Dreizehn Tage war er unterwegs gewesen, erst durch Wijdlant, dann durch das teirandon Valvivant geritten. Jóndere Moréaval hatte sich nur zwei Nächte lang auf der Burg aufgehalten, um Kraft für den langen, langweiligen Ritt über den Montazíel zu sammeln. Der mynstir, Léur Tjiergroen hatte versucht, ihn über das Ziel seiner Reise nach Süden auszufragen, aber der yarl hatte ihm nur ausweichend geantwortet. Genau so, wie seine teiranda es ihm aufgetragen hatte, so hatte Moréaval etwas über eine diplomatische Anfrage an das yarlmálon Pianárdent erzählt. Warum Kíaná von Wijdlant in dieser Angelegenheit nicht ihren mynstir ausschickte, hatte der teirand Benjus von Valvivant argwöhnisch gefragt. Misstrauisch, hieß es, sei der alternde Monarch schon immer gewesen, aber es sei schlimmer geworden mit den Wintern, die vergingen. Man munkelte, im Alter begriffe er, dass seine Tage als Herr des teirandon zu Ende gingen und es sich langsam frage, welcher seiner yarlay wohl auf den Thron nachrücken würde, denn Sohn oder Tochter hatte er nicht.

Daap Grootplen, der mynstir des teirandon Wijdlant, so hatte Moréaval arglos erklärt, sei zwischenzeitlich zu alt für eine so beschwerliche Reise, weshalb man ihn, einen jüngeren auserkoren hatte. Daraufhin schien der teirand gekränkt und hatte sich für den Rest des kurzen Aufenthalts seines Gastes nicht mehr blicken lassen. Yarl Moréaval nahm sich vor, mit seinen Majestäten über die sich destabilisierende Thronfolge im Nachbarreich zu reden, sobald er wieder daheim war.

Gundald Lebréoka, ein anderer Ritter aus Valvivant, war indes neugierig geworden und hatte so viele Fragen gestellt, dass Moréaval sich in eine so unkomfortable, ausgedachte Geschichte verstrickt hatte, dass er unmöglich den Rückweg auf derselben Strecke zurücklegen konnte.

Der Ritter fragte sich indes tatsächlich, warum die Majestäten solch ein Geheimnis aus seiner Mission machten. Was für eine Botschaft, mit der man ihn zum Boscargén, diesem geheimnisvollen, verbotenen Wald auf der anderen Seite des Montazíel geschickt hatte, mochte das sein? Natürlich war er wissbegierig, was in dem Brief stehen mochte, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, das Vertrauen zu brechen, dass man ihm entgegenbrachte.

Als er nach mehreren Tagen eintönigen Ritts durch die Schluchten auf der anderen Seite der Bergkette anlangte, stellte sich heraus, dass er zu weit westlich ausgekommen war. Das kostete ihn Zeit, und als er am Ende in einem Dorf nahe einer großen Eisenmine am Rande der Heide von Hethrom angelangt war, von dem aus man das Waldgebiet in der Ferne erahnen konnte, hatte sein Erstaunen noch zugenommen. Die Dorfbewohner, die er nach dem kürzesten Weg zu dem großen See gefragt hatte, hatten den Ritter eindringlich gewarnt, seinen Weg dorthin fortzusetzen. Es sei gefährlich, sich in den lieblichen Wald zu begeben. Es würden Magier darin hausen, die redlichen Menschen feindlich gesonnen seien.

Moréaval hatte kurz gezögert, an Tíjnje und seine geliebte hýardora gedacht. Für alle Fälle hatte er die Gelegenheit genutzt und bei einem der zahlreichen ortsansässigen Schmiede sein Schwert und Eisenzeug kontrollieren lassen. Aber lange aufhalten wollte er sich hier nicht. Das Dorf machte ihn unruhig. Als er bei Morgengrauen weitergeritten war, hatten die Leute ihm so begehrlich nachgeschaut als erwarteten sie ihn mit dem Kopf des grauenvollen Magiers zurück.

