In den frühen Morgenstunden brach der Schlaf schließlich auf, fiel von Yalomiro ab wie eine mürbe Kruste und gab ihn frei. Der Schattensänger schlug die Augen auf. Bis sein Blick sich wieder an die Dunkelheit angepasst hatte, dauerte es einige Momente. Dann gewahrte er vor sich das Gesicht der ujora. Sie schlief nun, viel zu tief, als dass er sie jetzt hätte aufwecken können. Sie hatte seine Müdigkeit auf sich genommen und würde an seiner Stelle ruhen, bis die Erschöpfung aufgebraucht war. Seine Magie fühlte er wieder in seinen Adern, dort, wohin sie gehörte.

Sie hatte ihre Arme um ihn gelegt, ihr Haupt ruhte sacht an seiner Schulter. Er spürte ihre Wärme an seiner Haut. Auch seine eigenen Finger berührten ihren Leib. Er betastete sie behutsam, konzentrierte sich eine Weile darauf, wie ihre Brust sich unter ihrem Atem hob und senkte. All das war stabil und im Takt.

Er hob die Hand zu ihrem Gesicht hinüber und streichelte über ihre Wange. Einen Augenblick lang betrachtete er sie versunken, ohne einen klaren Gedanken. Dafür wirbelten in seinem Herzen Gefühle umher, die er nicht ordnen konnte.

„Hast du gut geschlafen, Yalomiro Lagoscyre?”

Der Rotgewandete war bei ihnen. Aber der Schattensänger wollte sich nicht vom Anblick der ujora abwenden. Noch nicht. Er wollte ihren Anblick, so friedlich und sanft, so lange festhalten wie möglich.

„Was wollt Ihr?”, fragte er. Seine Stimme war heiser und krächzend. Zu lange hatte er nicht mehr geredet. Aber auch das würde sich wieder geben.

„Dasselbe, worum ich dich immer bitte, wenn wir uns auf diese Weise begegnen. Ich hoffte, dass die Zeit, die du mit dir selbst verbracht hast, dich zu einer weisen Entscheidung geführt hat.”

„Möglich.”

„Dann bist du zu Verstand gekommen?”

„Das, Meister Gor, würde ich an Eurer Stelle nicht annehmen.”

„Dann willst du zurück in meine Domäne? Wir können dieses Spiel bis in alle Ewigkeit fortsetzen, wenn dir danach ist. Es mangelt mir nicht an Ideen, nun, da ich wieder gestärkt bin.”

Yalomiro seufzte und betrachtete ihren Schlaf noch für ein, zwei köstliche Atemzüge. Dann richtete er sich auf. Sein Körper war nach wie vor müde und schwer, aber es gab keine Schmerzen mehr. Alle Wunden waren durch seine eigene maghiscal geheilt. Die Reste der Salbe zerbröselten zu feinem Staub, rieselten von ihm ab und verwehten.

„Und?”

„Ich werde das ay’cha’ree bergen und hierher bringen.”

Der goala’ay schwieg einen Augenblick. War es Überraschung? Oder wartete er auf etwas?

„Ich muss zugeben, dass mich dieser rapide Sinneswandel ein wenig erstaunt, Yalomiro Lagoscyre. Ist es ihr Verrat, der dich dazu bewegt? Hat sie dich tatsächlich darum gebeten?”

„Ja. Aber wenn Ihr mit Verrat ihre unschuldige Sorge um meine Unversehrtheit meint – nein. Ich muss mir in meine Entscheidungen nicht von einem unkundigen Wesen dareinreden lassen. Ich werde es aus freiem Willen tun.”

„Dann steh auf.”

Nun lag eine Schärfe in der Stimme des Rotgewandeten, die weiteres Zögern nicht duldete. Der Schattensänger drehte sich auf die andere Seite und schwang die Beine über die Bettkante. Der Lichtwächter saß auf dem Sessel daneben, nur eine Armlänge entfernt, und musterte ihn unverwandt.

