Sie stürmte los, in einen Winkel des Burghofes, wo eine von rankenden Gewächsen überwucherte Pergola Schatten spendete. Darunter waren Tische und einige Sitzgelegenheiten aufgestellt. Ein Grüppchen von Personen hatte sich dort versammelt und beobachtete aufmerksam zwei Ritter, die einander lauernd mit gezückten Schwertern umkreisten. Einer war yarl Althopian, den anderen in seinem weißroten Waffenrock kannte ich natürlich noch nicht. Der Mann war etwa im selben Alter, hatte kurze braune Haare und einen lichten Kinnbart, der nicht so recht zu seinem kantigen Gesicht passte.

„Wer gewinnt?”, fragte Isan aufgeregt ein etwa gleichaltriges Mädchen, das bei den Zuschauern stand. Es trug einen Korb mit Eiern bei sich und hatte sicherlich etwas anderes zu tun, aber den Kampf wollte sie sich nicht umgehen lassen. Schon schossen die beiden Krieger aufeinander zu und ihre Schwerter klangen klirrend aneinander.

Ich blickte mich verwirrt um. Doch den interessierten Gesichtern der Umstehenden nach zu urteilen, passierte hier nichts Ungewöhnliches.

„Althopian natürlich”, sagte das Eiermädchen verzückt. „Aber Lebréoka ist auch nicht übel.”

Ich ging vorsichtig einen Schritt beiseite und näher an den Tisch heran. Dass da zwei erwachsene Männer mit langen scharfen Klingen um sich schlugen, war mir absolut nicht geheuer. Da jedoch niemand daran Anstoß nahm, begann ich zu vermuten, dass das ganze eher eine Art sportlicher Wettkampf war.

Die beiden Teenager waren gefesselt vom Anblick der Schwertkämpfer. Ich schaute mir die Zuschauer an. Der größte Teil davon war offenbar ansässiges Burgvolk, aber unter der Pergola machte ich auch einige Frauen aus, die aus dem Rahmen fielen. Eine davon war schon fortgeschrittenen Alters und trug eine spektakulär hoch aufgetürmte Frisur, die mit einem kostbaren Kopfputz nahezu verwoben zu sein schien. Um sie herum saßen fünf jüngere Frauen. Das musste diese eld-yarlara sein, die Isan und der Gärtner erwähnt hatten, nebst ihren Töchtern. Das waren vermutlich die beiden jüngeren Frauen, die ebenfalls viel zierlichen Schmuck in den dunklen Haaren trugen, sowie deren Dienerinnen. Auch drei Männer rechnete ich nach kurzer Überlegung dieser Gruppe zu, denn die Gewänder dieser Leute unterschieden sich ebenfalls ein wenig von denen der andern Leute. Sie waren viel bunter, reich verziert und aus schimmerndem, duftigem Stoff gefertigt. Auch der Teint der neun Personen war dunkler als der der hiesigen Burgleute. Die Männer, zwei ältere und ein Jugendlicher, trugen lederne Mützen und waren mit Bögen und Pfeilköchern ausgestattet.

Die eld-yarlara trug eine unbewegte Miene zur Schau und schien sich für alles ringsum zu interessieren außer für die beiden kämpfenden Männer. Demonstrativ ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen. In meinen neuen Kleidern schien ich unter den Leuten nicht weiter aufzufallen.

Die beiden jungen Edeldamen hingegen schauten ab und zu verstohlen hin, aber auch sie zeigten unbewegte Gesichter. Die Dienerinnen übten weit weniger Zurückhaltung. Sie schienen genau so fasziniert zu sein wie Isan und ihre Freundin und tuschelten sogar leise kichernd. Selbst die drei Bogenschützen fieberten unverkennbar mit.

Dann griff Althopian seinen Kontrahenten mit einer so schnellen Abfolge von Hieben an, die dieser kaum parieren konnte. Die Zuschauer, die mehr von der Sache verstanden als ich, feuerten ihn an. Bevor ich noch begriff, was geschah, hatte der andere sein Schwert nicht mehr selbst in der Hand und lag entwaffnet am Boden. Das Publikum applaudierte anerkennend.

