
Ich hatte beschlossen, mich vorerst in der Nähe der teiranda aufzuhalten. Immerhin schien Gor Lucegath keine Einwände mehr dagegen zu haben, dass ich mich außerhalb meines Zimmers aufhielt. Allein darin bleiben wollte ich nicht. Das Einzige, was mir Sorgen bereitete war, dass ich die Geige unbeaufsichtigt lassen musste. Aber vielleicht war es wirklich so, wie Arámaú gesagt hatte, und das Instrument würde nicht das Interesse des Rotgewandeten wecken, solange es in Trümmern lag.
Während ich Kíaná von Wijdlant – zur größten Irritation der Kammerzofe – auf Schritt und Tritt durch die Burg folgte, fiel mir erstmals auf, dass es hier tatsächlich auch andere kleinere Tiere gab. Einige struppige Katzen versahen ihren Dienst als Mäusejäger. Wie sich herausstellte, waren auch einige Schoß- und Jagdhunde vorhanden. Allerdings verhielten sämtliche Tiere sich scheu und versuchten, uns aus dem Weg zu gehen. Als ich ein Hündchen streicheln wollte, knurrte es mich an und schnappte nach mir. Das kränkte mich etwas, denn ich mochte Hunde. Ob Gor Lucegath ach diesen armen kleinen Geschöpfen irgendetwas angetan hatte?
Die teiranda plauderte und plapperte ohne Unterlass und kannte nur ein Thema: Jenen geheimnisvollen teirand, der kommen würde, um sie zu seiner hýardora zu machen, und das große Willkommensfest, das sie ausrichten wollte. Ich betrachtete sie in ihrer wahren, ihrer schmalen und kränklichen Gestalt und fragte mich, ob jener Mann wusste, was ihn hier erwarten würde.
Ich sagte nichts dazu, bis die drei yarlay zur täglichen privaten Audienz erschienen. Nach ihrem wilden Kampf wirkten sie alle drei zerzaust und angeschlagen, aber glücklicherweise schien war keiner von ihnen ernsthaft verletzt, wenn man davon absah, dass Moréaval leicht humpelte und Grootplen einen Verband um sein linkes Handgelenk trug. Altabete schien weder stehen noch sich setzen zu können. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob er das in Gegenwart der teiranda überhaupt gedurft hätte. Falls sie bemerkte, wie es um ihre Krieger stand, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.
„Ich habe heute eine wichtige Neuigkeit für Euch”, begann sie. „In den nächsten Tagen erwarte ich hohen Besuch.”
Das schien die Männer nicht sonderlich zu überraschen.
„Ich erwarte, dass der edle Herr und sein Gefolge in angemessener Weise empfangen werden. Das Glück von Wijdlant steht in Frage.”
„Dürfen wir wissen, auf wen wir uns vorbereiten müssen, Herrin”, fragte Grootplen.
Sie lächelte. „Auf einen mächtigen Kämpfer und großen Helden. Auf einen echten teirand.”
„Benjus von Valvivant mit seinen Männern?”, fragte Moréaval verwirrt. Vielleicht konnte er sich nicht vorstellen, dass Gor Lucegath einen anderen teirand in seiner Nähe geduldet hätte.
„Wie kommt Ihr darauf?”
„Der Meister hat … ach, nichts.”
„Wenn es kein Besuch aus Valvivant ist, Herrin, wer kommt stattdessen?”, fragte Altabete, offenbar, damit Moréaval nicht zu viel redete. Das war verdächtig.
Die teiranda musterte den Ritter verwirrt. „Ich … ich erwarte, dass Asgaý von Spagor mir seine Aufwartung machen wird.”
Grootplen machte ein verwirrtes Gesicht. „Der teirand von Waýreth Althopian?”
Sie überlegte. „Ja, ich glaube das ist er”, sagte sie dann geistesabwesend.
„Was will dieser … teirand hier?”, kam es misstrauisch von Altabete. „Was schert er sich jetzt so plötzlich …”
„Still!”, fuhr Grootplen ihm entsetzt ins Wort.
Die teiranda runzelte die Stirn. „Was ist das für ein Ton, Herr Andriér?”
„Nichts. Ich habe nur laut gedacht.”
„Sicherlich wundert es ihn, dass Asgaý von Spagor so … plötzlich Interesse an seiner Nachbarschaft zeigt”, kam Jóndere Moréaval ihm zu Hilfe. „So … unerwartet.”
