übliche Wetterlage?”

„Nein. In der Tat nicht. Das sieht mir nach einem ungewöhnlich starkem Regensturm aus, der über den Montazíel gekrochen kommt.”

„Was heißt das?”

„Seid Ihr gekommen, um mit mir über das Wetter zu reden? Nun gut. Wie Ihr ahnen könnt, wenn Ihr Euch umschaut, regnet es hier nicht häufig. Aber wenn, dann gehen Sturzfluten nieder, als ergieße sich das Meer über die Wüste.”

„Gibt das nicht jedes Mal entsetzliche Zerstörung und Überschwemmungen?”

„Nein. Der Boden ist durchlässig wie ein Schwamm und trinkt sich für viele Monde satt, füllt die Zisternen. Wäre dem nicht so, würden hier keine üppigen Gärten sein, denkt Ihr nicht auch?”

„Ich verstehe.”

„Was schert Ihr Euch ums Wetter, wenn … wenn Eure Tochter hier irgendwo umherirrt?”

Der Schattensänger zuckte die Achseln und schaute nach Süden, dort, wo Noktáma sich langsam anschickte, mit ihrem dunklen Schleier den Himmel zu bedecken. „Haltet meinesgleichen nicht für unbedarft, Meister Cýelú. Man hat mich gelehrt, dass ein Regensturm hier, wenn er kommt, aus der Wüste nahen sollte, nicht von den Bergen. Haltet mich stattdessen für misstrauisch, denn solches Wetter irritiert mich, wenn ich annehmen muss, dass Dýamirée hier möglicherweise allein herumläuft, selbst wenn Euer Sohn sich mit seinem Ross anderswo tummelt. Zum Glück liebt meine Tochter den Regen und in den Pfützen zu tanzen. Trotzdem wäre ich erleichtert, wenn sie das in Gesellschaft täte.”

„Ihr seid sehr anstrengend zu ertragen, ist Euch das bewusst?”, fragte Cýelú matt.

„Tatsächlich? Nun, ich bin zumindest froh, dass ich Euch eher lästig als gefährlich scheine. Immerhin stehen wir uns gerade auf freiem Feld gegenüber, ohne jemanden, der mich davon abhalten würde, Euch auf Leben und Tod anzugreifen.”

„Glaubt nicht, dass ich Angst vor Euch habe!”

Der Schattensänger erlaubte sich ein knappes Lächeln. Dann überschattete auch sein Gesicht wieder die Besorgtheit um seine Tochter. Seltsam, ging es Cýelú durch den Kopf. Wie sehr doch die Sorge miteinander verbinden kann. Er schaute trotzig auf seine Füße. Die Gelassenheit des Schwarzmantels war auf seltsame Weise tröstlich und trieb ihn zugleich zur Ungeduld.

„Also”, fragte der Schattensänger. „Dies ist Eure Domäne. Was schlagt Ihr vor?”

„Seid Ihr in der Lage, die Gegenwart Eurer Tochter zu spüren?”, fragte der Goldene kleinlaut. „Habt Ihr geheime Sinne dafür?”

„Nein. Es wäre anders, wenn Sie Magie in sich trüge, die würde ich aufspüren können. Aber ein unkundiges Wesen … nein. Nicht auf diese Entfernung. Ebenso wenig, wie Ihr Euren Sohn erahnen könnt, nicht wahr?”

Cýelú nickte. Vielleicht war es das Beste, nun direkt danach zu fragen.

„Wieso haben die Mächte unsere Kinder nicht mit Magie versehen?”, fragte er bitter. „Ist es eine Strafe für etwas, das wir Väter verkehrt gemacht haben? Etwas, womit wir die Mächte verärgert haben? Habt Ihr darauf eine Antwort?”

„Wieso plagt Euch Euer Gewissen so sehr, Cýelú Irísolor? Habt Ihr eine so große Last auf Eurem Herzen, dass Ihr Euch nicht an Eurem Kind erfreuen könnt, wie es ist?”

Cýelú schnaubte unwillig. „Seid Ihr ehrlich. Könnt Ihr es? Könnt ihr in Eurer dunklen … Eitelkeit ertragen, dass das Kind nicht Euersgleichen ist?”

„Ich gebe zu, dass meine hýardora und ich uns mehr als selten fragen, welchen Plan Noktáma mit ihr hat. Der Unterschied zwischen mir und Euch mag sein, dass niemand versucht hat, unsere Ratlosigkeit als Waffe gegen uns zu kehren.”

