
Im Wald gab außer den Pilzen auch süße Beeren, wir mussten nur ein wenig danach suchen. Eigentlich war mir beim Anblick der Ebene der Appetit vergangen, aber Yalomiro meinte, dass ich mich besser jetzt sattessen als später hungern sollte. Offenbar bedauerte er immer noch, dass er damals, als wir im Boscargén aufgebrochen waren, nicht einmal an Wasser gedacht hatte.
Sogar ein kleines Feuer hatten wir diesmal, denn es gab auch trockenes Reisig. Hier am Hang war es deutlich frischer als in Valvivant. Die Wärme war angenehm, die knisternden Flammen zu beobachten sehr entspannend. Es half mir, mich zu konzentrieren.
„Stell es dir vor wie eine Maske”, erklärte Yalomiro. „Wijdlant ist das wahre Gesicht, eine Oberfläche, die die Unkundigen sehen können und die in ihren Augen ganz unverdächtig aussieht. Vielleicht hat es sich verändert und ist unwirtlicher geworden, aber es ist auf den ersten Blick nichts Unnatürliches daran. Die Leute können dort leben. Notzeiten und schlechte Ernten kommen vor.”
„Deshalb also hat yarl Althopian überhaupt nicht begriffen, was ich ihm erzählt habe. Weil er nur Wijdlant kennt.”
„Genau. Und da Wijdlant nach wie vor vorhanden, sichtbar und bewohnt ist, konnte er sich unter Pianmurít nichts vorstellen. Pianmurít ist wahrscheinlich eine Maskerade, die Gor Lucegath Wijdlant angelegt hat, der Name, den er seinem Werk gegeben hat. Ich habe keine Ahnung, warum und weshalb, aber Pianmurít scheint eine magische Verkleidung zu sein, die offenbar nur jene sehen können, die magiebegabt sind oder von denen er will, dass sie sich in dieser Illusion bewegen.” Er schaute zum Mond empor, der über den Baumwipfeln stand. Seine Augen spiegelten das Feuer auf silbernem Grund. Während ich meine Pilze knabberte – sie schmeckten hervorragend, zart und etwas nussig – labte er sich am Licht. Ich konnte, über die Gerüche von Wald und Feuer hinweg, wieder diesen intensiven, pflanzenartigen Duft wahrnehmen, der von ihm ausging.
„Aber … warum?”
„Es muss ihm sehr wichtig sein. So etwas zu vollbringen bedarf enormer Macht und sehr viel Zeit.”
Ich dachte einen Moment lang darüber nach. „Ob es etwas mit der teiranda zu tun hat?”
„Sicher. Sie ist ihm irgendwann einmal in die Fänge geraten. Aber ich verstehe nicht, was er mit dieser Manipulation bezweckt. Das passt nicht zu den Rotgewandeten.”
„Passen?”
„Die Lichtwächter haben sich selten über längere Zeit auf Unkundige eingelassen.”
Ich schaute zu ihm hinüber. Sein Blick war starr in die Ferne gerichtet, ungefähr in die Richtung, wo die Burg von Wijdlant liegen mochte. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, um zu fragen.
„Erzählst du mir, was es mit den Rotgewandeten auf sich hat? Die Leute in Valvivant haben Bilder von ihnen an der Wand in ihren Zimmern.”
„Tatsächlich? Haben sie dich allen Ernstes in einem Totenzimmer untergebracht?”
Er war nicht überrascht? „Man sagte mir, der teirand wolle das Bild nicht übertünchen lassen. Was haben die goala’ay früher getan?”
„Dasselbe, was Gor Lucegath heute noch tut. Sie haben Leute hinter die Träume gebracht.”
„Und die Menschen hier malen Mord als Kunstwerk an die Wand von Zimmern, wo andere im Sterben liegen?” Ich war verwirrt. „Ist das nicht makaber?”
„Darüber steht mir kein Urteil zu.”
Wich er mir aus? Oder war ich diejenige, die irgendetwas Entscheidendes nicht begriff?
„Was hat es mit Meister Gor und dem Artefakt auf sich? Ich möchte es verstehen.”
Yalomiro zögerte, aber nur kurz. Ich hatte mit mehr Widerstand gerechnet.