Als er nun dem Sandpfad folgte, der sich durch den verwunschenen Wald wand, schalt er sich einen Narren und alle Vorsicht eine Albernheit. Lichtes Laub schloss sich über ihm zu einem flirrend-silbrigen Dach zusammen, Bäume, wie er sie sein Leben lang nicht gesehen hatte. Ihre knorrigen Stämme waren höher als die höchsten Fichten nördlich der Berge. Alles andere als düster war es hier, und der sachte Wind, der zwischen den Bäumen einher strich, trug ein seltsames Aroma von Kräutern und Blumen mit sich. Nichts, was auch nur im Entferntesten bedrohlich gewirkt hätte.

Natürlich war der Ritter sich durchaus bewusst, dass all dies eine List, eine Falle sein konnte. Aber die Majestäten hatten ihn nicht auf ein Abenteuer ausgeschickt. Er sollte lediglich diesen Brief abliefern, den er sorgsam versiegelt bei sich trug.

Ab und zu passierte er die von Efeu und Winden überwachsenen Ruinen kleiner Hütten, offensichtlich seit Generationen unbewohnt und fest im Griff der Natur. Ab und an sprangen Tiere vor seinem Pferd vorbei, Rehe, Waldschweine, Eichhörnchen. Singvögel ließen ihre munteren Lieder hören.

Der große schwarze Rabe, an etwas vom Weg entfernt auf einem Ast saß, passte nicht so recht her, so dunkel und ernst. Aber Moréaval machte sich erst Gedanken darüber, als er an ihm vorbeigeritten war und kurz darauf ein Schatten auf lautlosen Schwingen über ihn hinweg strich und ihm voraus in einem anderen Baum landete.

Einige Male wiederholte sich das Spiel, bis der yarl sich ganz sicher war, dass es derselbe Vogel war, der ihm folgte. Als der Pfad sich an einer Weggabelung teilte, entschloss der Ritter sich, ohne zu zögern, dem Vogel nachzureiten. Immer weiter geriet er dabei in den Wald hinein, bis er schließlich an ein sachtes Gefälle gelangte. Wenn er dem abwärts folgte, führte es ihn vielleicht hin zu dem See, der sein Ziel war. Er lenkte sein Pferd unter dem Baum hindurch, auf dem der Rabe zuletzt gelandet war und wollte es gerade anspornen.

„Auf ein Wort, Herr Jóndere!”

Der Ritter zuckte zusammen und wendete sein Ross. Er war es nicht gewohnt, von oben herab angesprochen zu werden.

Ein schlanker Mann hockte auf einem breiten Ast, so weit oben, dass der yarl ihn mit ausgestreckter Hand aus dem Sattel heraus nicht erreicht hätte. Sein Gewand und Mantel waren schwarz und mit silbernen Fäden durchwirkt, ebenso wie sein Haar und Bart.

„Bei den Mächten! Ihr habt mich erschreckt!”, sagte der Ritter überrascht.

„Das lag nicht in meiner Absicht. Verzeiht das, und auch, dass ich Euch in die Irre geführt habe.” Der Mann im Baum begann, behände hinabzuklettern. Der Ritter staunte über die Grazie, mit der er sich dabeibewegte. „Ich wollte Euch zunächst mit Euch allein reden, bevor ich Euch in mein Haus einlade.”

„Dann seid Ihr der Magier, der in diesem Wald lebt?”

„Ich denke schon.” Der Schwarzgewandete kam näher. „Ich bin Meister Yalomiro Lagoscyre. Yal gha’tanai, yarl Moréaval.”

„Woher wisst Ihr meinen Namen?”

„Nun, möglicherweise sind wir einander schon einmal begegnet.”

Das verwirrte den Ritter. „Ich wüsste nicht, dass …”

„Hervorragend. Seid willkommen, Herr Jóndere. Und wundert Euch nicht allzu sehr. Ich bin erleichtert, dass gerade Ihr es seid, der uns an diesem Ort besucht. Egal, was die ujoray in ihrem Eisendorf Euch möglicherweise einzureden versucht haben, ein Gast in friedlicher Absicht wird in diesem Wald niemals etwas Schlimmes erfahren. Und nun lasst mich bitte die Botschaft sehen, die Ihr in Eurer Tasche tragt.”