„Du bist dir unumstößlich in diesem Moment deiner Entscheidung bewusst und wirst dich von nichts, was weiterhin geschieht, davon abbringen lassen?”

„Ihr wollt ein Gelübde von mir hören?”

„Selbstverständlich. Willst du mir das verübeln?”

Yalomiro seufzte. Dann nickte er.

„Ich gelobe Euch vor Noktáma, der lebendigen Nacht, den Mächten und beim ewigwährenden Weltenspiel, dass ich aus freiem Willen das Artefakt herbeischaffen werde. Mögen mich die Mächte selbst daran hindern, wenn es nicht sein soll.”

Gor Lucegath lachte leise. „Ich verstehe. Und ich bin einverstanden.”

„Dann lasst uns die Sache nicht länger aufschieben.”

„Deine Gewänder liegen ordentlich auf dem Stuhl neben der Tür. Wir reden weiter, während du dich ankleidest.”

Wortlos schleppte Yalomiro sich dorthin. Für die ersten beiden Schritte musste er sich noch am Bettgestell abstützen. Dann rückte seine Kraft wieder den richtigen Platz in seinen Gliedern zurück. Er ging hinüber zu dem Kleiderstapel, ordnete alles, säuberte und flickte mit beiläufigen Zaubern die Schäden, die Mantel und Hemd durch die Golddornen genommen hatten. Auch das glückte. Er konnte also bereits wieder einfache Magie wirken.

Einen viel zu langen Moment zuckte Versuchung durch seinen Geist. Nur ein einziger, ein unerwarteter, ein todbringender Bann …

Aber nein. In dem Augenblick, in dem er selbst begriff, woran er dachte, hatte der Rotgewandete es längst bemerkt. Yalomiro wischte die Idee beiseite und begann, sich zu kleiden.

„Wohin wird dein Weg dich führen, Yalomiro Lagoscyre?”

„Weit fort.”

„Nordwärts? Nach Virhavét?”

Yalomiros Hände, mitten im Binden einer Schleife, verharrten in der Bewegung.

„Sehr gut. Das sollte dich nur wenige Tage kosten.”

„Freut Euch nicht zu früh. Das ay’cha’ree ist nicht in Virhavét versteckt. Es wird mehr Zeit an Anspruch nehmen.”

„Dann befindet es sich also an einem Ort, den du sogar mit Magie nicht ohne Weiteres erreichen kannst? Oder, um den zu erreichen, du einige Vorbereitung benötigst?”

„Nehmt an, was Ihr wollt.” Er griff nach seinem Hemd und zog es sich über den Kopf, damit der goala’ay nicht in seinem Gesicht lesen konnte.

„Nun denn”, fuhr der Rotgewandete fort. „Es wird keine Rolle spielen, wenn ich noch ein paar Tage länger warten muss, solange ich sicher bin, dass du zurückkehren wirst.”

„Daran solltet Ihr nicht zweifeln.”

„Ich habe mir erlaubt, in deine Tasche einen Beutel mit etwas Geld zu legen. Sei unbesorgt, es sind nur einige Kupfer-und Silbermünzen, kein Gold. Es ist für den Fall, dass du unterwegs ujoray für irgendwelche Dienste entlohnen musst. Dein Zeug liegt dort drüben auf dem Tisch.”

„Das ist sehr aufmerksam”, antwortete Yalomiro und wandte sich zu Gor Lucegath um.

Der Rotgewandete hatte nun die Geige auf dem Schoß und betrachtete sie beiläufig.

Der Schattensänger erstarrte.

„Es nimmt mich immer wieder wunder zu sehen, dass deinesgleichen die Muße hatte, Magie an eitle, unnütze Dinge wie Musik zu verschwenden und zauberische Spielzeuge dafür zu schaffen. Mit dem hier, scheint mir, hast du dir außerordentlich viel Mühe gegeben.”