„Nun gut”, sagte er. „Ich werde dir erklären, was du wissen musst, um zu verstehen, warum das ay’cha’ree so wichtig ist. Warum ich mit meinem Leben verhindern muss, dass es in Gor Lucegaths Hände gelangt. Ich werde mich kurzfassen, denn wir haben nur bis zum Morgengrauen Zeit dafür. Vielleicht hätte ich dir tatsächlich viel früher davon erzählen sollen.”
Ich legte den Spieß mit den Pilzen beiseite und rückte erwartungsvoll näher an ihn heran. Er schaute ins Feuer.
„Die Mächte gaben die Magie ins Weltenspiel, vor so langer Zeit, dass sich niemand außer ihnen selbst an den Ursprung und Anlass erinnern mag. Die Magie war ein Geschenk, das drei Kreisen zugeteilt wurde, um sie im Sinne der Mächte zu gebrauchen und weise einzusetzen. Diese drei Kreise waren die camat’ay, die arcaval’ay – und die goala’ay. Lange Zeit ging das gut, und die dunklen und hellen Magier wirkten mit den Lichtwächtern einträchtig zusammen und im Sinne der Mächte. So lange bis…” er zögerte, suchte nach Worten, „… ein goala’ay den Verstand verlor. Niemand hat je ergründet, wie es möglich war und warum er es tat. Aber es gelang ihm, dem Licht einen Funken zu entreißen, in die Welt vor den Träumen zu zerren und es einzuschließen.”
„Es geht um ein bisschen Licht?”
„Es geht um das Licht! Um… oh. Ich verstehe. Nein, es ist nicht ein bisschen nützliches Leuchten wie, ich es heraufbeschwören kann, nicht das Strahlen einer Kerze, von Feuer oder der Sonne und Mond, wie du es dir vorstellst. Es geht um …. das Licht. Das heilige Licht, das Hell und Dunkel und Zeit blendet. Ein goala’ay hat das Licht verwundet. Sein Beutestück, diese winzige Scherbe, dieser Fetzen von Licht… das ist das ay’cha’ree. Das Artefakt, um das sich alles dreht.”
Damals verstand ich es nicht. Die Erkenntnis kam viel später. Für den Moment stellte ich mir das ay’cha’ree als eine Art unglaublich starke Energie vor, vielleicht etwas stärker als eine Supernova. Das erschien mir völlig plausibel, denn in diesem Fall wäre das Artefakt wohl so etwas wie eine destruktive Waffe. Du meine Güte … ich war einfältig, damals.
„Den goala’ay blieb natürlich nicht verborgen, was einer der ihren getan hatte. Der unsagbare Frevel brachte sie zur Raserei, und der Unglückliche, der das Licht geschändet hatte, starb unter ihren Händen, noch bevor er begriff, wie ihm geschah. Aber in ihrem Entsetzen über das, was geschehen war, brachten sie ihn um, ohne zu erfahren, wie und vor allem warum er es getan hatte. Anschließend hielten sie das ay’cha’ree in Händen, ohne zu wissen, was sie damit anfangen sollten. Die Tat des goala’ay hatte zweierlei Folgen. Zum Einen war es der Tag, an dem das Licht seine eigenen Diener verstieß. Ihre eigene Schutzmacht ist für die Rotgewandeten seither unerreichbar. Sie sind Geächtete. Zum Zweiten sprach sich die Kunde von diesem einzigartigen Artefakt herum. Und das war der Moment, in dem auch die Unkundigen den Verstand verloren – zumindest jene, in denen die Lust nach Macht erwachte. Und damit begannen die Magischen Kriege.”
„Die, die in der Schlacht bei Aurópéa endeten? Wie auf dem Wandgemälde?”
„Nein, das waren die Chaoskriege. Die Magischen Kriege haben sich viele Generationen zuvor zugetragen. Die Chaoskriege hat Ovidáol Etaímalar ausgelöst, der, den Benjus von Valvivant als Schreckgespenst in seiner Halle jeden Tag anschaut. Mein Meister hat diese düstere Zeit miterlebt, als er etwa so alt war, wie ich es nun bin.”
Nein. Das war absolut nicht der Moment, nachzufragen. Vielleicht wollte ich damals, in dieser Nacht an den Grenzen von Pianmurít, auch gar nicht wissen, auf wessen Seite die Schattensänger gewesen waren.
„Was wollten die Menschen denn mit dem Artefakt anfangen?”