„Nun”, sagte sie entspannt, „ich denke, Waýreth Althopian ist in sein teirandon gereist, um seinem edlen Herrn von mir zu berichten. Nun kommt jener, um sich selbst ein Bild zu machen.”
„War es nicht das, was Ihr so lange Zeit erhofft hattet?”, wagte ich, mich einzumischen. „Dass .. jemand herkommt?”
Andriér Altabete wandte sich mir zu. „Das kommt darauf an, warum er sich so plötzlich dazu entschließt. Was er im Schilde führt.”
„Aber ist das nicht ganz offensichtlich?”, fragte die teiranda mit entrücktem Blick. „Bald schon werden sich Wijdlant und Spagor in Verbundenheit die Hände reichen und gemeinsam werden wir in Pianmurít eingehen.”
Hatte sie gerade tatsächlich selbst Pianmurít gesagt?
„Wohin, Herrin?” Der mynstir Daap Grootplen hatte es also auch gehört.
„Alles wird gut und richtig werden”, sagte sie geistesabwesend. „Und wir alle werden einen großen, glücklichen Frieden erleben.
Damit erhob sie sich. Die Audienz war beendet, bevor jemand eine Rückfrage stellen konnte. Sie lächelte noch einmal versonnen in die Runde und entfernte sich, dicht gefolgt von der Zofe. Ich ließ die Ritter stehen, um nicht den Anschluss zu verlieren, aber ich spürte drei nachdenkliche Blicke in meinem Rücken.
***
„Was ist hier los?”, fragte Waýreth Althopian, nachdem er das Spektakel auf dem Burghof eine Weile befremdet angeschaut hatte.
„Ah, Ihr seid auch wieder unter uns”, antwortete Alsgör Emberbey gereizt. „Nun, unser Herr hat sich entschlossen, noch im Laufe des Tages nach Wijdlant aufzubrechen, um sich der Dame vorzustellen. Offenbar hat er in der Nacht einen unverrückbaren Entschluss gefasst.”
„Was? Heute noch? Aber… das ist nicht möglich!”
„Das habe ich ihm auch schon gesagt. Es bedarf schon einer gewissen sorgfältigen Vorbereitung, um eine solche Reise zu organisieren.”
„Das meine ich nicht! Er darf das Ganze nicht überstürzen!”
„Ich habe den ganzen Vormittag damit verbracht, ihm auszureden mit einem großen Tross loszuziehen. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich die Leute hätte hernehmen sollen. Wir reisen mit kleinem Gefolge. Fünf Männer in Waffen sollten reichen.”
„Aber wir müssen noch mindestens zwei Tage warten!” Althopian machte einem Stalljungen Platz, der eines der Pferde über den Hof führte. Dort leistete der Schmied Schwerstarbeit. Ohne anständige Beschläge konnten die Rösser natürlich nicht den weiten Weg zurücklegen. Das metallene Hämmern auf dem Amboss übertönte zeitweise ihre Stimmen.
„Seid Ihr bei Sinnen? Ich will diesen Unfug so schnell es geht hinter mich bringen! Bei den Mächten, ich habe für alle Fälle meinen Knappen, den leichtfertigen Bengel, zurück zu meiner Burg geschickt, damit wenigstens irgendjemand meine … hýardora in Empfang nimmt, falls das Schiff pünktlich ist.”
Althopian ließ die Schultern hängen. Der ältere yarl hatte das Regiment übernommen. Er beaufsichtigte und befehligte das Burgvolk, das aufgescheucht herumrannte, um alles für den Aufbruch des Königs in Ordnung zu bringen; von der Ausstattung der Pferde bis zur Zusammenstellung des Reisegepäcks. Was sollte nur werden, wenn Emberbey, mochten die Mächte diesen Tag noch in weiter Ferne liegen lassen, das Weltenspiel verließ? In der Burg würde ohne seine Autorität und Umsicht augenblicklich blankes Chaos ausbrechen.
„Ruft die Leute zurück”, bat Althopian eindringlich. „Ich gehe allein mit ihm nach Wijdlant.”
„Wie bitte?”
„Es sollten nicht mehr Menschen als nötig diese Reise antreten. Ich kann es Euch jetzt nicht erklären.”
„Ihr erwartet somit, dass ich ohne eine Begründung der Anordnung des teirand wiederspreche?”
„Tut es mir zuliebe. Auf meine Verantwortung. Ich gehe und spreche mit ihm.”