Yalomiro raffte alles, was er an Desinteresse vorschützen konnte zusammen und schlüpfte mit übergroßer Sorgfalt in seine nun wieder sauberen Schuhe. „Ein harmloser Zeitvertreib. Ich habe das Instrument selbst erschaffen, als ich erst siebzehn Sommer alt war”, erklärte er nebenher und flehte stumm zu den Mächten.

„Als ich siebzehn Sommer alt war”, antwortete Gor Lucegath nachdenklich, „hat mein Meister mich gelehrt, wie man einem Mann hundert Schwertstreiche mit so leichter Hand versetzt, dass hernach noch Leben in ihm ist.”

„Und? War Euer Meister zufrieden mit Eurer Kunst?”

„War deiner es mit deiner infantilen Gaukelei?” Der Rotgewandete erhob sich. „Aber reden wir nicht von Glanztaten, auf die wir als unreife Halbwüchsige stolz waren. Was mich an diesem Werkzeug viel mehr fasziniert ist das, was du ihm erst vor kurzer Zeit an Magie beigefügt hast.”

Er setzte die Geige an, hob den Bogen und tippte damit sacht eine Saite an.

Die Unkundige zuckte unter dem Ton, ganz kurz nur, als liefe ein Erschauern über ihren Körper.

Der Rotgewandete lächelte. „Interessant.”

„Gebt mir mein Werkzeug”, forderte Yalomiro beherrscht. „Ihr könnt damit ohnehin nichts anfangen.”

„Das, Yalomiro Lagoscyre, würde ich gern selbst herausfinden nun, nachdem ich dein kluges Gelübde habe.”

Er neigte sich über die Unkundige und strich leise einige weitere, einzelne Töne an. Die Unkundige regte sich. Sie erwachte zwar nicht aus dem bleiernen Schlaf, aber ihr Leib reckte sich lustvoll dem Klang entgegen. Ein begehrlicher Seufzer kam über ihre Lippen.

„Ah. Ich habe wohl die Noten gefunden, die den Fluch von deinesgleichen bergen.”

„Hört auf damit!”, rief Yalomiro entsetzt aus.

Gor Lucegath ließ den Bogen fingerbreit über den Saiten schweben. „Was ist das nur, was du dieser Geige beigebracht hast?”

„Etwas sehr Privates!”

„Etwas, das dein Meister gutgeheißen hätte?”

„Etwas, das selbst ihn nichts angegangen wäre, und Euch noch viel weniger! Abgesehen davon… dafür habe ich es nicht getan! Ihr spielt das falsche Lied!”

„Das mögest du mir nachsehen, Yalomiro Lagoscyre. Wie erwähnt, mich hat man Schwertstreiche gelehrt, und der Bogen führt sich wohl anders als eine Klinge. Unglücklicherweise beherrscht meine Hand die Feinheiten noch nicht.”

„Dann”, zwang Yalomiro sich zur Disziplin, „lasst davon ab und gebt mir mein Instrument!”

Der Geigenbogen traf hart auf die Saiten und glitt darüber hinweg, ein lauter, quietschender Misston. Die Unkundige bäumte sich auf wie unter einem brutalen Stoß und keuchte vor Schmerz.

„Bitte!”, rief Yalomiro flehentlich aus. „Haltet ein!”

Der Rotgewandete ließ das Instrument sinken.

„Hast du das bewusst erschaffen?”, fragte er sanft.

„Ja.”

„Warum?”

„Um Ihr genügend Magie einzuflößen, nachdem sie sich für mich aufgeopfert hatte.”

„Und ist es dir so gelungen, wie du es haben wolltest?”

Der Schattensänger zögerte.

„Anders als das”, gab er zu. „Sie hat darin … eingestimmt. Mit ihrem eigenen Lied.”