Gehorsam holte der Ritter das wichtige Schriftstück hervor. Es erschien ihm müßig zu fragen, wie der Magier davon wissen konnte. Bis vor einigen Wintern hatte ein anderer Magier in Wijdlant gewirkt, vor dem sich ebenfalls nicht verbergen ließ. Der yarl erinnerte sich daran mit Unbehagen.

Der Schattensänger nahm das Papier entgegen und brach das Siegel auf. „Steigt derweil ruhig ab, edler Herr, und lasst Euer Pferd gern ein Stück weit laufen. Die Kräuter sind vorzüglich und werden es stärken. Es kann hier nicht verloren gehen. Und ich versichere Euch, dass es von meiner Seite aus nichts für Euch zu befürchten gibt. Ganz im Gegenteil.”

Jóndere Moréaval tat, wie ihm geheißen und schaute seinem Pferd einen Moment dabei zu, wie es sich in der Tat zielstrebig einem Polster von duftenden Pflanzen näherte und friedlich zu zupfen begann. Als er sich wieder dem Magier zuwandte, war der in das Schreiben vertieft und sah deutlich ernster aus als noch einen Augenblick zuvor.

„Mögen die Damen hinter den Träumen ihren Frieden gefunden haben”, sagte der Schwarzgewandete. „Möge das Licht die beiden sicher geleitet und den Zurückgelassenen Trost gewährt haben.”

„Man hat mich hergeschickt, um Euch von darüber zu unterrichten?”

Yalomiro Lagoscyre blickte flüchtig auf. „Wieso überrascht Euch das?”

„Nun … es sind zwei bejammernswerte Todesfälle am anderen Ende der Welt.”

„Bejammernswert, in der Tat.” Der Magier las weiter.

„Kanntet Ihr die Damen?”

„Nein. Ich bin ihnen niemals begegnet.”

„Vergebt mir meine Neugier, aber …”

„Nein.”

„Wie bitte?”

„Es gibt keinen Grund, Neugierde zu verzeihen. Ohne Neugierde würde das Weltenspiel sehr schnell ausgesprochen langweilig, yarl Moréaval. Um Eure Frage zu beantworten: Die Hoheiten sind besorgt über das zeitliche Zusammentreffen der beiden Todesfälle.”

Moréaval, der sich sicher war, überhaupt nichts gefragt zu haben, schüttelte den Kopf. „Ein tragischer Zufall, Meister. Ich habe mit meinen Kameraden darüber geredet und mit meiner hýardora, und …”

„Zufall?”

„Ja. Es gibt keinen Zusammenhang. Emberbeys Dame hat die dritte Niederkunft nicht überlebt, und bei Althopians hýardora war es ein grauenhafter Unfall. Wo soll das miteinander verbunden sein?”

Der Magier vertiefte sich wieder in das Schreiben. „Gut, lasst es meinetwegen einen Zufall gewesen sein. Und ja, ich werde Euch begleiten.”

„Begleiten?”

„Das ist es, worum mich Eure teiranday in dieser Botschaft ersuchen. Ihr solltet mir dieses Schreiben überbringen und dazu überreden, mit Euch zurück nach Wijdlant zu reisen. Diese Mühe könnt ihr Euch ersparen, denn die Dringlichkeit ist mir wohl bewusster als Euch. Mehr kann und will ich Euch zu Eurem eigenen Besten nicht verraten. Allerdings muss ich zuvor mit meiner hýardora darüber reden, Vorbereitungen treffen. Folgt mir. Nehmt Euer Ross mit. Bei meinem Haus wachsen dieselben guten Kräuter.”

Er rollte das Schreiben in der Hand zusammen und schritt in entgegengesetzter Richtung weiter. Moréaval benötigte einen Augenblick, um das Pferd davon zu überzeugen, die schmackhafte Mahlzeit aufzugeben und eilte ihm dann nach.

