Der Ritter namens Altabete redete mit mir. Vermutlich wollte er das peinliche Schweigen mit etwas förmlicher Plauderei überbrücken. Aber so sehr ich mich bemühte, ich konnte kein Wort verstehen, abgesehen von einem brüchigen Wispern. Einen Augenblick lang kam mir der Gedanke, das könne schlicht daran liegen, dass seine Lippen nicht zu erkennen waren. Ich weiß auch nicht, wie ich es besser beschreiben kann. Es klang, als hörte man einem ganz schwachen Radioprogramm zu, das von Störungen überlagert wurde.

Der sicherlich sehr freundliche und höfliche Ritter schien zu begreifen, dass ich ihn nicht verstand und verstummte schließlich.

Die teiranda wartete am Feuer. Man hatte ihr einen niedrigen Klappschemel hingestellt, sodass sie auf einem Kissen trocken und bequem sitzen konnte. Einer ihrer Leute war dabei, ein offenbar für mich bestimmtes, ähnliches Möbel aufzustellen.

Sie wirkte nicht mehr so aufgedreht und entrückt wie zuvor. Vielleicht tat ihr räumlicher Abstand von Gor Lucegath gut?

„Danke, Herr Andriér”, sagte sie zu dem Ritter. „Wir warten hier auf die Anweisungen des Meisters.”

Er verneigte sich und wisperte etwas Bruchstückhaftes. Ich schaute ihm nach, wie er sich einem anderen Grüppchen anschloss.

„Bleib bei mir”, bat die teiranda und forderte mich tatsächlich zum Sitzen auf. „Es ist kein angenehmer Anblick, wenn Meister Gor mit camat’ay … redet. Ich habe nie lange dabei zugesehen. Sie dauerten mich trotz allem am Ende gar zu sehr.”

Bei diesen Worten lief es mir kalt den Rücken hinunter. Aber was hätte ich tun sollen? „Ich will nicht, dass er Yalomiro quält”, sagte ich lahm.

„Er wird ihn nicht töten, Ujora. Zumindest jetzt nicht. Obwohl es sicherlich besser für den Ausgang dieser Sache wäre, wenn er es schnell zum Ende brächte. Solange noch Schattensänger im Weltenspiel wandeln, werden wir nie zur Ruhe kommen.”

Ihr Knecht reichte mir einen Metallbecher mit einer Flüssigkeit. Ich nippte misstrauisch daran. Das Getränk war auf eine seltsame Weise geschmacksneutral. So als wäre es extrem stark verdünnt.

„Macht es Meister Gor denn nichts aus, dass Ihr mit mir sprecht, ohne dass er zuhört?”

„Wieso sollte es? Ich bin die teiranda. Ich kann reden, mit wem immer ich will. Alles hat mir zu gehorchen.”

„Ich hatte den Eindruck, dass Meister Gor jemand ist, der stets auf dem Laufenden sein will.”

„Denkst du denn, ich könnte etwas vor ihm geheim halten? Irgendjemand könnte ihm etwas verschweigen?”

Was mochte das für jedwede Form von Privatsphäre bedeuten? Ich horchte in die Dunkelheit. Außer dem Flammenknistern und dem allgemeinen Gemurmel ringsum war nichts Besorgniserregendes zu hören.

Ich entschied mich, die Gelegenheit zu nutzen, dass ich mit ihr allein war. Sie mochte so etwas Ähnliches wie eine Königin sein, aber sie war keine Magierin. Sie und ich – wir waren auf derselben Seite. Irgendwie, zumindest rein technisch betrachtet.

„Sind Schattensänger wirklich so gefährlich?”

Sie trank von ihrem eigenen Becher. Vielleicht wollte sie Zeit gewinnen um Worte zu finden, die der Rotgewandete ihr erlaubte.

„Das größte Leid, das im Weltenspiel geschah”, meinte sie dann ernst, „war das Werk von camat’ay. Es ist eine Geschichte, die lange Zeit zurückreicht und die zahllose Leben gekostet hat.”

Log sie mich an? Ich fasste den Becher fester. So etwas hatte ich nicht hören wollen.