„Was? Wie meint Ihr das?”

„Womit hat diese wunderliche alte Frau, die ebenfalls nicht hier in der Gegend zu sein scheint, Euch gepackt, Meister Cýelú? War sie es, die Euch eingeredet hat, die Mächte hätten Euch mit einem unkundigen Kind gestraft?”

„Wie? Nein! Nein! Wie kommt ihr dazu, so etwas zu sagen!”

„Weil Ihr die Schuld für etwas, was keine Schuld ist, bei Euch sucht. Ich vermute, diese wunderliche Seherin, für die Ihr sie haltet, hat irgendeine unschuldige kleine Schwäche an Euch entdeckt und gegen Euch gewandt.”

„Das ist Unsinn!”

„Es sind Fragen, die sich mir aufdrängen. Anders lässt es sich mir nicht erklären, was einen ehrenwerten, mächtegefälligen Mann wie Euch dazu treibt, Frieden zu brechen, einen Diebstahl im Sinn sich an einem Kind zu vergreifen und das auch noch über das Leben eines Menschen hinweg, der sich selbstlos dazwischen stellte. Ihr habt immerhin in Eurer Verblendung einen Euch gänzlich fremden Ritter niedergemacht. “

Das war zu viel! „Schweigt!”, fuhr Cýelú den dunklen Magier an und warf ihm impulsiv einen Stoß heißer Magie entgegen.

Der Schattensänger parierte den Angriff geistesgegenwärtig und formte seine maghiscal zum Schild. Hinter diesem Schutz fügte er hinzu: „Und nervös seid Ihr noch dazu. Wie gerne würde ich verstehen, was diese alte Frau Euch angetan hat und wie ich es zurechtrücken kann.”

„Bei mir muss nichts zurechtgerückt werden!”

„Wann, Meister Cýelú, ist diese alte Frau bei Euch vorstellig geworden? War es, bevor oder nachdem Pataghíu Euch das unkundige Kind geschenkt hat?”

„Das geht …” Cýelú stutzte. Dann ließ er seine Hand sinken. Dieser impertinente, neugierige und arrogante Kerl würde ihn doch nicht in Ruhe lassen. „Er war ein paar Tage alt.”

Der Schattensänger ballte seine Faust, knüllte seinen Schild darin zu einem silbrigen Ball aus zartfunkelndem Licht und begann versonnen, damit zu spielen.

„Erzählt Ihr mir davon?”

„Hier und jetzt? Wir müssen die Kinder finden!”

„Meines Erachtens müssen wir uns vorab auf eine Strategie einigen, um diese alte Frau abzuwehren. Habt Ihr Euch denn überhaupt nicht gefragt, was sie mit dem alten Stab anzufangen gedenkt?”

„Schon”, gab er zu. „Aber immer wenn ich danach fragte, sagte sie mir, es sei wichtig, dass das Ding in unserem Besitz sei. Sie sagte, im Norden erhebe sich eine Gefahr, die die arcaval’ay, den Cielástel und Aurópéa zugleich vernichten würde. Die vollenden würde, was dem Verfluchten damals nicht gelungen ist.”

„Sie gab sich den Anschein, dass meinesgleichen einen Weg gefunden habe, das alte Ding irgendwie zu erneuern und noch machtvoller zu machen, als es damals schon war?”

„Sie sagte, wenn das geschähe, dann wäre es das Ende von Elosál und Advon und den Sieben. Und da … immer wieder lag sie mir damit in den Ohren. Immer schrecklicher und grausamer war das, was sie mir ausmalte. Und …”

„Erspart mir und Euch den Rest. Ich sehe, auf welche Weise sie Euch bei Eurem eigenen Willen gepackt hat.”

„Tatsächlich?”

„Natürlich. Oder ist es nicht Euer innigster und einziger Wunsch, alles Unheil von Eurer hýardora und dem Jungen abzuwenden? Wollt Ihr etwa nicht mit all Eurer Macht und Magie, dass das, was die alte Frau Euch prophezeit hat, nicht eintritt, koste es Euch, was es wolle?”

Cýelú schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich weiß nicht …”

„Glaubt mir. Und glaubt mir auch, dass es bei mir ganz ähnlich war. Ich habe meinerseits nichts anderes gewollt, als mein Kind wieder in Sicherheit zu bringen. Und ich verfluche mich in diesem Moment, dass ich tatsächlich darauf hineingefallen bin und den Stab hergebracht habe.”

