„Waýreth! Um der Mächte willen, Waýreth!”

„Er hört uns nicht.”

Andriér Altabete, Jóndere Moréaval und der mynstir Daap Grootplen umringten den Ritter ratlos. Waýreth Althopian lag im Stroh und schnarchte geräuschvoll. Auf seinem blauen Waffenrock prangten ein paar dunkle Weinflecke.

Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den trunkenen Ritter den Turm hinunter zu schleppen, viel schwieriger als zuvor den bewusstlosen Schwarzmantel, der es irgendwie geschafft hatte, in die Kemenate der teiranda vorzudringen. Zum Glück, so dachten die Ritter, ohne es sich eingestehen zu wollen, hatte der Rotgewandete den Eindringling dort gestellt und niedergeschlagen. Dabei war Mobiliar zu Bruch gegangen. So stellte es sich aus der Sicht der drei yarlay dar. Insgeheim waren sie alle froh, dass der gruselige alte Spiegel fort war. Das blinde Glas in dem hässlichen Rahmen hatte sie verstört, wann immer Kíaná von Wijdlant aus irgendeinem Grund einen von ihnen in ihren Gemächern empfangen hatte.

Mochten die Mächte wissen, was diese seltsame fánjula, die Tag und Nacht in ihrem Zimmer hockte und beharrlich behauptete, ihre Sprache nicht zu verstehen, damit zu tun hatte. Was auch immer der Rotgewandete damit bezweckte, den Schattensänger in ihrer Obhut sehen zu wollen. Und vielleicht wussten die Mächte auch, wie es sich gefügt hatte, dass just heute Waýreth Althopian mit einem Mädchen hier auftauchte, das sicher nicht seine Tochter war.

Die Herren hatten sich nicht anders zu helfen gewusst als den yarl in die Stallungen zu bringen. Dort ließ sich sein desolater Zustand vorerst besser verheimlichen als beim Versuch, ihn einmal quer durchs Haupthaus in ein Gastgemach zu befördern.

Selbst Althopians Ross schien die Situation zu missbilligen. Der wuchtige braune Hengst hatte die Ohren angelegt und schnaubte verächtlich beim Anblick seines Herrn.

„Waýreth!” Yarl Altabete schüttelte ihn. „So komm doch endlich zu dir!”

„Verflucht sei der Rotgewandete”, knirschte Grootplen. „Ich hab gewusst, dass das nicht gutgeht!”

„Du meinst, er hat ihn vorsätzlich besoffen gemacht?”, fragte yarl Moréaval skeptisch.

„Natürlich. Endlich haben die Mächte uns erhört und einen von außerhalb des teirandon hergebracht – und jetzt können wir nichts mit ihm anfangen. Wir können nicht ungehört mit ihm reden und ihm alles erklären.”

„Wie gut, dass die teiranda das nicht sieht. Oder sein eigener teirand. Was für eine Schmach!”

„Still! Da kommt jemand!”

Jetzt schnell das Licht ihrer Laternen zu löschen, hätte Verdacht erregt. Außerdem hatten sie keinen Grund, sich zu verbergen. Also verteilten die Ritter sich im Stall, und jeder der drei gab vor, sich um sein jeweiliges Pferd zu kümmern. Doch es war nur das junge Mädchen, das mit einem eigenen Licht herbei kam.

„Oh! Hier treffe ich Euch alle an, edle Herren”, sagte sie. „Euch habe ich gesucht.”

„Hier im Stall, liebreizende fánjula?”, versuchte Daap Grootplen eine kümmerliche Galanterie.

„Offenbar ist in diesem Stall eine Menge los zu dieser nächtlichen Stunde. Aber eigentlich suche ich meinen Herrn.”

Die drei yarlay schwiegen verlegen. Aber das Schnarchen des Ritters hob sich deutlich von den Geräuschen der stoischen Tiere in ihren Pferchen ab.

„Komm nicht näher, Mädchen”, bat Andriér Altabete. „Es wäre unrühmlich. Niemand sollte ihn so sehen.”

„Ich weiß bereits, dass er einen Becher zu viel hatte. Und ich habe etwas dagegen dabei. Denkt nicht, in Valvivant mangele es an Trunkenbolden.” Sie kramte aus ihrer Tasche eine Dose und einen hölzernen Schöpflöffel hervor. „Gibt es hier irgendwo Wasser?”

Jóndere Moréaval fand in Griffweite einen Eimer und tauchte ihn in die Tränke seines Schimmels.

Yarl Altabete”, fuhr Isan fort, während sie ihre Mixtur anfertigte, indem sie mit dem Finger Pulver im Wasser verrührte, „wir waren auf Eurer Burg zu Gast und haben mit Eurer tugendreichen hýardora reden können. Ein ganz goldiger Fratz, Euer Sohn.”

Die beiden anderen yarlay schauten ihn überrascht an. Andriér Altabete blickte verwirrt drein und kam ein paar Schritte auf Isan zu.