„Jeder meiner Getreuen hier”, fuhr sie fort, „hat Vorväter, die damals ihr Leben oder Heil lassen mussten. Es steht dir frei, ihnen Fragen zu stellen.”

Wie denn, dachte ich bitter. Ich verstehe doch niemanden.

„Aber du hast Glück. Dich schützt allem Anschein nach etwas vor dem Fluch, den die camat’ay an sich tragen. Hast du gewusst, dass sie in der Lage sind, nur mit ihrem Blick einen Menschen umzubringen?”

Was? Das war doch wohl ein Schauermärchen!

Oder etwa nicht? War das der Grund, warum Yalomiro anfangs nicht gewollt hatte, dass ich ihm ins Gesicht schaute?

„Bislang nicht”, gab ich verstört zu. „Davon hat Yalomiro nichts erwähnt.”

Sie schaute sich um und wisperte dann: „Es heißt, das Leuchten ihrer Augen könne einem das Herz ausbrennen. Und von den unglückseligen Folgen eines auch nur zufällig aufgefangenen Blicks geziemt es sich nicht, zu reden. So viele keusche fánjulaé haben darüber vor lauter Begehren Verstand und Unschuld verloren!”

Ich muss sie ziemlich einfältig angestarrt haben. Meinte sie das, was ich glaube, verstanden zu haben?

Und hatte Yalomiro nicht anfangs jeglichen Blickwechsel mit mir gemieden und mich dann gestern um diese Zeit mit seinen silbern gleißenden Augen erschreckt? Hätte er das getan, wenn er mir damit hätte schaden können?

Plötzlich ergaben auch Meister Gors rätselhafte Worte in der Schlucht einen Sinn. Hatte Yalomiro etwa bewusst in Kauf genommen, dass ich den Blickkontakt möglicherweise nicht überlebt hätte? Mir wurde geradezu schlecht, als ich begriff, was diese neuen Informationen bedeuteten.

„Gor Lucegath wird die Gefahr durch die Schwarzgewandeten bannen. Ihm kannst du guten Gewissens vertrauen, Ujora. Ich tue es auch. Ich vertraue ihm mit meinem Leben.”

„Tatsächlich? Wenn Euer Leben davon abhinge, wäret ihr sicher, dass Meister Gor Euch retten würde?”

Sie nickte und schaute in die Flammen. Das Feuer spiegelte sich in ihren eisfarbenen Augen wider. „Oh ja”, murmelte sie. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was er alles für mich getan hat. Geheilt hat er mich. Ich bin ihm so unendlich dankbar. Wäre er nicht, dann wäre ich heute nicht hier. Es …”

Ihre Stimme veränderte sich, ihr Tonfall wurde schleppend, ihr Blick verträumt und absent. Hätte ich es nicht anders gewusst, hätte ich gedacht, sie sei in Trance gefallen. Wahrscheinlicher war jedoch, dass der Rotgewandete irgendeinen Zauber auf sie gelegt hatte, der einsetzte, sobald sie daran war, zu viel zu reden, und ein gefährliches Thema anschnitt. Wie ein magisches Zensurprogramm in ihrem Verstand. Ich wunderte mich darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit ich diese Möglichkeit in Betracht zog.

Sollte es tatsächlich so sein, dass Yalomiro mich wissentlich in Lebensgefahr gebracht hatte? Warum hatte er das getan? War es ein Versuch, mich loszuwerden? War all das ein perfider Plan?

Ich glaubte nicht daran. Sicher waren die Behauptungen der teiranda nicht völlig aus der Luft gegriffen. Aber hätte sich das, was zwischen Yalomiro und mir abgespielt hatte, diese seltsame Hingezogenheit, die ich zu ihm spürte, so angenehm, so tröstend angefühlt, wenn er etwas Böses im Sinn gehabt hätte? Konnte von jemandem, der schlecht war, so viel Freundlichkeit ausgehen?

Sofern ich jemals wieder mit ihm sprechen konnte, würde er mir eine ganze Menge zu erklären haben.

Gor Lucegath wartete schweigend, bis der Mond den Horizont vollständig erklommen hatte. Dann förderte er ein Tuch hervor und verband dem Schattensänger die Augen.