„Das wussten sie vermutlich selbst nicht so genau, zumal selbst die Gelehrtesten unter ihnen nicht in der Lage waren, zu verstehen, was das ay’cha’ree letztlich war. Sie gaben ihm viele unsinnige Namen, die lange in Vergessenheit geraten sind. Jedenfalls mischten plötzlich auch Menschen in dem Disput um das ay’cha’ree mit. Es war, als habe der Wahnsinn, der den rotgewandeten Frevler überkommen hatte, zeitgleich auch Unkundige ergriffen, teiranday und Waghälse, die in den Besitz des Artefakts gelangen wollten. Sie alle versprachen sich vielerlei davon. Macht, Reichtum, Unsterblichkeit… Sie waren in ihrer Verblendung bereit, dafür die Lichtwächter anzugreifen. Zeitweise befand es sich tatsächlich in den Händen von Unkundigen, aber sie alle bezahlten ihre Gier mit ihren Leben. Große Torheiten, die nichts als Leid und Blut über die Welt brachten, denn die Kämpfe um das Artefakt rissen natürlich ringsum viele Menschen und Bündnisse in den Abgrund. All das ließ die goala’ay immer verzweifelter und grausamer werden, zumal sie schließlich untereinander um das Artefakt zu streiten begannen. Darüber zerbrach die Gemeinschaft der Lichtwächter. Ihre Weihestätten wurden verheert, waren auch überflüssig geworden, denn das Licht hatte seine Wächter ohnehin verlassen. Die Rotgewandeten waren nun heimatlos und zogen einsam umher. Die Magischen Kriege nahmen derweil solche Ausmaße an, dass das Weltenspiel selbst ins Wanken geriet.”
„Und die Schattensänger? Was haben die währenddessen gemacht?”
Yalomiro lächelte finster. „Unseresgleichen brachte die Magischen Kriege zum Erliegen.”
„Wie?”
„Wir haben den Streithähnen ihr verfluchtes Spielzeug einfach… weggenommen.”
„Wie bitte?”
„Warum, denkst du, lag das ay’cha’ree bei meinesgleichen im Etaímalon?”
Yalomiro hatte das völlig beiläufig gesagt. Ich war verdutzt. Ich hatte mit der Schilderung einer epischen, erbitterten Konfrontation gerechnet. Stattdessen bekam ich zu hören, dass die Schattensänger das schreckliche Artefakt konfisziert hatten wie der Hausmeister einen Ball, den Kinder über den Zaun kickten?
„Und das haben die Lichtwächter einfach so hingenommen?”
„Wo denkst du hin? Seit jenem Tag haben sie jeden camat’ay umgebracht, dessen sie habhaft werden konnten. Ich bin mir sicher, dass du keine Details hören wollen würdest. Es waren furchtbare Zeiten, die auch an meinesgleichen Spuren hinterlassen haben. Aber zumindest waren die Unkundigen nun aus diesem magischen Gemetzel heraus. Das Weltenspiel erholte sich, und nach und nach heilten die Wunden. Es gab wieder Frieden.”
„Und dann?”
„Jenen Schattensängern, die damals überlebten, blieb nichts übrig, als sich gemeinsam in den Boscargén zurückzuziehen. Fortan war es unsere Aufgabe, das ay’cha’ree in Noktámas Heiligtum zu hüten. Wir müssen ein Artefakt bewachen, das einer anderen Macht gehört. Viele von uns haben ihr Leben dafür gegeben, dass es außer Reichweite der Lichtwächter blieb.”
„Hat das ay’cha’ree euch selbst denn nicht gereizt?”
Yalomiro schüttelte den Kopf. „Nein. Camat’ay machen sich nichts aus Macht. Wir waren unschuldig genug, um nicht verführt zu werden. Bei uns war es sicher, weil wir nichts damit anfangen hätten können, selbst wenn wir es gewollt hätten.”
„Und was haben die Regenbogenritter derweil unternommen?”
Yalomiro lachte bitter auf. „Das mögen die Mächte wissen!”
„Du hast das ay’cha’ree also von dem Ort entfernt, an dem es so lange in Sicherheit war?”
„Als ich einen Rotgewandeten im Etaímalon erblickte, musste ich ein besseres Versteck suchen. Mein Meister trug mir auf, es zu tun. Deshalb sind wir hier.” Seine Augen waren nun seltsam trübe geworden. „Und jetzt bin ich der letzte camat’ay. Er dürfte der letzte der Rotgewandeten sein. Meinesgleichen wurde ausgelöscht. Sein Kreis dürfte nach all der Zeit ebenfalls … erloschen sein. Vermutlich. Ich denke, er hätte es erwähnt, wenn es noch andere gibt. Vielleicht wird es mit ihm und mir … enden. Dann sind die arcaval’ay am Zug.”