„Mein Sohn?”

„Seit wann hast du einen Sohn, Andriér?”, fragte Grootplen verwundert. „Warum hast du uns das vorenthalten?”

„Ja”, schloss sich Moréaval an. „Was soll denn deine Dame von uns denken, dass wir ihr nicht unsere Glückwünsche erbracht haben zu einem so freudigen Anlass?”

„Ich weiß nichts von diesem Sohn! Ich …” Er sprach es nicht aus. Flehend schaute er das Mädchen an.

„Ich … erinnere mich nicht…”

„Und die teiranda hat auch nichts davon gesagt?”

Er schüttelte den Kopf und berührte einen der Pfosten, die das Dach stützten, als suche er Schutz daran. „Wann … wann ist das …”

„Er kann schon krabbeln, der Kleine, ist kräftig und gesund. Ich denke, er wurde geboren, als noch Schnee lag. Eure Dame bittet Euch um einen Namen.”

Altabete senkte den Kopf und nickte. „Ich werde die teiranda bitten, dass ich …” Er unterbrach sich. Grootplen, der neben ihm stand, legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.

„Das wird schon, Andriér”, flüsterte er.

Isan widmete sich ihrem Heiltrank. Es fiel ihr schwer, keine Neugier zu zeigen. Die Kunde von yarl Altabetes Vaterschaft schien den armen Ritter auf eine ungute Weise zu verwirren. Es war, als müsse er sich zwingen, keine Emotionen zu zeigen.

Das Mädchen seufzte. Dann kniete es neben dem unwillig grunzenden Waýreth Althopian nieder, legte seinen Kopf in den Nacken, hielt ihm die Nase zu und begann, ihm vorsichtig von ihrem Mittel einzuflößen.

„Was ist hier los? Wie lange ist das schon so? Und … wie kann er hier Euch helfen, wenn er wieder beieinander ist.”

Die Männer zögerten. Keiner wagte, den Anfang zu machen.

„Dem Lichtwächter wird nicht entgehen, wenn wir über ihn klagen”, sagte Daap Grootplen dann kleinlaut. „Bitte versteh das.”

„Tue ich.” Sie schöpfte einen neuen Löffel aus dem Eimer und streute Pulver hinein. „Vielleicht könnt Ihr berichten, ohne zu klagen. Was hat es mit dem Rotgewandeten auf sich? Wo kommt er her? Und ihr müsst nicht Geheimnisse schaffen, wo keine sind. Ich komme aus dem teirandon Valvivant. Ein Rotgewandeter ist dort bis vor kurzem gelegentlich und im Geheimen gelegentlich gesehen worden. Es ist recht sicher, dass es derselbe war.”

„Gor Lucegath”, begann Jóndere Moréaval, „ist schon seit langer, langer Zeit hier. Ich kann mich nicht an eine Zeit ohne ihn erinnern. Er war schon da, als mein Vater … mein Vater …” Er unterbrach sich. Über sein jugendliches Gesicht legte sich ein leidmütiger Ausdruck.

„Was ist mit Eurem Vater?”

„Nun”, sagte der junge Ritter geistesabwesend, „eines Tages kam er nicht zurück …”

„Mein Vater”, fügte der mynstir hinzu, „sagte mir, zu Zeiten des alten teirand war hier noch kein Rotgewandeter. Herrn Jónderes Vater war sein Knappe. Und …” Auch Grootplen hielt inne und runzelte die Stirn.

„Wie lange ist das her?”

„Ich weiß es nicht …”

„Ist Euer Vater noch am Leben? Könnten wir ihn vielleicht fragen?”

„Er lebt noch. Aber sein Geist ist schon lange dahin.”

Sie hatte den Betrunkenen nun schon den zweiten Löffel austrinken lassen, was er in seinem machtlosen Zustand, ohne zu murren tat. Nun hielt sie inne. Die Sache war seltsam.

„So alt sieht der Rotgewandete noch gar nicht aus”, sagte das Mädchen.

„So sieht er aus, solange ich mich erinnere”, meinte Andriér Altabete bitter.

„Und die teiranda?”

„Die auch.”

Isan senkte den Löffel. „Was heißt das? Wie alt ist sie denn, die teiranda?”

Nun ging etwas Sonderbares mit den drei Rittern vor. Isan setzte sich auf die Fersen und schaute die Herren nacheinander an. Sie wirkten so verwirrt, als hätten sie die Frage nicht verstanden. Altabete war offenbar immer noch völlig durcheinander von der Erkenntnis, einen Sohn zu haben.

„Wie alt ist Kíaná von Wijdlant? Yarl Moréaval, es würde mich wundern, wenn die teiranda wesentlich älter wäre als Ihr. Wie passt das zusammen, wenn Euer Vater der Knappe von Herrn Daaps Vater … ich verstehe das nicht.”

„Na ja”, sagte Jóndere Moréaval. „Sie war eben schon immer da.”