Eine der jungen Edeldamen, die ältere von beiden, lächelte, nur für einen Wimpernschlag.

Isan und das Mädchen mit dem Korb seufzten schwärmerisch und begannen zu tuscheln. Waýreth Althopian streckte seinem Gegner die Hand hin und half ihm bei Aufstehen. Der zweite Ritter lachte und klopfte dem yarl kumpelhaft auf die Schulter. Doch Althopian war abgelenkt. Er hatte nur Augen für die Dame, die nun auf eine unglaublich graziöse Weise sittsam den Blick abwandte. Trotzdem, das war offensichtlich, war auch ihr Interesse weiterhin auf den yarl gerichtet.

Das Mädchen mit dem Eierkorb gab sich einen Ruck, grinste Isan an und beeilte sich dann, ihre Last wegzutragen. Isan wartete einen Augenblick, schnappte meine Hand und zerrte mich weiter, zu meinem Entsetzen hinüber zu Waýreth Althopian und dem unterlegenen Ritter. Der yarl schaute den Damen nach, die sich nun von ihrem Platz erhoben und zum Fortgehen anschickten.

„Herr Waýreth!”, rief Isan. „Bitte! Ein Wort nur…”

„Isan!” Ich versuchte erschrocken, sie festzuhalten. „Denkst du, das ist der richtige Moment, um …”

„Lass mich nur machen! Jetzt oder nie!”

„Aber Verta hat gesagt…”

„Das verstehst du nicht!” Sie riss sich los und funkelte mich an. Ich wich erstaunt vor dieser Entschlossenheit zurück.

„Bitte. Bedränge ihn nicht, was immer du vorhast.”

Natürlich waren die beiden Ritter auf uns aufmerksam geworden. „Schau an”, sagte der Weiß-Rote. „Da laufen die jungen Dinger dem guten Waýreth immer noch nach wie nach seinem ersten Turnier!”

Er hatte das in gutmütigem Spott gesagt und bestimmt nicht böse gemeint, aber es war laut genug, dass Umstehende es hörten und darüber lachten. Möglicherweise hatten es auch die Damen mitbekommen.

„Sei still, Gundald”, zischte Althopian ärgerlich. An Isan gerichtet, fragte er: „Was gibt es?”

„Herr Waýreth… sagt … ich…” Isan begann zu stottern. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er sofort auf sie reagierte. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und stieß aufgeregt hervor: „Bitte, nehmt mich Euer Haus auf! Ich bin fleißig und klug und mache alle Arbeiten, die Ihr für mich habt, und kann Heilmittel mischen und… und Mägdearbeit mache ich auch … wenn Ihr….” Sie wurde seines verblüfften Blickes gewahr, errötete und fügte hinzu: „Bitte.”

„Mädchen”, sagte Waýreth Althopian ebenso überrascht wie nachsichtig, „ich brauche derzeit kein Gesinde…”

„Aber wenn Ihr erst Eure hýardora heimführt, dann…”

Die junge Dame wandte im Weggehen rasch den Kopf, ich sah die Bewegung aus den Augenwinkeln. Unsere Blicke trafen sich. Die junge yarlara hatte türkisfarbene Augen, die einen verwirrend intensiven Kontrast zu ihrer Haut und ihrem dunklen Haar bildeten. Sie schaute verwirrt, fast bestürzt. Dann versperrte mir einer ihrer Knechte die Sicht und die Gruppe zog weiter.

Der Ritter namens Gundald Lebréoka wusste sich vor Erheiterung kaum zu lassen, hatte aber den Anstand, nur lautlos zu grinsen. Waýreth Althopian schaute verzweifelt zwischen Isan, die glücklicherweise gerade noch davon absah, ihn am Gewand festzuhalten, und der Delegation aus Ivaál hinterher. Er wäre der Gruppe sicher gern unter irgendeinem Vorwand nachgegangen, um die Dame anzusprechen.