„Habt Ihr so viel Angst, dass ein verirrtes Fünkchen Mond- und Sternenlicht mir okkulte Kräfte verleihen könnte?”

„Ich halte es für angemessen, einer Schutzmacht ihren ergebenen Diener so wehrlos als möglich zu präsentieren.”

„Wie überheblich seid Ihr, dass ihr denkt, Noktáma ließe sich beschwören, indem Ihr ihr einen unwürdigen Köder vorlegt.”

„Mir scheint, du trachtest danach, dich zu trösten, falls sie sich nicht deiner misslichen Lage annimmt.”

Der camat’ay schüttelte den Kopf. „Noktáma ist unbestechlich. Und ich habe keinen Anlass, mich vor meiner Schutzmacht rechtfertigen zu müssen. Das ist der Unterschied zwischen Euch und mir: Ich bin kein Ausgestoßener.”

Er bereitete sich darauf vor, für diese Bemerkung erneut Schmerzen zu spüren. Aber der Rotgewandete ließ sich diesmal nicht reizen.

„Was wollt Ihr überhaupt von Noktáma? Ihr wisst doch, dass die Mächte nur zu ihren eigenen Geweihten reden.”

„Lass das meine Sache sein, Schattensänger.”

„Ihr glaubt selbst nicht ernsthaft daran, dass sie vor Euch erscheint. Ihr spielt irgendetwas anderes mit mir.”

„Denkst du?”

„Natürlich. Was hat es für einen Sinn für Euch, mich hierher zu schleppen? Welchen Zweck hätte der Aufwand, die teiranda und ihr Gefolge bei Eurer Jagd mitzunehmen? Wijdlant ist einige Tagesritte vom Montazíel entfernt. Ihr hättet lange zuvor wissen müssen, dass ich zu dieser Stunde an diesem Ort sein würde. Es würde mich wundern, wenn es nicht erst meine erfolgreiche Flucht aus dem Etaímalon war, die Euch aufschrecken ließ. Daraus folgt, dass Ihr Magie gewirkt habt, um all diese Leute herzubringen. Das ist viel Mühe ohne ersichtlichen Nutzen. Ich frage mich, durch welche Domäne Ihr diese Menschen führen könnt, wie schnell und zu welchem Preis.”

„Du bist ebenfalls mit einem unkundigen Wesen hergekommen, auf einem anderen Pfad. Was hätte Meister Askýn gesagt, hätte er erfahren, dass du Unkundiges durch den Schatten geschmuggelt hast?”

Yalomiro hörte, dass der Rotgewandete sich bewegte, denn dessen Stimme hatte sich einige Schritte zur Seite entfernt. Dann ruckte die Kutsche kurz. An irgendetwas machte der goala’ay sich zu schaffen.

„Welchen Nutzen habt Ihr davon, Unkundige bei Euch zu haben?”, fragte der Schattensänger.

„Welchen Nutzen hast du von deiner Begleiterin? Ist sie für dich nicht ein Hemmnis, auf das du Rücksicht nehmen musst?”

„Was hätte ich denn sonst mit ihr machen sollen? Ich konnte sie ja kaum allein zurücklassen.”

Gor Lucegath klang belustigt. „Und du hattest wirklich vor, sie einfach wieder gehen zu lassen? Ein Geschenk der Mächte zurückzuweisen, das dir so nützlich sein könnte? Könnte es nicht sein, dass Noktáma sie dir geschickt hat, damit du sie benutzt? Ein Werkzeug, wie es die teiranda für mich ist?”

„Ein Spielzeug, wollt Ihr wohl sagen.”

„Ich dachte mir, es würde deine Unkundige beruhigen, wenn sie unter ihresgleichen ist. Damit habe ich mich nicht getäuscht. Es ist gar nicht so schwer, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich denke, sie wird sich rasch mit der teiranda anfreunden und sich für das Einzige entscheiden, was in ihrer Lage Sinn ergibt. Deine ujora ist naiv, aber sie ist nicht dumm. Sie wird mir am Ende dankbar sein, sobald sie von jemand anderem als mir erfahren hat, was es mit euch schwarzgewandetem Pack auf sich hat.”