„Dann ist er gefährlich?”

„Nicht, solange er unerreichbar im Cielástel liegt, bewacht von meiner hýardora und Euren Leuten. Ich weiß, dass Ihr mich ins Chaos wünscht, Meister Cýelú, aber Ihr solltet es mir anrechnen, dass ich in vollem Bewusstsein dessen, was hätte geschehen können, meine geliebte hýardora den arcaval’ay anvertraue. Ich weiß, dass sie bei Euch im Cielástel sicher ist, falls hier die Geschehnisse eskalieren. Verhindern müssen wir nur, dass die Alte das verfluchte Ding irgendwie durch List in ihre Hände bekommt.”

„Aber hattet Ihr nicht mehrfach gesagt, der Stab sei zerbrochen und unnütz?”

„Nicht nach dem, was ich nun weiß. Los, Meister Cýelú, auf zurück in die Luft. Über Einzelheiten disputieren können wir später immer noch. Es …”

„Meister! Meister!”

Die beiden Magier schauten verwirrt zur Straße. Ein Reiter preschte dort heran, so schnell, dass seinem Pferd Schaum vom Maul flog. Er gestikulierte wild und wäre fast die Böschung hinunter gestürzt, als er versuchte, den Weg abzukürzen. Perlenglanz hob den Kopf und stellte seine imposanten Schwingen auf, als das viel kleinere, flügellose Tier heran jagte.

„Wer ist denn das?”, fragte der Schwarzmantel überrascht.

„Keine Ahnung.” Cýelú griff nach den Zügeln seines Einhorns. „Sieht aus wie ein meadlor des konsej, dem Gewand nach zu sprechen.”

Sie warteten, bis der junge Mann nahe genug war und sich mühte, sein vor dem riesigen Einhorn scheuendes Ross unter Kontrolle zu bringen.

„Was gibt es?”, fragte Cýelú Irísolor.

„Bitte, wartet, Meister! Mir folgt eine Sänfte nach. Der sinor Saháalír, mögen die Mächte ihn uns noch viele Sommer erhalten, bemerkte Euer Einhorn in der Luft. Er hat ein dringendes Anliegen.”

„Worum geht es?”

„Ich weiß nicht, Herr. Er hat mich schleunigst vorangeschickt, bevor Ihr weitergeflogen wäret.”

„Ich habe jetzt keine Zeit für den ehrenwerten sinor. Wir sind in einer eiligen Sache unterwegs. Bis die Sänfte hier ist …”

„Es hat sicher etwas mit dem sinor Úldaise Tiáramalé zu tun”, brachte der junge Mann flehend hervor. „Sicher ist es keine Kleinigkeit.”

Cýelú runzelte die Stirn. „Nun. Wenn dein Herr sich schon die Mühe macht, die Stadt zu verlassen, so kurz vor einem Sturm …”

„Dann laufen wir ihnen doch entgegen”, schlug der Schattensänger vor.

Cýelú stieg auf und lenkte Perlenglanz hinauf auf den Weg. Der berittene maedlor folgte ihm in respektvollem Abstand. Der Schattensänger verzichtete in Anwesenheit des Unkundigen darauf, sich zu verwandeln und ging eilig hinter ihnen her.

Zumindest bewegte die Sänfte, die ihnen entgegenkam, sich ebenfalls so schnell, wie es mit den beiden Tragemaultieren ging. Angenehm war das sicher nicht für die beiden Insassen, die Cýelú beim Näherkommen als den uralten Stadtältesten und eine der ältesten Damen erkannte. Cýelú war beiden bei formellen Gelegenheiten einmal begegnet, doch er erinnerte sich nicht an Details. Aber es bedrückte ihn, zwei so alte Unkundige zu sehen. Im Cielástel war die Vergänglichkeit so … fern.

„Ehrenwerte sinora? Sinor?”, fragte Cýelú und verneigte sich, allerdings ohne abzusitzen.

„Meister Cýelú”, sagte der alte Mann und verneigte sich höflich. „Seht mir bitte nach, dass ich sitzen bleibe. Meine Beine tragen mich nicht mehr.”

„Was gibt es, sinor Saháalír? Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ich bin in großer Eile.”

„Wir haben Kenntnis, dass sinor Úldaise Tiáramalé auf dem Weg in den Cielástel ist, um Euch und den Euren auf Einladung der Großmeisterin seine Aufwartung zu machen.”