„Eure hýardora? Aber …”

„Vergesst alles, was Ihr glaubt, über meinesgleichen gehört zu haben. Lasst alte Dinge vergangen sein.”

„Ich verstehe nicht!”

„Dann schult Eure Neugierde und schaut mit eigenen Augen.”

Der Ritter folgte dem Magier wortlos, das Pferd am Zügel führend. Der Weg führte ein gutes Stück weit zurück, bis zur Weggabelung. Dort schlug der Schattensänger den anderen Pfad ein.

„Was genau ist Eure Aufgabe am Hof von Wijdlant und Spagor?”, fragte der Magier.

„Ich bin der Leibwächter der teiranda und ihrer Tochter”, antwortete Moréaval verwirrt.

„Das heißt?”

„Außerhalb der privaten Gemächer und solange sie es nicht anders anweist, muss ich in ihrer Sichtweite sein und im Ernstfall mein Leben für sie hingeben.”

„Wer vertritt Euch zurzeit?”

Yarl Altabete, nehme ich an.”

Der Magier nickte. Dann fragte er: „Und wer wird einst der Wächter der teirandanja sein? Haben die Majestäten sich darüber schon geäußert?”

„Das mögen die Mächte wissen, Meister! Das ist noch lange hin!”

„Also?”

Moréaval seufzte.

„Ich denke, wenn er sich gut anstellt, dürfte der Sohn von Herrn Waýreth gute Aussichten auf dieses Amt haben. Aber das wird sich zeigen. Vorläufig ist er ein Knabe, hochgelobt von seinem Vater. Die teiranday zeigen sich sehr … interessiert.”

Yalomiro Lagoscyre nickte, also habe er nichts anderes vermutet. Den Rest des Weges schwiegen die beiden Männer. Aber Moréaval fragte sich, ob der Schattensänger womöglich mehr wusste, als geheuer war.

***

Tatsächlich hatte Andriér Altabete die Aufgabe übernommen, über Kíaná von Wijdlant zu wachen. Der Ritter tat das nur mit halber Aufmerksamkeit. Auf der Burg drohte der teiranda kein Ungemach. Die edle Dame saß in der Halle auf ihrem Thron und lauschte zerstreut dem Lautenspiel von Asgaý von Spagor, das sich in den vergangenen Sommern ganz erheblich verbessert hatte. Wenn der teirand fortan auch ein wenig an seiner Dichtkunst feilte, würde diese Art von Erbauung recht annehmbar werden. Vorläufig waren seine Verse noch so ungelenk, dass er selbst darüber stolperte und verlegen darüber hinweglachte.

Der teiranda war das egal. Hinter der unbeholfenen Kunst, die Asgay von Spagor ihr schenkte, schien sie etwas zu erkennen, was ihr kostbarer war als Geschmeide und jeder Reichtum. Üblicherweise war die Herrin so angetan von der kreativen Hingabe ihres hýardor, dass sie in stiller Bewunderung versank. Seit jenem Tag, an dem die Wappen der Ritter aus Spagor verhüllt worden waren, überwog jedoch stille Sorge in der Miene der Dame, so schön der teirand auch zu singen versuchte.

Altabete zog sich unauffällig ein paar Schritte in die Nähe der Tür zurück. Von dort hatte er einen besseren Blick auf den Hof, wo Jándris und Láas trainierten. Die beiden Jungen waren recht gut in ihren Fertigkeiten. Altabete selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, die Kampfausbildung der beiden zu übernehmen und bei dieser Gelegenheit zu überprüfen, ob die Schwertmeister etwas taugte, der die beiden auf ihren Heimatburgen anleitete. Mit dem seinen war er durchaus zufrieden, und auch Grootplen hatte einen guten Griff getan. Ab dem Winter würde Merrit Althopian mit den beiden etwas älteren Jungen gemeinsam hier am Hof lernen, ein Ritter zu werden. Dann würde sich zeigen, ob der Kleine wirklich so viel zu bieten hatte, wie Waýreth Althopian nicht müde wurde, zu betonen wenn das Gespräch darauf kam.