„Und dabei wurde … das aus deinem Zauber? Deine Unkundige scheint mir ein über die Maßen interessantes Wesen zu sein, dass sie sogar dies in dir entfachen konnte. Es wird mir eine Freude sein, sie eingehender zu studieren, während du unterwegs bist. Möglicherweise findet sie Gefallen an meinen bescheidenen musikalischen Fähigkeiten.”

„Habt Ihr nicht genug Zerstreuung mit der teiranda, diesem armen Weib?”

„Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis deine Unkundige sich kaum noch von der teiranda unterscheidet. Ich muss lediglich herausfinden, inwieweit Pianmurít ihr Linderung von dem verschaffen könnte, was sie in ihrem armseligen unkundigen Leben vermisst. Ich weiß noch nicht, was ich ihr anbieten kann.”

„Ich werde zurückkehren, bevor Ihr sie in Eure Fänge bekommt”, antwortete Yalomiro beherrscht.

„Davon bin ich überzeugt.”

Yalomiro nickte. Dann wandte er sich ab, warf seinen Mantel über, griff nach seinem Hut und schleuderte dem Rotgewandeten einen Bann entgegen, so unerwartet und heftig, dass Gor Lucegath mit voller Wucht davon getroffen wurde. Der Lichtwächter stolperte mit einem überraschten Ächzen einen Schritt zurück, strauchelte zwar nicht, aber die Geige entglitt ihm, prallte im Fall auf der Matratze ab und kam auf dem Teppich vor dem Bett zu liegen.

Einen, zwei Atemzüge lang waren beide Magier wie erstarrt. Dann haschten sie zugleich nach dem Instrument, aber Yalomiro war schneller, einen Lidschlag nur. Eilends riss er es an sich und sprang damit aus der Reichweite des Rotgewandeten, streckte seine Hand gegen ihn aus und formte seine maghiscal zu einem Schild.

Gor Lucegath richtete sich auf. „Das, Yalomiro Lagoscyre, ändert überhaupt nichts an deiner und ihrer Situation.”

„Und ob es etwas ändert”, wisperte Yalomiro. Er wich rückwärts, Schritt für Schritt auf die andere Seite des Bettes, auf dem die Unkundige immer noch im Schlaf bebte. Dann holte er weit aus.

Bevor Gor Lucegath es verhindern konnte, hatte der Schattensänger die Geige auf der steinernen Fensterbank zerschlagen. Das schwarze Holz zersprang in Scherben, als handele es sich um Glas. Es prasselte auf den Fußboden nieder, glomm einmal noch kurz in einem silbrigen Schimmern auf.

Yalomiro schloss die Faust, und der magische Schild verschwand. Das Instrument war dahin.

Einen Augenblick lang schauten die beiden Magier einander schweigend an. Dann reichte der Rotgewandete dem Schattensänger den Bogen hinüber. Yalomiro nahm ihn wortlos, zerbrach ihn über dem Knie und ließ ihn zu den Geigentrümmern fallen.

„Denkst du, dass ich nicht genug anderes wüsste, was ich an ihr wirken könnte, sobald du versuchst, mich mit abstruser schattensängerischer List zu hintergehen?” fragte Gor Lucegath sanft.

„Immerhin habe ich Euch die Möglichkeit genommen, sie mit meiner Magie zu schänden.”

„Und dir selbst jene, ihr jemals wieder näher zu sein, als der Fluch es dir erlaubt hätte?” Der Rotgewandete hob kopfschüttelnd eine der Scherben zu seinen Füßen auf. „Wie konnte nur … Begierde in deine Magie hineingeraten?”

„Spielt das noch eine Rolle?”

„Das werden wir sehen.”

Yalomiro senkte den Blick. Der Rotgewandete lächelte nachsichtig. „Du bringst mir also das ay’cha’ree?”

„Ja. Aber ich stelle Euch eine Forderung dazu.”

„Ich sehe dich nicht in der Position, Ansprüche zu äußern. Aber lass hören.”