„Soweit ich weiß”, antwortet Cýelú und hoffte inständig, der alte Ratsherr würde ihn nun nicht mit irgendwelchen Interna aus Aurópéa belästigen, „geht es um einen Brandvorfall auf seinem Grundstück.”

„Eine Sache, der auch wir aus … Interesse nachgegangen sind, Meister Cýelú. Der Zufall hat uns Informationen in die Hand gespielt, die wir für ratsam halten, mit Euch zu teilen.”

Cýelú hob überrascht die Brauen. „Mit uns? Gestattet mir die Verwunderung. Aber das wäre das erste Mal seit … vielen, vielen Sommern, dass der konsej meinesgleichen kontaktiert”.

Der Schattensänger hatte die Gruppe erreicht. Er kam näher, bemerkte die Anwesenheit der uralten Dame und zog sich lächelnd seinen Hut tief in die Stirn. Der Goldene bemerkte es und fragte sich nebenbei, ob diese Vorsicht wohl angesichts des hohen Alters der sinora überhaupt noch vonnöten war. Aber die Dame errötete mädchenhaft und nickte ihm huldvoll zu.

„Das ist Meister Yalomiro”, erklärte der Goldene knapp die Anwesenheit des Schwarzgewandeten. „Er ist … zu Besuch.”

„Ihr seid ein Schattensänger, nicht wahr?”, fragte die Greisin. „Bei den Mächten, ich muss ein Kind gewesen sein, als ich zuletzt einen von euersgleichen sah!”

„Ich hoffe sehr, es war eine angenehme Begegnung?”, antwortete der Schwarzmantel charmant.

„Ich danke den Mächten, dass sie mir zum Ende meiner Tage diese Freude noch einmal gewähren”, antwortete sie mit anmutigem Kichern. „Und vielleicht besteht die Möglichkeit, dass Ihr uns demnächst in einer anderen Sache beratet?”

„Bitte”, unterbrach Cýelú. „Was gibt es so eiliges?”

„Es hängt alles zusammen.” Saháalír setzte sich mühsam auf. „Wisst Ihr, jener Brand … dieser Vorfall ist nur der Höhepunkt einer Serie sehr sonderbarere Vorkommnisse, die sich in den vergangenen Tagen im Umfeld von Úldaise Tiáramalé zugetragen haben. Ist Euch bekannt, dass der sinor mit einer alten Frau gut bekannt ist, die im Cielástel ein- und auszugehen scheint?”

„Wenn ihr dieselbe alte Frau meint, die mir in den Sinn kommt”, sagte Cýelú alarmiert, „dann nimmt es mich zumindest nicht mehr Wunder.”

„Nun ist uns zu Ohren gekommen, dass auf Geheiß von Úldaise wohl ein Kind aus dem Cielastél in besagten Garten weggebracht werden sollte.”

Der Schattensänger richtete sich alarmiert auf, und Cýelú spürte, wie sein Herz sich verkrampfte.

„Mein Sohn …”, wisperte er.

„Nein, ein kleines Mädchen wohl.”

„Meine Tochter!”, kam es von dem camata’ay, und im Schatten der Hutkrempe glomm es auf wie silberne Raubtieraugen in der Nacht.

Also hatte die Kleine es wohl doch nicht aus freien Stücken fertig gebracht, aus dem Cielástel zu entwischen und Advon mitzunehmen.

„Woher wisst ihr das?”, fragte der camat’ay. „Und wo ist sie? In diesem Garten?”

„Nein. Euer Sohn, Meister Cýelú, scheint das Vorhaben von Úldaises Knechte, die uns bereitwillig davon erzählten, vereitelt zu haben.”

„Den Mächten sei Dank!”, rief Cýelú aus. „Die Kinder sind beisammen!”

„Ja, aber wo sind sie? Wisst Ihr mehr darüber?”

„Úldaises Männer”, gab die sinora Auskunft, „sagen, sie seien auf einem Einhorn in Richtung Wüste fortgeflogen.”

Also doch! Farbenspiel! Die Wüste! Der Junge! Cýelú ließ fassungslos die Arme hängen und starrte ins Leere. Seine Nerven!

„Wieso in die Wüste?”, fragte der Schattensänger, der ähnlich konsterniert zu sein schien.

„Hier”, erklärte Saháalír schlicht, „schließt sich der Kreis zum Garten. Denn für das Feuer ist heute ein, wie es sich zunehmend darstellt, unschuldiger Mann hingerichtet worden. Offenbar hat der Junge davon gewusst und sich in den Kopf gesetzt, den Unglücklichen zu retten.”