Althopian war kein Mann, der zu Prahlereien neigte. Das machte seine Lobreden auf den Sohn umso … beunruhigender.

Andriér Altabete schaute gedankenverloren zu, wie sein eigener Sohn und der Jüngste von Daap Grootplen miteinander lachten und alberten und einander zugleich mit ihren Übungswaffen zusetzten. Heute übten sie das Fechten auf einer Treppe, genau gegenüber, an der Stiege, die zum Wehrgang hinauf führte.

Daap Grootplen, der alternde mynstir, saß oben auf der Treppe und hatte seine Enkelin Tíjnje auf dem Schoß. Die beiden spornten die Knaben an, wobei Herr Daap recht parteiisch seinen eigenen Spross unterstützte, der zugleich obgleich des geringen Altersabstands zugleich Tíjnjes Onkel war. Das brachte das kleine Mädchen in einen Konflikt, denn es war in kindlicher Zuneigung Jándris Altabete zugetan, dem das, wie er seinem Vater einmal gestanden hatte, zu gleichen Teilen schmeichelte und vor den anderen Knaben in der Burg zutiefst peinlich war. Und so jubelte die Kleine ohne Unterschied jedes Mal, wenn ein Holzschwert auf einen ebensolchen Schild traf.

Jándris war flink und angriffslustig wie ein Wiesel. Láas war weniger agil, dafür stark und entschlossen wie ein Bulle. Der Sohn von Waýreth Althopian würde sich warm anziehen müssen.

Bei den Mächten was für Gedanken! Der arme Junge hat gerade seine Mutter verloren. Althopian lässt sich nicht hören! Wer weiß, wie es weitergeht!, rief Altabete sich selbst zur Ordnung, und fühlte sich zugleich an seinem tannengrünen Waffenkleid gezupft.

„Herr Andriér”, fragte Manjév von Wijdlant. „Kann ich Euch etwas fragen?”

„Selbstverständlich, Majestät”. Der Ritter, ein gestandener Recke, ließ sich auf ein Knie nieder, um auf Augenhöhe mit der teirandanja zu sein. Bei dieser Gelegenheit wunderte er sich über den ungewohnt ernsten Ausdruck in den meerblauen Kinderaugen. „Was wollt Ihr wissen?”

„Warum ist Herr Jóndere losgezogen, um einen Magier zu besuchen?”

Der Ritter zuckte zusammen.

„Wie kommt ihr darauf, dass dem so ist, Herrin?”, fragte er vorsichtig.

„Ich hab’s gehört.”

„Von wem?”

„Also stimmt es?”

Altabete seufzte. Manjév lächelte zufrieden, aber nicht triumphierend.

„Ich wunderte mich schon, weshalb Tíjnje heute so anhänglich bei Herrn Daap ist. Aber warum fragt Ihr nicht Eure Mutter oder Euren Vater?”

„Das hab ich versucht. Mama sagt, Herr Jóndere sei unterwegs nach Pianárdent. Papa meinte, er habe einen Auftrag in Forétern zu erledigen. Einer von beiden flunkert mich an. Und Tíjnjes Mama hat ihr erzählt, Herr Jóndere sei unterwegs zum Magier. Weil nur ein Held sich traut, dorthin zu gehen. Also flunkern beide. Oder alle drei und Tíjnje will nur wieder mit ihrem Papa angeben. Ihr Papa würde meinen bei jedem Turnier besiegen, sagt sie.”

„Und was habe ich dabei zu sagen, Herrin?”

„Ich dachte mir, Herr Jóndere habe Euch mehr erzählt.”

„Nein, Herrin. Es ist wahr, dass er einen Brief überbringt. Was darin steht, wissen indes nur Eure Eltern. Herr Jóndere erhielt das Schreiben selbst nur versiegelt, und er wird sich hüten, hineinzuschauen. Ihr wisst, dass Ihr jederzeit Euren yarlay jedes Geheimnis anvertrauen könnt, offen und geheim. Keiner von uns würde jemals Fragen stellen.”