Er stand nun wieder dicht vor Yalomiro. Der camat’ay wartete, aber der ältere Magier redete nicht weiter.

„Wenn sie nicht dumm ist, wird sie ebenfalls durchschauen, was es mit euersgleichen auf sich hat. Wenn sie schon Eure mageren Zauber durchschaut, dann dürfte es ihr keine Mühe bereiten, auch Euren gehässigen Geist zu erspüren.”

„Warten wir es ab, Yalomiro Lagoscyre. Lass uns sehen, wer dich heute Nacht aus meiner Gewalt befreit, falls jemandem an deinem Heil gelegen ist. Hier auf dem Gipfel des Montazíel besteht zumindest eine winzige Chance, dass deine Schutzmacht Partei für dich ergreift. Tut sie es nicht, sind wir alle noch vor dem Morgengrauen in Pianmurít, in meiner Domäne. Und von dort, hochmütiger stolzer Schattensänger, gibt es kein Entkommen mehr für dich.”

„Pianmurít? Was ist das?”

„Das wirst du am eigenen Leib erfahren.”

„Habt Ihr dort mehr zu bieten als eine lächerliche magische Mauer?”, stieß Yalomiro hervor. „Ihr macht Euch die Dinge so übermäßig kompliziert, dass es ein Schauspiel sein muss. Ich bin mir nur nicht sicher, wer die Zuschauer und wer die Darsteller sind.”

„Oh, die Mauer.” Der Rotgewandete war amüsiert. „Das Material für die Mauer stammt in der Tat aus Pianmurít. Aber die Mauer war nicht da, um dich einzusperren. Ich habe sie gezogen, damit kein Unkundiger auf die Idee kommt, nachzuforschen was aus euersgleichen geworden ist, nachdem dem Boscargén die Kraft ausgeht. Diesen Zweck hat sie vortrefflich erfüllt. Oder hast du gedacht, ich wäre so töricht zu glauben, ein Schattensänger hätte sie nicht in beide Richtungen überwinden können, so wie du es getan hast?”

Yalomiro senkte den Kopf. „Nein. Natürlich nicht.”

„Die Frage”, fuhr der goala’ay gelassen fort, „sollte sein, ob keiner von deinesgleichen es versucht hat. Wieso haben sie dich alle aufgegeben, Yalomiro Lagoscyre? Ist es dein Schicksal, verlassen zu werden, Schattensänger? Waren sie womöglich erleichtert, deiner ledig zu sein? Wie hieß deine junge Kameradin noch, die dich so schmählich im Stich gelassen hatte? Arámaú Boscargén, nicht wahr? Was kann das arme Mädchen nur aufgehalten haben, frage ich mich?”

„Ihr, möglicherweise?”

Der Rotgewandete lachte leise. Dann ging er wortlos fort.

Der Schattensänger senkte den verbundenen Blick und horchte eine Weile, hörte aber nur das in der Ferne lagernde Gefolge der teiranda. Er bewegte den Kopf, versuchte, die Augenbinde an seiner Schulter abzustreifen, aber es war zwecklos. Auch die Fesseln ließen sich nicht lösen. Der Rotgewandete verstand sein Handwerk ebenso gut wie seine magische Kunst.

Yalomiro seufzte schmerzerfüllt und hoffte von Herzen, dass Arámaú nicht hatte leiden müssen.

Während die teiranda verzückt und ohne eine Regung ins Feuer starrte, hatte ich die Gelegenheit, ihre Gefolgsleute näher zu betrachten. Solange ich ihre Gesichter nicht anschaute, war das halbwegs erträglich.

Der Mann, den ich anhand seiner Gewandung nun als yarl Altabete identifizierte, saß mir nun in einigem Abstand von den Flammen gegenüber. Er redete in dieser wispernden, verzerrt klingenden Sprache mit einem zweiten Mann in ähnlicher, gelblich-grauer Kleidung. Sein Gesprächspartner war etwas füllig und trug eine schwere Gliederkette mit einer aufwendig gearbeiteten Plakette um den Hals. Es handelte sich vermutlich um einen wichtigen Würdenträger im Hofstaat der teiranda. Ich hatte versucht, danach zu fragen, aber sie war definitiv nicht mehr ansprechbar. Ab und zu schauten die beiden Ritter zu mir hinüber. Ihre Körperhaltung unterstrich ihren ratlosen Eindruck. Der Zustand ihrer Herrin schien sie hingegen nicht zu verwirren.

