„Alle habt ihr mich für verrückt gehalten. Und nun schaut: Hatte ich Recht oder etwa nicht?”

Die Bauern waren unschlüssig darüber, was sie dem jungen Mann antworten sollten, der sie hergeführt hatte. Sicher, das, was er ihnen stolz an diesem sonnigen Nachmittag präsentierte, konnte sich sehen lassen. Trotzdem – es war eine Verwegenheit, so etwas zu tun, es darauf ankommen zu lassen. Ganz bestimmt war es nicht ungefährlich.

„Wenn die Schwarzmäntel das bemerken”, sagte schließlich einer der beiden Älteren, „dann wird ihnen das ganz sicher nicht gefallen.”

„Nein, bestimmt nicht”, stimmte ein anderer zu. „Das hättest du nicht machen sollen, Brosco.”

„Es bringt Unglück”, schloss sich der Dritte an.

„Ach kommt!” Brosco, der einen Vierteltag Weges entfernt große Obstgärten bewirtschaftete, winkte ab. „Es ist ein Baum. Wahrscheinlich fällt er den Schwarzmänteln gar nicht auf.”

Er klopfte zufrieden gegen den Stamm des mannshohen Aranzienbaumes, dessen Krone aus glänzend grünen Blättern über und über mit schneeweißen Blüten besetzt war, zwischen denen emsig die Bienen hin und her schwirrten.

„Weit und breit wachsen hier keine Aranzien”, beharrte der Älteste der vier Männer. „Wie sollten sie den Baum hier übersehen?”

Brosco runzelte ärgerlich die Stirn. Es ärgerte ihn, dass die anderen Obstbauern die Genialität seiner Idee nicht gebührend bewunderten.

„Bist du etwa neidisch, dass du nicht selbst drauf gekommen bist, Anjíor?”

„Selbst wenn”, wandte Anjíor ein, „ich kenne dich doch. Bei dem einen Baum wirst du es doch nicht belassen wollen.”

„Nein. Ich beobachte, wie sich der hier weiter entwickelt. Wenn die Früchte gut sind, werde ich mehr davon pflanzen. Das werden die besten Aranzien der Gegend, ach, was sag ich: im Süden in Aurópéa werden sie nichts Besseres haben. Und dann…”

„Brosco”, mahnte der Alte, „du kannst hier keine Plantage anlegen. Das Land hier gehört dir nicht.”

„Und wem gehört es dann?”

„Frag nicht so dumm. Den Schwarzmänteln natürlich!”

Der Obstbauer Brosco versuchte, spöttisch zu lachen, aber so ganz gelang ihm das nicht. Was die drei andern sagten, war nicht wirklich falsch, entsprach aber auch nicht gänzlich der Wahrheit. Abgefunden hatte er sich damit noch lange nicht.

„Wo steht das geschrieben?”, fragte er angriffslustig. „Haben die Schwarzmäntel irgendeinen Pachtvertrag? Ist ein yarl [~ Adliger] für das Gebiet zwischen unserem Dorf und dem See zuständig? Erhebt einer der teiranday [ ~ Herrscher] Anspruch auf diese fruchtbare Erde hier?”

„Nein, natürlich nicht…”

„Na bitte!”

„… weil niemand, nicht einmal ein teirand, auf den Gedanken käme, ein Stück Land zu beanspruchen, auf dem sich Schattensänger niedergelassen haben.”

Brosco seufzte. Der Aberglaube der Älteren und die Furcht vor den Schattensängern, die den Boscargén, den weitläufigen Olivenwald bewohnten, waren kaum zu ertragen. Hier, unter ihren Füßen, lag der Reichtum, das Glück, und sie trauten sich nicht, es zu betreten. Allenfalls auf Zehenspitzen. In Notfällen. Mit angehaltenem Atem.

„Hört zu”, sagte er geduldig. „Ich will nichts von den Schwarzmänteln. Sie wohnen in der Mitte des Waldes, und wir stehen ganz am Rand. Schaut euch um, überall sind hier andere Bäume zwischen den Ölbäumen. Alles, was ich will, ist hier, ganz am Waldrand, praktisch außerhalb ihres Gebietes, den einen oder anderen Aranzienbaum pflanzen.”