Ich dachte eine Weile nach. Ich musste es wissen.
„Als du in der Burg im Saal standest… Woher wusstest du, dass deine Leute dort waren?”
„Ich bin einfach durch Zufall an der richtigen Stelle gewesen, um ihre Fährten zu finden.”
„Fährten?”
„Ja. Ich habe es gespürt, so deutlich, als sähe ich ihre Fußspuren vor mir. Ich wusste, dass sie dort waren und bin ihnen nachgegangen. Vielleicht hat Noktáma mich geführt. Während du in Valvivant warst, habe ich einen Ort betreten, an dem ich etwas … vorbereiten wollte. Als ich den Spuren nachging, war mir klar, dass ich viel zu spät kam. Aber ich brauchte Gewissheit.”
Gewissheit. Die brauchte ich auch. Anderenfalls würden meine Gedanken immer weiter darum kreisen.
„Und wer war das… Mädchen, nach dem du den teirand gefragt hast? Diese Arámaú, nicht wahr?”
„Warum fragst du nicht nach den anderen, die Gor Lucegaths Opfer wurden? Offenbar konnte nicht einmal Meister Gíonar entkommen.”
Weil mich interessiert, wie du und ein Mädchen zusammenpassen, dachte ich. Weil ich einfach wissen muss, ob es jemanden in deinem Leben gibt, von dem ich wissen sollte! Sie mag tot sein, aber du erinnerst dich an sie.
Er seufzte und blickte mich dann über die Flammen hinweg rätselhaft an. „Ja, ich dachte an Arámaú. Möge sie, mögen all jene, die in diese Falle gelaufen sind, hinter den Träumen ihre Ruhe finden.”
„War sie … war Arámaú deine … ich meine … wart ihr zusammen?”
„Zusammen?”
War er so naiv? Ich fühlte mich an jenen unbehaglichen Moment im Montazíel zurückerinnert, kurz bevor der Rotgewandete erschienen war.
„Hast du für sie so empfunden wie… wie yarl Althopian für die Dame, um die er wirbt?”
Er schaute mich verwirrt an.
„War sie deine … wie heißt es … deine hýardora?”
Nun schüttelte er den Kopf. „Nein. Sie hat mir sehr nahe gestanden, wenn es das ist, was du meinst. Aber sie war nicht meine hýardora. Schattensänger haben niemals hýardoray. Ich empfand für Arámaú anders als für dich. Ganz anders.”
„Das habe ich so nicht… oh…” Ich spürte, wie ich errötete. Nun hatte ich mich selbst wieder in eine peinliche Situation gebracht.
„Sag, Ujora”, fuhr er nach einer Weile fort und vermied es nun, mich dabei anzusehen, „hast du in deiner Welt jemanden zurückgelassen, dessen Herzen du so nahe bist wie das der yarlara von Ivaál dem ihres Ritters? Einen hýardor, oder wie man es in deiner Welt nennen mag?”
Das Feuer knisterte zwischen uns. Nahebei plätscherte der Bach. Er wartete.
Eine bange Unruhe ergriff mich, eine Spannung, die ich kaum ertrug.
„Nein”, sagte ich schließlich. „Da ist niemand.”
„War einmal … jemand?”
Was wollte er von mir hören? Sollte ich ihm die vielen teils schmerzhaften, teils peinlichen Geschichten von jenen Momenten erzählen, in denen ich glaubte, jemandes Herz gefunden zu haben? Von den unzähligen Momenten, in denen mir klar geworden war, wie albern und demütigend die wenigen Begegnungen geendet hatten, von denen ich einst gedacht hatte, sie hätten eine Chance gehabt? Die über ein einseitiges Verliebtsein oder vielleicht doch nur unreife Schwärmereien nicht hinaus gekommen und wahrscheinlich für eine Menge Leute hinter meinem Rücken schlicht urkomisch waren? Von all den Momenten, in denen ich gelernt hatte, wie schnell Arglosigkeit zu bitterem Schmerz werden konnte?
Von der Erkenntnis, dass Einsamkeit Sicherheit war? Dass Sachlichkeit vor Kummer schützte?
„Ich mag nicht darüber reden.”
Er schwieg geduldig. Hörte er meinen Gedanken zu? Nein. Ich glaube, dies waren Dinge, von denen er wollte, dass ich sie ihm freiwillig sagte.