Yarl Althopian”, schaltete ich mich ein, „hört mich bitte auch an. Können wir privat reden?”

„Der Moment ist gerade wirklich nicht günstig. Für keine von euch beiden!”

„Es ist zu Eurem Nutzen!”, behauptete ich. Die Idee, die mir gerade aus heiterem Himmel gekommen war, fand ich wirklich nicht übel.

Yarl Lebréoka schüttelte belustigt den Kopf. „Geh nur”, forderte er den anderen Ritter auf. „Sprich mit deiner geheimnisvollen fánjula. Ich kümmere mich schon darum, dass dein Pferd bereitsteht, wenn der teirand zur heiteren Schwarzmantelpirsch aufbricht.” Er hieb Althopian nochmals auf die Schulter und ging davon. Es sah aus, als versuche er mit aller Gewalt, nicht laut loszuprusten.

Waýreth Althopian seufzte. Die Damen waren nun schon zu weit weg, um ihnen nachzueilen.

„Nun gut”, sagte er. „Komm mit mir beiseite. Es freut mich, dass du deine Sprache wiedergefunden hast.”

„Danke”, sagte ich und folgte ihm in einen Winkel zwischen zweien der kleineren Gebäude an der Außenmauer. Ich bemerkte wohl, dass Isan uns misstrauisch folgte, aber sie war verständig genug, Abstand zu halten. „Leider weiß ich immer noch nichts über das Geheimnis meiner Herkunft.”

„Ich hörte davon. An diesem Ort sprechen sich Dinge schnell herum. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich habe in der Tat nicht viel Zeit. Herr Gundald und ich hatten uns lediglich etwas die Zeit vertrieben, bis der teirand aufbruchsbereit ist. Also?”

Ich schaute mich um und vergewisserte mich, dass Isan nicht in Hörweite war, ich sie aber sehen konnte. „Ich weiß nicht warum, aber das Mädchen ist ganz versessen darauf, für Euch zu arbeiten. Was muss geschehen, damit Ihr diesen Wunsch erfüllt?”

„Zum einen müsste der teirand selbst sie aus seinem Dienst entlassen. Das ließe sich arrangieren. Aber ich bin in einer diffizilen Mission unterwegs. Ich kann augenblicklich keine Begleitung gebrauchen.”

„Und wenn sie wartet, bis Ihr zurückkehrt?”

„Kann ich denn garantieren, dass ich zurückkehre, wenn ich in einen Kampf ziehe?”

Konnte ich sein Interesse mit einer Schmeichelei gewinnen? Warum nicht? Offenbar hatte er sich das Geplänkel mit dem anderen Ritter doch eigens geliefert, um vor den Damen beiläufig mit seinem Geschick zu prahlen.

In meiner eigenen Welt hatte ich Männer gesehen, die sich aus demselben Grund zum Idioten gemacht hatten, mit wesentlich weniger Stil und Eleganz.

„Sicher. So wie ich euch gerade fechten sah… ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Ihr in Gefahr geraten könntet.”

„Kann ich denn ahnen, ob es etwas ist, was sich mit einem Schwert bekämpfen lässt?”

Es war anstrengend, mit jemandem zu reden, der ständig mit Gegenfragen antwortete. Sollte ich es wagen? Sollte ich alles auf eine Karte setzen? Yalomiro hatte mir gesagt, dass ich diesem Ritter bedingungslos vertrauen konnte.

„Ihr seid auf der Suche nach einem Freund”, sagte ich. „Ihr hattet gehofft, ihn hier anzutreffen. Das habt ihr mir erzählt, während Ihr mich hergebracht habt.”

Seine Augen verengten sich misstrauisch. „Nun, ich rede bisweilen etwas zu viel auf einsamen Reisen. Und wenn dem nun so wäre?”

Ich wagte es. „Ich weiß, wo yarl Altabete ist. Beziehungsweise, warum er nicht hier ist.”

Er bedeutete mir, zu schweigen, und blickte sich um.