Die anderen Bauern schwiegen vorwurfsvoll.

„Es ist doch ein Jammer um den Boden!”, verteidigte Brosco eindringlich sein Vorhaben. „Schaut, den Baum hier hab ich letztes Jahr gepflanzt und er überragt mich bereits und trägt sicher bald Früchte. Dieser fruchtbare Boden ist einfach unglaublich, das ist…”

„Zauberei”, sagte Anjíor trocken.

„Es ist zum Verrücktwerden mit euch! Überlegt doch nur, welche Möglichkeiten sich hier bieten, wenn wir mit unseren Pflanzen nur ein kleines Stück näher an den Wald heran rücken! Die Schwarzmäntel brauchen das Land nicht. Sie bauen weder Obst noch Feldfrüchte an. Ich frage mich ohnehin, was sie mit all den Oliven machen, die ihr Wald abwirft.”

„Oliven sind gut”, stimmte der Älteste widerwillig zu.

„Vielleicht könnten wir auch von den Ölbäumen hier am Waldrand welche nehmen, wenn die Zeit reif ist”, überlegte Brosco. „Aber so weit sind wir noch nicht. Die Aranzienbäume sind der Anfang, und wenn alles gut geht, können wir von dem hier bald schon ernten. Und dann machen wir unser großes Glück. Mit süßen Früchten aus dem Boscargén.”

Der Plan war gut. Brosco war von seiner eigenen Verwegenheit begeistert und schlug mit der flachen Hand vor den schlanken Baumstamm, woraufhin sich etwas von einem der Äste löste und den vier Bauern vor die Füße fiel.

Es dauerte einen Moment, bis Anjíor sich traute, die süßeste und saftigste Aranzie aufzuheben, die jemals zu dieser viel zu frühen Jahreszeit geerntet worden war.

Der Älteste redete als erster wieder.

„Bleibt ganz ruhig”, zischte er, „und tut so, als ob nichts gewesen wäre. Wir müssen schnell weg von hier!”

Anjíor ließ die Frucht ins Gras fallen. Dann setzten die vier Männer sich in Bewegung und schlenderten, sich immer wieder verstohlen umschauend, langsam davon, bis sie schließlich den Pfad erreichten, der südwärts in ihre Gärten hinein und nach Norden in den Boscargén hinein führte.

Dort begannen sie, zu rennen, als seien ihnen wilde Hunde auf den Fersen.

***

Kichernd befreite sich das kleine Mädchen aus seinem Versteck. Es hatte sich in einem Dickicht aus Lavendel verborgen gehalten, das an einer sonnigen Stelle am Rand der Lichtung wucherte und betörenden Duft verströmte.

„Das hast du gemacht!”, rief sie fröhlich aus und hüpfte durch das Gras, auf den blühenden Obstbaum zu.

„Nein, der Baum hat es gemacht”, antwortete es zwischen den Halmen.

„Ja, aber du hast ihm gesagt, dass er es machen soll.” Das Mädchen bückte sich nach der Aranzie, betrachtete die Frucht neugierig und schnupperte daran. „Ich wünschte, ich könnte das auch.”

„Du kannst das bereits. Du weißt nur noch nicht, wie.”

„Nein, kann ich nicht.” Sie seufzte verdrossen. „Mädchen können nicht mit Bäumen reden. Meister Gíonar hat mir das gesagt.”

„Ich bin mir sicher, dass du stattdessen etwas anderes kannst. Mädchen haben eigene Kräfte, Arámaú.”

„Davon hat Meister Gíonar nichts gesagt.”

„Womöglich weiß nichts darüber. Er ist doch ein Mann. Frag die Meisterin Eketh.”

„Das traue ich mich nicht.”

„Dann wirst du es nicht erfahren. Also, wenn ich ein Mädchen wäre, ich würde versuchen, es herauszufinden. Meister Gíonar ist nicht allwissend.”