„Ihr benehmt Euch mehr als sonderbar, Althopian”, sagte der andere Ritter misstrauisch. „Ist Euch das klar?”
„Bitte. Gebt mir nur einen Moment Zeit, und Ihr werdet es von ihm selbst hören.”
Er kehrte dem Älteren den Rücken zu und hastete hinüber ins Wohnhaus. Sterbenselend war ihm. Als wären die zerbrochenen Krebspanzer nicht schon böses Vorzeichen genug gewesen. Aber er konnte der gutherzigen Fischersfrau keinen Vorwurf machen. Woher sollte das einfache Weib wissen, wie anstößig es war, vor den Augen eines Ritters gepanzerte Krustentiere zu verzehren?
Er fand Asgaý von Spagor in Gesellschaft seines Schneiders in seinen privaten Gemächern. Der teirand war dabei, vornehme Gewänder anzulegen, die einst seinem Vater gehört hatten. Der war ein stattlicher Mann gewesen, so dass die Kleider natürlich nicht an den schlaksigen Körper passten. Der Schneider hatte offenbar den Auftrag, die Kleidung abzustecken und zu ändern.
„Herr”, machte der Ritter auf sich aufmerksam. „Ich vergaß, Euch etwas Elementares mitzuteilen. Unverzeihlich, diese Versäumnis!”
„Sprecht frei heraus, Althopian, Und sagt, steht mir dieser Mantel wohl gut zu Gesicht?”
„Natürlich, Herr. Aber Ihr solltet wissen, dass Ihr der edlen teiranda in aller Heimlichkeit begegnen solltet. Im Versteckten!”
Der junge teirand wandte sich erstaunt um. „Was sagt Ihr?”
„Kein großer Tross. Kein Gefolge. Das wäre nicht gut. Mit Diskretion und Bescheidenheit kommt Ihr zum Ziel.”
Der Schneider zögerte, die Nadel in der Hand und schaute von einem zum anderen.
„Erklärt Euch”, verlangte Asgaý von Spagor.
Nie könnte ich mir verzeihen, mehr unschuldige Seelen als nötig in den Wahnsinn hineinzuziehen, dachte der Ritter. Laut sagte er: „Hatte ich Euch nicht gesagt, der Dame sei aus einer misslichen Lage zu helfen? Dass sie auf einen Helden wartet, der ihr seine Hand reicht? Unauffällig müsst Ihr Euch dorthin begeben. Niemand darf vor der Zeit von Euch wissen. Die teiranda hat Grund zur Annahme, dass jemand aus ihrem engsten Umfeld ein doppeltes Spiel spielt. Ihr müsst herausfinden, wer der Verräter ist. Zurückhaltend und im Geheimen.”
„Aber wenn es gilt, die Dame aus einer misslichen Lage zu retten, kann ich doch nicht ohne meine Krieger …”
„Ich werde Euch begleiten. Mein Schwert an Eurer Seite muss genügen, wenn Ihr selbst keines führen mögt. Mich kennt man in Wijdlant bereits und wird keinen Verdacht schöpfen. Einen großen Prachttross würde ein Schurke von weitem kommen sehen.”
Asgaý von Spagor, der in all den Sommern und Wintern nur sehr wenig Interesse daran gezeigt hatte, auch nur die Grundlagen des Schwertkampfs zu erlernen, seufzte. Vielleicht brachte ihn dieser Einwand zum Nachdenken. Dann erhellte sich sein Gesicht plötzlich.
„Brauche ich dann vielleicht eine Verkleidung? Wie der Smaragdritter in der Geschichte mit dem schurkischen Räuber und den fünf entführten fánjulaé?”
Althopian war sich sicher, dass er von dieser Erzählung noch nie gehört hatte. Er fragte sich, wie viele Fortsetzungen des Romans es zwischenzeitlich geben mochte und hoffte, es sei nichts allzu Absurdes, womit sich dessen Held maskiert haben mochte.
„– … Ja. Ja, das ist gut. Besorgt Euch etwas in der Art. Aber keine Eile damit. Wir reiten in zwei, nein, besser in drei Tagen los.”
„Warum so spät?”
Weil ich eine Queste nach der anderen erledigen muss. Ich kann mich nicht zerteilen!
„Weil wir dann zur rechten Zeit dort ankommen. Nämlich dann, wenn die Umstände günstig sind.”