„Was weißt du?”, wisperte er dann.

„Er ist ein Ritter der teiranda Kíaná von Wijdlant.”

„Das ist richtig.”

Yarl Altabete befindet sich aber in Pianmurít. Ein Magier hält dort einen ganzen Hofstaat gefangen.”

„Ah.” Der Ritter nickte. „In Pianmurít. Und wo soll das sein?”

„Wisst ihr das nicht?”

„Hör zu, namenlose fánjula, wenn das ein törichter Streich ist, dann…”

„Er hat eine Narbe von einem Turnier im Gesicht.”

Der yarl, der sich schon fast abgewandt hatte, zögerte.

„Wo genau hat er diese Narbe?”

„Das weiß ich nicht. Ich habe sein Gesicht leider nicht genau gesehen.”

Er warf mir einen kritischen Blick zu. Aber er hörte mir zu.

„Es ist nicht einfach, zu erklären. Es… es sind Fetzen. Ja, Fetzen von Erinnerungen. Vielleicht kommt mein Gedächtnis langsam zurück. Könnte … ja, könnte es nicht sein, dass ich aus Pianmurít geflohen bin, um die Hilfe eines tapferen Helden zu suchen? Und dabei dann in… in was immer der Schattensänger im Wald getan hat, hineingeraten bin?”

Waýreth Althopian verschränkte seine Arme. „Gut. Nehmen wir an, es gäbe dieses yarlmálon Pianmurít. Nehmen wir weiter an, Andriér Altabete steht dort unter dem Bann eines Magiers, obwohl ich ihn im Hofdienst für seine teiranda wähne. Was soll das für ein Magier sein?”

„Ein Lichtwächter.”

Der Ritter verdrehte die Augen. „Oh, bei den Mächten! Was immer die doayra dir für eine Arznei verabreicht hat, es hat deine Sinne wohl mehr verwirrt als die Gegenwart des Schattensängers. Die Lichtwächter sind längst in der Vergangenheit entschwunden. Seit Generationen wurde keiner mehr gesehen.”

„Waren die Schattensänger nicht auch verschwunden?”

„Die camat’ay waren immer sehr … diskret.”

Ich ließ die Schultern hängen. Mein Plan entwickelte sich in eine komplett falsche Richtung.

Er sah meine Enttäuschung und lächelte nachgiebig. „Hör mir zu, fánjula. Der teirand hat sich vorgenommen, die Umgebung der Stätte, an der ich dich gefunden habe, zu durchsuchen. Natürlich muss ich seiner Jagdpartie beiwohnen. Wie wäre es, wenn du mir das Märchen vom goala’ay in dem verwunschenen yarlmálon Pianmurít zu Ende erzählst, wenn ich später am Abend wieder zurückkehre? Vielleicht ist dir bis dahin auch wieder eingefallen, wer du bist und was du ursprünglich hier zu schaffen hattest?”

„Ja”, sagte ich kleinlaut. „Das wird wohl das Beste sein.”

„Sei nicht traurig. Ich kann mich nicht mit Phantastereien abgeben, solange ich nicht herausgefunden habe, warum man in Wijdlant um meine Hilfe ersucht hat. Du wirst verstehen, dass dies Dinge sind, die mich weit mehr beanspruchen. Und außerdem ist da noch dieser mysteriöse Schrecken aus den Bergen, der die Bäume gefällt hat. Du siehst, ich bin beschäftigt.”

„Natürlich.”

„Gut. Dann schaue ich nun, ob mein Pferd schon bereit steht und mache ein wenig guten Eindruck beim teirand. Ich muss immerhin etwas zurückgeben für seine Gastfreundschaft.”

„Habt Ihr nicht auch Angst, gegen einen Schattensänger ausziehen zu müssen, wenn der teirand es befiehlt? Habt ihr keine Angst, Ihr könntet auf einen Gegner treffen wie die Leute damals in Aurópéa?”

Der Ritter lachte auf, zu meiner allergrößten Überraschung. Ich verstand nicht, was ihn erheiterte.