Die kleine Arámaú warf einen Blick, der zwischen Ehrfurcht und Empörung schwankte, hinüber zum Lavendel. Immerhin war Meister Gíonar ein Meister, ihr Meister. Allein der Gedanke, dass ein Meister irgendetwas nicht wissen könne, war lästerlich. Doch die Vorstellung, etwas zu können, was ihre ganz eigene Kraft sein könnte, gefiel ihr.

Aus dem Lavendel kroch ein zweites Kind hervor, ein Knabe etwa in seinem dreizehnten Sommer und damit etwa doppelt so alt wie das kleine Mädchen, das immer noch interessiert die Aranzie betastete und doch nicht recht zu wissen schien, was es damit anfangen sollte.

Beiden Kindern war gemeinsam, dass sie völlig schwarz gekleidet waren, das Kleidchen des Mädchens ebenso wie Hemd und Hose des Knaben. Beide waren barfuß und bewegten sich flink und lautlos über die Lichtung. Aber für Geschwister halten konnte man sie nicht, denn sie sahen einander nicht ähnlich. Das fliegende, lange Haar des zierlichen Mägdeleins war hell und üppig wie Mondlicht und ihre Augen grün wie die einer Katze. Der Junge hatte rabenschwarzes Haar. Sein Blick war fast ebenso dunkel.

Er schritt ohne Eile auf den zu Unrecht hier gepflanzten Baum zu und legte seine Hand auf den schlanken Stamm. Zufrieden betrachtete er den kleinen Vogel, der zwischen den Ästen herumturnte und wohl erkundete, ob sich hier ein Nistplatz finden ließ. Auch Schmetterlinge umtanzten die Blüten, die in einigen Monden ebenfalls süße Früchte sein würden.

„Yalomiro”, fragte das Mägdelein und hielt ihm die Aranzie hin, „was ist das?”

„Das ist eine Frucht von diesem Baum. Die Unkundigen essen davon.”

Arámaú führte die Aranzie neugierig zum Mund und nagte vorsichtig an der samtigen Schale.

„Das ist bitter”, beschwerte sie sich dann.

Yalomiro lächelte und zupfte eine Lavendelblüte fort, die in ihren struppigen Haaren hängen geblieben war. „Wir sollten nicht zu lange hier bleiben. Komm mit. Die Unkundigen sind fort, und sie werden so schnell nicht zurückkehren. Hier ist nichts mehr zu sehen.”

„Ja”, stimmte sie zu. „Meister Gíonar schimpft, wenn er herausfindet, dass wir bis fast aus dem Wald heraus gelaufen sind.”

„Aber du wolltest doch sehen, was die Unkundigen hier zu suchen hatten, nicht wahr?”

Arámaú seufzte schwer. „Schon…”

„Das hätten wir nie herausgefunden, wenn wir nicht hergekommen wären. Ich hätte es dir mühsam erklären müssen.”

„Du wärest also allein gegangen?”

„Sicher. Aber das wäre langweilig gewesen.”

Der Junge wandte sich zum Gehen. Das kleine Mädchen folgte ihm eilig, bis sie die Lichtung verlassen und wieder in den flirrenden Silberschatten der Ölbäume eintraten.

„Aber was wollten die unkundigen Männer denn nun eigentlich?”, fragte die Kleine, die sich zwar über Yalomiros Streich mit der Frucht amüsiert hatte und darüber, wie die Bauern so schnell weggerannt waren. Aber wirklich verstanden hatte sie nicht, was eigentlich vorgefallen war und warum die Männer solche Angst vor einem ungenießbaren Stück Obst gehabt hatten.

„Sie wollten mehr von diesen Bäumen in den Wald pflanzen und die Früchte verkaufen”, erklärte der Knabe.

„Mich hätten ein paar von diesen Bäumen mit den weißen Blumen nicht gestört. Ich finde sie hübsch.”

„Die Bäume stören mich auch nicht. Aber es würde nicht bei den Bäumen bleiben. Die Unkundigen würden immer mehr Bäume in den Wald stellen und dafür womöglich noch Ölbäume fällen.”

Arámaú sog erschrocken Luft ein. „Das dürfen sie nicht!”

„Und zur Erntezeit wäre der ganze Wald voller Unkundiger. Das wäre Meister Askýn bestimmt nicht recht.”

