Dunkel war es, dunkel und still.

Aber es war nicht so wie damals, als ich mit Yalomiro durch den Schatten gegangen war. Es war nicht einfach nur finster. Ich dauerte einen Moment, bis ich verstand, dass ich nichts hörte oder sah, weil ich weder Augen noch Ohren hatte. Mein Körper war verschwunden. Ich war nichts als ein Bündel aus losen Gedanken und Gefühlen in der Leere.

War ich tot? Fühlte es sich so an, wenn man tot war? Was das hier das, was so viele Personen als die Welt hinter den Träumen bezeichnet hatten? War das Jenseits tatsächlich eine blinde Stille? Oder gab es tatsächlich nichts über den Tod hinaus, und alles was blieb, war die schockierende Erkenntnis, nicht mehr zu existieren?

Was immer es war … ich war allein. Es existierte niemand mehr außer mir selbst. Das zu begreifen war ein weiteres, überwältigendes Erschrecken. Vielleicht war ich tatsächlich tot. Aber weil ich in einem fremden Weltenspiel gestorben war, hatte ich womöglich keinen Zugang zu dem Jenseits, das zu dieser Welt gehörte, wie immer es beschaffen sein mochte.

Bevor ich mir dessen bewusst wurde, was das in letzter Konsequenz bedeutete und in Panik geriet, war da plötzlich etwas anderes bei mir. Es … existierte. Ich konnte es weder hören noch sehen noch fühlen, denn ich war völlig konzentriert und zurückgenommen auf diesen winzigen Punkt, der meine Existenz ausmachte, jenseits von Körperlichkeit oder einer Geistform.

Es … griff nach mir. Nicht, um mich zu packen oder zu bedrohen, Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich mit Worten beschreiben soll, was dabei vor sich ging. Es war … beängstigend und beruhigend zugleich.

Es hielt mich fest. Es gab mir Halt. Es behütete mich.

Es wartete. Ich wartete. Und da es auch keine Zeit mehr gab, hatte all das keine Bedeutung für das Weltenspiel.

***

Und nun?, fragte das Widerwesen.

Es war beunruhigt. Eigentlich hätte es voraussehen müssen, was geschehen würde, aber die Wahrscheinlichkeit, dass all dies wirklich einträte, war ihm wohl so lächerlich gering erschienen, dass es sich nicht darauf vorbereitet hatte. Noktámas Spielfigur hielt ihm stand, und das Licht hatte ihren Zug gedeckt. Möglicherweise bereitete Pataghíu im Hintergrund auch etwas vor.

Was für kleinliche Spielverderber die Mächte waren! Nie ließen sie es mitspielen!

Nun stand es also dem mächtigsten Magier aller Zeiten gegenüber. Und wiederum wider alle Wahrscheinlichkeit hatte diese plötzlich empfangene Macht, das pure Licht, das sich mit der dunklen Magie vermengt hatte, den sterblichen Menschenkörper nicht umgehend ausgelöscht. Das Licht, dessen Macht weit über die Welt und die Zeit hinaus ging, erfüllte den Schattensänger, überstrahlte die maghiscal aus Noktámas Kraft. Nie zuvor war ein sterbliches Wesen dermaßen mächtig gewesen.

Das war absurd. Und interessant. Leider hatte es keine Kontrolle über dieses nagelneue, treffliche Spielzeug, das dazu in der Lage wäre, alles hinwegzufegen und zu verstreuen, was die drei Mächte in ihrem Spiel erschaffen hatten.

Wie fühlt es sich an, allmächtig zu sein?, wollte es begierig wissen.

„Es ist … langweilig”, sagte Yalomiro Lagoscyre.

Langweilig? Du könntest nun alles tun und lassen, was dir beliebt! Ganze Welten könntest du auslöschen und neue erschaffen! Ganz nach deinem Gefallen!

„Ja, und alles würde mir exakt so gelingen, wie ich es will. Ohne Überraschungen. Ohne Geheimnisse. Ohne Herausforderungen Wozu sollte ich mir die Mühe machen, Welten zu zerstören und zu erschaffen, die doch immer gleich wären, egal, was ich Phantastisches damit im Sinn hätte? Was nützt es mir, Dinge nur für mich allein zu wirken? Ich wäre einsam mit meinem Werk.”

Ich wüsste schon, was ich mit der Allmacht täte, die das Licht dir verliehen hat.

„Ich weiß. Ich bin allwissend. Du würdest dieses Weltenspiel zerstören, allein um die Mächte zu verspotten. Aber ein neues Spielbrett aufzustellen, ein Spiel zu eröffnen, eine Welt zu schaffen … das würde dir misslingen.”

Würde es das?