„Aurópéa … nein, namenlose fánjula, diese Zeiten sind vorbei. Es waren schlimme Tage, aber sie sind vergangen. Und was den teirand und seine Befürchtung betrifft, die Schattensänger könnten ihm sein schönes fruchtbares teirandon verderben … wäre es nicht lächerlich zu denken, ein camat’ay würde sich einer Handvoll Männer mit Schwertern ergeben? Glaubst du, einer von denen, die die Schlacht von Aurópéa überhaupt erst ausgelöst haben würde sich allen Ernstes von bewaffneten Menschen besiegen lassen? Ebenso müsstest du dir Gedanken um das Waldschwein machen, das sich in einem Ameisenbau wälzt.”

Aha! Das klang, als hätte er mehr von den Informationen, die mir fehlten.

Yarl Althopian … Isan …. das Mädchen, das so gern Eure Dienerin wäre, sagte, Eure Familie habe einen Pakt mit den Schattensängern.”

„Ich würde es nicht direkt einen Pakt nennen.”

„Aber wenn der teirand ihn wirklich aufspürt … Habt ihr denn dann keine Angst, dass … dass ein Schattensänger Euch Schaden zufügen könnte?”

„Nein.”

Die Vehemenz, mit der er das sagte, verblüffte mich, und das merkte er. Er schaute sich diskret um und neigte sich dann zu mir hin.

„Ich habe keine Angst vor den Schwarzgewandeten. Vielleicht erzähle ich dir, wieso das so ist, sobald ich den Schrecken aus den Bergen besiegt und Wijdlant zurückerobert habe.”

„Aber … wenn Ihr ihn findet, und nicht der teirand und seine Leute …”

Waýreth Althopian musterte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.

„Wenn es dazu kommen sollte”, sagte er dann leise, „werde ich von ihm nicht mehr gesehen haben als einen Schatten zwischen den Bäumen, der meine Augen narrt. Beruhigt dich das?”

Ich nickte vorsichtig. Er neigte den Kopf und wollte sich schon wieder abwenden.

„Passt bitte trotzdem auf Euch auf. Isan wäre untröstlich, wenn sie nicht Eure Dienerin werden dürfte. Oder die Eurer Dame.”

Er zögerte überrascht. „Wie bitte?”

„Ihr gefallt der Edelfrau aus Ivaál”, sagte ich. „Glaubt mir. Ihr habt ihr sehr imponiert. Das ist ihr anzusehen.”

„Woher willst du das wissen? Und wieso weißt du überhaupt davon?”

Oh je. Wie kam ich aus dieser Nummer wieder heraus? Ich zuckte die Schultern. „Wenn Ihr das selbst nicht seht …”, sagte ich vage. „Ich glaube, es ist offensichtlich.”

Nun lächelte er, und erstmals wirkte er ein wenig verunsichert.

„Schön wäre es, wenn ich vor den Augen der eld-yarlara bestehen könnte, ihrer Mutter. Vorher muss ich mir gar keine weiteren Gedanken machen, und meine Begegnung mit der Dame wird kurz und flüchtig sein wie ein Wolkenschleier. Sie sind unterwegs nach Forétern.”

„Und wenn Isan Euch … behilflich dabei wäre, die yarlara für Euch zu gewinnen?”

„Dann hätte ich auf der Stelle eine Anstellung für sie.”

Er wandte sich ab. Offenbar hatte er es nun wirklich eilig, zum Pferdestall zu kommen. Als er an Isan vorbeiging, deutete er eine ironische Verneigung an.

Das junge Mädchen starrte ihm überrascht nach.

Isan hatte mit auf meinen Wunsch hin auf den höchsten Turm der Burg geführt, der zu meiner Überraschung frei zugänglich war. Der Raum, den wir über eine knarrende Wendeltreppe erreicht hatten, hatte ringsum schmale, spitzbogige Fenster und war bis auf ein bisschen Gerümpel – einige Regale, kleine Truhen und in Stoff eingeschlagene Bündel – leer.