„Sie wird immer bei uns sein, unsere gute teiranda“, murmelte Andriér Altabete zerstreut.

„Wir werden stets bei ihr sein”, ergänzte Daap Grootplen. „Und nach uns unsere … Söhne.”

„Bei den Mächten”, murmelte die junge doayra. „Mit Euch ist wohl auch einiges im Argen.”

Im selben Moment kam Leben in Waýreth Althopian, in einer Heftigkeit, die Isan nicht vorausgesehen hatte. Der Ritter bäumte sich hustend und würgend auf und erbrach sich dann in einem Schwall direkt vor die Füße der anderen Herren.

Isan packte ihn und war ihm behilflich, während die Männer sich peinlich berührt außer Reichweite brachten. Die Szene war so abstoßend, dass keiner von ihnen hinschauen mochte. Das, was der Ritter ausspie, war erschreckend. Es stank süßlich und war von einer seltsam klebrigen, milchigen Konsistenz. Bei all den Gelegenheiten, bei denen Isan Verta dabei assistiert hatte, Sturzbetrunkene zu versorgen, hatte sie so etwas noch nicht gesehen.

Als der Auswurf nachließ und der yarl wieder zu Atem kam, sahen die Ritter in angeekeltem Mitleid auf ihn hinab.

Althopian hielt sich die Stirn und schaute betrübt auf seinen besudelten Waffenrock.

„Wie viel habt Ihr getrunken?” , erkundigte Isan sich sachlich.

„’ weiß nicht mal, was ich …getrunken habe.” Seine Zunge schien träge zu sein. „Alles dreht sich…”

„Nicht, nicht Herr… nicht in diese Richtung dort ist … Schmutz. Legt Euch auf die andere Seite.”

„Waýreth”, fragte Andriér Altabete peinlich berührt. „Können wir….”

„Nein”, murmelte Waýreth Althopian. „Ihr nicht. Ich werde etwas tun. Ich … ich habe eine Mission vor mir. Für euch! Und für die rühmenswerteste Dame im Weltenspiel. Und für meine süße yarlara!”

„Hört nicht auf ihn”, sagte Isan. „Da redet das, was an Wein schon in seinem Blut ist!”

„Schweig, Mädchen!”, brachte der yarl hervor und versuchte erfolglos, sich aufzurappeln. „Ich … ich habe alles … ich habe um euch gehandelt! Und ich zahle den vollen Preis, um euch auszulösen!”

„Herr, was redet Ihr da!”

„Uns auszulösen?”, fragte Daap Grootplen vorsichtig.

„Ich befreie euch … euch alle. Für meinen teirand! Für das teirandon Spagor! Für meinen ungeborenen Sohn!” Er stockte und übergab sich erneut ins Stroh.

Isan tunkte, da sie so schnell nichts anderes bei der Hand hatte, einen Zipfel ihrer Schürze in den Eimer und reinigte ihm Mund und Bart. Der Ritter ächzte und schloss ermattet wieder die Augen.

„Habt … Vertrauen”, murmelte er. „Ich breche den Fluch! Ich lasse euch nicht im Stich… ich mache das alles … nur für euch …”

Isan blickte sich entschuldigend zu den drei Rittern um. Beistand bei einem, der als Held galt, hatten die Männer gesucht. Was sie bekamen, war das Gefasel eines Betrunkenen, der im Rausch faselte und sich nun zu allem Überfluss auch noch eingenässt hatte. Das Mädchen griff geistesgegenwärtig nach einem Büschel Stroh und bedeckte ihn, bevor es einer der Herren bemerken konnte. Der Ritter haschte nach ihrer Hand und packte sie, etwas zu fest mit seinen eisenbeschlagenen Handschuhen.

„Ich kann nicht anders”, flüsterte er ihr flehend zu. In seinen blauen Augen stand beinahe kindliche Furcht. „Das verstehst du doch, oder? Ich habe keine Wahl…”

„Schscht, Herr. Alles ist gut. Mit dem Morgen wird alles gut werden. Dann erzählt Ihr mir von Eurem Auftrag.”

Sie bog seine Finger auf, brachte ihn in eine stabile Lage und wartete einen Moment, ob noch ein Würgereiz käme. Aber Althopian lag nun still und hoffentlich frei von … was auch immer ihn in diesen Zustand versetzt hatte. Isan wischte sich die Stirn unter ihrer Haube. Gleich zweimal hatte sie in dieser Nacht, in dieser Burg bewiesen, dass sie eine gute doayra war. Sogar ein goala’ay hatte sie gelobt und ihr sündhaft teure Taublütensamen geschenkt!

Als sie sich nach den yarlay umschaute, fand sie die Stallgasse verlassen. Offenbar waren die Herren noch so klar bei Verstand, dass sie ihrem Standesgenossen die Schmach ersparen wollten, gedemütigt vor ihnen zu liegen, anstatt sich mit gezücktem Schwert gemeinsam mit ihnen in den Kampf gegen … was auch immer zu stürzen.