Asgaý von Spagor warf seinem Schneider einen ratlosen Blick zu. Der Mann gab sich alle Mühe, unbeteiligt dreinzuschauen und nicht zu grinsen. Der plötzliche Tatendrang des teirand war urkomisch. Althopian hätte dem Schneider gern seinen Spaß gelassen, aber selbst fand er die Sache alles andere als lustig.
„Was wisst Ihr, das ich nicht wissen soll?”, fragte der teirand misstrauisch.
Zu viel.
„Ich kenne den richtigen Moment”, sagte Althopian. „Und ich bin sicher, dass die Dame sehnsüchtig auf Euch wartet. Glaubt mir. Ich weiß, was Sehnsucht ist und wie sie im Herzen tut. Aber wie Ihr die Dame für Euch gewinnt, das ist allein Eure Sache. Dabei rede ich Euch nicht hinein. Ich bitte Euch nur, es eine vertrauliche Sache zwischen Euch und mir sein zu lassen. Zumindest für den ersten Schritt.”
Asgaý von Spagor musterte seinen yarl kritisch. Dann wandte er sich an den Schneider.
„Kannst du mir etwas nähen? Unauffällig, aber geschmackvoll. Etwas, was mich tarnt, aber trotzdem nicht zu ärmlich aussieht? Die teiranda soll nicht denken, sie habe es mit einem Lumpen zu tun!”
Waýreth Althopian fiel ein Stein vom Herzen. Unauffällig zog er sich zurück und überließ den jungen teirand seinen Abenteuerphantasien. Wahrscheinlich hatte sich in den Romanen, die er las, bereits mehr als nur ein fiktiver Held in Verkleidung in eine feindliche Festung oder an eine holde Dame herangeschlichen.
Er legte die Hand dorthin, wo er den Talisman der yarlara von Ivaál spürte.
„Edle Dame”, wisperte er bei sich, „allein für Euch lasse ich mich zu diesem unwürdigen Possenspiel herab. Mögen die Mächte geben, dass Ihr sicher in Forétern angelangt.”
Solange er gehorsam war, sollte nichts dagegen sprechen.
***
Yalomiro saß im Bug und schaute nach Norden. Das Schiff fuhr schnurgerade auf dem Lichtstreif, den der zerrissene Sturmhimmel auf das Meer warf, aber die Wolken faserten bereits auseinander und vergingen. Sie segelten der Sonne entgegen, und zwar schneller als der Wind sie trieb. Nun, er hatte es eilig.
Das ay’cha’ree trug er nun sicher verborgen am Körper. Was immer ihn in der Tiefe angegriffen hatte, es hatte danach gelangt, versucht, es ihm zu entreißen.
Bei den Mächten, was war das gewesen, dieses … Ding im Chaos? Es war mächtig gewesen, aber auf eine seltsame Weise, die er nichts von dem zuordnen konnte, das er kannte. War es etwas gewesen, das Noktáma diente? Nein, das war unwahrscheinlich. Sie hätte ihm das Artefakt jederzeit verweigern können. Warum hätte sie ihm geben und ihn gleich darauf daran hindern sollen, es wieder dorthin zu bringen, wohin es gehörte?
Das fremdartige Etwas war … schlecht gewesen. Nicht schlecht im Sinne von gut und böse, von den so wandelhaften Perspektiven. Es war gegnerisch, ohne Partei zu ergreifen. Es war …
„He, du!”, sprach Majék ihn an. Yalomiro zuckte zusammen und blickte auf.
„Was gibt es?”
„Das Segel bläht sich gegen den Kurs. Machst du das?”
„Ja. Ich darf keine Zeit verlieren, wieder an Land zu kommen.”
„’st übel, wenn das eigene Segel nicht spurt.”
„An euer Ruder habe ich keine Magie gelegt. Den Kurs haltet ihr.”
„Was bin ich froh, wenn wir dich wieder los sind.”
„Ja. Das kann ich mir denken.”
„Warum hast du es so eilig mit deinem Schatz?”
„Du hast ein ungesundes Interesse an Schätzen, junger Mann.”
„Lenk nicht ab!”
„Es wartet jemand auf mich.”
„Tatsächlich? Ein Mädchen etwa?”, fragte Majék und war mit einem Mal ganz interessiert.
„Majék, biste bei Verstand?”. kam es von Egnar. „Was soll er denn mit einem Weibsbild anfangen!”