Ich schaute mich begierig um. In der einen Himmelsrichtung sah ich in der Ferne den bizarren Bergkamm des Montazíel aufragen. Aus der Höhe konnte ich erkennen, dass das Gebirge sich wie eine endlose Mauer nach beiden Seiten fortsetzte. Wie eine Wand, die das Land teilte.

Auf der anderen Seite des Raumes erblickte ich jenseits der großen Planwiese faktisch nur Baumkronen und etwas weiter weg, dort wo das Gelände anstieg, Hügel mit Mustern aus Rechtecken, Felder, auf denen höchstwahrscheinlich verschiedene Getreide angebaut wurden. Möglicherweise waren auch Hänge mit Wein dabei. Im Osten schien die Luft dunstiger zu sein. Die Sicht reichte nicht so weit wie in die andere Richtung.

Wo mochte Pianmurít liegen?

Isan ließ mich ungestört schauen. Seit ich ihr gesagt hatte, dass sie sich etwas ausdenken musste, um die eldyarlara für den yarl zu interessieren, war sie tief in Gedanken versunken.

Natürlich hatte ich meine Bedenken, denn der Gedanke, dem Mädchen damit ihren sehnlichen Wunsch nach neuen Arbeitsplatz zu erfüllen, war mir nicht aus Eigennutz gekommen. Nein, ich wollte meine junge Wächterin ablenken. Der teirand verhielt sich verdächtig. Dass man hier schlecht auf Schattensänger zu sprechen war und dagegen goala’ay hinzunehmen schien, hatte Yalomiro wahrscheinlich nicht gewusst. Vielleicht hatte sich sehr viel verändert, seit Meister Gor ihn in die Steinfigur verwandelt hatte, seit sein alter Meister ihm von diesem Land erzählte. Hatte der Rotgewandete nicht selbst angedeutet, dass Yalomiros Entschluss, nach Valvivant zu reisen, eine fatale Idee gewesen wäre? Ich wollte mehr darüber wissen.

Wahrscheinlich war ich persönlich in Sicherheit. Aber vielleicht sollte ich mein Glück auch nicht herausfordern.

Immerhin hatten mich yarl Althopians Worte dahingehend beruhigt, dass Yalomiro – sofern er überhaupt noch in der Nähe war – nicht in Gefahr schwebte. Aber was, wenn Gor Lucegath herausfand, dass ich hier war? Würde er sich die Mühe machen, nach mir zu suchen? Brachte ich mit meiner Anwesenheit womöglich die Leute hier in Gefahr?

„Bei den Mächten”, murmelte Isan und schaute ihrerseits nachdenklich in die Landschaft hinaus. „Wenn ich nur wüsste, was die eldyarlara von Ivaál für ihre Töchter wünscht, das sie umstimmen könnte.”

„Umstimmen?”

„Sie ist mit den beiden auf dem Weg nach Forétern. Wahrscheinlich will sie ihre Töchter dort anderen Herren vorstellen. Das muss eine sehr wichtige und lange vorbereitete Sache sein, immerhin liegen Ivaál und Forétern an entgegengesetzten Enden der Welt!”

„Wäre der yarl denn eine gute Partie?”

„Wie meinst du das?”

„Nun ja… ist er reich? Hätte er der jungen Dame etwas Besseres zu bieten als ein Fremder am anderen Ende der Welt?”

„Aber darum geht es doch nicht.” Isan war regelrecht empört. „Man wählt sich einen hýardor doch nicht, weil er Reichtümer besitzt!”

„Was ist ein …” Ich unterbrach mich. Schließlich konnte ich Isan schlecht erklären, warum mir so grundlegende Begriffe fehlten. Wahrscheinlich war es einfach der gebräuchliche Ausdruck für einen Lebensgefährten.

„Wenn du mich fragst: Die beiden haben längst bemerkt, dass die Mächte sie füreinander bestimmt haben.”

„So einfach ist das?”