„Ihr werdet weder Hand noch Magie an die Unkundige legen, wie es Euch in Eure Launen passt.”

„Solange sie mir keinen Anlass dazu gibt, hat sie nichts vor mir zu befürchten. Und weiter?”

„Sobald ich mit dem ay’cha’ree zurückkehre, schafft Ihr sie wohlbehalten zurück an den Ort, an den sie gehört. Vorher werde ich das Artefakt nicht aus der Hand geben.”

„Wie? Willst du sie etwa nicht mehr für dich haben? Bei allem, wozu sie dir nütze war?”

„Ich will die ujora in Sicherheit wissen. Ihr darf nichts zustoßen, wenn es zum Äußersten kommt.”

Der goala’ay spielte gedankenvoll mit dem zerbrochenen Holz in seiner Hand. „Gut. Dann hör du dir meine Gegenbedingungen an. Ich verspreche dir, ihr kein Haar zu krümmen und keine Magie an ihr zu wirken, es sei denn, sie bittet mich aus eigenen Stücken um eine Gefälligkeit. Was der Einfluss von Pianmurít mit ihr bewirkt, liegt jedoch nicht in meinem Ermessen. Das ist allein eine Frage ihres Geistes.”

„Ich sehe, was Ihr damit andeuten wollt. Aber gut. Ich vertraue auf ihre Standhaftigkeit.”

„Du mischst dich weder mit Wort noch mit Tat in Geschäfte ein, die allein mich und die ujoray betreffen, von denen du unterwegs erfahren magst. Das gilt insbesondere für deinen Freund, den yarl Althopian. Es wäre sinnlos, dir zu verheimlichen, dass er bis vorgestern hier in Wijdlant weilte. Benjus von Valvivant hatte ihn auf deine Fersen gehetzt, nach deinem völlig unnötigen, hoffärtigen Auftritt dort.”

„Ich vertraue ebenso auf die Ehre und Loyalität des yarl, dass er sich von Euch nicht zu Torheiten verleiten lässt. Und zuletzt?”

„Du magst dich meinetwegen für den Weg wieder in ein feuriges Ross, einen Vogel oder was immer dir in deinem Übermut einfällt verwandeln, sobald deine Magie dazu wieder ausreicht, aber aus den Schatten hältst du dich fern. Du bewegst dich ausschließlich in der Domäne der Unkundigen, wo ich dich jederzeit finden kann. Ich will stets wissen, wo du bist und ich habe meine Mittel, augenblicklich zu erfahren, wenn du dich zu Torheiten hinreißen lässt.”

„Ich verstehe. Aber damit komme ich langsamer voran als nötig.”

„Das ist mir bewusst.”

Yalomiro nickte.

„Du kommst auf dem schnellsten Weg zurück, ohne dich links und rechts des Weges um andere Dinge zu kümmern. Wie lange wirst du unterwegs sein?”

„Bis nach Virhavét werde ich mich zu behelfen wissen. Danach bin ich auf die Gnade der Mächte, die Hilfe von Unkundigen und die Führung Noktámas angewiesen.”

„Ich gebe dir zwölf Nächte Zeit. Wenn ich in der dreizehnten Nacht ab hier das ay’cha’ree nicht in Händen halte, werde ich deine Unkundige nach Pianmurít bringen und mich ihr eingehend und sorgfältig widmen, so lange, bis sie deinen Namen verflucht. Über alle Zeiten und Welten hinweg wird dir ihr Geschrei in den Ohren gellen, egal, wo du dich vor mir verstecken magst.”

„Ihr müsst mich nicht motivieren. Ich hatte genug Zeit, meinen Entschluss unausweichlich zu überdenken. Ihr habt Euer Ziel erreicht. Seid nun zufrieden damit und gebt mir nur noch einen Moment mit der Unkundigen. Ganz allein.”

„Und warum sollte ich das tun?”