Auch die übrigen Männer schienen zwischenzeitlich begriffen zu haben, dass ich sie nicht verstehen konnte. Zumindest versuchte niemand mehr, mich anzusprechen. Aber sie waren freundlich. Einer reichte mir einen Teller, auf dem zwei staubgraue Kugeln dampften, etwa so groß wie Kartoffelknödel. Er hatte sie für mich aus dem Feuer geholt, ich beobachtete, wie andere sich ebenfalls bedienten und ihrerseits lehmartige Klöße aus der Glut fischten. Offenbar war es etwas Essbares, mit dem der Tross sich stärkte, eine Art Fertiggericht.

Ich bedankte mich. Ich hatte zwei Tage nach meiner letzten Mahlzeit großen Hunger, aber ich wusste nichts mit der Speise anzufangen. Doch noch bevor ich bei den anderen abschauen konnte, wie man die ungenießbar ausschauende Masse zu sich nahm, kehrte Gor Lucegath zurück. Er schritt aus der Dunkelheit heraus, als träte er in Scheinwerferlicht, blieb kurz bei Altabete und dessen Kollegen stehen und wechselte einige Worte mit ihnen.

Ich versuchte, die Körpersprache der beiden Ritter zu deuten. Ganz offensichtlich hatten die Männer größten Respekt vor dem Rotgewandeten. Oder war es Furcht? Sie hörten ihm in geduckter Haltung zu, dann erhoben sie sich. Sie gingen fort, dorthin, wo die Pferde in einem improvisierten Pferch standen, den das Gefolge mit Spießen abgesteckt und mit einem langen Seil umspannt hatte. Unaufgefordert schloss sich der Großteil der am Feuer Sitzenden an. Wahrscheinlich wollte niemand ohne Not in Gor Lucegaths Nähe sein.

Der Magier griff nach einem der nun freien Schemel und ließ sich damit neben der teiranda nieder. Im selben Moment begann die junge Frau, sich zu regen, als sei nichts geschehen.

Der Magier hatte etwas mitgebracht. Ich erkannte mit Bestürzung, dass es Yalomiros große lederne Beuteltasche war. Er stellte sie zwischen seinen Füßen ab und warf dann einen Blick auf den Teller in meiner Hand.

„Kennst du das nicht?”, fragte die teiranda. Ich zuckte erschrocken zusammen. Sie strahlte wieder verklärt und deutete auf den Teller. „Du musst es aufschneiden. Hier!” Sie reichte mir ein Messerchen mit daumenlangen Griff und einer keilförmig geschliffenen Spitze hinüber.

„Ich habe Altabete und Grootplen angewiesen, sich bereit zu halten”, sagte der Rotgewandete zu ihr. „Ich denke nicht, dass wir Noktáma heute Nacht noch zu Gesicht bekommen werden. Ich gebe ihr Zeit bis zum Monduntergang. Dann werde mich daheim weiter mit ihrem jämmerlichen Diener befassen.”

Sie nickte, wenig überrascht. „Dann muss es wohl so sein. Es dauert mich, dass Ihr Euch diese Mühe umsonst gemacht habt.”

„Es ist gut, Herrin. Bedenkt, wie erleichtert yarl Moréaval sein wird, wenn Ihr sicher wieder zugegen seid.”

„Was bedeutet das?”, fragte ich wachsam.

„Wir reisen weiter, Ujora. Dies hier ist kein Ort, an dem Unkundige sich längere Zeit aufhalten sollten. Die Mächte schätzen es nicht, wenn Menschen sich zu lange hier herumtreiben.”

„Warum sind wir dann hier?”

„Weil dies einer der Orte ist, an dem Noktáma und Pataghíu sich manifestieren können. Wenn sie in der Laune sind, mit ihrem … Gesindel zu reden.”

Er öffnete Yalomiros Tasche. Das Erste, was er daraus hervorholte, war die schwarze Geige. Sie war in ein Tuch eingeschlagen und schien den Rotgewandeten nicht im Geringsten zu interessieren. Achtlos legte er das Instrument auf den Boden.