„Natürlich. Wenn die Mächte einen im Weltenspiel am hýardor vorbei führen, dann merkt man das!”

„Wo ist dann das Problem?”

„Wahrscheinlich hofft die alte yarlara, dass es in Forétern einen Herrn gibt, der zu ihrer Tochter passt.”

„Das verstehe ich nicht.”

„Erinnerst du dich denn nicht, ob du jemals verliebt warst?”

Darüber musste ich nachdenken. Zu lange für Isans Geschmack wohl. Aber wie hätte ich ihr erklären sollen, dass in meinem alten Leben jede noch so zaghafte Romantik im Keim erstickt war? Von den naiven Sehnsüchten und Träumen, die niemals eine Chance bekommen hatten? Dass es in meiner Welt keine Mächte gab, die dafür sorgten, dass man einen idealen Partner fand? Würde dieses quirlige und extrovertierte Mädchen verstehen, was Einsamkeit ist?

„Wer ist yarl Althopian eigentlich, dass du für ihn so sehr schwärmst?”

Isans Miene war anzusehen, dass sie mich ob dieser Bemerkung nun endgültig für eine Banausin hielt. „Das Haus Althopian gehört zu den angesehensten und ehrenhaftesten diesseits des Montazíel und hin bis zum Meer. Die Vorfahren des yarl hatten ihren Anteil am Ende der Chaoskriege. Jede Generation hat seither hochgeachtete Ritter hervorgebracht. Die Pferde, die aus dem yarlmálon kommen, sind bis nach Aurópéa hin begehrt.”

„Pferde?”

„Natürlich. Die besten Rösser überhaupt. Bei den Mächten, du bist ja wirklich völlig ahnungslos!”

„Und die Herren in Forétern?”

„Soweit ich weiß, dreht sich dort alles um Gewürze und Kräuter und so einen Kram. Die handeln mit Zeug, das anderswo nicht wächst.” Das waren Güter, die vermutlich kostbar, aber in Isans Augen weit weniger interessant waren als der gutaussehende Ritter.

„Vielleicht kann ich heute beim Essen etwas erreichen”, sagte Isan nach einer Weile. „Sobald die Herren von ihrem Ausritt zurück sind. Das wäre eine Möglichkeit. Aber der yarl muss eingeweiht sein, sonst geht es nicht.”

„Du willst also nochmals mit ihm reden?”

„Zuerst rede ich jetzt mit einem der Mädchen aus dem Gefolge der yarlara.” Das sagte sie so leichthin, als sei das überhaupt kein Problem.

„Solltest du nicht auf mich aufpassen?”

„Hast du vor, in Schwierigkeiten zu geraten?”

„Bekommst du keine Schelte?”

Sie grinste. „Der teirand und der mynstir sind beide auf der Suche nach dem Schwarzmantel. Bis die zurück sind, habe ich längst alles erledigt.”

„Alles klar!”, sagte ich. „Dann werde ich mich unten im Hof hinsetzen, sodass mich jeder sehen kann und warten, dass du wieder zurückkommst. Unter einer Bedingung.”

„Bedingung?”

Was sollte passieren? Wir beide waren allein im Raum und das Mädchen musste immer noch davon ausgehen, dass ich mein Gedächtnis verloren hatte. Misstrauen schien nicht zu ihren ausgeprägten Eigenschaften zu gehören. Wen außer ihr sollte ich fragen?

„Hast du schon einmal einen goala’ay gesehen? Ich meine… hier?”

„Nein”, antwortete Isan unbekümmert. „Aber Verta erzählt, dass der teirand manchmal einen in seiner Halle empfängt. Alle paar Sommer scheint er auf der Durchreise zu sein. Muss einer der letzten Lichtwächter sein, die überhaupt noch da sind.”

Ein eisiger Schauder lief mir über den Rücken. Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen.

„Und… Schattensänger? Ist dir schon einmal einer begegnet?”