„Ja. Etwas zu zerstören ist keine Kunst. Das kann jedes ungezogene kleine Kind. Und mehr bist du nicht im Angesicht der Mächte. Aber etwas Neues zu erschaffen, das nicht tot und leer und langweilig ist … daran würdest du scheitern.”

Und was machst du dann hier, kleiner Magier, der du mit der Allmacht nichts anzufangen weiß?

„Ich bin hier, damit die Mächte das begonnene Weltenspiel fortführen können, ohne dass ein Wesen wie du sie belästigt, ihnen über das Spielbrett tobt und ihnen die Figuren stiehlt oder zerbricht.”

Du magst allmächtig sein, du zerbrechlicher Mensch. Aber das Licht macht dich nicht unsterblich. Ich hingegen, ich bin unsterblich. Du kannst mich nicht besiegen.

„Vielleicht reicht es aus, dich lange genug zu vertreiben, dich zurückzuschicken ins Chaos, bis andere geboren sind, die dich besiegen können?”

Reicht deine Allwissenheit so weit, dass du dir sicher sein kannst, was geschehen wird?

„Nein. Denn das ist etwas, das die Mächte viel besser können als du. Sie haben Sterbliches in dieses Weltenspiel gesetzt, auf dass es diese belebt und zu etwas macht, woran sie Gefallen haben. Und damit es nicht langweilig wird, haben all ihren Spielfiguren, jeder einzelnen, den Magiern und den Unkundigen, ein eigenes kompliziertes, filigranes Herz gegeben, einen eigenen Verstand und einen eigenen Willen, mal dunkel, mal hell, mal klug, mal dumm, schwach und stark, und immer anders, von wo aus man es auch betrachtet. Ich weiß, dass die Geschichten dieser Menschen hier und auch meine eigene weitergehen müssen. Das Weltenspiel darf nicht zum Erliegen kommen, wie du es Gor Lucegath geheißen hast, womit du ihn verlocken wolltest in seinem rasenden Schmerz. Es muss interessant bleiben, Veränderung geben. Deshalb ist nichts, überhaupt nichts vorbestimmt im Weltenspiel. Es liegt nicht an den Mächten, was daraus wird. Es liegt an uns. Den Sterblichen.”

Das Widerwesen zögerte.

Was ist es, kleiner lächerlicher Mensch, der du Allmacht und Allwissenheit verschmähst, was dich in Sicherheit wiegt, mir widerstehen zu können?

„Oh, das ist einfach. Mir ist etwas zuteil geworden, was du bei denen vor mir verderben konntest. Ich bin der erste camat’ay, der ein Geheimnis gelernt hat, das denen vor mir verschlossen war.”

Was?, höhnte das Widerwesen, hat Noktáma dir eine neue Zauberkraft verliehen?

„Nein. Sie hat die Möglichkeit für die nächste Partie geschaffen. Alles andere ist simple… Magie.”

Und was willst du, kleiner Mensch? Was willst du für dich gewinnen in diesem Weltenspiel?

„Ich? Nun, ich bin anmaßend und leichtsinnig,: Ich will ein hýardor sein. Ein Vater. Ein Freund!”

Das Widerwesen war irritiert. Der Magier spürte diesen winzigen Moment der Verunsicherung.

Er hob seine Geige und begann, zu spielen.

***

Ich spürte die Musik, obwohl ich keine Sinne hatte, sie zu hören. In dem reduzierten Zustand, in dem mein Bewusstsein dahinfloss, war da plötzlich etwas Bekanntes, etwas, das nach mir rief. Etwas, an dem ich mich orientieren konnte. Ich strebte dorthin. Das, was mich barg, ließ es zu. Ich fühlte mich sorgfältig und achtsam an einen Punkt geführt, an den ich gehörte. Yalomiros Lied war um mich, mein Sein entfaltete sich darin und begann erneut, sich zu definieren. Das Etwas hielt mich noch so lange, bis ich Yalomiros maghiscal wieder wahrnahm, mit welchen Sinnen auch immer, und verschwand.

– Bist du da?

Ich will dich nie wieder verlassen.

– Ist dir wirklich bewusst, was du tust?

Ich habe mich entschieden.

– Warum?

Weil ich dir vertraue.

– Wer bin ich, dass ich dein Vertrauen verdiene? Wer bin ich, dass ich dich glücklich machen könnte?

Du bist der, nach dem ich mein Leben lang am falschen Ort gesucht habe.

– Wir haben keine Vergangenheit miteinander. Was, wenn ich dich enttäusche?

Wir können eine gemeinsame Zukunft haben. Sofern die Zeit weitergeht. Wenn du es besiegst.

– Das kann ich nicht. Nicht allein.

Du bist nicht allein.

– Dann berühre mich. Lass uns zusammen widerstehen.

Ich dachte nicht nach. Ich tat es einfach. Ich ließ mich in das Lied hineinfallen.