„Nein”, murmelte ich schließlich. „Niemand, bei dem es sich so anfühlt wie … bei dir.”
Wenn er nun gelacht, genervt aufgeseufzt oder eine spöttische Bemerkung gemacht hätte, alles wäre vorbei gewesen. Es tat gut, dass er weiterhin schwieg. Ich wagte nicht, ihn anzusehen, und konzentrierte mich auf die Flammen.
„Fühlt es sich so an, dass du mir vertrauen kannst? Dass du, trotz alledem, was du über meinesgleichen und mich erfahren hast und vielleicht noch zu hören bekommen wirst, begreifst, dass ich niemals etwas tun werde, das dich unglücklich macht?”
Ich schaute auf. Hätte ich die Worte dafür gefunden, wie gern hätte ich ihm geantwortet. Es gab so viel, das ich ihm darauf hätte sagen wollen, und zugleich war es womöglich besser, dass ich es nicht tat.
Wörter hätten es kaputt gemacht. Also beließ ich es dabei, stumm zu nicken.
Er erhob sich. „Ujora … du hast mir aus freien Stücken deine Lebenskraft überlassen. Indem ich sie genommen habe, habe ich dich in unverzeihliche Gefahr gebracht, und es ist noch nicht ausgestanden. Die doayra in Valvivant hat an dir ein hervorragendes Werk geleistet. Aber das wird nicht vorhalten. Du hast mich gefragt, warum ich nach Valvivant zurückgekommen bin. Nun … ich bin dir etwas schuldig. Ich hatte es anders geplant, hoffte noch, es im Schutz der Burg vollenden zu können. Nun muss es hier geschehen, hier, ein paar Steinwürfe entfernt von Pianmurít. Aber ich will es nur tun, wenn du es zulässt.”
„Wovon redest du? Was hast du vor?”
„Du wirst bald wieder ausgezehrt sein, wenn ich dir nicht bald Energie … zurückgebe. Aber das ist nicht so einfach. Es war für mich ungefährlich, deine unkundige Kraft zu nehmen, aber es ist etwas anderes, wenn es umgekehrt gehen soll. Ich denke zwar, ich habe einen Weg gefunden, mit dem es möglich ist. Doch dazu muss ich dich um die Erlaubnis bitten, Magie an dir zu wirken.”
„Du willst mich verzaubern?”, fragte ich verwirrt.
„Nein. Ich will eine winzige Spur meiner Magie mit dir teilen.”
„Oh”, machte ich ratlos. „Und wie geht das?”
„Das, was ich mit dir vorhabe, ist zu einem gewissen Grad eine … Intimität. Keine Unzüchtigkeit!”, beeilte er sich, klarzustellen. „Aber es wäre falsch, es gegen deinen Willen und ohne dein Wissen zu tun. Es ist eine andere Art von Zauberei als die, mit der ich deinen Fuß geheilt oder dich unter meine maghiscal geholt habe. Möglicherweise fühlt es sich … anders an.”
„Anfühlen?”
„Ich habe kein treffendes Wort dafür.”
„Tut es weh?”, erkundigte ich mich vorsichtig.
„Ich werde dich nicht anrühren. Es liegt mir fern, dir Schaden zuzufügen. Allerdings hat meines Wissens kein Schattensänger zuvor einen solchen Zauber gewirkt, schon gar nicht an einem unkundigen Wesen.”
„Aber es kann nichts Schlimmes geschehen?”
„Ich weiß nicht, was geschehen wird. Aber ich verspreche dir, dass ich den Zauber sofort von dir nehme, wenn du es verlangst oder es dir unangenehm wird. Allerdings drängt die Zeit. Es muss es noch heute geschehen, bevor wir Wijdlant betreten. Es wird dich kräftigen und in gewisser Weise schützen, falls uns Gefahren begegnen.”
Ich versuchte, seinen Blick zu deuten. Im Flammenschein konnte ich sein Gesicht deutlich erkennen. Er schaute mich ruhig mit seinen sanften dunklen Augen an.
Und ich muss zugeben, dass ich eine gewisse Neugier verspürte.
„Ich vertraue dir”, sagte ich.
„Danke”, antwortete er ernst.
„Muss ich irgendetwas machen?”
Er griff in seine Tasche.
„Nein”, sagte er und holte die Geige hervor. „Du musst mir nur zuhören.”
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