„Die sollen nicht in unseren Wald kommen”, rief Arámaú aus und fasste ängstlich nach ihm. „Ich will keine Unkundigen im Wald!”

„Sie werden nicht kommen”, beruhigte er das Mädchen und fügte zufrieden hinzu: „Ich habe sie vorerst vertrieben.”

„Wen hast du vertrieben, Yalomiro Lagoscyre?”

Die Kinder zuckten zusammen und erstarrten.

„Oh weh”, wisperte Arámaú, und ihre Fingerchen schlossen sich fester um Yalomiros Hand.

„Es waren Unkundige, Meister Gíonar”, bekannte Yalomiro. „Am Waldrand.”

„Und du hast sie vertrieben?”

„Nun ja, ich habe sie erschreckt.”

„Erschreckt? Womit?”

„Mit einer reifen Aranzie, Meister.”

„Das ist allerdings ein ungewöhnliches Mittel, um Unkundige zu verscheuchen.”

„Es hat seinen Zweck getan.”

„Haben die Menschen euch gesehen?”

„Nein, Meister.”

Die Stimme hinter ihnen schwieg einen Moment. Die Kinder wagten kaum zu atmen.

„Und was hast du dabei zu schaffen gehabt, Arámaú? Ist es dir nicht streng verboten, so weit vom Etaímalon weg zu gehen, ohne Begleitung? Begleitung eines Erwachsenen, wohlgemerkt?”

Das Mädchen biss sich auf die Lippen und schaute beschämt zu Boden.

„Ich habe sie dazu verleitet, mit mir zu kommen, Meister”, antwortete der Junge.

„Ich habe nicht danach gefragt, was dich dazu angestachelt hat, Yalomiro. Das ist deine Sache vor Meister Askýn. Der sich im Übrigen auch seine Gedanken über deinen Verbleib macht. Ich bin hier, um euch zu suchen.”

Nun errötete der Junge.

„Nun, ich habe euch gefunden. Und nun steht nicht herum als wäret ihr aus Stein. Kommt zu mir.”

Schuldbewusst wandten die beiden sich um. Aus den dunklen Schatten zwischen einigen hohen Stämmen löste sich die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes in förmlichen schwarzen Gewändern und trat vor die Kinder hin. Meister Gíonar musterte die beiden vorwurfsvoll.

„Kinder”, fragte er ernst, „was soll ich davon denken, dass ihr nichts Vernünftigeres zu tun wisst als euch in einer Gegend herumzutreiben, die nicht ungefährlich ist? Bei dir, Yalomiro Lagoscyre, ist alle Hoffnung unnütz, das ist mir klar. Aber ich kann es nicht gutheißen, dass du meine Schülerin zu kindischem Unfug verführst.”

„Es tut mir leid”, sagte Yalomiro, und Arámaú nickte.

Meister Gíonar wartete, und als die beiden nichts weiter sagten, seufzte er.

„Kommt. Meister Askýn wartet auf euch.”

Arámaú und Yalomiro folgten ihm auf dem Sandpfad durch den Wald. Eine Weile lang waren sie still.

„Du hast also einen Baum beschworen, Yalomiro?”, fragte Meister Gíonar plötzlich.

„Ich dachte mir, wenn die Unkundigen Früchte haben wollen, sollte ich ihnen eine zeigen.”

„Wie alt bist du, Yalomiro?”

„Dies ist mein dreizehnter Sommer, Meister Gíonar.”

Der Schattensänger schüttelte missbilligend den Kopf, sagte aber nichts weiter.

Die kleine Arámaú drückte die Finger des älteren Jungen.

Er ist böse mit uns, dachte sie.

Nein, er macht sich Sorgen, antwortete Yalomiro. Ich habe einen Fehler gemacht.

„Wie löblich, dass du das einsiehst, Yalomiro Lagoscyre. Ich wünschte nur, du würdest aus deinen Fehlern gelegentlich lernen.”

Yalomiro zog den Kopf ein, und auch Arámaú wagte nicht mehr, in seine Richtung zu denken. Vor erwachsenen Schattensängern konnten sie beide ihre Gedanken nicht versiegeln. Noch nicht.