„Na ja, ich würde wissen wollen, was drin steht, wenn ich auf eine so gefährliche Reise ginge.”

„Neugierde…”

„… ist eine Untugend, ich weiß.” Manjév seufzte und schaute sich nach den Eltern am anderen Ende der Halle um. Der Vater hatte seine Laute beiseitegelegt. Die beiden redeten leise miteinander. Dann erhob sich der teirand und schlenderte so unbekümmert auf die teirandanja und seinen Dienstmann zu, dass es verdächtig aussah.

„Warum braucht es so plötzlich Helden und Magier?”, fragte Manjév. „Was geht hier vor? Muss ich mich fürchten, Herr Andriér?”

„Nein”, antwortete der Ritter gedämpft und stand wieder auf. „Nicht, solange wir um Euch sind.”

Asgaý von Spagor neigte sich zu seiner Tochter herab. „Was gibt es, Manjév? Bist du ganz alleine? Wo hast du Tíjnje und eure opayra gelassen?”

„Tíjnje spricht heute nicht mehr mit mir. Ich hab sie geärgert, da ist sie weggelaufen, um es Herrn Daap zu erzählen. Die opayra hinterdrein. Da dachte ich mir, was soll ich allein in der Kammer. Warum darf ich nicht wissen, was dich und Mama so besorgt?”

„Besorgt?” Asgaý von Spagor setzte ein hölzernes Lächeln auf und warf zugleich Altabete einen hilfeheischenden Blick zu. Der Ritter schüttelte sacht den Kopf.

„Ich habe Angst, Papa”, sagte Manjév. „Ich merke doch, dass alle hier sich hintereinander verstecken, um bloß kein falsches Wort zu sagen. Bin ich etwa immer noch zu klein, um alles zu erfahren, was wichtig und interessant ist?”

„Es gibt Dinge, Manjév, die sollen dir dein Leben nicht beschweren. Es reicht, wenn wir uns darum sorgen.”

„Aber ist es denn besser, wenn ich mir zusätzlich zu dem, was ist, noch andere Lasten ausmale, die sein könnten? Ich bin doch kein Kleinkind mehr wie Tíjnje!”

Asgaý von Spagor seufzte. „Herr Andriér?”, wandte er sich dann an den yarl.

„Meine hýardora und ich würden unserem Sohn wohl sagen, was uns bedrückt, Majestät. Bevor es ihn auf anderem Weg überrascht.”

Der teirand biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und strich sich fahrig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der schmale perlenbesetzte Reif, den er als Krone trug, konnte sein zotteliges blondes Haar nicht gänzlich bändigen.

„Manjév, mein Liebes … du weißt, was mit den Damen von Althopian und Emberbey geschehen ist?”

„Ja, natürlich. Alle haben davon geredet.”

„Dann weißt du auch, dass Kinder in deinem Alter ihre Mütter verloren haben.”

„Ja. Das ist sehr traurig.”

„Gut. Manjév … wir wollen nicht, dass du einen von uns verlierst.”

Die teirandanja machte große Augen, als sie Stück für Stück begriff, was ihr Vater da sagte.

Andriér Altabete war es, der es aussprach, mit ebenso großer Überraschung und Beunruhigung.

„Majestät … ist das eine Befürchtung oder eine Gefahr?”, fragte er sachlich.

„Die teiranda sieht es als böses Omen. Wir brauchen Rat und Gewissheit. Dafür ist Moréaval unterwegs.”

Manjév zögerte. Dann fiel sie ihrem Vater um den Hals.

Sie weinte nicht, nicht vor dem Ritter und den anderen Leuten, die in der Halle zu tun hatten. Das wäre unmajestätisch gewesen.

„Kann der Magier uns beschützen?”, fragte sie leise.

„Ja, Liebes. Deine Mama glaubt ganz fest daran.”

„Und wenn nicht?”

„Dann”, wisperte der teirand zurück, „bitten wir die Mächte, das das alles nur ein dummes Missverständnis ist.”