„Weil es Euch nichts angeht, was ich ihr noch zu sagen habe. Immerhin mag es sein, dass ich sie nicht wiedersehen werde. Habt Ihr die Freundlichkeit?”

Gor Lucegath neigte den Blick. „Selbstverständlich. Es liegt mir fern, ein rührseliges Scheiden mit meinem profanen Zugegensein stören zu wollen. Ich weiß, was Anstand ist, camat’ay. Lass dir nur nicht zu viel Zeit.”

Zu Yalomiros großer Überraschung verließ der Rotgewandete tatsächlich den Raum und schloss die Tür hinter sich. Der Schattensänger wartete einen Augenblick, bevor er vorsichtig seine maghiscal ausbreitete. Dann kniete er neben dem Bett nieder und holte die zitternde Katze vorsichtig darunter hervor und in seinen Schutz.

Sie wagten nicht, zueinander zu reden. Arámaú schmiegte sich an seine Brust und rieb ihren Kopf an seiner Wange. Kostbare Atemzüge lang blieben sie einander Herz an Herz nahe. Gedanken zuckten zwischen ihnen hin und her, bis sie wieder in Einklang miteinander waren.

Schließlich setzte er das Tier auf dem Kopfkissen nieder.

Yal gha’tanai“, wisperte er. „Vertraut mir. Und vergebt mir alles, was ich fortan tun werde. Arámaú, ich gebe dieses Wesen in deine Obhut. Gib Acht, dass er dich nicht entdeckt! “

Sie maunzte lautlos und jämmerlich.

Er neigte sich über die Unkundige und berührte ihre Stirn mit der seinen. „Ich danke dir”, wisperte er. „Ich danke dir für jene Kraft, die du erweckt hast, ujora. Wenn Noktáma mit mir ist, wird alles sich fügen.”

Er stand auf und nickte der Katze zu. Arámaú blinzelte besorgt. Im Hinausgehen nahm er seine Tasche an sich und trat auf den Korridor hinaus.

„Bemüht Euch nicht”, sagte er zu dem goala’ay, der dort neben der Tür an die Wand gelehnt auf ihn wartete. „Ich finde den Weg zum Burgtor hinaus.”

„Willst du dich nicht von meiner Herrin verabschieden?”

„Wozu? Sie würde sich wohl keinen halben Tag daran erinnern, dass ich überhaupt da war.”

Gor Lucegath folgte ihm dennoch die Treppe hinab und durch den nächtlich verlassenen Saal hindurch auf den Hof. „Darf ich dir dennoch eine Frage stellen?”

„Sprecht nur zu.”

„Worauf genau gründet sich die unvermittelte Freiwilligkeit deiner Entscheidung, das Artefakt zu bergen, wenn es nicht ihre Bitte war?”

„Oh, das ist ganz simpel. Auf meinem höchsteigenen und trivialen Wunsch, Euch endgültig vernichtet zu sehen.”

Der Lichtwächter nickte, als habe er nichts anderes erwartet. „Dann hast du dich also von dem Wahnsinn losgesagt, deine Magie unschuldig und rein zu halten? Davon, der Macht zu entsagen und allein auf die Gnade Noktámas zu hoffen?”

„Vielleicht muss meine Unschuld geopfert werden, um Schuld und Wahn Einhalt zu gebieten.”

„Ich wünsche dir viel Glück, Yalomiro Lagoscyre.”

Der Schattensänger verneigte sich höflich, wandte sich ab und ging fort. Der einsame, geistesabwesende Wachposten im Torhaus öffnete ihm die kleine Seitentür im Fallgitter und ließ ihn passieren.

Gor Lucegath blickte ihm amüsiert nach, mit einem Ausdruck höchster Zufriedenheit und Genugtuung.

Sehr gut. Fast so wie damals.

Das Lächeln auf den Lippen unter der Maske erstarb. Der Lichtwächter seufzte und beschloss, in seinen Turm zurückzukehren.