„Ach ja. Stimmt.” Majék errötete. „Wie dumm von mir. Ich dachte nur … also, ich hätte es eilig, wenn ich ‘nen Schatz gehoben und an Land ein Mädchen hätte …”
„Hast du denn eines?”, fragte Yalomiro beiläufig.
„Ja natürlich! Ich meine …na ja. Fast. Bald. Ganz sicher.”
„Die kleine Elina hat neulich beim Fest mit ihm getanzt.” Egnar war sichtlich besserer Laune, seit sie wieder Kurs auf die Küste hielten. Woher der Wind im Segel kam, war dem Fischer nach seinem Abenteuer herzlich egal.
„Getanzt …”, sagte Yalomiro nachdenklich.
„Ja, bis sie es leid war, dauernd auf die Füße getreten zu werden”, frotzelte Egnar. Das gefahrvolle Abenteuer begann in seinen Gedanken bereits zu einem aufregenden Spektakel zu verblassen.
„Gar nicht wahr!”
„Ich hab’s doch gesehen! Und Kelwa sagt …”
„Liebst du dieses Mädchen?”, unterbrach Yalomiro.
Nun wurde Majék rot wie ein gekochter Krebs. „’ geht dich nichts an”, murmelte er mürrisch.
Der Schattensänger erhob sich. „Aber du, Egnar, du und deine hýardora. Ist das Liebe?”
„Was für eine Frage! Natürlich! Nie hab ich eine andere angeschaut. Also, zumindest nicht nachdem ich Kelwa gefunden hab’.”
Yalomiro spürte Egnars zärtliche Gedanken. Die Mächte hatten den Unkundigen dieses heilige Gefühl nicht ohne Grund anvertraut. Doch warum durfte es in einem Magierherz nicht sein? Warum war es die Pflicht eines Großmeisters, es zusammen mit den Erinnerungen an Familie und Herkunft aus Schattensängerseelen zu entfernen?
Yalomiro fühlte sich um etwas betrogen, das ihm zugestanden hätte, ihm und Arámaú und all jenen, die vor ihm im Boscargén gelebt hatten. Zugleich fragte er sich, ob der Umstand, dass Askýn Lagoscyre das Ritual seinerzeit an ihm nicht sorgfältig ausgeführt hatte, ebensolche Unvernunft gewesen war wie sein Ansinnen, mit goala’ay über Frieden zu verhandeln.
Zugleich überkam ihn Unbehagen. Wäre Gor Lucegath nicht erschienen und hätte das Spiel um das Artefakt begonnen, dann wäre es eines späteren Tages an ihm, Yalomiro Lagoscyre gewesen, die Pflichten des Großmeisters zu erfüllen und auszuführen. Es war sein Ansinnen gewesen, der beste, der kunstfertigste, der Mächtigste aller camat’ay zu werden. Schon allein, um Meister Gíonar zu beweisen, dass er nicht der leichtfertige Taugenichts war, für den dieser ihn hielt. Welche Arroganz, dachte Yalomiro Lagoscyre und schauderte. Eines Tages, hätte der Rotgewandete ihn nicht aufgehalten, wäre es an ihm selbst gewesen, auserwählten Kindern die Seele zu verstümmeln, damit sie Noktáma gehorsam und ohne Schwäche in ihrer Magie dienen konnten. Eines dieser Kinder wäre einmal sein eigner Nachfolger geworden. Bis in alle Ewigkeit. Immerfort- Oder bis die Magie erlosch.
Nein. Wie immer das Spiel zwischen ihm und Gor Lucegath endete. Nein. Nicht mehr nach diesen Regeln.
Das Artefakt, er spürte es. Er verstand es nicht. Aber es war ihm anvertraut, um das Richtige damit zu tun. Der Magier konnte kaum die Nacht erwarten, um mit Arámaú darüber zu sprechen. Sacht legte er die Hände auf die Reling und spähte am Steven vorbei. Hier auf dem Schiff war er sicher. Einige wertvolle Stunden konnte er hier nich ruhen. Sobald sie den Strand erreichten, würde es vorbei sein. Dann musste er sich beeilen.
Das ay’cha’ree wog schwer. Und es strahlte so hell, dass es für Augen, die es erkannten, nicht zu übersehen war. Gor Lucegath wusste längst, dass er damit zurückkehrte.
Möge das Licht ihn blenden und verbrennen.
Der Schattensänger erschrak über diesen giftigen Gedanken. Dann schloss er die Augen und trieb mit seinem Lied die Wellen unter dem Kiel voran.
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