„Was ist mit Yalomiro?”

„In meiner Domäne habe ich wirksamere Möglichkeiten als hier, ihm seinen Hochmut und Starrsinn auszutreiben. Von dort wäre kein Entkommen mehr möglich. Wie schade, dass der Dunkelheit das offenbar einerlei ist.” Er hielt nun ein schmales Buch mit einem schwarzen Ledereinband in Händen, das offenbar von größerem Interesse für ihn war, denn er blätterte es flüchtig durch. Ich konnte einen Blick auf handschriftlich eingetragene Zeilen erhaschen. Doch auch das Buch legte der maskierte Magier rasch wieder weg. „Plunder”, murmelte er.

Die teiranda interessierte sich immer noch mehr für meinen Teller als für Yalomiros Habe. „Iss”, sagte sie. „Wenn es abkühlt, wird es bitter. Ich weiß, es ist einfachste Kost, aber als Reiseproviant äußerst dienlich.”

Ich ritzte einen der Klöße an. Die Miniklinge glitt erstaunlich leicht durch die lehmartige Kruste. Im Inneren befand sich eine pappige Masse. Die teiranda reichte mir einen zierlichen Löffel aus Horn. Offenbar musste man die Kugeln damit leeren.

Mir war nicht nach Essen zumute, wollte mir aber nicht anmerken lassen, dass mich viel mehr beschäftigte, was Meister Gor tat. Ich probierte das zähe Mus. Es schmeckte langweilig, wie ungesüßter Milchreis.

„Und?”, fragte der Rotgewandete nebenher. „Wie mundet dir die erste Speise, die du in dieser Sphäre kostest?”

„Es ist sicher sehr gesund”, sagte ich höflich.

Gor Lucegath blickte kurz auf, ein wenig stutzig, wie mir schien. Dann wandte er sich der Tasche zu.

„Sucht Ihr nach etwas Bestimmten?”, erkundigte Kíaná von Wijdlant sich nun auch, während er kramte.

„Ich fragte mich, ob wir in seinen Habseligkeiten wohl irgendeinen Hinweis darauf finden würden, was er vorhat”, antwortete der Rotgewandete. Er untersuchte einige Döschen und Schächtelchen, die irgendwelche trockenen Substanzen zu enthalten schienen, und zwei oder drei gläserne und fest verkorkte Phiolen mit Flüssigkeiten. Eine davon betrachtete der Magier genauer. Und warf sie dann angewidert ins Feuer.

Eine silberne Stichflamme zuckte in den Flammen auf und ein süßlicher Duft wehte vorbei. Die teiranda schaute fragend.

„Gift”, kommentierte Gor Lucegath und suchte weiter. „Lächerlich! Sie versuchen es immer wieder.”

Lächerlich? Warum führte Yalomiro Gift mit sich? War das noch so eine sinistre Absicht, von der ich nichts ahnte? Was kam als Nächstes?

Dann hatte er den Weltenschlüssel gefunden. Er schüttelte den Kopf darüber und betrachtete ihn von allen Seiten.

Damit bist du also hergekommen, Ujora?”

„Ja. Er lag vor der Kellertür.”

„Und wie hast du ihn benutzt? Hast du ein Ritual angewandt, oder …”

„Nein. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Dann habe ich seltsames Zeug geträumt und dann … dann konnte ich nicht anders, als ihn auszuprobieren.”

„Ich verstehe. Dann hat der Schattensänger dich also durch einen Traum angeleitet. Wie lange war der Schlüssel in deiner Welt in deinen Händen?”

Dass Meister Gor sich so ernsthaft für den Schlüssel interessierte, überraschte mich.

„Ich habe ihn am frühen Abend gefunden und am Vormittag ins Schloss gesteckt.”

„Das sollte ausreichen.” Der Magier strich mit den Fingerspitzen über das Metall. „Ich werde diesen Schlüssel für deine Rückkehr rüsten, Ujora, aber selbst ich kann das nicht über Nacht. Es ist abstruse Schattensängermagie darin, die ich aufbrechen und mit der meinen neu arrangieren muss. Das dauert eine Weile, und ich habe zuvor eine dringlichere Angelegenheit zu erledigen. Du bist zwischenzeitlich unser Gast in Wijdlant.”