„Bei allen Mächten”, rief Cýelú aus. „Verflucht! Verflucht und verdorben! Ich … wir dürfen keine Zeit verlieren!”

„Wartet, Meister!” Die sinora stemmte sich ächzend aus ihrem Sitz hoch, so dringlich war es ihr dass sie die Schmerzen in Kauf nahm, mit denen ihre mürben Gelenke es ihr vergalten. „Bitte … wir haben noch ein Anliegen!”

„Was?”, fauchte Cýelú, ungehalten, dass man ihn bremste.

„Úldaise hat Bücher im Palast des konsej deponiert, unter einem Vorwand, wie wir nun wissen.”

„Was für Bücher denn nun wieder?”

„Das wissen wir eben nicht! Es ist nicht lesbar. Könnte nicht bald jemand schauen, ob es etwas … nun ja … Verderbtes ist? Etwas, das nicht da sein sollte?”

„Sind es Schriften mit scheinbar willkürlich gesetzten Buchstaben und Ziffern?”, fragte der Schattensänger, mit einer Sachlichkeit, die Cýelú aufhorchen ließ.

Die sinora nickte. „Ja. Viele und viele solcher Bücher. Körbe- und kistenweise. Und Silberzeug.”

„Schattensängerschriften”, sagte der camat’ay. „Nicht zu entschlüsseln für unkundige Augen. Seid unbesorgt, edle sinora, ehrenwerter sinor. Selbst wenn unter den Büchern ein magisches sein sollte, wäre es doch völlig harmlos ohne einen, der weiß, wie man es liest.”

„Etwa so wie ein ausgedienter Stab?”, fragte Cýelú bissig.

Der Schattensänger schüttelte den Kopf. „Ich spreche von Büchern, Meister Cýelú, nicht von Werkzeugen. Von Wissen, nicht von Waffen. Dennoch … sobald wird die Dinge geklärt haben … ich würde gern einen Blick auf diese Bücher werfen. Ausgesprochen gerne. Vielleicht ist eines dabei, das in meiner Sammlung fehlt.”

„Meinetwegen!” Cýelús Ungeduld wuchs. „Bei den Mächten, wo kommen denn nur allerorten diese verfluchten Bücher her! Erst Siledaú und ihre Trophäen, dann …” Er unterbrach sich. Die Antwort konnte er sich selbst geben.

„Wir kümmern uns darum”, sagte er, zwang sich zur Ruhe und seine Gedanken wieder in eine Bahn. Die Bücher kursierten also zwischen Siledaú und dem Ratsherrn Úldaise. Die eine hatte den Cielástel gerade verlassen, der andere sollte dort später eintreffen. Auf dem Weg war er wohl noch nicht. Sie hätten ihn aus der Luft sehen müssen. Vielleicht entschied er sich, der Audienz nicht zu folgen. Angesichts des Wetters war das sicher vernünftig gedacht.

Und wenn Siledaú ihrerseits in die Stadt floh? Es war nicht anzunehmen, dass sie den Kindern in die Wüste folgte. Bei den Mächten … die Wüste … der nahende Sturm …

Und die beiden alten Leute hier mitten auf offener Strecke. Die beiden hier nun einfach stehen zu lassen, wäre verantwortungslos.

„Nehmt meine Einladung an”, sagte der Goldene beherrscht. „Ihr werdet es vor dem Gewittersturm nicht mehr zurück in die Stadt schaffen, aber der Cielástel ist nahe. Man wird Euch freundlich einlassen. Sagt, ich habe Euch geschickt. Sie sollen Euch und Euren Leuten Schutz und Obhut geben. Aber, und das ist mir wichtig: Haltet Euch verborgen, wenn Úldaise Tiáramalé dort erscheint. Ich will sehen, wie überrascht er ist. Ich werde alsbald zu euch stoßen. Mit meinem Sohn!”

Er verneigte sich und preschte ohne einen weiteren Gruß los. Perlenglanz stieß sich mit kräftigen Schwingenschlägen in die Luft. Den Schwarzmantel ließ er einfach mit den sinoray stehen. Auf den konnte er nun nicht warten.

Advon war in der Wüste. Das kleine Mädchen war bei ihm. Der Sturm nahte.

Und die Mächte mochten wissen, wie Siledaú sich hatte in Luft auflösen können.