„Was? Bist du noch bei Sinnen? Es… oh. Entschuldige. Ich wollte nicht über deinen Gedächtnisverlust witzeln. Nein, bin ich nicht, und den Mächten sei ewig gedankt dafür. Einem Schwarzmantel leibhaftig zu begegnen … das muss ein Alptraum sein! Aber ich bin sicher, dass der, der dir… das … angetan hat, nicht hierher zurückkehrt. Das war vielleicht eine Aufregung, als der yarl dich brachte! Ich habe den teirand noch nie so nervös gesehen! Sogar Verta war besorgt! Dass nach all dieser Zeit doch noch einer überlebt hat, hätte wohl niemand gedacht. Aber auch dessen Zeit wird kommen.”

Überlebt?

„Den Mächten sei gedankt, dass diese Plage beendet wurde, und Ruhe einkehrt in das Weltenspiel. Zu viel Leid haben sie gebracht. Frag nur Verta einmal nach den Geschichten.”

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Verta war im Kräutergarten beschäftigt, wo sie von Beet zu Beet ging und jede einzelne Pflanze mit kritischem Blick zu kontrollieren schien. Ab und zu schnitt sie mit einer winzigen Schere ein einzelnes Blatt oder einen dünnen Zweig ab und verstaute ihre Ausbeute zwischen Tüchern in einem Körbchen. Wahrscheinlich bereitete sie neue Heiltränke vor.

„Sollte Isan nicht bei dir sein, Liebes?”, fragte die alte Frau, als sie mich bemerkte.

„Sie ist im Auftrag von yarl Althopian beschäftigt. Eine kleine Erledigung. Sie kommt gleich zurück.”

„Wie hat sie es fertiggebracht, dem hochedlen Herrn einen Auftrag abzuschwatzen?”

„Ich glaube, das war gar nicht so schwer”, meinte ich unverbindlich.

Verta schüttelte den Kopf. „Das Kind war hier nie glücklich genug. Vielleicht wäre es tatsächlich besser so, wenn sie mit ihm ginge. Der yarl ist ein ehrenhafter und tugendsamer Herr. Was hast du auf dem Herzen?”

„Verta… ich versuche, meine Erinnerungen zurückzuerlangen. Aber alles scheint mit dieser Begegnung zu enden, die ich mit einem Schattensänger gehabt haben soll.”

„Wenn es so ist, wie man befürchten muss, kannst du den Mächten danken, dass du noch auf dieser Seite der Träume bist.”

„Bist du einmal einem Schattensänger begegnet?”

„Ich will nicht darüber reden, Liebes.”

„Hat dir etwa einer etwas… angetan?”

Sie wandte sich ab. „Die bloße Existenz der Schwarzmäntel war ein Fluch für das Weltenspiel, nach dem, was in den Chaoskriegen seinen Höhepunkt erreichte.”

„Und… die goala’ay?”

„Es waren schreckliche Zeiten, damals. Sicher weißt du das, auch wenn du dich gerade nicht an die Geschichten erinnern kannst. Oder warum interessierst du dich dafür?”

„Nun, so wie es scheint, bin ich einem der wenigen Schattensänger begegnet.”

„Wahrscheinlich dem Letzten, der dem goala’ay seinerzeit entronnen ist.”

„Was?”, entfuhr es mir, etwas zu entsetzt vielleicht.

Verta packte ihre Schere in den Korb. Die alte Frau mied meinen Blick, etwa so, als habe sie etwas ausgesprochen, was sie nun bereute.

„Liebes, ich werde nichts mehr dazu sagen. Ich habe ohnehin schon viel zu viel über Dinge geredet, die in deinem Leben keinen Platz haben sollten. Warum gehst du nicht einfach und genießt das schöne Wetter? Du bist noch jung, und vielleicht zeigt sich bald, wer du bist und wohin du gehörst. Und was immer du bist, und wenn du eine teirandanja wärst oder eine Dienstmagd: Dein Leben wird freudiger sein, wenn du die Magier in den Tiefen der Vergangenheit versunken lässt.”

Sie lächelte müde, ließ mich stehen und ging dann wieder ihrer Wege.