„Danke”, antwortete ich unverbindlich.

Er steckte den Weltenschlüssel in seine Gürteltasche.

„Alles andere es ist nur der übliche Krempel. Abgesehen davon. Das ist ein Witz.” Der Rotgewandete trat mit der Fußspitze nach der Geige, woraufhin sie ein Stück näher ans Feuer rutschte. „Spielereien.”

Er stopfte das Buch wieder zurück in den Beutel und wandte sich dann der teiranda zu. „Wollt Ihr wieder im Wagen reisen, Herrin?”

„Ich glaube, diesmal will ich reiten”, antwortete sie und griff wieder zu ihrem Becher. „Aber für dich, Ujora, haben wir kein Pferd dabei. Sobald wir in Wijdlant sind, werde ich dafür sorgen, dass du ein angemessenes Reittier zu deiner Verfügung bekommst.”

„Eines, das weniger ungestüm ist als jenes, das dich herbrachte”, fügte der Rotgewandete beiläufig hinzu. „Noch so eine unnötige Prahlerei.”

Ich zuckte zusammen. Was hatte er denn noch alles bemerkt, während er uns ohne unser Wissen beobachtet hatte?

„Das ist in Ordnung”, murmelte ich. Die Geige lag nahe bei seinem Fuß. Zu nahe. Ich befürchtete, er könne sie als Nächstes mit einem Tritt einfach in die Flammen befördern, wie zuvor das Giftfläschchen. „Und… und wie geht es dann weiter? Ich meine, was erwartet Ihr von mir dafür, dass Ihr mich beherbergt?”

„Gar nichts”, sagte die teiranda vergnügt. „Du bist mein Gast. Ich bin mir sicher, dass wir eine heitere Zeit miteinander verbringen werden.”

„Sei getrost, Ujora, du wirst dich nicht allzu lange gedulden müssen. Der widerspenstigste Schattensänger, den ich je unter meinen Händen hätte, hat neun Tage durchgestanden, bis ich hatte, was ich wollte. Yalomiro Lagoscyre wird es sicher nicht viel länger ertragen. Aber selbst das wäre egal. Zeit ist etwas, dem ich keine Bedeutung beimesse. Dir wird sie in Gesellschaft meiner Herrin im Fluge vergehen.”

Ich zögerte. Die Frage stand bereits seit dem Moment im Raum, in dem er sich gezeigt hatte.

„Seid Ihr unsterblich?”, fragte ich und wusste nicht so recht, ob es mich in Ehrfurcht oder Entsetzen versetzen würde, falls er das bejahte.

„Nein”, antwortete er heiter. „Ich habe lediglich damit aufgehört, zu altern, als mir der Zeitpunkt passend erschien. Ich bin kein hitziger Jüngling mehr, aber noch lange kein Greis.” Er warf einen vielsagenden Blick hinüber zur teiranda. „Es ist angenehm, das richtige Alter zu haben, Ujora. Vielleicht siehst du das einmal ähnlich. Vermutlich, wenn der Moment vergangen ist.”

Er erhob sich. „Und nun, Herrin, benötige ich einen Augenblick Eurer Zeit. Allein.”

Sie stand auf, ganz ohne Widerspruch, und warf mir im Weggehen noch einen frohgemuten Blick zu. Der Rotgewandete reichte ihr formgewandt seine Hand. Die beiden entfernten sich in die Richtung, in die zuvor schon die Ritter gegangen waren.

Lustlos wandte ich mich wieder dem Essen zu und schrak zusammen.

Auf dem Teller in meiner Hand lagen ein paar zerkochte Nudeln mit Ketchup. Ungefähr eine Sekunde lang. Dann war da wieder der geschmacklose Brei.

Offensichtlich begann ich, zu halluzinieren. Ich stellte den Teller beiseite.

Nun war ich unbeobachtet: Nur ich, das Feuer, die achtlos zurückgelassene Tasche, die Geige … und das kleine scharfe Messer in meiner Hand.